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OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.01.2016 - 1 U 44/15

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Düsseldorf vom 25. Februar 2015 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 7.910,95 € nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2012 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 60% der weiteren künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche diesem aus dem Verkehrsunfall vom 04.10.2011 in Stadt 1 auf der B-straße in Höhe der Hausnummer ... entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites erster Instanz tragen der Kläger zu 65 % und die Beklagten zu 35 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 80 % und die Beklagten zu 20 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 04.10.2011 in Stadt 1 auf der B-straße ereignet hatte. Der Kläger kollidierte mit seinem Quad mit dem nach in eine linksseitig der Fahrbahn gelegene Parktasche einfahrenden Mazda des Beklagten zu 1., welcher bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist.

Der Kläger, der durch den Unfall eine Unterschenkelmehrfragmentfraktur erlitt, die operativ versorgt werden musste, verlangt den Ersatz der Höhe nach unstreitiger materieller Schäden in Höhe von insgesamt 3.082,98 €, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 20.000,00 € sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für seine zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden. Er habe ordnungsgemäß überholt, während der Beklagte zu 1. ohne Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers in die Parktasche eingefahren sei.

Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 1. habe sich nach dem Überholen des unstreitig rechtsseitig parkenden Lkw weiter auf der Gegenfahrbahn befunden und sei unter Beachtung aller Sorgfaltspflichten nach links in die Parktasche eingebogen.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landgericht der Klage auf der Grundlage einer Haftung der Beklagten von 30 % teilweise stattgegeben und das weitere Begehren zurückgewiesen. Auf der Grundlage der Beweisaufnahme sei festzustellen, dass der Beklagte zu 1. nach dem Passieren des Lkws teilweise auf die rechte Fahrbahnhälfte zurückgefahren sei und der Kläger die sich ergebende Lücke unmittelbar zum Überholen genutzt habe. Damit habe der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt, während der Beklagte zu 1. gegen die doppelte Rückschaupflicht verstoßen habe. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers sei ein Schmerzensgeld i.H.v. 3.600,00 € angemessen. Dazu komme ein materieller Schaden i.H.v. 994,89 € sowie die begehrte Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers.

Der Kläger rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts und hält an seinem erstinstanzlichen Klageziel fest.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Beklagten haften für die unfallbedingten Schäden des Klägers auf der Grundlage einer Quote von 60 % gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Weitergehende Ansprüche stehen dem Kläger jedoch nicht zu, so dass dieser in Höhe der übrigen 40 % selbst für die Unfallfolgen einstehen muss. Hieraus folgt bei einem ohne Berücksichtigung des Mitverschuldens angemessenen Schmerzensgeld i.H.v. 9.000,00 € ein Schmerzensgeldanspruch i.H.v. 5.400,00 € sowie ein Anspruch auf Ersatz materieller Schäden i.H.v. 1.849,79 €. Zudem stehen dem Kläger Ansprüche auf Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten unter Berücksichtigung der selbst zu tragenden Haftungsquote von 40 % sowie auf Ersatz von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 661,16 € zu.

1.

Grundsätzlich haben die Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG für die Schäden einzustehen, die bei dem Betrieb des von ihnen geführten, gehaltenen und versicherten Pkw’s entstanden sind. Da auch der Kläger an dem Unfall mit seinem Kraftfahrzeug beteiligt und der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis war, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge der Beteiligten gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 -, juris; Senat, Urteil vom 08.10.2011, Az.: I-1 U 17/11). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH, Urteile vom 15. November 1960 - VI ZR 30/60 - VersR 1961, 249, 250; vom 8. Januar 1963 - VI ZR 35/62 - VersR 1963, 285, 286; vom 23. November 1965 aaO S. 165; vom 29. November 1977 - VI ZR 51/76 - VersR 1978, 183, 185).

a.

Der Beklagte 1. muss sich bei seinem Abbiegevorgang in die links zur Fahrbahn gelegene Parktasche einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO entgegenhalten lassen, welcher auch der Beklagten zu 2. als Haftpflichtversicherungen zuzurechnen ist.

aa.

Der Beklagte zu 1. hat bei der Ansteuerung der auf der linken Straßenseite befindlichen Parklücke, die aus seiner Sicht einen Winkel von weniger als 90° zur Fahrbahn aufweist, gegen die doppelte Rückschaupflicht verstoßen. Beim Abbiegen nach links ist der Fahrer gehalten, vor dem Einordnen sowie ein zweites Mal vor dem Abbiegen durch eine Rückschau sicherzustellen, dass er den nachfolgenden Verkehr berücksichtigt. Hätte der Beklagte zu 1. dieses getan, hätte er dem Sachverständigen C zufolge den Kläger mit seinem Quad erkennen und den Einbiegevorgang in den Parkplatz zurückstellen können. Da der Beklagte zu 1. bei diesem Abbiegevorgang zudem den fließenden Verkehr verlassen wollte, war es umso bedeutender, dass er die doppelte Rückschaupflicht beachtete. Denn er wollte nicht an einer Kreuzung oder Einmündung links abbiegen, sondern an einer Stelle, die für andere Verkehrsteilnehmer nicht ohne weiteres antizipierbar war.

bb.

Dagegen ist nicht feststellbar, dass der Beklagte zu 1. bei seinem Abbiegevorgang den linken Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt hatte, § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO. Der Kläger selbst hat angegeben, durchgehend links geblinkt zu haben. Die Zeugin D hat zunächst ausgesagt, sie sei sich zwar sicher, dass der Beklagte zu 2. durchgehend den linken Blinker gesetzt hatte, konnte dann aber auf die Nachfrage, ob der linke Blinker des Sportwagens jedenfalls kurze Zeit ausgeschaltet gewesen sei, keine sicheren Angaben machen. Demgegenüber hat der Kläger angegeben, der Beklagte zu 1. habe nur während der Vorbeifahrt an dem Lkw links geblinkt, das sei aber nach dem Schwenk nach rechts zurück auf die rechte Fahrbahnhälfte nicht mehr der Fall gewesen. Der Sachverständige hat diesbezüglich ausgeführt, dass sich der Fahrtrichtungsanzeiger dann, wenn der Beklagte zu 1. zur Ansteuerung der Parklücke etwas nach rechts ausgeholt habe, ausgeschaltet hätte (Bl. 151 d.A.). Andererseits hat die Zeugin D bestätigt, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Kollision der linke Fahrtrichtungsanzeiger aufleuchtete. Auf dieser Tatsachengrundlage lässt sich -entsprechend der Wertung des Landgerichts, das ausführt, der Blinker dürfte (nur) kurz ausgegangen sein (Bl. 174 d.A.) - nicht mit der gemäß § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung feststellen, dass der Beklagte zu 1. vor Einleitung des Abbiegevorgangs den linken Fahrtrichtungsanzeiger nicht betätigt hätte und ihm daher ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO anzulasten wäre.

cc.

Ob der Beklagte zu 1. mit dem Abbiegen in eine neben der Fahrbahn gelegene Parklücke auch gegen die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO und damit gegen eine Gesetzesregelung verstoßen, die an den Abbiegenden mit dem geforderten Ausschluss einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer die höchsten Sorgfaltsanforderungen stellt, kann hier dahin stehen. Dies hängt davon ab, ob dem Begriff "Grundstück" im Sinne des Gesetzes nur alle nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmten Flächen unterfallen oder ob dazu auch alle tatsächlich oder rechtlich öffentlichen Flächen zählen, die nicht dem fließenden Verkehr dienen (Zum Ganzen stellv. Burmann, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. München 2014, § 9 Rdn. 53 m.w.Nw). Der Vergleich mit § 10 StVO, wo das Gesetz zwischen Grundstücken und anderen Straßenteilen unterscheidet, spricht für ein Begriffsverständnis, das Straßenteile, wie eben Parkplätze, Parkstreifen oder Parktaschen neben der Fahrbahn auch dem Grundstücksbegriff in § 9 StVO nicht zurechnet (so auch Senat, Urteil vom 12.07.2004 - I-1 U 39/04; Urteil vom 24.11.1997, AZ.: 1 U 55/97; Urteil vom 17.09.2001 - 1 U 26/01). Andererseits scheint die Gefährdungslage vergleichbar. Und es erscheint nicht ohne Weiteres einsichtig, warum ein Verkehrsteilnehmer, der aus dem fließenden Verkehr nach links in eine private Zufahrt oder auf den Parkplatz eines Praxisgeländes einbiegt, geringeren Sorgfaltsanforderungen unterliegen sollte, als derjenige, der aus dem fließenden Verkehr auf eine von der Fahrbahn abgegrenzte öffentliche Parkfläche abfährt, die aber noch zur Straße gehört. Nach Auffassung des Senats darf in diesen Fällen die rechtliche Einordnung an der Gewichtung nichts ändern. Auch wenn das Abbiegen in einen anderen Straßenteil dem Tatbestand des § 9 Abs. 5 StVO nicht unterfällt, so verlangt das Gebot des § 1 Abs. 2 StVO in diesen Fällen von dem Abbiegenden doch eine besondere Rücksichtnahme auf den nachfolgenden Verkehr, die den Erwartungen, die § 9 Abs. 5 StVO an ihn richtet, gleichkommt. Daher ist hier in jedem Falle von einem gravierenden Verstoß gegen die Pflichten des Abbiegenden auszugehen.

b.

Auf der anderen Seite ist dem Kläger vorzuwerfen, dass er trotz unklarer Verkehrslage und damit unter Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Fahrzeug des Beklagten zu 1. links überholen wollte.

aa.

Dabei besteht eine unklare Verkehrslage nicht bereits deshalb, weil ein voraus fahrendes Fahrzeug langsamer wird. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine unklare Verkehrslage, die ein Überholen verbietet, erst dann entstehen kann, wenn weitere konkrete Umstände hinzukommen, die ein Misstrauen hinsichtlich des weiteren Fahrverhaltens des Vorausfahrenden begründen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 26.10.2006, Az. 12 U 61/06; KG NZV 2003, 89; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2008, Az. I-1 U 175/07). Solche zusätzlichen Umstände hat die Rechtsprechung z.B. angenommen, wenn der Vorausfahrende in seiner Fahrweise unsicher erscheint und den Anschein erweckt, er suche eine Parklücke (vgl. Senat, Urteil vom 23.06.2009 - I-1 U 119/08; OLG Brandenburg a.a.O.) oder wenn er kurz den linken Blinker setzt (OLG Düsseldorf, VersR 1984, 47; KG NZV 2003, 89; LG Karlsruhe, Urteil vom 12.10.2007, Az. 8 O 294/07.

bb.

Eine solche unklare Verkehrslage lag zu dem Zeitpunkt vor, als der Kläger zum Überholen des Beklagtenfahrzeugs ansetzte. Auf der Grundlage der vom Landgericht festgestellten Tatsachengrundlage, bei der konkrete Anhaltspunkte für Zweifel nicht vorliegen und an die der Senat daher gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden ist, ist davon auszugehen, dass sich der Beklagte zu 1. nach der Vorbeifahrt an dem rechtseitig parkenden Lkw im Wesentlichen auf der Gegenfahrbahn verblieb und nur leicht nach rechts ausholte, um dann wieder nach links in Richtung der dort befindlichen freien Parklücke zu fahren. Auch wenn die Sachverhaltsschilderungen der Parteien und die Aussage der Zeugin D gerade den vom Sachverständigen als am plausibelsten angesehenen Ablauf nicht entsprechen, so ist dennoch der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht der Auffassung, dass der Beklagte zu 1. nicht vollkommen auf der linken Fahrbahnhälfte oder der rechten Fahrbahnhälfte gefahren ist, sondern von der linken Fahrbahnhälfte aus einen leichten Schwenk nach rechts vornahm, um die freie Parktasche, die sich in seiner Fahrtrichtung in einem spitzen Winkel darstellte, ansteuern zu können. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass ein Überfahren der gedachten Mittellinie des Beklagtenfahrzeugs etwa mit der halben Fahrzeugbreite deswegen am wahrscheinlichsten erscheint, weil der Beklagte zu 1. in diesem Fall sodann nicht mit einem vollen Lenkradeinschlag nach links in Richtung der am Parktasche gefahren wäre, sondern eine komfortablere Einschlagbewegung hätte ausführen können. Diese entspricht auch dem auf den nach der Kollision aufgenommenen Fotografien dargestellten Radeinschlag des Mazdas. Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dieser Radeinschlag nach dem Unfall verändert wurde, zeigt sich so ein erklärlicher Ablauf des Unfallgeschehens. Eine solche leichte Fahrzeugbewegung nach rechts würde auch den Entschluss des Klägers erklären, das Fahrzeug des Beklagten zu 1. zu überholen, weil sich so jedenfalls eine hinreichende Lücke für den Überholvorgang aufgetan hätte. Wenn der Beklagte zu 1. mit der halben Fahrzeugbreite von 1,72 m auf die rechte Fahrbahnseite fuhr, wäre unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Straßengesamtbreite von 6 m eine Lücke von über 2 m entstanden, durch die der Kläger mit seinem ca. 1,20 m breiten Quad hätte hindurchfahren können. Soweit der Beklagte zu 1. - seiner Einlassung zufolge - vollständig auf der linken Fahrspur verblieben wäre, wäre hingegen der Überholversuch des Klägers in keiner Weise erklärlich. Ebenso unwahrscheinlich erscheint angesichts des geringen örtlichen Abstands des rechtsseitig parkenden LKWs zur Parktasche von ca. 10 m, dass sich der Beklagte zu eins mit seinem Fahrzeug nicht im vollen Umfang auf der rechten Fahrbahnhälfte befunden hätte.

Demnach lenkte der Beklagte zu 1. nach der Vorbeifahrt an dem Lkw nicht eindeutig auf die rechte Fahrbahnhälfte zurück und fuhr nach eigener Einschätzung des Klägers so langsam, dass er selbst davon ausging, dass der Beklagte zu 1. auf der Suche nach einem Parkplatz gewesen sei (Bl. 153 d.A.). Auch war nach den Ausführungen des Sachverständigen die linksseitige freie Parktasche für den Kläger einsehbar. Dies alles begründet die Annahme einer unklaren Verkehrslage, bei welcher nach den Umständen auch aus Sicht des Klägers mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden konnte. Denn die unentschieden wirkende und langsame Fahrweise des Beklagten zu 1. gab dem Kläger hinreichende Veranlassung zu der Annahme, dass der Beklagte zu 1. seine Aufmerksamkeit nicht in dem erforderlichen Maße auf den fließenden Verkehr, sondern auf eine Parkplatzsuche richtete. Da nicht absehbar war, wie der Beklagte zu 1. weiterfahren würde, hätte der Kläger seinen Überholvorgang zurückstellen müssen.

cc.

Ein Verstoß des Klägers gegen das Seitenabstandsgebot des § 5 Abs. 4 S. 2 StVO während des Überholvorgangs kann nicht mit der erforderlichen Überzeugung festgestellt werden. Denn es liegen keine hinreichend genauen Feststellungen darüber vor, in welchem Maße der Beklagte zu 1. wieder zurück auf die rechte Fahrbahn geschwenkt war, nachdem er an dem Lkw vorbeigefahren war. Den diesbezüglichen Überlegungen des Sachverständigen C ist lediglich zu entnehmen, dass der Mazda des Beklagten zu 1. etwa zur Hälfte über die gedachte Mittellinie hinaus gefahren ist. Damit verblieben bei der Annahme einer Gesamtfahrbahnbreite von 6 m unter Berücksichtigung der Breite des Mazda von 1,72 m noch ein Raum von 2,14 m. Zieht man hiervon die Breite des Quads von ca. 1,20 m ab, bliebe ein möglicher Seitenabstand von 96 cm. Bei diesem kann von einer unfallursächlichen Unterschreitung des regelmäßig anzunehmenden Seitenabstands von 1 m nicht die Rede sein, zumal die vorgenannten nur auf Schätzungen beruhen.

c.

Bei der Abwägung der beiderseitigen schuldhaften Verursachungsbeiträge steht dem Verstoß des Beklagten zu 1. gegen die Pflichten des Linksabbiegers, ein Verschulden des Klägers wegen Überholens bei unklarer Verkehrslage gegenüber. Dabei ist der Verstoß des Beklagten zu 1. als etwas schwerer als derjenige des Klägers zu bewerten, weil ihn nach den Umständen besonders hohe Sorgfaltspflichten trafen und er mit dem Abbiegevorgang nach links die Ausgangsursache für die Kollision gesetzt hat. Der Senat hält eine Quote von 60 % zu Lasten der Beklagten für angemessen.

2.

Unter Berücksichtigung der Haftungsquote steht dem Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.400,00 € zu.

a.

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes ist grundsätzlich die Doppelfunktion dieses Anspruchs zu berücksichtigen. Er soll dem Geschädigten - soweit möglich - einen angemessenen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden sowie zugleich Genugtuung für das erlittene Unrecht verschaffen. Bei der Haftung im Zusammenhang mit Unfällen im Straßenverkehr steht dabei regelmäßig die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes im Vordergrund (Senat, Urteil vom 24.05.2011, Az.: I-1 U 220/10 und Urteil vom 07.06.2011, Az.: I-1 U 55/09, KG Berlin, DAR 2002, 266). Maßgeblich für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind Ausmaß und Schwere der psychischen und physischen Störungen, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, die Dauer der stationären Behandlung, die Arbeitsunfähigkeit, die Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung, das Fortbestehen dauernder Behinderungen und Entstellungen, das Alter des Verletzten, der Grad der Verschuldensbeiträge sowie die Auswirkungen auf das berufliche und soziale Leben des Verletzten (BGH NJW 1998, 2741; Senat, Urteil vom 17. 11. 2008, Az.: I-1 U 249/06; Urteil vom 07.06.2011, Az.: I-1 U 55/09). Soweit im Bereich der Verkehrsunfälle im Wesentlichen die Ausgleichsfunktion in Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse im Vordergrund steht, sind die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge als Orientierungshilfe für die Bemessung des Schmerzensgeldes heranzuziehen (BGH VersR 1976, 967; Senat, Urteil vom 18. Oktober 2011, Az.: I-1 U 262/10 sowie Beschluss vom 2. November 2011, Az.: I-1 W 32/11). Jedoch führt die Berücksichtigung dieser vergleichbaren Fälle nicht unmittelbar zu einer bestimmten "richtigen Schmerzensgeldhöhe", so dass nicht allein aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge die Forderung eines Schmerzensgeldes in entsprechender Höhe für den zu entscheidenden Fall abgeleitet werden kann (Senat, Beschluss vom 2. November 2011, Az.: I-1 W 32/11 mit Hinweis auf LG Saarbrücken, Schaden-Praxis 2006, 205 und weiteren Nachweisen).

b.

Der Kläger hat durch den Unfall eine proximale Unterschenkelmehrfragment-Fraktur rechts erlitten, die zwei Tage nach dem Unfall am 06.10.2011 operativ versorgt wurde. Dabei erfolgte eine geschlossene Reposition sowie eine Osteosynthese mittels Nagel und Fragmentschrauben. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Am 17.10.2011 wurde der Kläger zu weiteren ambulanten Behandlung entlassen (Bl. 33 d.A.). Dabei wurde er von E bis März 2012 intensiv behandelt durch Narbenkontrolle, Teilmetallentfernung im Januar 2012 mit Stellschraubenrezeption sowie durch regelmäßige Wundkontrollen bei langsamem Belastungsaufbau. Ab Juni 2012 war der Kläger wieder vollständig arbeitsfähig. Der Abschluss der Behandlung erfolgte am 19.07.2012 (Bl. 38 d.A.). Nach den unbestrittenen Angaben des Klägers ist eine zukünftige Entfernung der implementierten Osteosynthese und damit des eingesetzten Nagels empfehlenswert. Daher sei der Heilungsprozess des Klägers noch nicht abgeschlossen. (Bl. 141 d.A.). Dauerfolgen benennt der Kläger nicht.

c.

Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände sowie der Vergleichsrechtsprechung hält der Senat in eigener Bewertung das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld für zu hoch und beziffert ein angemessenes Schmerzensgeld ohne Berücksichtigung eines Mitverschuldens mit 9.000,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich, aber auch ausreichend zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen. Der Kläger hat zwar über einen Zeitraum von mehr als neun Monaten die Folgen des Unfalls hinnehmen müssen, jedoch sind auch der im Wesentlichen komplikationslose Heilungsverlauf sowie das Ausbleiben von Dauerfolgen zu berücksichtigen. Bei in etwa vergleichbaren Sachverhalten hat etwa das OLG Frankfurt am Main in einem Urteil vom 10.09.2008 - 1 U 184/07 - auf ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000,00 € erkannt (Unterschenkelmehrfach-Fraktur, dreifacher Bruch des rechten Unterschenkels sowie Kniescheibenverletzung bei stationärer Heilbehandlung und einer 100 %-igen Haftung des Schädigers). Weiter ist auf ein Urteil des OLG Saarbrücken vom 17.07.2007 - 4 U 338/06 = BeckRS 2007, 15073 zu verweisen, bei dem einem sechzehnjährigen Schüler nach fünf stationären Aufenthalten mit insgesamt zehn Operationen nach einer schweren Unterschenkelfraktur mit einer langwierigen Heilbehandlung über insgesamt 1,5 Jahre, psychischen Beeinträchtigungen und erheblichen Dauerfolgen bei einer 60-prozentigen Haftung des Schädigers 9.000,00 € zuerkannt wurden. Unter Berücksichtigung des Zeitablaufs und der konkreten Beeinträchtigung des Klägers, die erhebliche Dauerfolgen nicht erkennen lassen, erscheint dem Senat der zugesprochene Betrag als ein gerechtfertigter Schadensausgleich.

3.

Die auch in der Berufungsinstanz weiterhin unstreitigen materiellen Schadensersatzpositionen in Höhe von insgesamt 3.082,98 € berechnen sich unter Berücksichtigung der Haftungsquote auf einen zuzusprechenden Schadensersatz i.H.v. 1.849,79 €.

4.

Angesichts des Umstandes, dass der Heilungsverlauf des Klägers unstreitig noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger sich unter Umständen noch zu einer weiteren Operation entschließt, ist der Feststellungsantrag für die Eintrittspflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden begründet. Der Kläger benennt eine zukünftige Operation zur Entfernung des Osteosynthesematerials als empfehlenswert und gibt damit zugleich zu erkennen, dass er diese Operation nicht mit Sicherheit durchführen lassen will. Daher ist diese aus der Schmerzensgeldbemessung zunächst auszuklammern und dem Feststellungsbegehren zuzuordnen.

5.

Dem Kläger steht zudem Ersatz der Kosten für die außergerichtliche Bevollmächtigung seines Rechtsanwalts in Höhe von 661,16 € zu, weil diese als Kosten der Rechtsverfolgung Bestandteil des Schadenersatzes gemäß § 249 BGB sind. Der maßgebliche Gegenstandswert für die Bestimmung der nach Maßgabe des § 249 BGB ersatzfähigen Anwaltskosten richtet sich nach der Summe der begründeten Schadensersatzforderungen, mit deren Durchsetzung die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor Eintritt der Rechtshängigkeit befasst war. Dieser beträgt 7.419,94 € und führt bei Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr von 1,3 zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer zu dem vorgenannten Betrag.

6.

Die jeweils geltend gemachten Zinsansprüche folgen aus §§ 286 Abs. 2, 288, 291 BGB.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug: 20.658,09 €

Lukas Jozefaciuk