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OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.08.2015 - I-1 U 150/14

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 18. September 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

In Verkennung der Sach- und Rechtslage meint der Kläger weiterhin, eine Anspruchsberechtigung im Umfang von 100 % seiner Unfallschäden durchsetzen zu können. Dies obwohl er anlässlich der Kollision wegen seines Wendevorganges gegenüber dem im fließenden Verkehr auf ihn zugefahrenen Beklagten zu 1) wartepflichtig war und er gleich in zweifacher Hinsicht dafür Sorge tragen musste, dass durch sein Fahrmanöver eine Gefährdung des fließenden Verkehrs ausgeschlossen war. Ein Verschulden der Beklagten zu 1) an der Entstehung des Zusammenstoßes lässt sich nicht feststellen. Für die Behauptung des Klägers, sie sei mit überhöhter Annäherungsgeschwindigkeit auf den Unfallort zugefahren, gibt es weder eine hinreichende Tatsachengrundlage, noch ist der Vortrag als eine rein willkürliche Behauptung der beantragten Beweisaufnahme durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zugänglich.

Unbegründet sind insbesondere die gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und die darauf gestützten Tatsachenfeststellungen vorgebrachten Einwendungen des Klägers. Ganz abgesehen davon, dass er in doppelter Hinsicht mit dem Anschein schuldhafter Unfallverursachung belastet ist, ergibt sich seine alleinige Verantwortlichkeit für die Entstehung des Schadensereignisses aus seinen eigenen Angaben zu seinem vorkollisionären Fahrverhalten sowie aus den glaubhaften Bekundungen der neutralen Unfallzeugin Z1. Der Kläger hat die rückwärtige Annäherung der bevorrechtigten Beklagten zu 1) infolge eines gravierenden Aufmerksamkeitsversagens schlicht übersehen und unternimmt nunmehr den untauglichen Versuch, eine volle Einstandspflicht der Beklagten für die Folgen des Fahrzeugzusammenstoßes darzulegen.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur insoweit zugrunde zu legen, als nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Derartige Zweifel sind im vorliegenden Fall in Bezug auf die Feststellung des Landgerichts zum Hergang des streitigen Unfallgeschehens noch nicht einmal ansatzweise gegeben. Substanzlos ist die Rüge des Klägers, dem Landgericht seien schwerwiegende Verfahrensfehler im Rahmen der Aufklärung des Hergangs des streitigen Unfallgeschehens unterlaufen. Das Landgericht hat völlig korrekt für die Streitentscheidung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Kläger nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises mit der Annahme einer schuldhaften Kollisionsverursachung belastet ist und dass es ihm nicht gelingt, diese Anscheinsbeweiswirkung zu erschüttern oder gar zu widerlegen. Die Tatsachen, die der zu einer vermeintlichen Erschütterung der Anscheinsbeweiswirkung vorbringt, sind allesamt streitig und im Hinblick auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung in Verbindung mit dem Inhalt der beigezogenen Akte 30 Js - OWi 7235/12 StA Düsseldorf nicht stimmig oder gar widerlegt.

I.

1 a )

Unstreitig hatte der Kläger vorkollisionär eine Parktasche vor dem Haus A-Straße ... verlassen, um sodann von der rechten Fahrspur der Straße aus einen Wendevorgang in die Gegenrichtung einzuleiten. Seinem - streitigen - Vorbringen zufolge will er zuvor auf dem äußersten rechten Fahrstreifen der insgesamt vierspurigen Straße angehalten haben, um auf den Gegenverkehr zu achten (Bl. 4 d.A.).

b )

Die polizeiliche Verkehrsunfallskizze (Bl. 5 BA) lässt erkennen, dass der Kläger den Wendevorgang von einer Stelle aus einleiten wollte, die etwa in Höhe seiner anfänglichen Parkposition gelegen war. Denn der in einer abbiegetypischen Schrägstellung dargestellte Pkw Jaguar zeigte mit seinem Heck noch auf das Ende der freigewordenen Parkfläche. Die Lichtbilder, die der Kläger als Anlage K 6 zu den Akten gereicht hat und welche die authentische Kollisionsposition der Fahrzeuge zeigen, verdeutlichen allerdings, dass der Wagen des Klägers in der abbiegetypischen Schrägstellung schon etwas weiter zur Straßenmitte hin vorgefahren war als dies aus der polizeilichen Verkehrsunfallskizze hervorgeht. Nachdem der Pkw VW Polo des Beklagten zu 3) versetzt worden war, um den Verkehr auf der A-Straße nicht weiter zu behindern, haben die Polizeibeamten ihn der Abstellposition am Ende der bezeichneten Parktasche vorgefunden und dies so in der polizeilichen Unfallskizze eingetragen (Bl. 5 BA).

2 )

Die lichtbildlich gesicherte Kollisionssituation und der zeichnerisch dargestellte Endstand der Fahrzeuge lassen keinen Zweifel daran, dass die Einleitung des Wendevorgangs in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Ausfahrt des Klägers aus der Parktasche geschah. Angesichts dieser Sachlage hatte der Kläger im Zuge des beabsichtigten Fahrmanövers gleich in doppelter Hinsicht strenge Sorgfaltsanforderungen zu beachten:

a )

Zum einen war er im Sinne des § 10 StVO ein Verkehrsteilnehmer, der von einem anderen Straßenteil (rechtsseitige Parktasche) auf die Fahrbahn einfuhr. Deshalb musste er sich nach Maßgabe dieser Vorschrift so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Das Lichtbildmaterial verdeutlicht, dass im Moment des Zusammenstoßes der klägerische Pkw Jaguar die typische Schrägstellung inne hatte, die mit einem Wendevorgang einhergeht. Die strengen Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO enden erst in dem Zeitpunkt, zu welchem sich der Fahrzeugführer endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 26. August 2014, Az: I - 1 U 131/13 mit Hinweis auf KG NZV 2007, 359 sowie OLG Köln DAR 2006, 27 und Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2008, 77). Von einer endgültigen Einordnung in den fließenden Verkehr kann indes keine Rede sein. Folgt man der streitigen Darstellung des Klägers, will er sogar zur Vorbereitung des Wendemanövers auf der rechten Spur der A-Straße erst noch angehalten haben.

b )

Nicht minder streng waren die Sorgfaltsanforderungen, auf die der Kläger im Zuge der Durchführung des eigentlichen Wendevorganges achten musste. Denn auch beieinem solchen Fahrmanöver hat sich der Fahrzeugführer nach § 9 Abs. 5 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

3 )

Anlässlich der Parkflächenausfahrt, die unmittelbar in die Einleitung des Wendevorganges überging, kam es zu der Kollision mit der im fließenden Verkehr vorrangberechtigten Beklagten zu 1), die sich mit dem Pkw VW Polo auf der linken Spur der A-Straße näherte. Der Kläger ist unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten mit dem Anschein schuldhafter Unfallverursachung belastet.

a )

Denn er hatte sich zu vergewissern, dass die Fahrbahn für ihn im Rahmen der gebotenen Sicherheitsabstände (§ 4 StVO) frei war und dass er niemanden übermäßig behinderte. Die Verantwortung für die Sicherheit des beabsichtigten Fahrmanövers trifft vor allem den Verkehrsteilnehmer, der sich in einer Einfahrsituation gemäß § 10 StVO befindet (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 26. August 2014, Az: I - 1 U 131/13; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 10 StVO, Rdnr. 10 m.w.N.). Der fließende Fahrbahnverkehr hat Vorrang gegenüber den Benutzern nicht zur Fahrbahn gehörender Flächen (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 10 StVO, Rdnr. 8 mit Hinweis auf BGH VRS 56, 23 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Der fließende Verkehr darf in der Regel auf die Beachtung seines Vorranges vertrauen (Hentschel/König/Dauer a.a.O., mit Hinweis auf BGH a.a.O.). Kommt es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Anschein schuldhafter Unfallverursachung gegen den Einfahrenden (Hentschel/König/Dauer a.a.O., Rdnr. 11 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt Senat a.a.O.).

b )

Zudem war der anschließende Wendevorgang mit einem erheblichen Gefahrenpotential verbunden, weil der Kläger als Linksabbieger dem bevorrechtigten Geradeausverkehr in die Quere kam. Er war deshalb nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO verpflichtet, die gebotene doppelte Rückschau zu halten, um sich über die rückwärtige Verkehrssituation zu vergewissern. Auch musste er eine Abbiege- bzw. Wendeabsicht rechtzeitig und deutlich ankündigen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO). Bei einer Kollision des wendenden mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Kraftfahrzeug spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des wendenden Verkehrsteilnehmers (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 50 mit Hinweis auf BGH DAR 1985, 316 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 16. Dezember 2014, AZ: I - 1 U 25/14).

II.

1 )

Der Wendende trägt die Hauptverantwortung für die Sicherheit dieses Fahrmanövers (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 50 mit Rechtsprechungsnachweisen). Wer wenden will, muss den fließenden Verkehr aus beiden Richtungen vorher vorbei lassen (Hentschel/König/Dauer a.a.O. mit Hinweis auf OLG Schleswig VRS 53, 143). Insgesamt hat sich der Kläger nicht so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gemäß § 9 Abs. 5 StVO ausgeschlossen war.

Denn er hätte von seiner anfänglichen Position in der Parktasche aus den Ausfahr- und Wendevorgang erst dann einleiten dürfen, wenn im Rahmen der nach § 4 StVO gebotenen Sicherheitsabstände gewährleistet gewesen wäre, dass er den bevorrechtigten fließenden Verkehr auf allen vier Spuren der A-Straße weder behinderte noch gefährdete. Da er die Verkehrssituation auf der A-Straße gefahrenneutral wähnte, hat er den Wendevorgang eingeleitet. Aus den durch das Landgericht dargelegten Gründen (Bl. 4-5 UA; Bl. 82-83 d.A.) ist ihm dann infolge eines Aufmerksamkeitsdefizits entgangen, dass sich hinter ihm die Beklagte zu 1. mit dem Pkw VW Polo so dicht genähert hatte, dass er zur Vermeidung eines Zusammenstoßes bis zur Vorbeifahrt seiner späteren Unfallgegnerin von dem beabsichtigten Fahrmanöver hätte Abstand nehmen müssen.

2 a )

Zutreffend hat das Landgericht die Lichtbilder von der Kollision der Fahrzeuge für die Erkenntnis ausgewertet, dass in der letzten vorkollisionären Phase die Beklagte zu 1. mit dem durch sie gesteuerten Wagen zum größten Teil an der linken Seite des Pkw Jaguar vorbeigefahren sein muss, andernfalls der VW Polo das klägerische Fahrzeug nicht erst am Vorderwagen mit dem Hauptanstoß gegen die Vorderachse hätte treffen können (Bl. 5 UA; Bl. 83 d.A.). Deshalb schließt sich der Senat der Feststellung des Landgerichts an, dass der Kläger die anstoßträchtige Annäherung der Beklagten zu 1. spätestens dann auf der weithin einsehbaren A-Straße hätte erkennen können, wenn er sich unmittelbar vor dem abbiegebedingten Wechsel von der rechten auf die linke Fahrspur mittels Außenspiegel und Schulterblick über die rückwärtige Verkehrssituation vergewissert hätte.

b )

Stattdessen sollen - folgt man den Angaben des Klägers bei seiner informatorischen Befragung - sogar bis zu vier Sekunden zwischen seinem "letzten Rückblick" und dem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 3. vergangen sein (Bl. 67 d.A.). Sollte der Kläger entsprechend seiner Darstellung gegenüber den mit der Unfallaufnahme befasst gewesenen Polizeibeamten noch unmittelbar vor Einleitung des Wendevorganges in den linken Außenspiegel geschaut haben, ohne eine Gefahrensituation erkannt zu haben (Bl. 3 BeiA), spricht vieles für die Richtigkeit der Annahme des Landgerichts, dass sich in dieser letzten vorkollisionären Phase der Pkw VW Polo im toten Winkel des linken Außenspiegels des Pkw Jaguar befand; ein Schulterblick hätte die Situation geklärt (Bl. 5 UA; Bl. 83 d.A.). Bei seiner informatorischen Befragung hat der Kläger angegeben, er "habe den Polo vor der Kollision nicht gesehen" (Bl. 67 d.A.). An der Realität vorbei geht deshalb die Schlussfolgerung des Klägers, das Fahrzeug des Beklagten zu 3. sei nicht gegenwärtig gewesen, da es nicht zu sehen gewesen sei (Bl. 122 d.A.).

3 )

Der Zusammenstoß hat sich in den Morgenstunden des 14. Mai 2012 um 9.15 Uhr zugetragen. Nach der Darstellung des Klägers bei seiner informatorischen Befragung kam damals "einiges an Gegenverkehr"; bei der A-Straße handele es sich um "eine stark befahrene Straße, da ist morgens immer was los" (Bl. 67 d.A.). War aber die Durchführung des Wendevorganges wegen der Dichte des morgendlichen Berufsverkehrs in beiden Richtungen nicht gefahrlos möglich, hätte der Kläger von diesem Fahrmanöver absehen müssen. Denn bei starkem Verkehr hat ein Wendevorgang an der beabsichtigten Stelle zu unterbleiben und der Verkehrsteilnehmer muss stattdessen einen Umweg fahren (Hentschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Rdnr. 50 mit Hinweis auf OLG Hamm VersR 2001, 1169).

4 )

Nicht nachvollziehbar ist die Darstellung des Klägers bei seiner informatorischen Befragung, den Beginn seines Wendevorganges habe der Fahrer eines dunklen Pkw VW Golf dadurch "akzeptiert", dass dieser ihn rechts überholt habe (Bl. 66 d.A.). Sowohl die durch die polizeiliche Unfallskizze als auch die durch die Lichtbilder veranschaulichte Kollisionsposition des klägerischen Pkw Jaguar verdeutlichen, dass zwischen dem Heck seines Wagens und dem rechtsseitigen Straßenrand kein Platz mehr war, um einen rechtsseitigen Überholvorgang durch einen Pkw zu ermöglichen. Der Kläger kann somit der Beklagten zu 1. nicht vorhalten, sie hätte sich zur Kollisionsvermeidung so verhalten können und müssen, wie es der angeblichen Fahrweise eines Fahrers eines dunklen Pkw VW Golf entsprochen habe.

III.

Ohne Erfolg bleibt der Versuch des Klägers, die gegen ihn sprechende Anscheinsbeweiswirkung schuldhafter Unfallverursachung durch eine Auflistung streitiger Tatsachenbehauptungen zum Unfallhergang zu erschüttern, aus welchen sich ein unfallursächliches Annäherungsverschulden der Beklagten zu 1. ergeben soll.

Dazu gehören die Behauptungen, die Beklagte zu 1. hätte durch ein vorausschauendes Fahren und rechtzeitiges Abbremsen auf der weit einsehbaren Straße den Zusammenstoß vermeiden können; stattdessen habe sie im wahrsten Sinne des Wortes auf sein Fahrzeug "draufgehalten" und ihr Vorrecht missbraucht, zumal die Beklagte zu 1. mit erhöhter Geschwindigkeit - erstinstanzlich hat der Kläger ein Mindesttempo von 70 km/h behauptet - gefahren sei; eine hinreichende Reaktionsaufforderung habe sich für sie aus dem Umstand ergeben, dass der gesamte Vorgang des Ausparkens bis hin zum Zusammenstoß bis zu 6 Sekunden Zeit in Anspruch genommen habe. Der Kläger verkennt, dass der Anscheinsbeweis nur dann erschüttert oder ausgeräumt werden kann, wenn nach feststehenden, also nach erwiesenen oder unstreitigen, Tatsachen ernsthaft die Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufs in Betracht kommt (Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, § 2, Rdnr. 614 mit Hinweis auf BGH NJW 2013, 2901, Rdnr. 27 mit weiteren Nachweisen). Das gesamte Verteidigungsvorbringen des Klägers, was er gegen die ihn belastende Sachverhaltstypizität mit Anscheinsbeweiswirkung vorbringt, ist indes streitig und keiner Beweisaufnahme zugänglich.

1 )

Aus den Bekundungen der neutralen Augenzeugin Z1, die in ihrem Fahrzeug den Unfallbeteiligten aus der Gegenrichtung entgegenkam, ergibt sich, dass sich das fragliche Geschehen im Wesentlichen so zugetragen hat, wie es dem Verteidigungsvorbringen der Beklagten entspricht. Danach fuhr der Kläger mit seinem Pkw nach dem Verlassen der B-Straße direkt "dem anderen Auto in die Fahrt rein" (Bl. 68 d.A.). Nachdem zunächst "der Jaguar auf der rechten Spur langsam gefahren" war, ist er dann "plötzlich nach links auf die andere Spur gezogen und es kam zur Kollision" (Bl. 69 d.A.). Eine Abwendungsmöglichkeit ergab sich nach der weiteren Darstellung der Zeugin für die Beklagte zu 1. nicht, da nach ihrer Beobachtung "der andere Wagen nicht mehr bremsen konnte" (Bl. 69 d.A.). Eine überhöhte Annäherungsgeschwindigkeit des Pkw VW Polo lässt sich aus der Schilderung der Zeugin nicht ableiten, denn nach Eindruck "wirkte der Wagen nicht übermäßig schnell". Die Zeugin hatte die Ausgangssituation mit der Ausfahrt des Klägers aus der Parktasche auf die rechte Fahrspur und der rückwärtigen Annäherung der Beklagten zu 1. auf der linken Spur zunächst als gefahrenneutral eingeschätzt und sie zeigte sich davon "überrascht, dass es dann zum Unfall gekommen ist" (Bl. 69 d.A.).

2 a )

Entgegen dem Vorbringen des Klägers spricht die glaubhafte Wiedergabe des fraglichen Geschehens durch die Zeugin Z1 gegen die Annahme, dass der Beklagten zu 1. irgendein Annäherungsverschulden anzulasten ist. Insbesondere ist ihr nicht vorzuhalten, sie habe durch ein Reaktions- und/oder Aufmerksamkeitsverschulden die Möglichkeit zu einer Vermeidung des Zusammenstoßes fahrlässig vertan und ihr Annäherungstempo sei mit 70 km/h deutlich überhöht gewesen. Zwar gibt es insofern eine Schwäche in der Schilderung der Zeugin, als sie meinte, die beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge seien auf der A-Straße "eher so ca. 30 m", möglicherweise sogar bis zu "ca. 100 m" vorkollisionär parallel zueinander gefahren (Bl. 69 d.A.). Diese Darstellung ist insbesondere im Hinblick auf die polizeiliche Verkehrsunfallskizze (Bl. 5 BeiA) eindeutig falsch. Danach spricht gegen die Annahme von Parallelbewegungen der Fahrzeuge die zeichnerisch verdeutlichte und zudem lichtbildlich gesicherte Schrägstellung des Pkw Jaguar auf der rechten Fahrspur. Diese Position lässt den Rückschluss darauf zu, dass der Kläger bereits unmittelbar im Zuge des Verlassens der Parktasche die Linkslenkung seines Wagens zur Vorbereitung des Abbiegevorgangs eingeschlagen hatte. Gegen eine Parallelbewegung der unfallbeteiligten Fahrzeuge spricht auch die anfängliche Darstellung der Zeugin Z1, es sei direkt "das ausparkende Auto dem anderen Auto in die Fahrt rein" gefahren (Bl. 68 d.A.). Entgegen der bestreitenden Behauptung des Klägers lässt sich eine solche Darstellung zwanglos mit der lichtbildlich dargestellten Kollisionsstellung der Fahrzeuge und den eingetretenen Fahrzeugschäden vereinbaren. Danach prallte der Pkw VW Polo mit der vorderen rechten Ecke gegen den linken Vorderwagen des Pkw Jaguar mit der Schwerpunktbeschädigung der Vorderachse.

b )

Sollte es allerdings dazu gekommen sein, dass der Pkw VW Polo und der Pkw Jaguar sich in der letzten vorkollisionären Phase auf der linken bzw. auf der rechten Fahrspur in paralleler Ausrichtung der Fahrzeuglängsachsen fortbewegt haben, so kann sich eine solche Fahrt im Hinblick auf die in der polizeilichen Unfallskizze eingetragenen Endstellungen der Wagen nur über eine ganz kurze Distanz vollzogen haben.

Entsprechend der Beweiswürdigung des Landgerichts bestehen somit im Ergebnis keine Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Bekundungen der neutralen Augenzeugin Z1, soweit diese nicht von einer offensichtlichen Fehlhaftigkeit bezüglich einer angeblich beobachteten Parallelfahrt der beteiligten Fahrzeuge beeinflusst war. Ebenso wenig besteht ein Anlass, die Glaubwürdigkeit der Zeugin schlechthin in Zweifel zu ziehen (Bl. 4-5 UA; Bl. 82-83 d.A.). Im Hinblick auf die Bekundungen der Zeugin sind die eher spekulativen Weg/Zeit-Betrachtungen, die der Kläger in seiner Berufungsbegründung als Beleg für die Richtigkeit seiner Behauptung einer Vermeidbarkeit der Kollision durch die Beklagte zu 1. anstellt, gegenstandslos.

IV.

Schließlich ist die Beanstandung des Klägers unbegründet, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zum Nachweis der Richtigkeit seiner Hergangsschilderung unterlassen.

1 )

Soweit der Kläger geltend macht, aus der durch die Zeugin Z1 geschilderten parallelen Bewegung der Fahrzeuge heraus hätte sein Pkw Jaguar nicht die lichtbildlich dargestellte Kollisionsposition mit der deutlichen Schrägstellung erreichen können, bedarf es dazu keiner sachverständigen Unfallanalyse (Bl. 121 d.A.).

a )

Wie bereits ausgeführt, lassen die polizeiliche Verkehrsunfallskizze sowie das Lichtbildmaterial den Rückschluss darauf zu, dass der Kläger bereits im Zuge des Verlassens der rechtsseitigen Parktasche die Linkslenkung seines Fahrzeugs eingeschlagen hatte, um so früh wie möglich den Wendevorgang über die vier Fahrspuren der A-Straße hinweg einleiten zu können. Die Behauptung des Klägers, er sei vorkollisionär noch auf die rechte Fahrspur gezogen und habe dort angehalten, um vor Einleitung des beabsichtigten Fahrmanövers den bevorrechtigten Gegenverkehr zu beobachten, erscheint deshalb alles andere als plausibel.

b )

Selbst wenn man aber von der Richtigkeit dieser streitigen Darstellung ausginge, akzentuierte sie den dem Kläger anzulastenden Fahrlässigkeitsvorwurf. Denn er hätte erst dann von der Parkposition das beabsichtigte Fahrmanöver beginnen dürfen, wenn er sich hätte sicher sein können, dass er den bevorrechtigten Verkehr auf der A-Straße aus beiden Richtungen nicht gefährdete oder behinderte. Statt dessen will er die beabsichtigte Kehrtwendung etappenweise vollzogen haben, indem er zunächst einmal die rechte Fahrspur blockierte, um sodann entgegen seinen strengen Sorgfaltspflichten auch noch für die von hinten aufrückende bevorrechtigte Beklagte zu 1. ein Frontalhindernis auf der linken Spur zu bilden.

2 )

Soweit der Kläger ein Aufmerksamkeits- und/oder Reaktionsverschulden der Beklagten zu 1. behauptet, besteht ebenfalls kein Anlass zu einer entsprechenden ergänzenden Tatsachenaufklärung.

a )

Für eine unfallanalytische Weg/Zeit-Analyse gibt es keine hinreichende Anzahl von Anknüpfungstatsachen. Unstreitig sind vom Kollisionsort keinerlei Unfallspuren gesichert. Da von dem PKW VW Polo keine Bremsspuren überliefert sind, lässt sich im Nachhinein auch nicht mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren, wann für die Beklagte zu 1. eine Reaktionsaufforderung wahrnehmbar war, zu der sie - folgt man der Behauptung des Klägers - kollisionsvermeidend noch eine Abwehrreaktion hätte einleiten können. Im Hinblick auf die Darstellung der Zeugin Z1 ist vielmehr erwiesen, dass die Beklagte zu 1. so plötzlich von dem Wendemanöver des Klägers überrascht wurde, dass sie keinerlei Abwehrmöglichkeit mehr hatte.

b )

Im Übrigen sind die Ausgangsgeschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge unbekannt. Selbst wenn es möglich wäre, aus den Unfallschäden die absoluten Annäherungs- und nicht nur die Relativgeschwindigkeiten der Wagen zueinander zu ermitteln, wäre damit noch immer nicht das Ausmaß des Ausgangstempos der Beklagten zu 1. geklärt. Denn die Beklagten berufen sich darauf, es sei der PKW VW Polo des Beklagten zu 3. vorkollisionär noch abgebremst worden.

3 )

Insbesondere ist die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht zum Nachweis der Richtigkeit der Behauptung des Klägers veranlasst, die Beklagte zu 1. habe sich dem späteren Unfallort mit einem unzulässig hohen Ausgangstempo von 70 km/h statt 50 km/h genähert.

a )

Dabei handelt es sich aus den seitens der Beklagten dargelegten Gründen um eine willkürliche "ins Blaue hinein" aufgestellte Tatsachenbehauptung, die über die beantragte Beweisaufnahme als Ausforschungsbeweis einer Tatsachenaufklärung nicht zugänglich ist. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis ist anzunehmen, wenn die Behauptung einer Partei als willkürlich aus der Luft ergriffen erscheint, weil greifbare Tatsachen fehlen, und die Partei "ins Blaue hinein" vorträgt (vgl. BGH JZ 1985, 183, 184; BGH VersR 1984, 429, 430; BGH NJW 1968, 1233, 1234; zuletzt BGH, Urt. v. 23.04.2015, Az.: VII ZR 163/14 Rn. 19 - zitiert nach Juris). Der Kläger hat bei seiner informatorischen Befragung zugestanden, den PKW VW Polo vor der Kollision gar nicht wahrgenommen zu haben (Bl. 67 d.A.). Aus eigener Wahrnehmung kann er deshalb keine Angaben zu dem Annäherungstempo der Beklagten zu 1. machen.

b )

Als Tatsachengrundlage für die Bestimmung der Ausgangsgeschwindigkeit kommen deshalb nur die an den Fahrzeugen eingetretenen Schäden sowie deren Kollisionsstellung in Betracht. Jedoch lassen auch diese Umstände die Behauptung einer um mindestens 20 km/h überhöhten Annäherungsgeschwindigkeit als willkürlich erscheinen. Denn die lichtbildlich gesicherten Fahrzeugschäden (Bl. 6/7 Beiakte) vermitteln ungeachtet des am Vorderwagen des PKW Jaguar eingetretenen Achsschadens nicht den Eindruck, als sei der PKW VW Polo mit einem Überschusstempo von mehr als 50 km/h mit der vorderen rechten Ecke gegen die vordere linke Seite des PKW Jaguar geprallt. Insbesondere hätte es dann zu einem seitlichen Versatz des Fahrzeuges des Klägers in Fahrtrichtung des VW Polo kommen müssen. Die am Unfallort durch die Polizei gefertigten Lichtbilder gestatten indes nicht die Schlussfolgerung, der Wagen des Klägers sei durch einen Anprall nach rechts aus seiner ursprünglichen Fahrlinie herausgedrängt worden. Für die gegenteilige Behauptung des Klägers finden sich keinerlei Anhaltspunkte. Denn dann hätten die Reifen an der Vorderachse des im Vergleich zu dem PKW VW Polo schweren PKW Jaguar auf der Straßenoberfläche Radierspuren hinterlassen müssen, welche Richtung und Ausmaß der seitlichen Ablenkung nachgezeichneten. Derartige Spuren sind nach den polizeilichen Lichtbildern, welche die Endstellung des klägerischen Fahrzeuges mit der umgebenden Straßenoberfläche in guter Aufnahmequalität zeigen, nicht existent (Bl. 6/7 Beiakte).

V.

Bei der Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17, 18 StVG dürfen zu Lasten einer Partei nur solche Tatsachen Berücksichtigung finden, auf welche sie sich entweder selbst beruft oder die unstreitig oder erwiesen sind. Diese Abwägung fällt hier eindeutig in vollem Umfang zu Lasten des Klägers aus.

Sein gravierendes Aufmerksamkeitsdefizit im Zuge der Verlassens der rechtsseitigen Parktasche bei Einleitung eines Wendevorganges über eine vierspurige verkehrsreiche Straße trotz der gefährlich dichten rückwärtigen Annäherung der bevorrechtigten Beklagten zu 1. ist erwiesen. Hingegen lässt sich nicht feststellen, dass ein irgendwie geartetes Fehlverhalten der Beklagten zu 1. zu der Entstehung des Zusammenstoßes beigetragen hat. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Bekundungen der Zeugin Z1 ist davon auszugehen, dass sich der Wendevorgang des Klägers so dicht vor dem durch sie gesteuerten PKW VW Polo vollzog, dass sie keine Möglichkeit mehr zur Abwendung des Unfalls hatte.

Die allein für das Fahrzeug des Beklagten zu 3. in Ansatz zu bringende Betriebsgefahr fällt deshalb gegenüber dem grob fahrlässigen Fehlverhalten des Klägers nicht mehr (mit)haftungsbegründend ins Gewicht.

Bei einer Kollision des Wendenden mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Kraftfahrzeug spricht nicht nur der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Wendenden, sondern in der Regel trifft diesen auch die volle Haftung (Henschel/König/Dauer a.a.O., § 9 StVO, Nrn. 52 sowie 55 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 16.12.2014, Az.: I - 1 U 25/14).

Auf die Streitfrage, in welchem Umfang dem Kläger ersatzfähige Fahrzeugschäden entstanden sind, kommt es im Ergebnis deshalb nicht mehr an.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 17.426,77 €.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Lukas Jozefaciuk