VG Düsseldorf, Urteil vom 30.05.2017 - 14 K 14736/16
Eine Grenzmarkierung, die an einer Haltestelle den Halteverbotsbereich verkürzen soll, muss sich nicht über den gesamten Haltestellenbereich erstrecken, wenn dies nicht aufgrund besonderer Umstände zwingend geboten ist, da Verkehrszeichen , die die gesetzliche Regelung wiedergeben, nicht anzuordnen sind,
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Am Mittwoch, dem 9. November 2016 parkte das Fahrzeug des Klägers (amtliches Kennzeichen XXX-XX 000) auf der S.--------straße , Ecke L.---------straße in E. . Ausweislich des Abschlepp-Protokolls hat das Fahrzeug weniger als 15 m vor einer Haltestelle eines Schulbusses gestanden. Aufgrund einer Beschwerde eines Schulbusfahrers wurden die Mitarbeiter der Beklagten um 9:45 Uhr auf diesen Umstand aufmerksam. Sie beauftragten um 10:35 Uhr die Firma U. mit dem Abschleppen des Fahrzeugs, was um 10:52 Uhr geschah. An der fraglichen Stelle ist ein Haltestellenschild (Zeichen 224) mit dem Zusatzschild: "Schulbus, werktags, 9-15h" vorhanden. Hinter dem Haltestellenschild befindet sich das Zeichen 299 (Grenzmarkierung), das die Parkverbotsstrecke nach hinten verkürzen soll.
Der Kläger holte das Fahrzeug am 9. November 2016 bei dem Abschleppunternehmer ab und entrichtete die mit Leistungs- und Gebührenbescheid vom 9. November 2016 erhobenen Gesamtkosten in Höhe von 127,92 Euro (Verwaltungsgebühr in Höhe von 55,33 Euro sowie die vom Abschleppunternehmen in Rechnung gestellten Abschleppkosten in Höhe von 70,21 Euro und die Standkosten für einen Tag in Höhe von 2,38 Euro).
Der Kläger hat am 9. Dezember 2016 Klage erhoben.
Zur Begründung führt er aus, dass aus seiner Sicht kein Grund bestanden habe, das Fahrzeug nicht an dieser Stelle zu parken. Durch die Markierung (Zeichen 299) hinter der Haltestelle werde das 30 m lange Parkverbot auf den durch dieses Zeichen markierten Bereich verkürzt, so dass der Kläger vor dem Haltestellenschild habe parken dürfen.
Der Kläger beantragt,
den Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten vom 9. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, 127,92 Euro an ihn zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie zum einen auf die Stellungnahme der städtischen Außendienstkraft I. vom 16. Dezember 2016, aus der hervorgeht, dass das Fahrzeug bereits 2 Tage an der Stelle abgestellt gewesen sei. Zum anderen trägt die Beklagte vor, dass der Geltungsbereich der Schulbushaltestelle durch das Zeichen 299 nach hinten verkürzt werde, da nicht zwingend sei, dass sich der Geltungsbereich auf die gesamte Fläche von bis zu 15 vor und hinter dem Zeichen erstrecken müsse. Im vorliegenden Fall reichten die 15 m vor dem Zeichen 224 zum problem- und gefahrenlosen Halten des Schulbusses aus.
Mit Beschluss der Kammer vom 27. April 2017 ist das Verfahren der Vorsitzenden als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten vom 9. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Soweit der Kläger die Rückzahlung der unmittelbar an das Abschleppunternehmen gezahlten Abschleppkosten in Höhe von 72,59 Euro begehrt, ist die Klage als allgemeine Leistungsklage statthaft.
Diese ist allerdings unbegründet.
Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt lediglich § 21 Abs. 1 Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (GebG NRW) i.V.m. § 77 Abs. 4 VwVG NRW in Betracht. Hiernach sind überzahlte oder zu Unrecht erhobene Kosten unverzüglich zu erstatten, zu Unrecht erhobene Kosten jedoch nur, soweit eine Kostenentscheidung noch nicht unanfechtbar geworden ist.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind nicht gegeben. Die unmittelbar an das Abschleppunternehmen gezahlten Kosten für die durchgeführte Abschleppmaßnahme wurden nicht zu Unrecht im Sinne von § 21 Abs. 1 GebG NRW i.V.m. § 77 Abs. 4 VwVG NRW erhoben. Denn der Kläger hat durch die vorgenommene Zahlung einen Anspruch der Beklagten gemäß § 77 Abs. 1 VwVG NRW, § 20 Abs. 2 Nr. 8 der VO VwVG NRW i.V.m. § 24 Nr. 13 OBG NRW, § 46 Abs. 3, § 43 Nr. 1 PolG NRW bzw. in § 77 Abs. 1 VwVG NRW, § 20 Abs. 2 Nr. 8 VO VwVG NRW i.V.m. § 14 OBG NRW, § 55 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Nr. 1, § 59 VwVG NRW erfüllt. Hiernach hat der Ordnungspflichtige die durch eine rechtmäßige Ersatzvornahme bzw. Sicherstellung entstandenen Kosten, mithin die Kosten der Abschleppmaßnahme, zu tragen.
Die durchgeführte Abschleppmaßnahme war rechtmäßig. Die in § 14 OBG vorausgesetzte gegenwärtige bzw. konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand vorliegend. Eine Gefahr im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne liegt jedenfalls bei einem Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung, mithin bei einer Zuwiderhandlung gegen formelle und materielle Gesetze vor.
Vorliegend war eine Zuwiderhandlung gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften gegeben. Im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten lag ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) i.V.m. Zeichen 224 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) vor, weil das Fahrzeug des Klägers an einer Haltestelle stand. Dies belegen die von der Beklagten vorgelegten Fotos. Auf diesen Fotos ist zu erkennen, dass das Fahrzeug weniger als 15 Meter vor der Haltestelle parkte. Dies erlaubt das Zeichen 224 nicht, ohne dass es weiterer Verbotsschilder bedarf, da in der Erläuterung zu diesem Zeichen ausgeführt wird: "Wer ein Fahrzeug führt, darf bis zu 15 m vor und hinter dem Zeichen nicht parken".
Dieses Parkverbot wird an dieser Stelle auch nicht dadurch aufgehoben, dass hinter dem Haltestellenschild eine Grenzmarkierung (Zeichen 299) vorhanden ist. Denn nach der Erläuterung zu Zeichen 299 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, laufende Nummer 73) bezeichnen, verlängern oder verkürzen Grenzmarkierungen ein an anderer Stelle vorgeschriebenes Halt- oder Parkverbot. Dabei begründen Grenzmarkierungen selbst kein Halt- oder Parkverbot, sondern grenzen ein bestehendes nur räumlich ab,
vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., 2017, § 12 Rdnr. 7g.
An der streitgegenständlichen Stelle hat das Zeichen 299 die Wirkung, dass es den 15 m langen Halteverbotsbereich nach hinten verkürzt, indes den 15 m langen Halteverbotsbereich nach vorn nicht dadurch entfallen lässt, dass sich das Zeichen 299 nicht über die gesamte Halteverbotslänge erstreckt.
Einer solchen Grenzmarkierung über den gesamten Haltestellenbereich stünde auch die Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO entgegen, nach der Verkehrszeichen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Dies ist zu verneinen, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten,
vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 11 B 11.921 - juris.
Dementsprechend sieht die Verwaltungsvorschrift zu § 39 bis § 43 StVO unter Rn. 2 S. 1 folgendes wörtlich vor: "Verkehrszeichen, die lediglich die gesetzliche Regelung wiedergeben, sind nicht anzuordnen. Dies gilt auch für die Anordnung von Verkehrszeichen einschließlich Markierungen, deren rechtliche Wirkung bereits durch ein anderes vorhandenes oder gleichzeitig angeordnetes Verkehrszeichen erreicht wird. Abweichungen bedürfen der Zustimmung der obersten Landesbehörde."
Eine solche Wiedergabe der gesetzlichen Regelung wäre bei Anordnung der Grenzmarkierung vor der Haltestelle der Fall, weil damit nur das gesetzliche Parkverbot des Zeichens 224 wiedergegeben würde.
Eine Verlängerung der Grenzmarkierung auf den gesamten Haltestellenbereich ist hier auch nicht aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn die Voraussetzungen oder der Geltungsbereich von Verkehrszeichen für die Verkehrsteilnehmer nicht ohne weiteres erkennbar sind,
vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 11 B 11.921 - juris.
Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, niedrigere Anforderungen zu stellen sind als an solche für den fließenden Verkehr. Verkehrszeichen, die den fließenden Verkehr betreffen, müssen insbesondere bei höherer Geschwindigkeit innerhalb kürzester Zeit wahrgenommen und erfasst werden. Anders ist es bei Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr regeln. Hier hat der Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, sich auch noch nach dem Abstellen und Verlassen seines Fahrzeugs ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer Klarheit über das Vorhandensein und/oder den Inhalt eines Halt- oder Parkverbots zu verschaffen.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 6. April 2016 - 3 C 10/15 -, Rn. 15, 19 f., juris; OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2014 - 5 A 1435/13 - juris, vorgehend: VG Düsseldorf, Urteil vom 24. April 2013 - 14 K 148/13 - juris.
Nach diesen Maßstäben ist für Verkehrsteilnehmer an der fraglichen Stelle bei der notwendigen Umschau erkennbar, dass der durch die Grenzmarkierung bezeichnete Haltestellenbereich für die An - und Abfahrt eines Schulbusses nicht ausreicht, so dass es erforderlich ist, auch den Straßenbereich vor dem Haltestellenschild freizuhalten. Dies wird durch die Fotos der Beklagten eindrucksvoll dokumentiert. Zwischen dem geparkten PKW des Klägers und dem Ende der Grenzmarkierung besteht nur eine Lücke von wenigen Metern. So konnte an dem fraglichen Tag auch tatsächlich der Schulbus die Haltestelle nicht anfahren.
Die Entscheidung, den PKW des Klägers zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sicherstellen zu lassen, stand im Ermessen der Beklagten. Diese hat ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie hat weder die Ermessensgrenzen überschritten noch von dem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht (§ 114 VwGO). Insbesondere ist eine Überschreitung der Ermessensgrenzen durch Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ersichtlich.
Die Abschleppmaßnahme war erforderlich, denn eine den Kläger weniger beeinträchtigende Maßnahme kam nicht in Betracht. Unstreitig war der Aufenthaltsort des Klägers im Zeitpunkt der beauftragten Abschleppmaßnahme nicht bekannt. Zu einer Halternachfrage war die Außendienstkraft der Beklagten im Übrigen auch nicht verpflichtet. Sofern sich der Fahrer von dem verbotswidrig geparkten Fahrzeug entfernt und deshalb nicht unmittelbar wie jemand zur Verfügung steht, der sich in Ruf- oder Sichtweite seines Fahrzeugs aufhält, sind grundsätzlich keine Ermittlungen nach dem Verbleib des Verantwortlichen veranlasst, weil deren Erfolg zweifelhaft ist und zu nicht abzusehenden Verzögerungen führt.
Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 14. Februar 2014 - 14 K 4595/13 -, Rn. 55, juris; BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002 - 3 B 149.01 -, Rn. 6 ff., juris; OVG Hamburg, Urteil vom 22. Mai 2005- 3 Bf 25/02 -, Rn. 36, juris; VGH Bayern, Urteil vom 16. Januar 2001 - 24 B 99.1571 -, Rn. 36, juris.
Die Abschleppmaßnahme hat auch zu keinen Nachteilen geführt, die zu dem angestrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis standen. Sie belastete den Kläger mit den Kosten des Abschleppunternehmers und der Verwaltungsgebühr. Die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages als auch die den Kläger treffenden sonstigen Ungelegenheiten sind geringfügig. Schon deshalb standen sie zu dem mit der Maßnahme erstrebten Erfolg in keinem offensichtlichen Missverhältnis. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen im Regelfall auch dann, wenn der Zweck des Abschleppens allein in der Beseitigung des in einem verbotswidrigen Parken liegenden Rechtsverstoßes gelegen hat, ohne dass eine konkrete Verkehrsbehinderung vorgelegen haben muss.
Vgl. OVG NRW , Beschluss vom 24. September 1998 - 5 A 6183/96 - juris; Urteil vom 26.09.1996- 5 A 1746/94 - m.w.N.; Urteil vom 15.05.1990, - 5 A 1687/89 -, NJW 1990, 2835.
Gegen die Verwaltungsgebühr in Höhe von 55,33 Euro bestehen weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtliche Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 77 VwVG NRW i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 7 VO VwVG NRW i.V.m. § 24 Nr. 13 OBG NRW und § 46 Abs. 1 und 3 PolG NRW.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 127,92 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) erfolgt.