Verkehrsrecht | Unfall | Kanzlei | Anwalt | Rechtsanwalt | Dieselskandal | Abgasskandal | Autokreditwiderruf | Frankfur
Die Verkehrsrechtskanzlei.
Urteile Verkehrsrecht_Anwalt Frankfurt Verkehrsunfall_ Anwaltskanzlei für Verkehr Frankfurt_ Anwalt Verkehrsrecht_ Anwalt Dieselskandal_ Anwalt Abgasskanda_ Anwalt Autokredit widerrufen.jpg

Urteile zum Verkehrsrecht

Rechtssprechung Datenbank

 

Suchen in unserer Urteilsdatenbank

In unserer Urteilsdatenbank finden Sie Rechtsprechung zum Thema Verkehrsrecht. Hier können Sie bestimmte Suchbegriffe eingeben und Ihnen werden die einschlägigen Urteile angezeigt.

 

OLG Köln, Urteil vom 27.09.2018 - 28 U 16/18

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 15.03.2018, Az. 11 O 165/16, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.299,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.06.2014 zu zahlen.

Die Beklagten werden ferner verurteilt, die Klägerin von den außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte A & B, C, in Höhe von 650,34 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben zu 3/5 die Klägerin und zu 2/5 die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Beklagten als Gesamtschuldner ¾ und die Klägerin ¼ zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 28.02.2013. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und der erstinstanzlichen Antragstellung wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung (Bl. 254 ff. d.A.) genommen. Das Landgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil nur insoweit als begründet angesehen, soweit die Klägerin einen Anspruch aus übergegangenem Recht mit einer Haftungsquote zu Lasten der Beklagten in Höhe von 25 % hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung (Bl. 257 ff. d.A.) Bezug genommen.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren (Klageabweisung) in vollem Umfang weiterverfolgen. Sie greifen die Rechtsauffassung des Landgerichts an und sind der Ansicht, dass den zum Unfallzeitpunkt elfjährigen Geschädigten ein solcher Verschuldensanteil treffe, der die allenfalls in Ansatz zu bringende Betriebsgefahr des von dem Beklagten zu 1) geführten Pkw vollständig zurücktreten lasse. Denn schließlich stehe fest, dass der Unfall für den Bekl. zu 1) unabwendbar gewesen sei und der Geschädigte im vorderen Bereich des Pkw seitlich gegen das vorbeifahrende Fahrzeug gelaufen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15.03.0218 - 11 O 165/16 - aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin erklärt den Rechtstreit gemäß dem Inhalt ihres Schriftsatzes vom 12.07.2018 (Bl. 314 ff. d.A.) insoweit teilweise für erledigt, als sie mit der Klage ursprünglich beantragt hat, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Kosten, Schäden und Aufwendungen aus dem Unfall vom 28.02.2013 unter Berücksichtigung eines Mitverantwortungsanteils des am 17.10.2001 geborenen D in Höhe von 40 % zu ersetzen und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

1. Die Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg, als sie die Abweisung der auf Feststellung gerichteten Klage begehren.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf die Feststellung, dass diese als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) sämtliche künftig entstehenden Schäden aus dem Verkehrsunfall des Herrn D und des Beklagten zu 1) auf der E Straße, F am 28.02.2013 auf Basis einer Haftungsquote von 25 % zu ersetzen. Die mit der Berufungserwiderung (teilweise) einseitig erklärte Erledigungserklärung (Feststellung, dass die zulässige und begründete Klage insoweit durch ein nachträgliches Ereignis unbegründet worden ist) hat keinen Erfolg, weil die Feststellungklage insoweit bereits von Beginn an unbegründet war.

Denn in dem genannten Umfange ist - mangels eines bereits eingetretenen Forderungsübergangs - die Klage mangels Aktivlegitimation der Klägerin von Anfang an unbegründet (vgl. hierzu auch BGH, VersR 1966, 875 ff.; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 1277; Prölls/Martin/Armbrüster, VVG, 30. Aufl. 2018, § 86 VVG Rn. 66; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 86 VVG Rn. 60). Denn derjenige Drittleistungsträger, der - wie vorliegend der Fall - erst mit seiner jeweiligen Leistung die Schadenersatzforderung erwirbt (z.B. privater Kranken- und Pflegeversicherer, Arbeitgeber), ist, wenn der Forderungsübergang mangels Leistungserbringung nicht vollzogen ist und der Verletzte den Krankenversicherer nicht zur Prozessführung konkret ermächtigt hat, für eine Feststellungsklage nicht aktivlegitimiert (BGH, NZV 1989, 349; AG Bad Homburg, VersR 2000, 844). Da der Rechtsübergang nach § 86 VVG nach dem Gesetzeswortlaut nur mit jeweiliger Zahlung des Versicherers stattfindet, rückt der Drittleistungsträger nur insoweit in die Rechtsstellung des Geschädigten (Versicherungsnehmer) ein, als er Versicherungsleistungen tatsächlich erbracht hat (BGH, VersR 1966, 875).

Der Versicherer kann vor seiner Leistung gegen den Dritten mithin nicht auf Feststellung seines (künftigen) Anspruchs klagen, sondern nur auf Feststellung der Ersatzpflicht des Dritten gegenüber dem Versicherungsnehmer/Geschädigten (BGH, VersR 1966, 875; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 1277). Letzteres hat die Klägerin indes vorliegend nicht getan.

2. Soweit die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, an die Klägerin 6.299,90 € nebst Nebenforderungen zu zahlen sowie die Klägerin von den außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte A & B, C, in Höhe von 650,34 € freizustellen, hat die Berufung der Beklagten indes keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts beruht insoweit weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO). Vielmehr hat das Landgericht mit seiner angefochtenen Entscheidung die Beklagten völlig zutreffend entsprechend verurteilt. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus übergegangenem Recht auf Ersatz der von ihr für ihren Versicherungsnehmer verauslagten Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 6.299,90 € gemäß § 7 Absatz 1 StVG, §§ 86 Absatz 1, 115 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 VVG. Die Beklagten haften der Klägerin als Gesamtschuldner aus dem Verkehrsunfall des Beklagten zu 1) mit dem Zeugen D vom 28.02.2013 auf der E Straße in F mit einer Haftungsquote von 25 %.

a) Insbesondere vermag der Einwand der mangelnden Aktivlegitimation der Berufung der Beklagten nicht zum Erfolg zu verhelfen. Nachdem die Klägerin auf das Bestreiten etwaiger Zahlungen hin mit ihrem Schriftsatz vom 05.09.2016 die Erbringung von Erstattungsleistungen durch Vorlage von 9 Leistungsabrechnungen im Einzelnen dargetan hat und die Beklagten diese in der Folge vor dem Landgericht auch nicht mehr bestritten haben, ist die Klägerin aktivlegitimiert. Durch die Vorlage der Leistungsabrechnungen ist abgesehen hiervon zudem auch der Beweis des ersten Anscheins erbracht, dass die Klägerin auf die Leistungsabrechnung hin auch entsprechende Zahlungen an ihren Versicherungsnehmer erbracht hat. Diesen Anscheinsbeweis haben die Beklagten durch nichts erschüttert.

b) Und auch unter Berücksichtigung der weiteren, von den Beklagten angeführten Angriffe gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg:

Die Beklagten verkennen insoweit nämlich, dass im Verhältnis zum Geschädigten der von ihnen angeführte § 17 Abs. 1 StVG ebenso wenig Anwendung findet wie § 17 Abs. 3 StVG, da der Schaden nicht - wie § 17 StVG es voraussetzt - durch mehrere Fahrzeuge verursacht wurde, sodass im Rahmen dessen auch rechtlich unbeachtlich ist, dass den Beklagten zu 1) - wie von den Beklagten mit ihrer Berufung umfassend ausgeführt - keinerlei Sorgfaltspflichtverstoß trifft und er keinerlei Möglichkeit zur Abwendung des Unfalls hatte.

Ausgeschlossen ist seine Haftung gegenüber dem geschädigten Zeugen D nach § 7 Abs. 2 StVG, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde, was unstreitig nicht der Fall war.

Der Gesetzgeber hat sich mit dem Abstellen auf die höhere Gewalt vom Ausschlusstatbestand des unabwendbaren Ereignisses nach § 7 Abs. 2 StVG a.F., das vorliegt, wenn der Unfall auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte, getrennt. Damit sollte gerade im Bereich der Kinderunfälle das als unbillig empfundene Ergebnis vermieden werden, dass Kindern im Falle eines unabwendbaren Ereignisses kein Ersatzanspruch zustand. Ziel der Änderung war es, damit die Position von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern - insbesondere von Kindern - zu stärken. (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, a.a.O., § 7 StVG Rn. 17 m.w.N.).

Eingeschränkt ist die Halterhaftung hingegen auch weiterhin nach dem unverändert gebliebenen § 9 StVG, wonach § 254 BGB anzuwenden ist, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat. Die Darlegungs- und Beweislast für ein Mitverschulden trifft insoweit den Schädiger. Bei besonderen Fallgestaltungen kann die Abwägung der Verursachungsbeiträge zu dem Ergebnis kommen, dass einer der Beteiligten alleine für den Schaden aufzukommen hat. Eine vollständige Kürzung unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens ist aber nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, a.a.O., § 9 StVG Rn. 2 m.w.N.).

Im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 StVG müssen bei der Bewertung des Verschuldens eines Kindes "altersgemäße Maßstäbe" berücksichtigt werden, so dass dessen Verschulden dem eines Erwachsenen grundsätzlich nicht gleichgesetzt werden kann, sondern geringer zu bewerten ist. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es ausnahmsweise bei der Unfallbeteiligung eines Minderjährigen dann zu einem völligen Zurücktreten der Betriebsgefahr hinter das Verschulden kommen kann, wenn ein "altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbarer" Sorgfaltsverstoß des Kindes bzw. Jugendlichen vorliegt, ihm objektiv und subjektiv ein so erhebliches Verschulden zur Last fällt, dass die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs als völlig untergeordnet erscheint (BGH, NJW 1990, 1483, noch zur bis zum 31.?7. 2002 geltenden Altersgrenze von sieben Jahren). Die Sorgfaltsanforderungen an Verkehrsteilnehmer ab zehn Jahre haben sich durch die Heraufsetzung der Altersgrenze seit 01.?08.2002 nicht geändert (BGH, Beschl. v. 30.?5. 2006 - VI ZR 184/05, BeckRS 2006, 17424).

Grundsätzlich ist aber im Rahmen der Abwägung der Zweck der Gefährdungshaftung zu berücksichtigen. Sinn der Haftung aus Betriebsgefahr ist es, die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs auszugleichen. So weist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 13.?02.1990 (NJW 1990, 1483) darauf hin:

"Kinder sind durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen wegen der fehlenden Eingewöhnung und Erfahrung im Straßenverkehr erheblich stärker gefährdet als Erwachsene. Entsprechend dem Haftungszweck der Gefährdungshaftung muss daher die Haftung für die Betriebsgefahr auch dieses bei Kindern erhöhte Risiko auffangen. In diesem Sinn ist der Umstand, dass ein Kind durch sein verkehrswidriges Verhalten mit zu dem Unfall beigetragen hat, haftungsrechtlich der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, wenn und soweit sich darin altersgemäß der Lern- und Eingewöhnungsprozess in die Gefahren des Straßenverkehrs niederschlägt. (...)"

Auch wenn der Geschädigte vorliegend die Altersgrenze des § 828 Abs. 2 BGB bereits seit mehreren Monaten überschritten hatte, ist, wie das OLG Saarbrücken (BeckRS 2012, 09603) zutreffend ausgeführt hat, zu berücksichtigen, dass die kindlichen Eigenheiten - Impulsivität, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und gruppendynamisches Verhalten -, die ein Kind an der hinreichenden Einschätzung der Gefahren des Straßenverkehrs hindern, "nicht gewissermaßen punktuell mit dem Erreichen des zehnten Lebensjahres abgestellt werden". Daher ist bei der Bewertung von Verkehrsverstößen die altersbedingte Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen in die Bewertung einzubeziehen.

Unter Anlegung dieser Maßstäße lässt der vorliegende konkrete Sachverhalt auch nach Auffassung des Senats ein alterstypisches Fehlverhalten im Sinne eines nicht hinreichend abgeschlossenen Lern- und Eingewöhnungsprozesses in die Gefahren des Straßenverkehrs erkennen. Das Fehlverhalten des Geschädigten D, der sorglos, spontan und ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten, auf die Straße lief, um diese zu überqueren, erwies sich dabei als Ausprägung kindlicher Eigenheiten in Form eines impulsiven Verhaltens, das ihn - als Kind - an der hinreichenden Einschätzung der Gefahren des Straßenverkehrs hinderte. Der Gechädigte hatte unmittelbar vor dem Unfallereignis sein Handy wieder erhalten und wollte zügig zu seinem auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartenden Vater, als er voller Freude über den Erhalt des Handys, unkonzentriert und impulsiv auf die Fahrbahn trat. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze stellt sich das Verschulden des Geschädigten im Rahmen der Abwägung auch nach der Bewertung des Senats nicht als altersspezifisch subjektiv besonders vorwerfbar dar, dass es die Betriebsgefahr des von dem Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs vollständig zurücktreten ließe, sondern im Rahmen der nach § 9 StVG, § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung zu einer Mithaftung des Geschädigten von allenfalls 75 % führt.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Streitwert zweiter Instanz: 8.299,90 Euro

Lukas Jozefaciuk