OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016 - I-1 U 36/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. Februar 2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Seine Anspruchsberechtigung wegen des Auffahrunfalls, der sich am 10. September 2011 auf der Bundesautobahn A 1 in Fahrtrichtung XXX kurz vor der Ausfahrt XXX ereignet hat, geht keinesfalls über die ihm durch das Landgericht zuerkannte Anspruchsberechtigung in Höhe von 50 % seiner Schäden hinaus. Er bleibt für die Richtigkeit seiner Behauptung beweisfällig, die Beklagte zu 1) treffe das Verschulden an der Entstehung des Schadensereignisses. Entsprechend den durch das Landgericht getroffenen Feststellungen ist erwiesen, dass dem Schadensereignis ein Fahrspurwechsel des Klägers mit seinem Pkw Mercedes E 320 mit dem Kennzeichen XXX vorausging. Die Richtigkeit dieser Feststellung zieht der Kläger in seiner Rechtsmittelbegründung vergeblich in Zweifel. Nach den Bekundungen von Augenzeugen sprechen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich dieser Fahrspurwechsel in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen zugetragen hat und dass der Kläger die strengen Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet hat, die er bei diesem Fahrmanöver zu wahren hatte.
Selbst wenn man aber der Beweiswürdigung des Landgerichts folgend von der Annahme ausginge, dass das Ergebnis der Tatsachenaufklärung nicht für die Feststellung eines Spurwechselverschuldens des Klägers ausreichte und im Ergebnis keinem der Beteiligten – auch nicht im Wege eines Anscheinsbeweises – ein fahrlässiger Beitrag an der Entstehung des Kollisionsereignisses nachzuweisen wäre, führte die Abwägung der von den Unfallfahrzeugen jeweils ausgegangenen Betriebsgefahranteile zu der Erkenntnis, dass die begründete Schadensersatzverpflichtung der Beklagten nicht über den Hälftanteil der Vermögenseinbußen des Klägers hinausgeht.
Das Berufungsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils oder zu einer ergänzenden Sachaufklärung durch Erhebung von Zeugenbeweis oder durch Einholung eines „Obergutachtens“.
Substanzlos sind die Angriffe des Klägers gegen die unfallanalytischen Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen XXX. In der Berufungsinstanz wiederholt der Kläger im Wesentlichen die Richtigkeitseinwendungen, die bereits erstinstanzlich Gegenstand seines Vorbringens waren und die der Sachverständige bei seiner Anhörung gemäß § 411 Abs. 3 ZPO in überzeugender Weise ausgeräumt hat.
Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
I.
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258).
Derartige Richtigkeitszweifel, die sich zugunsten des Klägers auswirken könnten, sind nicht gegeben. Die Bekundungen der durch das Landgericht vernommenen Zeugen XXX sowie XXX und Steffen XXX lassen sogar den Rückschluss darauf zu, dass dem Kläger wegen eines Spurwechselverschuldens der zumindest überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses anzulasten ist. Selbst wenn man aber der Beweiswürdigung des Landgerichts folgend keine hinreichende Tatsachengrundlage für einen Verstoß des Klägers gegen die Bestimmung des § 7 Abs. 5 StVO sähe, so bliebe immer noch zu konstatieren, dass zumindest die von dem klägerischen Pkw ausgegangene Betriebsgefahr aufgrund des Umstandes deutlich erhöht war, dass er vorkollisionär einen Fahrspurwechsel durchgeführt hatte. Ein solcher Wechsel steht aufgrund eines prozessualen Geständnisses des Klägers nach Maßgabe des § 288 Abs. 1 ZPO fest. Die gegen die Richtigkeit dieser Feststellung gerichteten weitschweifigen Berufungsangriffe des Klägers gehen deshalb ins Leere. Gleiches gilt bezüglich der Rechtsmittelangriffe, mit welchen der Kläger ein Annäherungsverschulden des Beklagten zu 1) in Form einer überhöhten Ausgangsgeschwindigkeit zu begründen versucht. Nach den unfallanalytischen Ausführungen des Sachverständigen XXX, gegen welche sich der Kläger erfolglos stemmt, ist weder ein unfallursächlicher Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die Geschwindigkeitsvorgaben des § 3 Abs. 1 StVO noch ein Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschulden unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 1 Abs. 2 StVO festzustellen. Stellt man – wie das Landgericht – mangels eines nachweisbaren Verschuldens des Klägers und der Beklagten zu 1) an der Entstehung des Auffahrunfalles auf die von ihren Fahrzeugen jeweils ausgegangenen Betriebsgefahranteile ab, muss es bei der im angefochtenen Urteil ausgesprochenen hälftigen Schadensteilung sein Bewenden haben.
II.
1 a )
Das gesamte Vorbringen des Klägers lief bis zu dem Beweisaufnahmetermin vom 27. August 2013 auf die Behauptung hinaus, vor dem Auffahrunfall schon längere Zeit die Überholspur der Autobahn A 1 in Fahrtrichtung XXX benutzt zu haben. Vergeblich versucht der Kläger in seiner Berufungsbegründung, diesen Tatsachenkern seines Prozessvortrages zu relativieren. Sein Vorbringen in der Klageschrift, er habe „die linke Fahrspur bereits eine geraume Zeit und über eine geraume Wegstrecke“ befahren (Bl. 6 d.A.), schließt einen irgendwie gearteten örtlichen und zeitlichen Zusammenhang des Unfalls mit seinem Wechsel von der mittleren auf die äußerste linke Fahrspur aus. Ganz deutlich war in diesem Zusammenhang seine Darstellung am Unfallort gegenüber den aufnehmenden Polizeibeamten, er habe „einen Spurwechsel auf den 3. FS schon viel früher gemacht, so ca. einen Kilometer vorher“ (Bl. 19 BA).
b )
In Abweichung davon hat er anlässlich seiner informatorischen Befragung gemäß § 141 Abs. 1 ZPO im Beweisaufnahmetermin vom 14. Januar 2015 überraschend die Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens der Beklagten eingeräumt, kurz vor dem Zusammenstoß von der mittleren auf den linken Fahrstreifen gewechselt zu sein („Es war so, dass ich auf den Stau zugefahren bin. Ich habe dann bemerkt, dass auf der linken Spur mehr Fahrzeuge stehen, als auf der Mittelspur. Trotzdem habe ich nach hinten gesehen und in den linken Außenspiegel, habe dort kein Fahrzeug wahrgenommen und habe dann einen Spurwechsel auf den linken Fahrstreifen vollzogen.“; Bl. 301 R. d.A.). Kurz danach will der Kläger dann bei einer Spiegelrückschau aus einer Geschwindigkeit von 35 bis 40 km/h in einer Entfernung von 35 Metern vor dem Stau die kollisionsträchtige Annäherung der Beklagten zu 1) auf der Überholspur bemerkt haben und „fast schon reflexartig das Lenkrad rumgerissen“ haben, ehe „dann schon der Aufschlag kam“ (Bl. 301 R. d.A.).
2 )
Das Eingeständnis der Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens der Beklagten, dem Auffahrunfall sei ein Fahrspurwechsel des klägerischen Pkw vorausgegangen, ist prozessual als ein gerichtliches Geständnis im Sinne des § 288 ZPO zu werten, das nach Maßgabe des § 535 ZPO auch in der Berufungsinstanz seine Wirksamkeit behält. Der eingestandene Spurwechsel ist eine feststehende Tatsache, die nicht durch den seitens des Klägers in seiner Rechtsmittelbegründung beantragten Zeugen- und Sachverständigenbeweis ausgeräumt werden kann. Denn der Kläger vermag keinen Widerrufsgrund gemäß § 290 ZPO zu beweisen. Er kann nicht unter Beweis stellen, dass der eingestandene Wechsel auf die Überholspur nicht der Wahrheit entsprechen und durch einen Irrtum veranlasst worden sein soll.
a )
Ganz abgesehen davon, dass der Kläger in seiner Rechtsmittelbegründung nichts in Richtung einer irrtümlichen Sachdarstellung anlässlich seiner informatorischen Befragung im Termin vom 14. Januar 2015 dartut, steht ein vorkollisionärer Fahrspurwechsel in Übereinstimmung mit den glaubhaften Bekundungen der Augenzeugen des fraglichen Geschehens, der Zeugen XXX sowie XXX, fest. Diese haben anlässlich des Beweisaufnahmetermins vom 11. Dezember 2012 übereinstimmend ausgesagt, dass der kurz danach von dem Auffahrunfall betroffen gewesene Mercedes sich von der mittleren Spur „dann nach links bewegt hat“ (Bl. 91 d.A.), bzw. „zum Überholen ansetzte und auf die linke Spur fuhr“ (Bl. 93 d.A.). Zwar hat ein weiterer Insasse des durch den Zeugen XXX gesteuerten Pkw BMW, der Zeuge XXX, bei seiner Vernehmung im Termin vom 11. Dezember 2012 nichts von einem vorkollisionären Fahrspurwechsel des in Rede stehenden Pkw Mercedes berichtet (Bl. 89, 90 d.A.). Dies war jedoch der Fall, als sich der Zeuge unter dem Datum des 21. September 2011 unfallnah schriftlich zu dem Hergang des fraglichen Geschehens geäußert hatte. („… da fuhr der MB Nr. 1 von vor uns nach links… plötzlich kam ein weiterer MB Nr. 3 und krachte ihm während des Fahrspurwechsels hinten links rein“; Bl. 277 d.A.). Diesen Hergang hatte der Zeuge seinerzeit bildlich durch skizzenhafte Darstellungen wiedergegeben (Bl. 278 d.A.). Auch die Zeugin XXX und XXX hatten in dem Ermittlungsverfahren 722 Js 4412/11 StA Wuppertal unter dem Datum des 20. September 2011 bzw. des 26. September 2011 zeugenschaftlich schriftlich von einem Wechsel des Pkw Mercedes Benz von der mittleren Spur auf die Überholspur berichtet und dieses Fahrmanöver zeichnerisch anschaulich dargestellt (Bl. 285 – 287 d.A.; Bl. 290 – 292 d.A.).
b )
Im Rahmen der Beweiswürdigung misst der Senat in der Regel den unfallnahen Angaben, welcher ein Beteiligter oder ein Zeuge gegenüber der Polizei gemacht hat, erhebliche Bedeutung bei. Im Hinblick auf die insoweit eindeutigen Angaben der Zeugen XXX sowie XXX und XXX kann im Ergebnis dahinstehen, aus welchem Grund die Beklagte zu 1) bei ihrer informatorischen Befragung im Termin vom 14. Januar 2015 nichts von einem vorkollisionären Fahrspurwechsel ihres späteren Unfallgegners berichtet hat (Bl. 302, 302 R. d.A.). Da sie ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige nur nach der Gabe von Beruhigungsmitteln zur Sache befragt werden konnte (Bl. 19 BA) und da sie sich bei ihrer Einvernahme durch das Landgericht auf erhebliche Erinnerungslücken berief, liegt die Erklärung einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Wahrnehmungs- und/oder Erinnerungsfähigkeit durch das als traumatisch empfundene Unfallgeschehen nahe. Im Ergebnis steht jedenfalls außer Zweifel, dass der durch den Kläger zugestandene Fahrspurwechsel mit seinem Pkw Mercedes E 320 der Wahrheit entspricht und kein falsches prozessuales Geständnis darstellt.
c )
Einerseits trifft es zu, dass Erklärungen einer Partei im Rahmen der Parteivernehmung kein Geständnis im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO enthalten (BGH, Urteil vom 14. März 1995, Az.: VI ZR 12/94, BGHZ 129, 108; Leitsatz – zitiert nach juris). Etwas anderes gilt jedoch im Hinblick auf Erklärungen einer Partei, die sie bei ihrer Anhörung gemäß § 141 Abs. 1 ZPO vor Gericht macht. Diese können sogar dann als Geständnis gewertet werden, wenn ihr Prozessbevollmächtigter sie sich nicht zu eigen macht (BGH Urteil vom 11. Januar 1966, Az: VI ZR 150/64, Leitsatz 1- zitiert nach juris – mit Hinweis auf BGHZ 8, 235; offengelassen in BGHZ 129, 108). Gesteht die Partei bei ihrer Parteivernehmung gemäß §§ 445 ff. ZPO etwas zu, was sie im Sachvortrag bestreitet, bzw. durch ihren Prozessbevollmächtigten bestreiten lässt, so muss das Gericht auf Klarstellung dringen, desgleichen der ebenfalls unter der Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO stehende Prozessbevollmächtigte. Häufig wird es dann zu einem ordnungsgemäßen Geständnis kommen (Zöller/Greger, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., § 288 Rdnr. 3 b).
d )
Nachdem der Kläger im Termin vom 14. Januar 2015 überraschenderweise einen vorkollisionären Fahrspurwechsel eingestanden hatte, hat die zuständige Einzelrichterin in der gebotenen Weise auf die erforderliche Klarstellung hingewirkt. Denn sie hat dem Kläger seinen früheren Prozessvortrag und seine unfallnahe Einlassung vorhalten, vor dem Zusammenstoß schon eine längere Zeit auf der linken Spur gefahren zu sein, etwa einen Kilometer (Bl. 19 BA; Bl. 301 R. d.A.). Der Kläger hat dann auf diesen Vorhalt eindeutig erwidert, er könne sein früheres Vorbringen nicht bestätigen (Bl. 301 R. d.A.). Dieser korrigierenden Darstellung ist sein Prozessbevollmächtigter im Termin vom 14. Januar 2015 nicht entgegen getreten, denn er hat am Ende der Beweisaufnahme widerspruchslos zur Sache und zum Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt (Bl. 305 d.A.).
e )
Im Ergebnis steht somit außer Zweifel, dass der Kläger in ihn prozessual bindender Weise einen vorkollisionären Wechsel von der mittleren auf die linke Überholspur zugestanden hat. Die entgegenstehende Bekundung seiner Ehefrau, der Zeugin XXX, im Termin vom 27. August 2013 ist damit falsch (Bl. 164, 164 R. d.A.). Da der seitens der Beklagten vorgetragene Spurwechsel Gegenstand eines gerichtlichen Geständnisses des Klägers ist, ist seiner Berufungsbegründung, in welcher er auf sein früheres Vorbringen eines längerfristigen Befahrens der Überholspur rekurriert, die Argumentationsgrundlage entzogen.
III.
Das Landgericht hat zwar richtigerweise in den Tatbestand des angefochtenen Urteils aufgenommen, dass der Kläger vor dem Auffahrunfall die Wahrnehmung der Stausituation auf der Autobahn zum Anlass nahm, von der mittleren Spur auf die linke Spur zu wechseln (Bl. 2 UA; Bl. 310 d.A.). Die Einschlägigkeit eines Anscheinsbeweises zu Lasten des Klägers als des Spurwechslers hat es jedoch mit der Begründung verneint, es lasse sich nicht feststellen, wo und wann genau der Spurwechsel erfolgt sei; deshalb stehe nicht fest, dass der Wechsel in dem notwendigen unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall gestanden habe (Bl. 5 UA; Bl. 313 d.A.). Diese Ausführungen geben Anlass zu kritischen Anmerkungen.
1 )
Die Einzelheiten des Wechsels des Klägers von der mittleren auf die linke Fahrspur waren Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO. Folglich ist der Kläger auch in der Lage, die entscheidungserheblichen Einzelheiten dieses Fahrmanövers anzugeben. Von Bedeutung sind insbesondere die Entfernung zum Stauende sowie das Ausmaß des zeitlichen Abstandes zwischen der Beendigung des Fahrspurwechsels und dem Aufprall auf das Heck des klägerischen Pkw. Der Kläger hält sich hinsichtlich der Offenbarung der notwendigen Details nicht nur zurück, sondern er meint in Verkennung der für ihn ungünstigen prozessualen Beweissituation trotz anwaltlicher Beratung sogar noch, den sachlichen Inhalt seines prozessualen Geständnisses in seiner Rechtsmittelbegründung in Abrede stellen zu müssen. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass der seitens der Beklagten behauptete nahe örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Fahrspurwechsel und der Auffahrkollision richtig ist und durch den Kläger aus prozesstaktischen Gründen verschwiegen wird.
2 a )
Für die Annahme eines engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Spurwechsel und dem Eintritt des Schadensereignisses sprechen auch die schriftlichen unfallnahen Schilderungen der Zeugen XXX sowie XXX und XXX vom 21. September 2011 bzw. vom 20. September 2011 und vom 26. September 2011 mit den beigefügten anschaulichen Situationszeichnungen (Bl. 267 ff. BA , 285 ff. BA, Bl. 290 ff BA;). Der Zeuge XXX hat bei seiner Vernehmung durch das Landgericht im Termin vom 11. Dezember 2012 seine frühere schriftliche Darstellung wiederholt („Er setzte dann zum Überholen an und fuhr auf die linke Spur. Dabei sah ich, dass von hinten links ein weiterer Mercedes kam“; Bl. 93 d.A.). Bezogen auf den Zeugen XXX kann entgegen der Beweiswürdigung des Landgerichts keine Rede davon sein, dass dieser in Abweichung von seiner früheren schriftlichen Darstellung in dem Ermittlungsverfahren das fragliche Geschehen anders dargestellt hat.
b )
Die Situationszeichnungen, welche alle drei Zeugen gefertigt haben, geben Anlass zu der Annahme, dass die Beklagte zu 1) von dem Fahrspurwechsel des Klägers überrascht wurde und keine Gelegenheit mehr hatte, zu dem plötzlich auf ihren Fahrstreifen gewechselten Pkw Mercedes E 320 einen hinreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen. Der daraus abzuleitende enge zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen Fahrspurwechsel und Unfall ist dann die Tatsachengrundlage für eine Sachverhaltstypizität, welche den Beweis des ersten Anscheins für die Feststellung begründet, dass der Kläger im Zuge des Spurwechsel in unfallursächlicher Weise den strengen Sorgfaltsanforderungen aus § 7 Abs. 5 StVO nicht gerecht worden ist. Bei einer Kollision mit einem Nachfolgenden unmittelbar nach dem Fahrstreifenwechsel spricht der Anschein für eine Missachtung der Sorgfaltspflichten aus der vorgenannten Bestimmung durch den Spurwechsler (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 7 StVO, Rdnr. 17 am Ende mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.
c )
Ließe sich aber die Feststellung treffen, dass der Kläger kurz vor dem Zusammenstoß auf die Überholspur gewechselt ist, obwohl er – folgt man den schriftlichen Äußerungen der Zeugen XXX sowie XXX und XXX -- zu Beginn dieses Fahrmanövers bei einem pflichtgemäßen Verhalten die Annäherung der bereits dicht auf der Überholspur herangerückten Beklagten zu 1) bei Tageslicht auf der geraden Streckenführung hätte erkennen können, so träfe ihn der Vorwurf des überwiegenden Verschuldens an der Entstehung des Auffahrunfalls. Folglich hätte er mit dem ihm durch das Landgericht zuerkannten Ersatzanspruch im Umfang der Hälfte seiner Schäden schon mehr zugesprochen erhalten, als ihm tatsächlich zusteht.
IV.
Selbst wenn man sich aber der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil anschlösse und ein Spurwechselverschulden des Klägers nicht als erwiesen erachtete, änderte dies nichts an der Richtigkeit der festgesetzten Haftungsverteilung mit der Quote von 50 % : 50 %. Denn nach der zutreffenden Feststellung des Landgerichts lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ein Annäherungsverschulden der Beklagten zu 1) in Gestalt eines Aufmerksamkeitsdefizits oder einer zu hohen Ausgangsgeschwindigkeit feststellen.
1 )
In Verkennung der Sach- und Rechtslage argumentiert der Kläger in seiner Berufungsbegründung so, als ob allein aufgrund der Tatsache der Auffahrkollision seine Unfallgegnerin im Wege des Anscheinsbeweises mit dem Vorwurf einer schuldhaften Verursachung des Schadensfalls belastet wäre. Dieser Argumentation ist aber die Grundlage entzogen, da sich zugunsten der Beklagten zu 1) nicht ausschließen lässt, dass der Anhalteweg, der ihr auf der Überholspur anfänglich zur Verfügung stand, durch den plötzlichen Fahrspurwechsel des Klägers so verkürzt wurde, dass sie keine Möglichkeit zur Herstellung des notwendigen Sicherheitsabstandes ( § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO ) und zur Abwendung der Kollisionsberührung mehr hatte. Der Zeuge XXX war in dem Pkw BMW auf der mittleren Fahrspur dem klägerischen Fahrzeug zunächst mit der durch ihn angegebenen Geschwindigkeit von etwa 120 km/h gefolgt. Daraus folgt, dass der Kläger vor Erreichen des Stauendes auf der Mittelspur anfänglich eine Annäherungsgeschwindigkeit etwa in derselben Größenordnung inne gehabt haben muss. Der Darstellung des Klägers im Termin vom 14. Januar 2015 gemäß reduzierte er im Zuge des Wechsels auf die Überholspur sein Tempo auf etwa 35 bis 40 km/h – und zwar 30 bis ca. 35 m vor dem Stauende (Bl. 301, 301 R d.A.). Da, wie noch darzulegen sein wird, für das durch die Beklagte zu 1) gesteuerte Fahrzeug eine Näherungsgeschwindigkeit von bis zu 120 km/h in Ansatz zu bringen ist, stieß sie auf der Überholspur plötzlich auf einen deutlich langsameren Vordermann.
2 )
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem in Rede stehenden Abschnitt der Bundesautobahn A 1 beträgt 120 km/h. Abhängig davon, welchen Parameter man in Ansatz bringt, hat der Sachverständige als Ausgangsgeschwindigkeit für den durch die Beklagte zu 1) gesteuerten Mercedes C 220 CDI eine Bandbreite von 91 km/h bis 105 km/h errechnet (S. 22 des Gutachtens). Gegenüber den aufnehmenden Polizeibeamten hatte die Beklagte zu 1) auf der Wache, unter der Einwirkung von Beruhigungsmitteln, ein Ausgangstempo von ca. 120 km/h angegeben. Bei seiner Anhörung im Termin vom 14. Januar 2015 hat der Sachverständige auch eine solche Annäherungsgeschwindigkeit für möglich gehalten (Bl. 303 R d.A.). Folglich war die Beklagte zu 1) in der Annäherung nicht nur unter der Autobahnrichtgeschwindigkeit von 130 km/h geblieben, sondern sie hatte auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten. Nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (Bl. 5 UA; Bl. 313 d.A.) kann ein höheres Ausgangstempo der Beklagten zu 1) als ein solches von 120 km/h nicht festgestellt werden – auch nicht im Hinblick auf die Bekundungen der Zeugen XXX sowie XXX und XXX, die zusammen in dem durch den Zeugen XXX geführten Pkw BMW saßen.
3 )
Die Zeugen XXX und XXX vermochten lediglich im Wege einer Schätzung die Endgeschwindigkeit des Pkw BMW vor Erreichen des Stauendes mit 120 km/h anzugeben (Bl. 89, 93 d.A.). Sie hatten sich diesbezüglich nicht – weil dazu noch kein Anlass bestand – durch einen Blick auf die Tachoanzeige vergewissert. Folglich beruht ihre Tempoangabe nicht auf einer hinreichend verlässlichen Tatsachengrundlage. Ihre Angabe, der durch die Beklagte zu 1) gesteuerte Pkw Mercedes sei schneller gefahren, lässt somit nicht zwingend die Schlussfolgerung zu, die Annäherungsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1) habe oberhalb des zulässigen Höchsttempos gelegen.
4 )
Im Ansatz verlässlicher erscheint die Aussage des Zeugen XXX als Fahrer des Pkw BMW. Er meinte zwar auch, anfänglich mit etwa 120 km/h gefahren zu sein; er hatte jedoch seiner weiteren Darstellung gemäß beim Anblick der Stausituation auf der Autobahn gebremst. Welches Tempo er im Zuge der Abbremsung inne hatte, konnte er nicht angeben. Er wusste lediglich davon zu berichten, dass er „stark in die Eisen“ habe gehen müssen (Bl. 93, 94 d.A.). Seine Einschätzung, der durch die Beklagte zu 1) gesteuerte Pkw Mercedes „dürfte schneller gewesen sein als ich“ (Bl. 93 d.A.), ohne dass er eine konkrete Angabe zu seiner Eigengeschwindigkeit im Bremsvorgang machen konnte (Bl. 93 d.A.), kann also nicht zwangsläufig in dem Sinne verstanden werden, dass der Pkw Mercedes C 220 CDI schneller als mit 120 km/h unterwegs war. Die Darstellung des Zeugen XXX lässt nach dem Gesamtkontext durchaus auch die Deutung zu, dass er die vermeintliche Überschussgeschwindigkeit auf die Phase bezog, in welcher er den Pkw BMW bereits deutlich abgebremst hatte.
5 )
Der Vorwurf einer überhöhten Ausgangsgeschwindigkeit der Beklagten zu 1) lässt sich auch nicht im Hinblick darauf begründen, dass der Sachverständiger XXX in seinem Gutachten die Geschwindigkeit für eine räumliche Vermeidbarkeit des Zusammenstoßes für die Beklagte zu 1) mit 76 km/h bis 93 km/h eingegrenzt hat (S. 22 des Gutachtens). Eine Vermeidbarkeitsfeststellung zu Lasten der Beklagten zu 1) setzt aber eine entsprechend früh an sie gerichtete Reaktionsaufforderung voraus. Sie hätte also die Gelegenheit gehabt haben müssen, rechtzeitig auf den Anblick des Spurwechsels ihres späteren Unfallgegeners mit einer Gefahrenbremsung zu reagieren. Wie bereits ausgeführt, lässt sich nicht ausschließen, dass der Kläger den Wechsel auf die Überholspur pflichtwidrig ausgeführt hat, obwohl die Beklagte zu 1) auf diesem Fahrstreifen schon dicht herangerückt war. Aus den dargelegten Gründen spricht für einen solchen Geschehensablauf sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit Und zwar hätte die Reaktionsaufforderung – wie der Senat aus eigener Sachkunde zu errechnen vermag – bei einem Ausgangstempo von bis zu 120 km/h die Klägerin ca. 90 m vor dem späteren Unfallort erreichen müssen. Mit anderen Worten: Nur wenn der Kläger auf eine Distanz von ca. 90 m für die Beklagte zu 1) erkennbar zum Fahrspurwechsel angesetzt hätte, hätte sie die Möglichkeit zur räumlichen Vermeidbarkeit gehabt. Für die Annahme einer solch frühzeitigen Erkennbarkeit spricht aber nichts. Mangels einer feststellbaren rechtzeitigen Reaktionsaufforderung ist folglich kein Raum für die Annahme, die Beklagte zu 1) habe die Möglichkeit zur Abwendung der Kollision durch ein Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschulden vertan.
6 )
Ihr kann auch nicht angelastet werden, allein schon wegen des Gefahrenpotentials der Stausituation auf der dreispurigen Autobahn sich von vornherein mit einer zu hohen Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h angenähert zu haben. Einer solchen Feststellung stehen mehrere Gründe entgegen.
a )
Nach der schriftlichen Darstellung des Zeugen XXXvom 20. September 2011 war „das Stauende durch die Kuppe erst spät erkennbar“ (Bl. 286 BeiA). Auch bei seiner Anhörung durch das Landgericht im Termin vom 11. Dezember 2012 hat er bekundet, da man zunächst über eine Anhöhe gefahren sei, habe man das Stauende erst ziemlich spät gesehen (Bl. 91 d.A.). Nach der Beschreibung des Sachverständigen XXX nähert man sich der Unfallstelle auf der Autobahn aus einer Fahrbahnsenke mit Linkskurvenführung heraus; nach Erreichen des höchsten Fahrbahnpunktes neigt sich sodann die Autobahn in einer Entfernung von etwa 450 bis 500 m in Richtung der Unfallstelle (S. 9 des Gutachtens). Die Beklagte zu 1) konnte somit auf der Überholspur ebenso wie die zeugenschaftlich befragten Insassen des Pkw BMW auf der mittleren Spur die Stausituation erst spät erkennen.
b )
Hinzu kommt, dass nach der schriftlichen Aussage des Zeugen XXX vom 21. September 2011 auf der Überholspur sich im Bereich des Stauendes anfänglich weniger Fahrzeuge befanden als auf der Mittelspur (Bl. 277 d.A.). Allein aus der Tatsache, dass der Pkw BMW, in welchem sich die Zeugen XXX sowie XXX und XXX befanden, möglicherweise früher abgebremst wurde als der durch die Beklagte zu 1) gesteuerte Pkw Mercedes C 220 CDI, folgt somit nach Lage der Dinge nicht, dass sie verspätet auf die Stausituation auf der Überholspur reagiert hat. Denn auf diesem Fahrstreifen stand ihr zunächst ein längerer Anhalteweg zur Verfügung. Es ist folglich nicht auszuschließen, dass die Beklagte zu 1) auf der äußersten linken Spur das durch sie gesteuerte Fahrzeug kollisionsfrei vor dem Stauende hätte zum Stillstand bringen können, wenn der Kläger nicht plötzlich den Fahrspurwechsel durchgeführt hätte. Nach dem weiteren Inhalt der schriftlichen Darstellung des Zeugen XXX nahm der Kläger als sein Vordermann den Wechsel auf die Überholspur gerade aufgrund der Tatsache vor, dass ein „links vor dem Stauende weniger Fahrzeuge waren“ (Bl. 277 d.A.).
c )
Berücksichtigt man schließlich die Angabe des Klägers anlässlich seiner informatorischen Befragung im Termin vom 14. Januar 2015, dass er auf der Überholspur ca. 35 m vor dem Stauende nur noch eine Restgeschwindigkeit zwischen 35 km/h bis 40 km/h inne hatte und in diesem Moment schon das Quietschen der Bremsen des durch die Beklagte zu 1) gesteuerten Fahrzeuges wahrnahm (Bl. 301, 301 R d.A.) wird deutlich, dass der im Vergleich zu der Stausituation auf dem mittleren Fahrstreifen anfänglich länger gewesene Anhalteweg auf der Überholspur durch den Fahrstreifenwechsel zum Nachteil der Beklagten zu 1) deutlich verkürzt wurde. Zu ihren Gunsten war ein Vertrauensgrundsatz des Inhaltes einschlägig, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer vor ihr angesichts ihrer dichten Annäherung einen Wechsel auf die äußerste linke Spur vornahm.
7 )
Die in der Berufungsbegründung wiederholte Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 1) habe sich mit einer Geschwindigkeit zwischen 178 km/h bis 190 km/h dem Stauende angenähert (Bl. 353 d.A.), ist rein spekulativ, weil es für eine derartige Tempoüberschreitung keinerlei Anhaltspunkte gibt. Das streitige Vorbringen, das sich nach den Umständen als „ins Blaue hinein“ abgegeben darstellt, gibt folglich keinen Anlass zu der Einholung eines weiteren unfallanalytischen Gutachtens nach Maßgabe des § 412 Abs. 2 ZPO.
V.
1 )
In sich widersprüchlich argumentiert der Kläger in seiner Berufungsbegründung, indem er behauptet, jeder andere beteiligte Verkehrsteilnehmer habe die Stausituation mitbekommen, nur nicht die Beklagte zu 1) (Bl. 354 d.A.). Denn kurz zuvor zitiert er aus der unfallnahen Sachverhaltsschilderung der Beklagten zu 1) gegenüber der Polizei, derzufolge sie sofort nach Wahrnehmung des Stauendes mit einer starken Bremsung und einem Ausweichversuch nach links reagiert hat (Bl. 19 BeiA; Bl. 350 d.A.). Unwiderlegt hat sich die Beklagte zu 1) bei ihrer informatorischen Befragung im Termin vom 14. Januar 2015 in ähnlicher Weise geäußert (Bl. 302 d.A.). Wie bereits ausgeführt, kann zu ihren Gunsten nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass aus der durch sie angegebenen Geschwindigkeit heraus der ihr auf der Überholspur verbliebene Anhalteweg bis zum Stauende für ein rechtzeitiges kollisionsfreise Anhalten ausgereicht hätte, wenn der Kläger von dem Fahrspurwechsel abgesehen hätte.
2 a )
Die Kritik, die der Kläger in seiner Berufungsbegründung meint, hinsichtlich der gutachterlichen Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen XXX äußern zu müssen, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Sie besteht im Wesentlichen aus einer Wiederholung der Angriffe, die der Kläger erstinstanzlich bereits zum Gegenstand seines Schriftsatzes vom 12. Mai 2014 gemacht hat und die zu der Anhörung des Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO im Termin am 14. Januar 2015 führte. Seinerzeit hat der Sachverständige XXX zu allen Kritikpunkten Stellung genommen und diese in überzeugender Weise entkräftet.
b )
Neben der Sache liegt der Argumentationsversuch des Klägers in seiner Berufungsbegründung, die Feststellungen des Sachverständigen beruhten auf dessen Erfahrungswerten und seien keiner objektiven Überprüfung zugänglich (Bl. 356 d.A.). Die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen für die Erstellung des unfallanalytischen Gutachtens waren insbesondere die lichtbildlich gesicherten Fahrzeugschäden sowie die polizeilich aufgenommene Spurenlage einschließlich der Brems-, Schleuder- und Anschlagspuren, die dem Sachverständigen eine hinreichend genaue Lokalisierung der Kollisionsstelle ermöglichten. Er war mit dem Beweisthema der unfallanalytischen Aufklärung eines komplexen Unfallgeschehens auf der Autobahn mit Massenbeteiligung befasst, dessen Auftakt der streitige Auffahrunfall bildete. Dass er unter diesen Umständen mangels besserer Erkenntnisgrundlagen auf Erfahrungswerte zurückgreifen musste, wie etwa hinsichtlich des Bremsverhaltens des lenkunfähig gewordenen Pkw Mercedes C 220 CDI mit dem abgescherten rechten Vorderreifen, ist nicht weiter verwunderlich und gibt keinen Anlass zu Beanstandungen. Zur Ermittlung der Kollisionsgeschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge hat er sich einer unfallanalytisch gängigen Methode bedient, nämlich der Heranziehung der Werte eines Crash-Tests aus einer Datenbank mit einem vergleichbaren Schadensbild (S. 16 des Gutachtens). Eine ebenfalls anerkannte Methode der Unfallrekonstruktion ist die sogenannte Rückwärtsanalyse, die sich dadurch auszeichnet, dass von einem bestimmten Schadensbild mit einer gesicherten Spurenlage auf die Anstoß- und Annäherungsgeschwindigkeit rückgeschlossen wird.
3 )
Im Übrigen muss sich der Kläger vorhalten lassen, dass er die Tätigkeit des Sachverständigen und die Aufklärung des streitigen Unfallhergangs wesentlich erleichtert hätte, wenn er von vornherein seiner prozessualen Wahrheitspflicht entsprechend und in Übereinstimmung mit seinem gerichtlichen Geständnis eingeräumt hätte, dass das Verteidigungsvorbringen der Beklagten bezüglich seines vorkollisionären Fahrspurwechsels sachlich richtig ist. Stattdessen hat er es hingenommen, dass seine Ehefrau seine anfängliche falsche Behauptung einer kontinuierlichen Annäherung an den Unfallort auf der Überholspur zeugenschaftlich bestätigte. Wie bereits ausgeführt, spricht es auch für sich, dass der Kläger die Einzelheiten seines vorkollisionären Fahrspurwechsels nicht bekannt gibt.
VI.
Die Anspruchsberechtigung des Klägers geht nicht über den ihm durch das Landgericht zuerkannten Anteil von 50 % seiner unfallbedingten Vermögenseinbußen hinaus.
Bei der Abwägung gemäß § 17 StVG kommt es darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen unstreitige oder zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus welchen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGHZ 1996, 231).
Geht man von der naheliegenden Annahme aus, dass der Kläger bei dem vorkollisionären Spurwechsel nicht den strengen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO gerecht geworden ist, wäre seine Anspruchsberechtigung von vornherein mit einem Anteil von deutlich weniger als 50 % seiner unfallbedingten Vermögenseinbußen in Ansatz zu bringen. Da sich kein Mitverschulden der Beklagten zu 1) an der Entstehung der Auffahrkollision nachweisen lässt, wäre bei der Abwägung nur die von ihrem Pkw ausgegangene Betriebsgefahr mit der Folge zu berücksichtigen, dass diese gegenüber dem Spurwechselverschulden des Klägers möglicherweise sogar gänzlich zurücktreten könnte.
Nimmt man hingegen entsprechend den Feststellungen des Landgerichts an, dass sich auch ein Verschulden des Klägers an der Entstehung des Zusammenstoßes nicht nachweisen lässt, so ist die in dem angefochtenen Urteil ausgesprochene Haftungsverteilung mit jeweils hälftigen Quotenanteilen nicht zu beanstanden. Bei Auffahrunfällen auf der Autobahn ist ein Anscheinsbeweis regelmäßig nicht anwendbar, wenn zwar feststeht, dass vor dem Unfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011, Az.: VI ZR 177/10, Leitsatz – zitiert nach juris). Eine hälftige Schadensteilung ist vorzunehmen, wenn vor dem Auffahren ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt worden ist und sich dies unfallursächlich ausgewirkt hat. Dies wird damit begründet, dass der Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Fahrzeug nur dann das typische Gepräge eines Auffahrunfalls trägt, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf zu schnelles Fahren, mangelnde Aufmerksamkeit und/oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand des Hintermanns zulässt, wenn feststeht, dass beide Fahrzeuge solange in einer Spur hintereinander gefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können und es dem Auffahrenden möglich gewesen wäre, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen bzw. einzuhalten (BGH a.a.O., Rdnr. 10 - zitiert nach juris – mit Hinweis auf KG NZV 2008, 198, 199; OLG Hamm OLGR 2004, 82, 83; OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 809; OLG Schleswig NZV 1993, 152, 153). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (VersR 2010, 1236, 1237). Da sich nun aber nicht feststellen lässt, dass der Kläger seinen Fahrspurwechsel auf die Überholspur so zeitig vollzogen hat, dass die Beklagte zu 1) Gelegenheit zum Aufbau eines hinreichenden Sicherheitsabstandes hatte, muss es bei der im angefochtenen Urteil festgesetzten hälftigen Schadensteilung verbleiben.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 4.327,81 €.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.