VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.05.2018 - 7 L 646/18
(vorläufige) Erteilung einer vorläufigen Fahrerlaubnis bzw. Anwärterbefugnis nach dem Fahrlehrergesetz
Tenor
1.Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
2.Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1. Der gestellte Antrag,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller unverzüglich eines vorläufige befristete Fahrlehrerlaubnis zu erteilen, um die fahrpraktische und die theoretische Prüfung sowie die Lehrproben absolvieren und die Ausbildung in einer Ausbildungsfahrschule aufnehmen zu können,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 924 der Zivilprozessordnung - ZPO -).
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht dazu führen darf, dass - wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens - die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird. Für eine wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG - ausnahmsweise denkbare Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist allenfalls dann Raum, wenn der Antragsteller nach Lage des Falles wirksamen Rechtsschutz im Klageverfahren nicht erlangen kann und ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in schwerer und unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde. Eine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung kann allerdings nur dann gegeben sein, wenn hinsichtlich des geltend gemachten Anordnungsanspruchs ganz überwiegende Erfolgsaussichten bestehen.
Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 22. Auflage, § 123 Rdnr. 13 ff. - mit weiteren Nachweisen.
Nach diesem Maßstab hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch im vorliegenden Fall - unbeschadet der Frage, ob sich ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung der begehrten Fahrlehrerlaubnis nach § 9a i.V.m. § 69 Abs. 6 des Fahrlehrergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung - FahrlG a.F. - oder nach § 9 des Fahrlehrergesetzes in der ab dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung - FahrlG n.F.- richten würde - nicht glaubhaft gemacht, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ganz überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer vorläufigen Fahrlehrerlaubnis bzw. Anwärterbefugnis hat. Die Frage ist allenfalls offen.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 FahrlG a.F. bzw. nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 FahrlG n.F. setzt die Erteilung einer Fahrlehrerlaubnis u.a. voraus, dass keine Tatsachen vorliegen, die den Bewerber als unzuverlässig für den Fahrlehrerberuf erscheinen lassen.
Die Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit müssen sich - entgegen der Ansicht des Antragstellers - nicht zwingend aus der Verletzung von Verkehrsvorschriften ergeben, wenn etwa die begangenen Straftaten erkennen lassen, dass er charakterlich unzuverlässig ist.
Als unzuverlässig ist ein Betroffener allgemein dann anzusehen, wenn auf Grund der vorliegenden Tatsachen zu erwarten ist, dass er den spezifischen Anforderungen des Fahrlehrerberufs charakterlich nicht gewachsen sein wird und dass er nach dem Gesamtbild seines - bisherigen - Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er den Fahrlehrerberuf ordnungsgemäß ausüben wird.
Vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 17. August 2012 - AN 10 S 12.01105 -, juris, Rn. 42 m.w.N.
Unzuverlässig ist auch, wer Anlass zu der Befürchtung bietet, dass er sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Fahrlehrer über die zum Schutz der Allgemeinheit oder Einzelner vor Schäden oder Gefahren erlassenen Vorschriften hinwegsetzen wird. Hierzu ist auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände des Einzelfalles eine Zukunftsprognose zu erstellen. Dabei ist zu prüfen, ob sich aus dem bisherigen Verhalten des Betroffenen, insbesondere aus Straftaten, nachteilige Folgerungen für die Zukunft ergeben. Auch für denjenigen, der durch wiederholte Straffälligkeit einen Hang zur Missachtung der Rechtsordnung dokumentiert oder durch ein einmaliges Fehlverhalten von entsprechender Schwere einen ausreichend eindeutigen Hinweis auf eine entsprechende Fehlhaltung, die eine ordnungsgemäße Ausübung des zu beurteilenden Berufes nicht erwarten lässt, liefert, ist prognostisch als unzuverlässig zu betrachten.
Vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 19. Oktober 2011 - 12 B 2256/11 -, juris, Rn. 16.
Offen bleiben kann, ob nach diesem Maßstab für den Antragsteller bereits eine negative Zukunftsprognose, insbesondere der Schluss auf das Fehlen einer charakterlichen Grundqualifikation als Erzieher, gerechtfertigt ist, wofür bereits unter Berücksichtigung der Sachverhalte, wie sie sich aus der dem Gericht vorliegenden Strafakte (Az. 18 Ls 117 Js 111/10 -69/10) ergeben, einiges spricht. Ausreichend ist bereits, dass keine ganz überwiegenden Erfolgsaussichten bestehen, weil aufgrund der Straftaten gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers als Fahrlehrer aufkommen lassen.
Zwar sind die sich aus dem Strafregisterauszug ergebenden Verurteilungen des Antragstellers - entgegen der Beurteilung des Antragsgegners im Rahmen der behördlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung - selbst keine Tatsachen, die die Annahme fehlender Zuverlässigkeit rechtfertigen; vielmehr ist der den Bestrafungen jeweils zugrunde liegende Sachverhalt heranzuziehen.
Vgl. grundlegend zur Bestimmung der Unzuverlässigkeit - dort zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 GastG a. F. - bei strafbaren Handlungen anhand des der Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhalts: BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1964 - VII B 159.63 -, juris.
Bedenken an der charakterlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers bestehen aber hier unter Heranziehung der Sachverhalte vor dem Hintergrund der von ihm begangenen und rechtskräftig abgeurteilten Straftaten: Mit Urteil des Amtsgerichts X. vom 1. September 2009 (Az. 4420 Js 36018/06 73 Ds - rechtskräftig seit 9. September 2009) ist er wegen Missbrauchs von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen in Tatmehrheit mit Diebstahl in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 15 Fällen zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Mit Urteil des Amtsgerichts M. vom 10. Dezember 2012 (Az. 117 Js 111/10 18 Ls 69/10 - rechtskräftig seit 11. Januar 2011) ist er wegen Betrugs in vier Fällen, Computerbetrugs in drei Fällen und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Mit Urteil des Amtsgerichts E. vom 9. Oktober 2012 (Az. 520 Js 14330/10 211 Ls - rechtskräftig seit 17. Oktober 2012) ist er wegen Betrugs in fünf Fällen und Erpressung (in zwei Betrugsfällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den oben genannten Entscheidungen vom 1. September 2009 und 10. Dezember 2012) zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie (wegen der übrigen Straftaten) zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt, zuletzt bis 16. Oktober 2016.
Für die Zweifel an der charakterlichen Zuverlässigkeit des Antragsteller spricht, dass es sich bei den zugrundeliegenden Sachverhalten u.a. um Sachverhalte handelt, bei denen der Antragsteller in wiederholten Fällen das Vertrauen seiner jeweiligen Lebensgefährtin gewonnen und unter Ausnutzung dieses Vertrauensverhältnisses Vermögensdelikte zu deren Nachteil gegangen hat. In dem Fall, der dem Urteil des Amtsgerichts M. vom 10. Dezember 2010 zugrunde lag, hat der Antragsteller der Geschädigten zudem für den Fall der Strafanzeigeerstattung gedroht, sie "fertig zu machen" und zu "ruinieren". Das darin zum Vorschein kommende (verbale) Aggressionspotential spricht nicht für die für den Fahrlehrerberuf mit seiner Erziehungs- und Vorbildfunktion erforderliche charakterliche Zuverlässigkeit. Mit dem den strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Verhalten hat der Antragsteller zudem einen Hang zur Nichtbeachtung von gesetzlichen Vorschriften bewiesen. Ob er das gezeigte gesetzeswidrige Verhalten auch in Ausübung des Fahrlehrerberufs unter Ausnutzung der mit der dem Ausbildungsverhältnis einhergehenden persönlichen Nähe zwischen Fahrlehrer und Fahrschüler sowie der Nähe des Fahrlehrers zum Vermögen des Fahrschulinhabers wiederholen wird oder darüber hinaus eine Nichtbeachtung verkehrsrechtlicher Vorschriften zu erwarten ist, ist jedenfalls nicht auszuschließen. Dass der Antragsteller in jüngerer Vergangenheit nicht erneut strafrechtlich verurteilt worden ist, ändert daran nichts; zumal diese Straffreiheit mehrere Jahre (bis zum 16. Oktober 2016) unter dem Druck der Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte.
Solange die Verurteilungen nach den Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes noch verwertet werden dürfen, begegnet es keinen grundsätzlichen Bedenken, auch länger zurückliegende Straftaten zu berücksichtigen.
BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 1996 - 1 B 211.96 -, juris, Rn. 3 m.w.N.
Die vorliegenden Straftaten sind noch verwertbar, da die Frist i.S.d. § 34 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister - BZRG - von fünf Jahren zuzüglich zwei Jahren bzw. einem Jahr und zwei Monaten (wegen der Gesamtfreiheitsstrafen) seit dem maßgeblichen Tag des Urteils des Amtsgesichts E. vom 9. Oktober 2012 jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht abgelaufen ist.
Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller (charakterlich) zuverlässig i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 4 FahrlG ist. Die weitere Klärung, etwa unter Heranziehung aller (übrigen) Strafakten, bleibt insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Für Verfahren, die eine Fahrlehrerlaubnis zum Gegenstand haben, bemisst die Kammer das wirtschaftliche Interesse mit Blick auf einen aus der Fahrlehrertätigkeit zu erzielenden pauschalierten jährlichen Mindest-Nettogewinn mit 15.000,- Euro. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens ist der Streitwert auf die Hälfte dieses Betrags festzusetzen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Mai 2016 - 8 B 1460/15 -, Abdruck S. 6, und vom 31. Januar 2011 - 8 B 1727/10 -, Abdruck S. 8 m. w. N.