VG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.04.2016 - 9 K 1541/14
Erlässt die Bauordnungsbehörde eine Nachtragsbaugenehmigung und wird diese fristgemäß angegriffen, kann sich die Behörde auch hinsichtlich der ursprünglichen Baugenehmigung nicht mehr auf prozessuale Verwirkung berufen, weil beide nur zusammen angegriffen werden können.
Eine Baulast ist von Beginn an unwirksam, wenn sie so unbestimmt ist, dass sie nicht mittels Ordnungsverfügung durchgesetzt werden kann. Bei einer Zuwegungsbaulast, die auch als Feuerwehrzufahrt genutzt wird, setzt dies eine zentimetergenaue Bestimmung voraus.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer der zum Teil mit einem Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten sowie Nebengebäuden bebauten Grundstücke Gemarkung G. , Flur 2, Flurstücke 705, 1027, 1039 und 1040 (postalische Anschrift: G1. Straße 379a, I. T. ). Die Grundstücke sind nicht unmittelbar von der Straße aus erschlossen. Der Beigeladene ist Eigentümer der südlich angrenzenden Grundstücke Gemarkung G. , Flur 2, Flurstücke 1016 und 1018 (postalische Anschrift: G1. Straße 377). Ersteres ist mit einem mehrstöckigen, zu Wohn- und gastronomischen Zwecken genutzten Gebäude bebaut. In diesem betreibt der Beigeladene ein indisches Restaurant sowie einen Pizzaservice ohne eigene Restaurationsflächen. In der nordwestlichen Ecke des Grundstücks befinden sich drei Garagen.
Unter dem 13. März 1985 (Urkunden-Rolle Nr. 190) erklärten die damaligen Eigentümer der Grundstücke Gemarkung G. , Flur 2, Flurstücke 239 und 467 die Übernahme einer Baulast für ihr Grundstück als Wege- und Leitungsrecht zugunsten des westlich gelegenen Grundstücks Gemarkung G. , Flur 2, Flurstück 469. In der Verpflichtungserklärung heißt es: "Ein amtlicher bzw. von einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur beglaubigter oder angefertigter Lageplan ist - nicht - beigefügt. Die Flächen, auf die sich die Baulast erstreckt, sind grün schraffiert angelegt." Auf dem beigefügten Lageplan ist eine drei Meter breite schraffierte Fläche dargestellt, die zunächst in nördlicher, dann nach einer Rechtskurve in östlicher Richtung verläuft. Eine weitere Bemaßung ist nicht eingetragen. Durch Grundstücksteilungen im Jahr 2006 sind aus dem Flurstück 239 die Flurstücke 1018 und 1019 sowie aus dem Flurstück 467 die Flurstücke 1016 und 1017 entstanden.
Anlässlich der Erteilung der Baugenehmigung für das Wohnhaus des Klägers erklärten die damaligen Grundstückseigentümer der Grundstücke Gemarkung G. , Flur 2 Flurstücke 1016 und 1018 am 10. August 2007 die Übernahme einer Baulast (Baulast Urk.-R.-Nr. 1359) für ihr Grundstück zugunsten der Flurstücke 389, 466, 705 und 1017 teilweise ‚B‘ als Geh-, Fahr- und Leitungsrecht. In der Verpflichtungserklärung heißt es (wie zuvor): "Ein amtlicher bzw. von einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur beglaubigter oder angefertigter Lageplan ist - nicht - beigefügt. Die Flächen, auf die sich die Baulast erstreckt, sind grün schraffiert angelegt." Mit der Erklärung stofflich verbunden ist ein amtlicher Lageplan zur Eintragung einer Baulast gemäß § 4 BauO NRW vom 2. Juli 2007, in dem auf den Flurstücken 1016 und 1018 eine kreuzweise schraffierte Fläche mit den Angaben "Geh- und Fahrrecht # 3,0 m" und "86 m²" dargestellt ist. Die schraffierte Fläche verläuft nördlich des Bestandsgebäudes in einer Rechtskurve. Abstände der Baulastfläche zu den Flurstücksgrenzen oder den vorhandenen Gebäuden werden auf dem Lageplan nicht dargestellt. Bis auf einen Teil im Kurvenbereich am nördlichen Rand des Grundstücks ist die Baulastfläche deckungsgleich dargestellt zu einer grün dargestellten Fläche "vorh. Geh-, Fahr- und Leitungsrecht Urk.-R. 190/85 #3,0 m", die bis zu dem östlich gelegenen Flurstück 469 reicht. Die Flurstücke 389, 466 und 1017 Teilstück "B" entsprechen nunmehr in den maßgeblichen Teilen den Flurstücken 1027, 1038 und 1040. Hinsichtlich der heutigen Grundstückssituation wird ergänzend auf den nachfolgenden Kartenausschnitt Bezug genommen.
Am 16. März 2012 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte in dem Haus G1. Straße 377. Als Art des Betriebes gab er "Speiselokal mit indischer Küche und italienischer Außer-Haus-Verkauf" an. Die vorgelegte Stellplatzbedarfsberechnung ging von einem Stellplatz für eine Wohnung sowie 13 Stellplätzen für das Restaurant aus. Eine handschriftliche, mit einem grünen Strich versehene Berechnung für das Restaurant kam für das Restaurant zu einem Bedarf von 14 Stellplätzen. Ein beigefügter Lageplan mit Datum 13. Februar 2012 weist insgesamt 16 Stellplätze aus, wobei zwei gestrichelte Stellplätze mit Grüneintragungen ("15", "16") versehen sind. Der Lageplan trägt einen Grünstempel "Im vereinfachten Genehmigungsverfahren - § 68 BauO NW - geprüft". Unter dem Datum des 4. Juni 2012 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter dem Aktenzeichen 63-00119/12. Die Baugenehmigung war mit den Auflagen verbunden, dass für das Vorhaben 16 Stellplätze notwendig seien (Nebenbestimmung Nr. 4) und die notwendigen Stellplätze ausreichend befestigt und gekennzeichnet seien müssten (Nebenbestimmung Nr. 5).
Der Baubeginn wurde der Beklagten mit am 3. August 2012 eingegangenem, von der Architektin des Beigeladenen unterzeichneten Schreiben angezeigt. Unter dem Datum des 5. September 2012 zeigte die Architektin des Beigeladenen die Fertigstellung der baulichen Anlage am Tag zuvor an.
Am 30. August 2012 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte. Bei einem Besuch im Bauamt der Beklagten am 22. August 2012 habe er von dem in der Bauordnungsakte befindlichen Lageplan vom 13. März 2012 mit der Lage der 14 erforderlichen Stellplätze erhalten. Dem Schreiben beigefügt war eine Ablichtung des Lageplans, auf der der Stempelaufdruck zu lesen ist. Der Kläger trug seine Bedenken gegen die Lage der Stellplätze vor und verwies insbesondere auf die möglichen Beeinträchtigungen der Feuerwehrzufahrt zu seinem Hausgrundstück hin.
Am 17. Dezember 2012 wandte sich die Beklagte an den Prozessbevollmächtigten des Klägers und teilte diesem mit, auch bei nochmaliger Prüfung der "Baugenehmigung X. H. G1. Straße 379a ./. Baugenehmigung Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte G1. Straße 377" seien keine bauordnungsrechtlichen Mängel zu erkennen. In der Folge wandte sich der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten wiederholt an die Beklagte sowie an die übergeordneten Bauaufsichtsbehörden und wies auf die Beeinträchtigungen für die Feuerwehrzufahrt zu einem Grundstück durch die ungeordnete Parkplatznutzung auf dem Vordergrundstück hin.
Am 24. Januar 2013 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung im dem Haus G1. Straße 377. Eine beigefügte Stellplatzberechnung nennt für die Wohnung einen Stellplatzbedarf von einem Stellplatz. Aus dem "bisherigen Bauantrag" ergebe sich ein Stellplatzbedarf von 14 Stellplätzen. Auf dem Grundstück nachgewiesen worden seien 16 Stellplätze. Ein in der Bauordnungsakte befindlicher Lageplan wies insgesamt 16 Stellplätze aus, wovon zwei parallel zur Straßenfront des Gebäudes ausgerichtet waren. Der Lageplan trägt den Grünstempel "Im vereinfachten Genehmigungsverfahren - § 68 BauO NW - geprüft". Die Beklagte erteilte dem Beigeladenen unter dem 5. September 2013 (Aktenzeichen 63-00034/13) die beantragte Baugenehmigung. Die Nebenbestimmungen enthalten die Auflage, dass für das Vorhaben ein Stellplatz notwendig sei (Nebenbestimmung Nr. 2), und den Hinweis, der Nachweis erfolge durch die vorhandenen Stellplätze (Nebenbestimmung Nr. 3).
Anlässlich eines Ortstermins am 12. Februar 2014 stellten Vertreter der Beklagten sowie der oberen Bauaufsichtsbehörde fest, dass mehrere der ausgewiesenen Stellplätze auf dem Vordergrundstück entweder nicht anfahrbar oder durch Gegenstände blockiert seien.
Der Beigeladene beantragte bei der Beklagten am 24. April 2014 die Erteilung eines Nachtrags zu dem Bauschein Nr. 34/13 vom 5. September 2013. Der nicht unter Verwendung eines Antragsformulars gestellte Antrag benennt als Gegenstand des Nachtrags die "Überplanung der Stellplatzsituation auf dem Grundstück". Dem Antragsschreiben war eine Seite mit Stellplatzberechnungen sowohl für die Gaststätte (insgesamt zehn Stellplätze) und für zwei Wohnungen (insgesamt zwei Stellplätze) beigefügt; als Bauvorhaben wird dort die "Wohnraumerweiterung eines DG und die Errichtung eine Dachterrasse" benannt. Diese Seite trägt ebenso wie der ebenfalls beigefügte Lageplan den Grünstempel "Im vereinfachten Genehmigungsverfahren - § 68 BauO NW - geprüft". Die Beklagte erteilte unter dem 5. Mai 2014 die begehrte Genehmigung (Aktenzeichen 63-00377/14) und beschrieb im Bauschein das Vorhaben als "Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung, hier: 1. Nachtrag zur Baugenehmig. v. 05.09.2013, Az. 000034-13". Als gegenüber der Baugenehmigung erfolgte Änderung nannte der Bauschein "Änderung der Stellplätze". Als Nebenbestimmungen sah der Bauschein u.a. die Auflagen vor, dass die erforderlichen zehn Stellplätze für die Gaststätte auf dem Grundstück anzulegen seien (Nebenbestimmung Nr. 1) und die erforderlichen zwei Stellplätze für die Wohnungen in dem Gebäude in den vorhandenen Garagen auf dem Grundstück nachgewiesen seien (Auflage Nr. 4).
Am 15. Juli 2014 erließ die Beklagte nach vorangegangener Anhörung gegen den Beigeladenen und die damaligen Eigentümer der Vordergrundstücke verkehrsrechtliche Anordnungen auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 und 3 StVO. Auf den Grundstücken sei entsprechend dem Verlauf der in der Verpflichtungserklärung vom 2. August 2007 dargestellten Teilfläche eine Fahrbahnmarkierung zur Verdeutlichung der Feuerwehrzufahrt anzubringen. Die Herstellung und Unterhaltung sowie der Kostenaufwand werde durch die Beklagte getragen. In der Folge unternahm die Beklagte eine Fahrprobe mit einem Feuerwehrfahrzeug und brachte hiernach Markierung auf der Parkplatzoberfläche auf.
Ebenfalls am 15. Juli 2014 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Änderung der Baugenehmigung mit dem Aktenzeichen 377/14. In der Sache handele es sich auch um einen Nachtrag zur Baugenehmigung 119/12. Insoweit bitte man, die Bezeichnung des Bauvorhabens abzuändern. Mit Schreiben vom 17. Juli 2014 änderte die Beklagte "die Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 (Az. 63-00377/14)" dahingehend ab, dass die Bezeichnung nunmehr "Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung. hier: 1. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 05.09.2013, Az. 00034-13" und "Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte. hier: 1. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 04.06.2012, Az. 00119/12" lautete. Eine Bekanntgabe an den Kläger erfolgte zunächst nicht; die Beklagte teilte dem Gericht das Bestehen des Änderungsbescheides am 3. März 2016 telefonisch mit und übersandte diese in der Folge.
Bereits am 26. März 2014 hat der Kläger Klage gegen die dem Beigeladenen am 4. Juni 2012 erteilte Baugenehmigung für die Gaststätte erhoben. Am 5. Juni 2014 hat der Kläger seine Klage auch auf die Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 zur Baugenehmigung vom 5. September 2013 erstreckt. Mit Schriftsatz vom 8. März 2016 hat der Kläger seine Klage auf die am 17. Juli 2014 ergangene Änderung der Nachtragsbaugenehmigung erstreckt.
Zur Begründung macht er geltend: An den Vordergrundstücken bestehe die Baulast Nr. 1359, mit welchen Geh- und Fahrrechte einschließlich der Feuerwehrzufahrt gesichert seien. In diese Rechtspositionen werde durch die Erteilung der Baugenehmigungen eingegriffen. Die Darstellung auf dem Lageplan sei unrealistisch, so dass die Stellplätze in der Realität nicht darstellungsgemäß genutzt werden könnten. Auch entspreche die Darstellung der Feuerwehrzufahrt insbesondere im Kurvenbereich nicht den an sie zu stellenden Anforderungen. Insoweit sei eine Breite von mehr als drei Metern erforderlich. Teilweise würden die Stellplätze zweckwidrig genutzt, so dass sie Besuchern nicht zur Verfügung stünden. In der Folge werde die Einfahrt zu seinem Grundstück immer wieder blockiert. Auch parkten Besucher der Gaststätte ihre Fahrzeuge immer wieder auf seinem Grundstück. Im Brandfalle könne die Feuerwehr sein Grundstück nicht sicher anfahren. Die erteilte Baugenehmigung verstoße vor diesem Hintergrund zudem gegen § 51 Abs. 7 und 8 Bauordnung NRW (BauO NRW). Schließlich verstoße die Erteilung der Baugenehmigung für die Gaststätte auch gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
Der Kläger beantragt,
die dem Beigeladenen durch die Beklagte erteilten Baugenehmigungen vom 4. Juni 2012 (Az. 63-00119/12) betreffend die Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte sowie vom 5. September 2013 (Az. 63-00034/13) betreffend die Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung, jeweils in der Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 (Az. 63-00377/14) und des Änderungsbescheides vom 17. Juli 2014 (Az. 63-00377/14) zur Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Klagevorbringen entgegen und erachtet die erteilten Baugenehmigungen als rechtmäßig. Der Kläger werde in seinen Rechten nicht beeinträchtigt.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, die erteilte Baugenehmigung erweise sich als rechtmäßig. Die Kennzeichnung der Feuerwehrzufahrt auf dem Boden reiche aus, um diese freizuhalten.
Gründe
Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem die Kammer diesem das Verfahren durch Beschluss vom 22. Februar 2016 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Entscheidung übertragen hat.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist mit beiden Klagebegehren zulässig. Soweit sich die Klage gegen die Baugenehmigung vom 4. Juni 2012 (Az. 63-00119/12) betreffend die Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte in der Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 (Az. 63-00377/14) und des Änderungsbescheides vom 17. Juli 2014 (Az. 63-00377/14) zur Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 richtet, hat der Kläger sein Klagerecht insbesondere nicht in prozessualer Hinsicht verwirkt.
Die hier insoweit maßgebende prozessuale Verwirkung beruht auf der unredlichen, Treu und Glauben zuwider laufenden Verzögerung der Klageerhebung. Dabei dient die prozessuale Verwirkung auch dem öffentlichen Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht einer prozessualen Verwirkung der Klagemöglichkeit nicht entgegen, soweit der Rechtsweg dabei nicht in unzumutbarer Weise verkürzt wird.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, BVerfGE 32, 305 = juris Rn. 22 ff.; BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1974 - 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 = juris Rn. 23, und vom 10. August 2000 - 4 A 11/99 -, NVwZ 2001, 206 = juris Rn. 16.
Die Verwirkung der Klagebefugnis setzt dabei einen längeren Zeitraum voraus, währenddessen die Möglichkeit der Klageerhebung bestand und diese Möglichkeit dem Berechtigten bewusst gewesen ist. Der diesbezüglichen positiven Kenntnis steht es regelmäßig gleich, wenn der Berechtigte von der ihn belastenden Maßnahme zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm zum einen deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm - zum anderen - möglich und auch zumutbar war, sich über die getroffene Maßnahme letzte Gewissheit zu verschaffen. Die Klageerhebung muss gerade deshalb gegen Treu und Glauben verstoßen, weil der Berechtigte trotz vorhandener Kenntnis oder der ihm zuzurechnenden Möglichkeit der Kenntnis erst zu einem derart späten Zeitpunkt Klage erhebt, zu dem die nunmehr beklagte Behörde nicht mehr mit einer Klageerhebung rechnen musste. Dies ist dann der Fall, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen ihr gegenüber untätig bleibt, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung seiner Rechte unternommen hätte.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 -, BVerfGE 32, 305 = juris Rn.24; BVerwG, Urteile vom 7. Februar 1974 - III C 115.71 -, BVerwGE 44, 339 = juris Rn. 18, vom 20. Januar 1977 - 5 C 18.76 -, BVerwGE 52, 16 = juris Rn. 18, und vom 10. August 2000 - 4 A 11/99 -, NVwZ 2001, 206 = juris Rn. 16.
Zwar spricht vorliegend Überwiegendes dafür, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 26. März 2014 sein Klagerecht hinsichtlich der ursprünglichen Baugenehmigung für die Gaststätte vom 4. Juni 2012 bereits verwirkt hatte, weil er von der Baugenehmigung hätte Kenntnis haben müssen. Ausweislich seines Klagevortrags wusste der Kläger vor Eröffnung der Gaststätte, dass die Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung beantragt worden war. Am 22. August 2012 erhielt der Prozessbevollmächtigte des Klägers Kenntnis von dem Lageplan mit Datum 13. Februar 2012, welcher einen Grünstempel mit dem Vermerk über die Prüfung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 68 BauO NRW trug. Zwar lässt sich anhand dieses Grünstempels nicht erkennen, ob eine diesbezügliche Baugenehmigung erteilt worden ist; dem Kläger hätte sich aber angesichts der vorhandenen Informationen aufdrängen müssen, dass eine Entscheidung im Baugenehmigungsverfahren ergangen war. Ob eine Baugenehmigung erteilt worden war, hätte der Kläger ohne weitere Mühe bei der Beklagten erfragen und ggf. Akteneinsicht nehmen können. Bis zur Erhebung der Klage ließ der Kläger dabei ungefähr 19 Monate verstreichen.
Nachdem die Baugenehmigung für die Gaststätte durch die Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 (Az. 63-00377/14) und den Änderungsbescheid vom 17. Juli 2014 (Az. 63-00377/14) zur Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 eine insgesamt eine neue Gestalt gefunden hat, liegen die Voraussetzungen für die prozessuale Verwirkung nun aber nicht mehr vor. Eine bereits erteilte Baugenehmigung kann durch eine Nachtragsbaugenehmigung ergänzt oder geändert werden, soweit dadurch das Vorhaben nicht in seinem Wesen verändert wird. Die Nachtragsbaugenehmigung ist zwar ein Verwaltungsakt, der eine eigene Regelung mit Außenwirkung beinhaltet, sie modifiziert aber nur die ursprünglich erteilte Baugenehmigung und rechtfertigt - für sich genommen - die Verwirklichung des Vorhabens nicht. Sie betrifft kleinere Änderungen, darf aber inhaltlich nicht ein von dem Genehmigungsgegenstand wesensverschiedenes Vorhaben - "aliud" - regeln.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Mai 2004 - 10 A 1476/04 -, juris Rn. 7, und vom 16. November 2012 - 2 B 1095/12 -, juris Rn. 10; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. Oktober 1995 - 3 S 2295/94 -, BRS 57 Nr. 191 = juris Rn. 23; Johlen, in: Gädtke u.a., 12. Auflage 2011, § 75 Rn. 45; Schulte, in: Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 75 Rn. 306.
Dabei stellt die Nachtragsgenehmigung keinen neuen Streitgegenstand dar, weil sie kein selbständiges (neues) Vorhaben betrifft, sondern sich an die vorhandene Genehmigung im Sinne einer akzessorischen Regelung anschließt. Die Entscheidung über den Nachtragsbauantrag erschöpft sich in der Feststellung, dass die zur Änderung vorgesehenen Teile auch in der nunmehr beantragten Form den maßgeblichen Vorschriften entsprechen. Sie kann mithin nur zusammen mit der ursprünglichen Baugenehmigung angegriffen werden, der sie - genauso wie dem genehmigten Vorhaben - eine abschließende Gestalt gibt.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 2009 - 7 B 1768/08 -, juris Rn. 8, vom 25. September 2012 - 2 B 1048/12 -, Seite 4 des Entscheidungsabdrucks, nicht veröffentlicht, und vom 16. November 2012 - 2 B 1095/12 -, juris Rn. 10; Schulte, in: Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 75 Rn. 306b.
Kann die Nachtragsbaugenehmigung als solche isoliert nicht angegriffen werden, muss sich der durch sie - jedenfalls vermeintlich - Belastete nunmehr noch zur Wehr setzen können, auch wenn das Klagerecht zuvor schon verwirkt worden ist. Ein anderes Verständnis liefe der Rechtsweggarantie des § 19 Abs. 4 GG zwingend zuwider, weil der Rechtsschutz insoweit unzumutbar verkürzt würde.
Die Klage ist aber hinsichtlich beider Klagebegehren unbegründet.
Eine Anfechtungsklage ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet, wenn und soweit dem Kläger ein Abwehrrecht gegen das betreffende Vorhaben des Beigeladenen zusteht. Dies setzt voraus, dass das Vorhaben in einer nicht durch einen rechtmäßigen Dispens ausräumbaren Weise gegen öffentlichrechtliche Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind, und - sofern sich dies aus der nachbarschützenden Vorschrift ergibt - der Kläger durch das Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt wird. Ob das Vorhaben objektiv, d.h. hinsichtlich der Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, wird im Klageverfahren hingegen nicht geprüft.
Vgl. hierzu grundlegend BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 - IV C 234.65 -, BVerwGE 32, 173 = juris Rn 15; vgl. weiter BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 - 4 C 1/78 -, BRS 38 Nr. 186 = juris Rn 35.
Der Kläger wird weder durch die Baugenehmigung vom 4. Juni 2012 betreffend die Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte noch durch die Baugenehmigung vom 5. September 2013 betreffend die Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung, jeweils in der Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 und des Änderungsbescheides vom 17. Juli 2014 zur Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014, in ihm zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt.
Durch die Baugenehmigungen wird der Kläger nicht in einer aus einer Zuwegungsbaulast an den Grundstücken Gemarkung G. , Flur 2, Flurstücke 1016 und 1018 resultierenden subjektiv-öffentlichen Rechtsposition beeinträchtigt. Die im Baulastenverzeichnis unter Band 9 Blatt Nr. 1359 eingetragene Baulast betreffend ein Geh-, Fahr- und Leitungsrecht, auf die sich der Kläger beruft, sich als von Beginn an unwirksam. Dies ist (unter anderem) der Fall, wenn die eingetragene Baulast nicht hinreichend genau und sicher erkennen lässt, welcher Teil des Grundstücks belastet werden sollte. Dabei muss die Baulast so hinreichend bestimmt sein, dass sie aufgrund ihres Inhalts mittels - rechtmäßiger - Ordnungsverfügung durchgesetzt werden kann. Die Bauordnungsverfügung selbst wiederum müsste derart bestimmt sein, dass sie ihrerseits mit Mittel des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden könnte.
Vgl. zur Bestimmtheit von Baulasten: OVG NRW, Urteile vom 29. September 1978 - XI A 112/78 -, BRS 33 Nr. 156, und vom 23. November 1988 - 7 A 2361/86 -, Seite 8 des Entscheidungsabdrucks, nicht veröffentlicht; OVG Berlin, Urteil vom 8. September 1995 - 2 B 4.94 -, BRS 57 Nr. 203; Wenzel, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 83 Rn. 54.
Dabei ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass durch Auslegung die Belastung des betroffenen Grundstücks ermittelt werden kann. Entscheidend ist, wie der Inhalt der jeweiligen konkreten Baulast bei verständiger Würdigung zu verstehen ist. Dabei kann auch die gegenüber der Behörde abgegebene, auf Übernahme einer Baulast gerichtete Erklärung zu Auslegungszwecken herangezogen werden. Wird in diesem Zusammenhang auf einen Lageplan Bezug genommen, muss dieser die Lage der Baulastfläche richtig und genau, jedenfalls aber (eindeutig) bestimmbar, wiedergeben.
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. September 1978 - 11 A 112/78 -, BRS 33 Nr. 156, und vom 15. Mai 1992 - 11 A 890/91 -, BRS 54 Nr. 158 = juris Rn. 34; Beschlüsse vom 29. März 2010 - 7 A 663/10 -, Seite 3f. des Entscheidungsabdrucks, nicht veröffentlicht, und Beschluss vom 30. Oktober 2013 - 2 A 2554/12 -, juris Rn. 18.
Ist in der eingetragenen Baulast ein Lageplan in Bezug genommen, ist dieser regelmäßig so zu vermaßen, dass anhand eines eindeutigen, in sich geschlossenen Referenzsystems die exakte Lage und der Verlauf der Baulastfläche bestimmt werden können.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. September 1978 - 11 A 112/78 -, BRS 33 Nr. 156; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14. September 2010 - 6 K 6441/08 -, juris Rn. 123, Wenzel, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 83 Rn. 80.
Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben. Der in Bezug genommene amtliche Lageplan vom 2. Juli 2007 erlaubt es nicht, die belasteten Teilflächen der Grundstücke in einem Maße zu bestimmen, die die Durchsetzung der Baulast durch Erlass einer Bauordnungsverfügung zuließe. Die genaue Lage der belasteten Teilflächen auf den Grundstücken ist weder anhand des in das Baulastenverzeichnis eingetragenen Textes noch anhand des beigefügten Lageplans eindeutig zu bestimmen. Eine Angabe etwa der Entfernungen zu den Grundstücksgrenzen als Referenzsystem fehlt ebenso wie Angaben zu Kurvenradius oder Kurvenmittelpunkt. Allein die Angaben zur Breite der Fläche sowie zum Flächeninhalt vermögen dies nicht zu ersetzen. Die Lage der Baulastfläche ist auch nicht durch "Abgreifen" der Fläche im Lageplan hinreichend bestimmbar. Angesichts der hiermit einhergehenden Ungenauigkeiten - 1 mm im Lageplan entspricht 0,25 m in der Örtlichkeit - wäre es der Beklagten als Bauordnungsbehörde nicht mit hinreichender Eindeutigkeit möglich, gerade im Grenzbereich zu ermitteln, ob ein Stellplatz die Baulastfläche berührt oder ein in der Örtlichkeit geparktes Fahrzeug unzulässiger die Zuwegung beeinträchtigt. Dies gilt erst recht für den Kurvenbereich der Baulastfläche. Dass es dabei angesichts der Nutzung der Fläche auch als Feuerwehrzufahrt, ihrer Breite von (nur) 3 m sowie unter Einbeziehung der gerade im Kurvenbereich für die Feuerwehrfahrzeuge zu berücksichtigenden Schleppkurven für die Erreichbarkeit durch Feuerwehrfahrzeuge auf "jeden Zentimeter" ankommt, hat der Kläger selbst wiederholt betont und leuchtet im Übrigen ohne weiteres ein.
Vgl. zu der Frage der Ungenauigkeit beim "Abgreifen" von Flächen VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14. September 2010 - 6 K 6441/08 -, juris Rn. 125.
Die Baulastfläche ist auch nicht auf sonstige Art und Weise bestimmbar. Aus der großflächigen Überdeckung mit der unter der Urkunden-Nr. 190/85 eingetragenen Baulast folgt keine Bestimmbarkeit. Auch diese leidet an vergleichbaren Bestimmtheitsmängeln.
Unabhängig davon kann sich der Kläger schon deshalb nicht mit Erfolg auf die Zuwegungsbaulast berufen, weil auch die Eintragung einer solchen keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Grundstücksnachbarn als Baulastbegünstigtem begründet.
Die Verpflichtung aus einer Baulast wird von dem Baulastverpflichteten durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde abgegeben. Zweck der Baulast ist es dabei allein, im öffentlichen Interesse die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Vorhaben zulässig werden kann, das ohne sie nicht zulässig wäre, also die der Erteilung einer Baugenehmigung entgegenstehenden rechtlichen Hindernisse auszuräumen. Eine öffentlichrechtliche Beziehung zwischen dem Baulastverpflichteten und dem Baulastbegünstigten kann sich aus der Verpflichtungserklärung und der Eintragung der Baulast daher nicht ergeben. Die Baulast ist in der Folge kein Instrument zur öffentlichrechtlichen Absicherung von privatrechtlichen Einigungen zwischen Bauherr und Nachbarn. Sie entfaltet daher grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches Recht für den Begünstigten, und zwar unabhängig davon, dass sie auf privaten Interessen des Begünstigten beruhen mag.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. September 1990 - 4 B 34/90, 4 B 35/90 -, NJW 1991, 713 = juris Rn. 15; OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Oktober 1997 - 7 B 1974/97 -, BRS 59 Nr. 228 = juris Rn. 7, vom 17. Mai 2005 - 10 A 4550/02 -, juris Rn. 3, vom 29. Mai 2008 - 10 B 616/08 -, BRS 73 Nr. 127 = juris Rn. 40, und vom 18. März 2011 - 2 A 157/10 -, juris Rn. 16; Heintz, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 83 Rn. 53; Hahn, in: Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 83 Rn. 84.
Subjektiv-öffentliche Rechte können sich daher allenfalls mittelbar aus der Missachtung einer Baulast ergeben, wenn dadurch zugleich eine Norm verletzt wird, die dem Baulastbegünstigten gegenüber - wie etwa § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 BauO NRW - drittschützenden Charakter hat. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 10 B 616/08 -, BRS 73 Nr. 127 = juris Rn. 40, und vom 18. März 2011 - 2 A 157/10 -, juris Rn. 15; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. Dezember 1997 - 5 S 2568/97 -, BRS 59 Nr. 112 = juris Rn. 4; Hahn, in: Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 83 Rn. 84.
Schließlich kann der Kläger auch schon deshalb durch die erteilten Baugenehmigungen sowohl für die Gaststätte als auch für die Wohnung in einem aus der Baulast folgenden Recht nicht verletzt sein, weil die Anordnung der Stellplätze, gegen die sich der Kläger in der Sache wendet, jeweils nicht Gegenstand der Baugenehmigung geworden ist. Der Inhalt der Baugenehmigung, der gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW der Schriftform unterliegt, wird durch den Bauschein sowie die dort in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Anlagen bestimmt, die nach dem objektiv zu ermittelnden Regelungsgehalt das betreffende Vorhaben ausmachen sollen. Hierzu gehören in erster Linie die von der Baugenehmigungsbehörde gemäß § 75 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen, also insbesondere die Bauzeichnungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 BauPrüfVO).
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 10 A 4248/92 -, BRS 58 Nr. 216 juris Rn. 13; Beschlüsse vom 30. Mai 2005 - 10 A 2017/03 -, BRS 69 Nr. 163 = juris Rn. 4, und vom 20. September 2007 - 10 A 4372/05 -, juris Rn. 3; Urteil vom 15. Juli 2013 - 2 A 969/12 -, BRS 81 Nr. 168 = juris Rn. 37; Schulte, in: Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 75 Rn. 224; Hellhammer-Hawig, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, § 75 Rn. 6; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 75 Rn. 131.
Vor diesem Hintergrund werden Bauvorlagen, die zwar eingereicht, aber nicht mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehen oder sonst eindeutig in Bezug genommen worden sind, nicht Bestandteil der Baugenehmigung und nehmen in der Folge nicht an ihrer Regelungswirkung teil.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 1999 - 7 A 5288/97 -, Seite 17 des Entscheidungsabdrucks, nicht veröffentlicht; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 75 Rn. 131.
Vorliegend ist weder in der Baugenehmigung vom 4. Juni 2012 betreffend die Wiederinbetriebnahme einer Gaststätte noch in der Baugenehmigung vom 5. September 2013 betreffend die Nutzungsänderung einer Wohnfläche als Wohnung/Mitarbeiterwohnung, jeweils in der Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 und des Änderungsbescheides vom 17. Juli 2014 zur Nachtragsbaugenehmigung vom 5. Mai 2014 der eingereichte Stellplatzlageplan vom 22. April 2014 in die Baugenehmigung einbezogen worden. Der Lageplan trägt nur den als Grünstempel angebrachten Vermerk "Im vereinfachten Genehmigungsverfahren - § 68 BauO NRW - geprüft". Dieser Vermerk lässt lediglich die Befassung der Behörde mit der betreffenden Bauvorlage erkennen. Aus ihm geht nicht hervor, dass der Lageplan zum verbindlichen Teil der Baugenehmigung gemacht werden sollte. Auch eine Inbezugnahme im Bauschein vom 5. Mai 2014 (Az. 63-00377/14) ist nicht erfolgt. Gleiches gilt auch - ohne dass es angesichts der Nachtragsbaugenehmigungen noch darauf ankäme - für die ursprünglichen Baugenehmigungen vom 4. Juni 2012 und vom 5. September 2013.
Ein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers ergibt sich auch weder aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW noch aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 BauO NRW. Bei § 4 und § 5 BauO NRW handelt es sich allein um dem öffentlichen Interesse dienende Vorschriften, denen keine nachbarschützende Wirkung zukommt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. April 1969 - VII A 1037/67 -, BRS 22 Nr. 189; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 9. September 2015 - 6 K 846/13 -, juris Rn. 32; Gärditz/Henkel, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, § 4 Rn. 17; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, Kommentar, 12. Aufl. 2011, § 74 Rn. 55, 56; vgl. auch: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28. Mai 1975 - VIII 312/74 -, BRS 29 Nr. 95.
Eine Rechtsverletzung zulasten des Klägers ergibt sich auch nicht aus der von diesem angeführten Vorschrift des § 51 Abs. 8 Satz 1 BauO NRW, wonach notwendige Stellplätze nicht zweckentfremdet werden dürfen. Dabei mag dahinstehen, ob sich etwa Bewohner eines betroffenen Hauses auf diese Vorschrift berufen können. Gegenüber einem Nachbarn besteht jedenfalls keine drittschützende Wirkung. Durch das Verbot der Zweckentfremdung soll lediglich sichergestellt werden, dass der öffentliche Straßenraum nicht zusätzlich durch parkende Fahrzeuge belastet wird, weil Stellplätze nicht zur Verfügung gestellt werden. Im Übrigen setzt die Frage der Zweckentfremdung voraus, dass die Stellplatzanlage Teil der Baugenehmigungen geworden wäre, was vorliegend nicht der Fall ist.
Die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen verstoßen nicht zulasten des Klägers gegen § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze und Garagen so angeordnet sein, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt und Lärm und Gerüche das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Zwar ist die Regelung des § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW dem Grunde nach nachbarschützend,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. September 1981 - 11 B 501/81 -, BRS 38 Nr. 184, und Urteil vom 9. März 1999 - 11 A 4159/96 -, juris Rn. 29 (jeweils zu den identischen Vorgängervorschriften); Schulte/Schulte, in Boeddinghaus u.a., BauO NRW, Stand: Dezember 2015, § 51 Rn. 210,
vorliegend verletzen die Baugenehmigungen die Rechte des Klägers insoweit aber nicht. Dabei kann dahinstehen, ob die Behinderung einer Feuerwehrzufahrt als Folge der Benutzung von Stellplätzen und die daraus mittelbar folgende Gefahr für Bewohner des Hinterliegergrundstücks im Brandfalle überhaupt vom Schutzzweck der Vorschrift erfasst ist. Dagegen spricht die Formulierung des § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW, der auf die Schädigung der Gesundheit "durch die Benutzung" abstellt, während vorliegend eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Klägers nur indirekt einträte. Vorliegend fehlt es aber - wie bereits ausgeführt - mangels Einbeziehung der Stellplatzlagepläne in die Baugenehmigungen an ausgewiesenen Stellplätzen. Diese können mithin auch nicht erfolgreich mit der Klage gegen die Baugenehmigungen angegriffen werden. Gegen die erfolgende tatsächliche Nutzung von Stellplätzen käme allein die Verpflichtung auf bauordnungsbehördliches Einschreiten in Betracht.
Die Vorhaben verstoßen entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Dabei kann offenbleiben, ob sich das Rücksichtnahmegebot in diesem Fall - wegen des Vorliegens einer Gemengelage - aus dem Erfordernis des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB oder - wenn ein faktisches Baugebiet anzunehmen wäre - aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergibt. Grundsätzlich hat das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme lediglich einen objektivrechtlichen Gehalt. Nachbarschützende Wirkung kommt ihm jedoch im Einzelfall insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Welche Anforderungen an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der konkreten Schutzwürdigkeit der im Einwirkungsbereich der baulichen Anlage liegenden Grundstücke und ihrer Bewohner, wobei Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit ihrerseits maßgeblich von der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation sowie den tatsächlichen und rechtlichen Vorbelastungen abhängen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = juris Rn. 22, und vom 13. März 1981 - 4 C 1/78 -, BRS 38 Nr. 186 = juris Rn. 38; Beschluss vom 20. April 2000 - 4 B 25/00 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 199 = juris Rn. 8; OVG NRW, Beschluss vom 7. Juni 1994 - 10 B 2923/93 -, NWVBl. 1994, 421; OVG Thüringen, Beschluss vom 13. April 2011 - 1 EO 560/10 -, juris Rn. 28; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 1. November 2015, § 34 Rn. 141, m.w.N.
Durch die Lage der Stellplätze wird der Kläger entgegen seines Vortrags nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Insoweit ist - wie schon vorstehend ausgeführt - maßgeblich, dass eine Zuwegungsbaulast an den Flurstücken 1016 und 1018 nicht besteht und im Übrigen die Baugenehmigungen mangels Einbeziehung der Stellplatz-Lagepläne die konkrete Anlage der Stellplätze gar nicht regeln. Allein die Erteilung einer Baugenehmigung für die Gaststätte mit einer festgelegten Anzahl an Stellplätzen führt, da diese nicht in ihrer Lage bestimmt sind - für sich genommen nicht zur Rücksichtlosigkeit. Vielmehr wäre ein Stellplatznachweis auch an anderer Stelle, ja sogar auf einem anderen nahen Grundstück möglich. Allein die faktische Benutzung der Fläche ändert daran nichts; sie kann allein Gegenstand eines ordnungsbehördlichen Verfahrens sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da sich dieser aufgrund seines Antrag einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.