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VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2016 - 5 S 1229/14

1. Das Straßengesetz für Baden-Württemberg schützt als subjektives Recht des Straßenanliegers nur den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kern des Anliegergebrauchs.

2. Soweit der Kern des Anliegergebrauchs betroffen ist, dient das Tatbestandsmerkmal der Entbehrlichkeit in § 7 Abs. 1 Alt. 1 StrG (juris: StrG BW) auch dem Schutz des Straßenanliegers.

3. Erfordert die Erschließung eines Grundstücks in einem Gewerbegebiet für eine dort genehmigte und ausgeübte Nutzung die Möglichkeit der Zufahrt mit Lastkraftwagen von der Straße auf das Grundstück, gehört der Fortbestand der Zufahrt zum Kern des Anliegergebrauchs.

4. Die tatsächliche Möglichkeit, Betriebsabläufe, insbesondere Ladevorgänge, in den öffentlichen Straßenraum zu verlagern, gehört nicht zum Kern des Anliegergebrauchs.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2014 - 1 K 1476/12 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Einziehung einer Teilfläche der Freinsheimer Straße in Mannheim.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. .../6, Freinsheimer Straße ..., das sie samt der darauf befindlichen Gebäude an ein Unternehmen vermietet hat, das elektrotechnische und elektronische Geräte, insbesondere Kontrollanlagen, herstellt. Das Grundstück wird im Südwesten über die Freinsheimer Straße erschlossen. Diese mündet westlich des Grundstücks nach etwa 25 m in die Ellerstadter Straße und im weiteren östlichen Verlauf in die Assenheimer Straße. Nach dem am 17.7.1964 in Kraft getretenen Bebauungsplan „Gewerbegebiet Altriper Straße, Vorderer Sporwörth und Rhenaniastraße“ liegt das Grundstück in einem Gewerbegebiet und grenzt an die Verkehrsfläche der jetzigen Freinsheimer Straße.

Das Grundstück der Klägerin ist entsprechend der am 15.11.1994 erteilten Baugenehmigung mit einem Betriebsgebäude bebaut, das etwa 6,25 m zurückgesetzt von der Freinsheimer Straße liegt; davor befinden sich senkrecht zur Straße angeordnete Pkw-Stellplätze. Entlang der nordwestlichen Grundstücksgrenze verläuft von der Freinsheimer Straße aus eine ca. 3,50 m breite Zufahrt. Die östlich angrenzenden Nachbargrundstücke ebenso wie die südlich der Freinsheimer Straße gegenüberliegenden Grundstücke gehören zum Betriebsgelände eines Kunststoffwerks.

Nachdem der Inhaber des Kunststoffwerks der Beklagten den Wunsch vorgetragen hatte, ihm den Teil des Straßengrundstücks zu überlassen, der zwischen seinen Werksgrundstücken verläuft, leitete die Beklagte ein Verfahren zur Teileinziehung der Freinsheimer Straße ein, schrieb die Inhaber der dort ansässigen Firmen und die Eigentümer der anliegenden Grundstücke an und machte ihre Einziehungsabsicht am 31.3.2011 öffentlich bekannt.Die Klägerin wandte ein, die Teileinziehung würde zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Nutzung ihres Grundstücks führen. Die dort ansässige Elektronikfirma bekomme in der Woche mehrfach Waren mittels Lastkraftwagen angeliefert, die im Falle der Teileinziehung mangels Wendemöglichkeit wieder rückwärts aus der Freinsheimer Straße herausfahren müssten. Dies sei aufgrund der Gegebenheiten vor Ort faktisch nicht möglich. Die Firma sei dringend auf die Möglichkeit der Durchfahrt durch die Freinsheimer Straße angewiesen. Durch die Einziehung der Teilfläche würde ihre Belieferung unmöglich gemacht; sie wäre gezwungen, ihren Geschäftsbetrieb auf dem Grundstück der Klägerin einzustellen. Eine Einziehung sei nach dem Straßengesetz nur aus Gründen des öffentlichen Wohls, nicht aber aus privaten Gründen möglich.

Darauf entgegnete die Beklagte, zur Verbesserung der Wendemöglichkeit für den andienenden Kraftfahrzeugverkehr werde die ursprünglich vorgesehene Einzugsfläche im Westen um ca. 12 m in der Länge reduziert. Durch den Wegfall der Weiterfahrmöglichkeit und den Wegfall von Parkplätzen im Bereich der Einzugsfläche würden die Eigentumsrechte und Anliegergebrauchsrechte der Klägerin nicht eingeschränkt. Der Anliegergebrauch sichere eine ausreichende Verbindung eines Grundstücks zu dem davor liegenden Straßenteil und die Anbindung dieses Straßenteils an das allgemeine Verkehrsnetz. Beides bleibe hier erhalten. Der Anliegergebrauch enthalte weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße noch die Gewährleistung von Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs.

Die Verfügung der Beklagten vom 29.9.2011, die - verkürzte - Teilfläche der Freinsheimer Straße einzuziehen, wurde am 10.11.2011 öffentlich bekannt gemacht.

Dagegen legte die Klägerin am 16.11.2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2012 zurückwies. Die Klägerin sei nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Straßenfläche im Bereich der Grundstücke des Kunststoffwerks sei für den öffentlichen Verkehr entbehrlich und könne deshalb nach § 7 Abs. 1 StrG eingezogen werden.

Die dagegen gerichtete Anfechtungsklage der Klägerin vom 26.6.2012 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18.2.2014 als unzulässig abgewiesen. Der Klägerin fehle die erforderliche Klagebefugnis, weil der Anliegergebrauch, auf den sich die Klägerin sinngemäß berufe, keine aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ableitbare Rechtsposition vermittele. Das baden-württembergische Straßengesetz schließe einen Anspruch des Straßenanliegers auf Aufhebung einer Einziehungsverfügung aus.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat ihre Berufung gegen dieses Urteil wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit mit Beschluss vom 24.6.2014, der Klägerin zugestellt am 7.7.2014, zugelassen. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist die Klägerin auf die Fristversäumnis hingewiesen worden; am 14.8.2014 hat sie unter Vorlage einer auf den 28.7.2014 datierten Berufungsbegründungsschrift sowie eidesstattlicher Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten und dessen Mitarbeiterin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung der Berufung vertieft die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen. Ihr Grundstück sei größtenteils an die Elektronikfirma vermietet; lediglich im zweiten Obergeschoss des dort befindlichen Gebäudes befänden sich zwei Wohnungen. Da die Freinsheimer Straße sehr eng und aufgrund weiterer dort angesiedelter Unternehmen mit Pkws von Mitarbeitern und Kunden an den Straßenrändern zugeparkt sei, sei ein Wenden oder Rückwärtsfahren der anliefernden Lastkraftwagen und Kleintransporter nicht möglich. Schon heute sei es für einen Lastkraftwagen nur schwer möglich, die einzelnen Firmengrundstücke zu erreichen. Durch die Verkürzung der Einziehungsfläche um 12 m ändere sich daran nichts.

Aus privaten Gründen dürfe eine Einziehungsverfügung nicht getroffen werden. Die Beklagte habe bei ihrer Ermessensausübung Kriterien zu Grunde gelegt, die sie nicht hätte berücksichtigen dürfen. Aber selbst wenn man das Interesse des Kunststoffwerks berücksichtigen wollte, hätte eine ordnungsgemäße Interessenabwägung nicht dazu geführt, die Teilfläche komplett dem öffentlichen Straßenverkehr zu entziehen. Es hätte eine Auflage erfolgen können, die Durchfahrt für den Anliegerverkehr wenigstens werktags tagsüber zuzulassen. Die Berechnung der verbleibenden Rangierfläche durch die Beklagte werde bestritten, zumal dabei die auf beiden Seiten der Straße parkenden Fahrzeuge nicht berücksichtigt seien. Bislang könnten Lastkraftwagen unabhängig davon, ob sie in die vorhandene Einfahrt auf ihrem Grundstück passten, an ihr Grundstück heranfahren, die Ware abladen und dann weiterfahren. Dies sei nach der Teileinziehung nicht mehr möglich. Die Verkehrsfläche sei daher nicht im Sinne des § 7 Abs. 1 StrG für den Verkehr entbehrlich.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2014 - 1 K 1476/12 - zu ändern und die Verfügung der Beklagten vom 29. September 2012 in Gestalt ihres Widerspruchbescheides vom 20. Juni 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Einziehung verletze die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten, insbesondere nicht im Kern ihres Anliegergebrauchs. Sie sei allein auf die erste Alternative von § 7 StrG gestützt, die Entbehrlichkeit der Verkehrsfläche. Zu der behaupteten erheblichen Erschwerung der Benutzung des Grundstücks wegen einer Beeinträchtigung des Anlieferungsverkehrs für die ansässige Firma werde es nicht kommen. Die verbleibende Rangierfläche sei so groß, dass die Einziehung nicht einmal die Schaffung eines Wendehammers notwendig mache. Die Auflage von Schleppkurvenschablonen für verschiedene Arten von Lastkraftwagen auf einen Lageplan des Grundstücks und der Straße bestätige dies. Sofern in der Freinsheimer Straße verkehrsordnungswidrig geparkt werde, wofür wegen der vorhandenen zahlreichen privaten Firmenparkplätze kein Grund bestehe, sei dies für die straßenrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend. Zudem sei die vorhandene Einfahrt in den hinteren Teil des Grundstücks der Klägerin aufgrund der baulichen Gegebenheiten schon nicht breit genug, um von großen Lastkraftwagen befahren zu werden. Ungeachtet dessen sei die Freinsheimer Straße auch durch große Lastkraftwagen vorwärts und rückwärts befahrbar. Die Zufahrt zum Anwesen der Klägerin sei gewährleistet.

Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, der Bebauungsplan „Gewerbegebiet Altriper Straße, Vorderer Sporwörth“, die Baugenehmigungsakte der Beklagten für das Grundstück der Klägerin und die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (Ausgabe 2006, Stand Dezember 2008 - RASt 2006) sowie zu Bemessungsfahrzeugen und Schleppkurven zur Überprüfung der Befahrbarkeit von Verkehrsflächen (FGSV 287, Ausgabe 2001) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen sowie den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung haben der Ehemann der Klägerin und Gesellschafter der auf ihrem Grundstück ansässigen Firma deren Betriebsabläufe sowie ein Mitarbeiter der Beklagten aus dem Fachbereich Städtebau die mit einem Luftbild aus dem Geoinformationssystem des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung vorgelegten Schleppkurvenschablonen erläutert.

Gründe

A.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Zwar ist die Berufungsbegründung erst am 13.8.2014 und damit nach Ablauf der einmonatigen Begründungsfrist am 7.8.2014 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Der Klägerin ist jedoch auf ihren fristgerecht (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) gestellten Antrag vom 13.8.2014 Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Denn sie hat durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten und dessen Kanzleimitarbeiterin glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO). Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Schriftsatz zur Begründung der Berufung am Montag, dem 28.7.2014 zur Post gegeben wurde, so dass die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass er fristgerecht beim Verwaltungsgerichtshof eingehen würde.

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

I.

Die Klage ist allerdings zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts schließt das baden-württembergische Straßengesetz einen Anspruch des Straßenanliegers auf Aufhebung einer Einziehungsverfügung nicht aus. Zwar enthält es keine Vorschrift, die dem Anlieger einer öffentlichen Straße ausdrücklich ein subjektives Recht auf Verbindung seines Grundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz einräumt. Vielmehr bestimmt § 15 Abs. 1 StrG, dass ihm kein Anspruch darauf zusteht, dass die Straße nicht geändert oder nicht eingezogen wird. Die Ersatz- und Entschädigungsregelungen in § 15 Abs. 2 bis 4 StrG setzen jedoch ein subjektives Recht des Straßenanliegers (§ 15 Abs. 1 StrG) auf eine Verbindung seines Grundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz voraus (Urteil des Senats vom 28.2.2002 - 5 S 1121/00 -, ESVGH 52, 149; zuletzt bestätigt mit Beschluss vom 5.8.2008 - 5 S 760/08 -; ebenso Schnebelt/Kromer, Straßenrecht Baden-Württemberg, 3. Aufl. 2013, Rn. 101, 236). Diese subjektiv geschützte Rechtsposition ist allerdings auf die Befugnisse beschränkt, die der Gesetzgeber dem Anlieger zur Vermeidung einer mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG unverhältnismäßigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentumsrechts mindestens zu gewährleisten hat (Urteil des Senats vom 28.2.2002 - 5 S 1121/00 -, a. a. O.). Danach werden die Bedürfnisse der Anlieger nur in ihrem Kern geschützt (BVerfG, Beschlüsse vom 11.9.1990 - 1 BvR 988/90 -, NVwZ 1991, 358, und vom 10.6.2009 - 1 BvR 198/08 -, NVwZ 2009, 1426). Das Straßengesetz für Baden-Württemberg schützt als subjektives Recht des Straßenanliegers also nur den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kern des Anliegergebrauchs. Dazu gehört die Zufahrt mit einem Fahrzeug nur insoweit, als der Anlieger zur angemessenen Nutzung seines Grundstücks unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten darauf angewiesen ist (vgl. Urteil des Senats vom 28.02.2002 - 5 S 1121/00 -, a. a. O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.5.1999 - 4 VR 7.99 -, NVwZ 1999, 1341). Mit ihrem Vortrag, die Entstehung einer Sackgasse durch die Teileinziehung führe mangels Wendemöglichkeit dazu, dass der Anlieferungsverkehr mit Lastkraftwagen zu ihrem Grundstück nicht mehr stattfinden könne, macht die Klägerin eine Verletzung dieses Kerns des Anliegergebrauchs geltend.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtene Teileinziehung verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auf die objektive Rechtmäßigkeit der Teileinziehung im Übrigen kommt es nicht an. Die Klägerin könnte die Aufhebung der Teileinziehung nur verlangen, wenn diese gegen Normen verstieße, die auch dem Schutz der Klägerin zu dienen bestimmt sind. Das ist nicht der Fall.

1. Rechtsgrundlage für die Teileinziehung ist § 7 Abs. 1 Alt. 1 StrG. Danach kann eine Straße eingezogen werden, wenn sie für den Verkehr entbehrlich ist. Entbehrlich für den Verkehr ist sie nur dann, wenn sie auch für den Anliegerverkehr nicht mehr benötigt wird (Urteil vom 11.8.1980 - V 2182/79 -; vgl. auch Lorenz/Will, Straßengesetz Baden-Württemberg, Handkommentar, 2. Aufl. 2005, § 7 Rn. 10). Dem Anlieger steht nach dem Straßengesetz der Kern seines Anliegergebrauchs als subjektives Recht zu. Soweit dieser Kern betroffen ist, dient das Tatbestandsmerkmal der Entbehrlichkeit in § 7 Abs. 1 Alt. 1 StrG daher auch dem Schutz des Straßenanliegers.

Dagegen kann der Anlieger grundsätzlich nicht verlangen, dass seine Interessen und Belange, die nicht vom Kern des Anliegergebrauchs umfasst sind, im Rahmen des Einziehungsermessens berücksichtigt werden; ein subjektives Recht gewährt ihm das Straßengesetz insoweit nicht (Beschluss des Senats vom 5.8.2008 - 5 S 760/08 -). § 7 Abs. 1 Alt. 1 StrG sieht auch, anders als die Klägerin wohl meint, keine Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange vor; für ein subjektives Recht des Anliegers auf gerechte Abwägung seiner Belange enthält diese Regelung daher keine Anhaltspunkte (vgl. dazu auch Beschluss des Senats vom 19.12.2007 - 5 S 1612/07 -).

2. § 7 Abs. 1 Alt. 1 StrG ist, soweit er auch dem Schutz der Klägerin dient, nicht verletzt. Der Kern des Anliegergebrauchs der Klägerin ist hier durch die Einziehung der Teilfläche der Freinsheimer Straße nicht betroffen; er steht der Annahme der Entbehrlichkeit dieser Straßenfläche daher nicht entgegen. Ob die Teileinziehung im Übrigen rechtmäßig ist, hat der Senat nicht zu überprüfen.

a) Zum Kern des Anliegergebrauchs gehört, wie unter I. ausgeführt, auch die Möglichkeit der Zufahrt zu dem Grundstück, soweit der Eigentümer zur angemessenen Nutzung seines Grundeigentums unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten darauf angewiesen ist. Die angemessene Nutzung eines Grundstücks, das wie dasjenige der Klägerin in einem Gewerbegebiet liegt, erfordert in der Regel die Möglichkeit des Herauffahrens mit Lastkraftwagen. Denn Grundstücke in Gewerbegebieten sind regelmäßig nur erschlossen, wenn diese Möglichkeit besteht (BVerwG, Beschluss vom 9.1.2013 - 9 B 33.12 -, Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 94). Lastkraftwagen müssen von der Straße auf das Grundstück hinauffahren als auch über die Straße wieder abfahren können (vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 2 S 913/05 -, KStZ 2006, 192). Erfordert die Erschließung eines Grundstücks in einem Gewerbegebiet für eine dort genehmigte und ausgeübte Nutzung die Möglichkeit der Zufahrt mit Lastkraftwagen, ist der Anlieger auf diese Zufahrt angewiesen; ihr Fortbestand gehört dann zum Kern des Anliegergebrauchs. Die tatsächliche Möglichkeit, Betriebsabläufe, insbesondere Ladevorgänge, in den öffentlichen Straßenraum zu verlagern, zählt dagegen nicht zum Kern des Anliegergebrauchs. Denn auf tatsächliche Gegebenheiten und Chancen erstreckt sich der Schutz der Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht (BVerfG, Beschluss vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82 -, BVerfGE 68, 193; s. auch BVerwG, Urteil vom 11.11.1983 - 4 C 82.80 -; Urteile des Senats vom 9.12.1999 - 5 S 2051/98 -, NVwZ-RR 2000, 837 - zur Aufstellung eines Verkaufsständers, und vom 16.1.1990 - 5 S 2525/89 -, NJW 1990, 3290 - zu Parkmöglichkeiten).

b) Nach diesen Maßgaben ist der Kern des Anliegergebrauchs der Klägerin auch nach der Teileinziehung gewährleistet.

aa) Der Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung anhand der vorgelegten Schleppkurven und des Luftbilds im entsprechenden Maßstab (1 : 250) davon überzeugt, dass die bislang bestehende Möglichkeit für Lastkraftwagen, auf das Grundstück der Klägerin heraufzufahren, durch die Teileinziehung der Freinsheimer Straße nicht eingeschränkt wird.

Die baurechtlich genehmigte Zufahrt auf das Grundstück der Klägerin ist nur etwa 3,50 m breit. Die Lastkraftwagen, die diese Zufahrt derzeit nutzen können, sind dazu auch nach der Teileinziehung in der Lage. Ihre Ein- und Abfahrtsmöglichkeiten werden nicht eingeschränkt. Derzeit können sie entweder vorwärts in die Zufahrt hineinsetzen, auf die Straße zurücksetzen und dann abfahren oder rückwärts in die Zufahrt einfahren und dann vorwärts abfahren. Beide Varianten sind auch nach der Teileinziehung möglich. Denn die verbleibende Fläche der Freinsheimer Straße geht - von der Ellerstadter Straße aus gesehen - über das Grundstück der Klägerin hinaus und erstreckt sich weitere 12 m Richtung Osten. Diese Strecke genügt ohne weiteres, um die bestehenden Auffahrtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Klägerin zu erhalten. Die in der mündlichen Verhandlung von dem Mitarbeiter der Beklagten demonstrierte Auflage der Schleppkurvenschablonen für Transporter sowie für zwei- und dreiachsige Müllfahrzeuge auf das Luftbild der Zufahrt zum Grundstück der Klägerin und des maßgeblichen Bereichs der Freinsheimer Straße hat dies bestätigt. Danach liegen die Schleppkurven, die die überstrichene Fläche durch die bezeichneten Fahrzeuge bei der Kurvenfahrt - hier der Einfahrt von der Straße in die Zufahrt auf dem Grundstück der Klägerin - angeben (vgl. Nr. 1 FGSV 287, Ausgabe 2001), innerhalb der verbleibenden Rangierfläche (vgl. Schleppkurven 3, 4, 21 - 24 der FGSV 287, Ausgabe 2001).

Dabei geht der Senat entsprechend den RASt 2006, die als von Fachleuten erstellte Vorschriften sachverständig allgemein anerkannte Regeln des Straßenbaus i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 2 StrG konkretisieren (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 4.11.2013 - 8 S 1694/11 -, BauR 2014, 1120), davon aus, dass auch Grundstückszufahrten und Gehwegüberfahrten als Wendeflächen mitbenutzt werden können (Nr. 6.1.2.1 RASt 2006; ebenso die Rechtsprechung zum planerischen Gestaltungsraum der Gemeinden beim Verzicht auf Wendeanlagen, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 8 C 77.88 -, NVwZ 1991, 76; BayVGH, Beschluss vom 30.10.2013 - 6 ZB 11.245 -, juris; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 04.07.2006 - 8 C 11709/05 -, juris). Dies gilt nicht für die baurechtlich genehmigten Stellplätze auf dem Grundstück der Klägerin; diese werden aber auch nicht in Anspruch genommen.

Grundlage der Beurteilung des Senats sind die tatsächlich vorhandenen Flächen, wie sie sich aus dem Luftbild ergeben. Auf die von der Beklagten mitgeteilten und von der Klägerin bestrittenen Maßangaben zur Berechnung der Rangierfläche kommt es deshalb nicht an.

Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung die Verlässlichkeit der vorgelegten Schleppkurvenschablonen in Abrede gestellt hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Schleppkurven ebenso wie die RASt 2006 von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, also von anerkannten Fachleuten, für den Entwurf von Kraftfahrzeugverkehrsanlagen erstellt worden sind (vgl. Nr. 1 FGSV 287, Ausgabe 2001). Ihre Maße sind daher als sachverständige Konkretisierung allgemein anerkannter Regeln des Straßenbaus im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 StrG zu berücksichtigen. Allerdings ist der Einwand des Klägervertreters insoweit berechtigt, als aus den vorgelegten Schleppkurvenschablonen keine sicheren Rückschlüsse auf den Flächenbedarf größerer Lastkraftwagen beim Rückwärtsfahren in der Kurve gezogen werden können. Denn nach Nr. 3 der FGSV 287, Ausgabe 2001, sind die Schablonen für Vorwärtsfahrten anwendbar, für Rückwärtsfahrten jedoch nur näherungsweise für kleinere Fahrzeuge ohne Anhänger, also für zweiachsige „kleine“, nicht aber für dreiachsige „große“ Lastkraftwagen oder Lastzüge (vgl. Tabelle 1 Nr. 3 FGSV 287, Ausgabe 2001). Letztlich kommt es aber auf den genauen Flächenbedarf bei Rückwärtsfahrten größerer Lastkraftwagen nicht an. Denn ihre Auffahrt auf das Grundstück der Klägerin wird bereits durch die Enge der Zufahrt auf dem Grundstück der Klägerin begrenzt; die vorgesehene Teileinziehung führt insoweit zu keiner Verschlechterung. Nach den derzeitigen Betriebsabläufen der Elektronikfirma, die der Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, benutzen größere Fahrzeuge auch nicht die Zufahrt auf dem Grundstück, sondern werden vor dem Grundstück auf der Freinsheimer Straße be- und entladen.

bb) Auf die Frage, ob größere Lastkraftwagen oder auch solche mit Anhänger, die wegen der Enge der Zufahrt schon jetzt nicht auf das Grundstück der Klägerin herauffahren können, nach der Teileinziehung in der Sackgasse der Freinsheimer Straße wenden können, kommt es nicht an.

Dies folgt entgegen der Auffassung der Beklagten zwar nicht daraus, dass diese Fahrzeuge vom Grundstück der Klägerin aus auch rückwärts durch die Freinsheimer Straße bis zur Einmündung in die Ellerstadter Straße setzen könnten. Denn eine solche Fahrweise wäre dem Lieferverkehr mit Blick auf das Straßenverkehrsrecht und Unfallverhütungsvorschriften in der Regel nicht zumutbar (vgl. dazu § 9 Abs. 5 StVO sowie § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII i. V. m. § 46 der „Unfallverhütungsvorschrift Fahrzeuge“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, DGUV Vorschrift 71 mit Durchführungsanweisungen vom Januar 1993, aktualisierte Fassung August 2007; s. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 4.11.2013 - 8 S 1694/11 -, BauR 2014, 1120 und BVerwG, Urteil vom 27.4.1990 - 8 C 77.88 -, NVwZ 1991, 76). Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass Lastkraftwagen, die nicht auf ihr Grundstück herauffahren können, auf der Freinsheimer Straße wenden können. Zum Kern ihres Anliegergebrauchs gehört nicht die derzeit bestehende tatsächliche Möglichkeit, Lastkraftwagen auf der Freinsheimer Straße vor ihr Grundstück fahren zu lassen und dort zu be- und entladen. Ihre Baugenehmigung für den „Neubau eines Betriebsgebäudes mit Wohnung“ vom 15.11.1994 gibt für ein entsprechendes Recht ebenfalls nichts her (vgl. dazu § 16 Abs. 6 Satz 1 StrG).

cc) Unerheblich ist auch, dass die Lastkraftwagen das Grundstück der Klägerin nach der Teileinziehung nur noch von Nordwesten über die Ellerstadter Straße und nicht mehr von Südosten über die Assenheimer Straße erreichen können. Der Anfahrtsweg wird vom Kern des Anliegergebrauchs nicht umfasst. Vielmehr genügt, dass eine ausreichende Verbindung mit dem öffentlichen Verkehrsnetz überhaupt besteht; eventuelle Umwege aufgrund einer (Teil-)Einziehung sind hinzunehmen (Beschluss des Senats vom 22.2.1999 - 5 S 172/99 -, VBlBW 1999, 313; s. dazu auch BVerwG, Urteil vom 15.2.2000 - 3 C 14.99 -, juris).

dd) Tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Einstellung des Betriebs der Elektronikfirma infolge der Teileinziehung sind, ungeachtet der Frage, ob sich die Klägerin als Grundstückseigentümerin überhaupt darauf berufen könnte, weder dargelegt noch ersichtlich. Nach schriftsätzlicher Darstellung der Klägerin und den Erläuterungen ihres Ehemanns in der mündlichen Verhandlung wird die Elektronikfirma regelmäßig mit Transformatoren, verschiedenen elektronischen Geräten, Kabeln und Schaltern, Schläuchen und Armaturen, Leiterplatten und anderen Waren beliefert; außerdem werden die produzierten elektronischen Steuerungen abgeholt. Weshalb diese Gegenstände nicht mit einem zweiachsigen Lastkraftwagen transportiert werden könnten, der in die Zufahrt auf das Grundstück der Klägerin hinein- und nach einmaligen Zurücksetzen wieder vorwärts abfahren könnte (s. o. aa)), erschließt sich nicht. Im Übrigen kann einem Betrieb durchaus auch eine Umorganisation zugemutet werden (BVerwG, Urteil vom 11.11.1983 - 4 C 82.80 -, juris; OVG Berlin, Urteil vom 14.12.1992 - 2 A 4.89 -, juris).

ee) Sollte die Nutzung der Zufahrt zum Grundstück der Klägerin durch parkende Fahrzeuge erheblich beeinträchtigt werden, steht dies einer Einziehung nicht entgegen, sondern kann ausnahmsweise einen Anspruch auf ein verkehrsregelndes Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO begründen (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.2.2002 - 5 S 1121/00 -, a. a. O.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss vom 20. Januar 2016

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 1 GKG auf 7.500,-- EUR festgesetzt (vgl. Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Lukas Jozefaciuk