VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.06.2016 - 5 S 515/14
1. Tempo 30-Zonen kommen nach § 45 Abs 1c S 1 StVO, der die Anordnung solcher Zonen insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf vorsieht, auch in anderen Gebieten in Betracht, in denen - je nach dem mit ihnen verfolgten Zweck - ebenfalls eine schutzbedürftige Wohnbevölkerung vorhanden oder mit schutzbedürftigen Fußgängern und Fahrradfahrern zu rechnen ist.
2. § 45 Abs 9 S 2 StVO, der als speziellere Regelung in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs 1 und § 45 Abs 9 S 1 StVO konkretisiert und verdrängt, sperrt den Rückgriff auf diese allgemeine Regelung auch dann, wenn eine von der speziellen Regelung ausgenommene Beschränkung des fließenden Verkehrs in Rede steht (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, BVerwGE 138, 21).
Verfahrensgangvorgehend VG Sigmaringen, 27. März 2013, Az: 5 K 2158/12, UrteilDiese Entscheidung zitiertRechtsprechungAnschluss BVerwG, 23. September 2010, Az: 3 C 37/09TenorDie Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27. März 2013 - 5 K 2158/12 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27. März 2013 - 5 K 2158/12 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung einer Tempo-30-Zone für ein Teilstück der Fulgenstadter Straße auf Gemarkung der Beklagten.
Die Fulgenstadter Straße (sog. „Rodelbahn“) - eine Gemeindestraße - zweigt in Ortslage von der Herbertinger Straße (Bundesstraße 32) in südwestlicher Richtung - nach Hohentengen und Fulgenstadt (Zeichen 434) - ab, quert nach ca. 150 m die Bahnlinie Aulendorf-Sigmaringen und mündet beim Thermalbad („Sonnenhoftherme“) in die Landesstraße 283 ein. Stadtauswärts steigt die Fulgenstadter Straße deutlich an.
Die Beklagte - eine Kurstadt - baute in den Jahren 1998/1999 die Fulgenstadter Straße mit Mitteln nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) aus. Damit sollte eine „wesentliche Verbesserung der innerstädtischen Verkehrsverhältnisse im Bereich der südöstlich verlaufenden Schillerstraße“ erreicht werden, da man davon ausgegangen war, dass ein Teil des Zielverkehrs zum Thermalbad und zu den nördlichen Gewerbegebieten künftig den näheren Fahrweg über die Fulgenstadter Straße nehmen werde.
Seitdem weist die - ca. 1,5 km lange - Fulgenstadter Straße eine Fahrbahnbreite von ca. 5,5 m auf; entlang ihrer Südostseite verläuft - abgetrennt durch ein Niederbord - ein Gehweg. Zwischen der Bundesstraße und dem Bahnübergang findet sich beidseits der Straße (auch) Wohnbebauung.
Eine zunächst für dieses Teilstück angeordnete Tempo 30-Zone war auf Drängen der Anwohner mehrfach erweitert worden.
Ein gegen den Kläger wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eingeleitetes Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde vom Amtsgericht Bad Saulgau durch Beschluss vom 04.10.2010 - 2 OWi 25 Js 16418/10 - mit der Begründung eingestellt, sein Verschulden wiege gering, weil die verkehrsrechtliche Anordnung aus mehreren Gründen rechtswidrig und zudem schwer verständlich erscheine. Zweifelhaft sei bereits, ob ein Wohngebiet in Rede stehe; auch ein erhöhter Querungsbedarf habe nicht festgestellt werden können. Jedenfalls sei eine Zonenregelung für eine Vorfahrtstraße unzulässig. Straßen mit wesentlicher Verkehrsbedeutung eigneten sich nicht zur Einbeziehung in geschwindigkeitsbegrenzte Zonen.
Daraufhin hob die Beklagte die Tempo 30-Zone im Bereich der Fulgenstadter Straße auf.
Auf Betreiben der Anwohner fand am 28.07.2011 eine gemeinsame Ortsbesichtigung statt, an der auch Vertreter der höheren Straßenverkehrsbehörde teilnahmen. Dabei verwiesen die Anwohner auf die relativ geringe Straßenbreite, die einen Begegnungsverkehr mit Lkw kaum zulasse. Immer wieder wichen Lkw auf den Gehweg aus, wodurch Fußgänger gefährdet würden. Häufig seien neben Kurgästen auch Kinder unterwegs, die den nahe gelegenen Spielplatz auf der Schillerhöhe aufsuchten. Die höhere Straßenverkehrsbehörde hielt eine Tempo 30-Zone im unteren Bereich der Fulgenstadter Straße sowie begleitende Maßnahmen für möglich.
Nach hausinterner Klärung sollte für das Teilstück „zwischen der Herbertinger Straße und knapp über der Bahnlinie“ wieder eine Tempo 30-Zone eingerichtet werden. Weitere Maßnahmen wurden nicht weiter verfolgt.
Die untere Straßenverkehrsbehörde der Beklagten traf dann am 02.09.2011 die verkehrsrechtliche Anordnung, in Verbindung mit der bereits bestehenden Tempo 30-Zone im angrenzenden Wohngebiet „Unterm Kirchberg" auch in der Fulgenstadter Straße zwischen Bahnlinie und Bundesstraße wieder eine Tempo 30-Zone einzurichten (Zeichen 274.1-50/274.2-50 StVO zu Beginn der Fulgenstadter Straße, ca. 10 m nach der Abzweigung von der Bundesstraße, und für die Gegenrichtung ca. 10 m vor der Eisenbahnlinie). Die Vorfahrtsregelung an der Kreuzung Fulgenstadter Straße/Unterm Kirchberg/Robert-Bosch-Straße werde „ausnahmsweise beibehalten“ (vgl. den Erledigungsvermerk zu Ziff. 2 des Protokolls vom 14.10.2011, /2/4).
Nachdem die angeordnete Tempo 30-Zone am 13.10.2011 eingerichtet worden war, erhob der Kläger, der die Fulgenstadter Straße nach wie vor regelmäßig zum Zwecke des Besuchs des Thermalbads befährt, am 29.12.2011 Widerspruch gegen die neuerliche Aufstellung der Verkehrszeichen. Zur Begründung verwies er auf den Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts.
Am 15.05.2012 wies das Regierungspräsidium Tübingen die Beklagte an, die in der Zone aufgestellten Vorfahrtzeichen zu entfernen.
Mit Schreiben vom 12.06.2012 berichtete die Beklagte, das Vorfahrtzeichen an der Kreuzung Alte Fulgenstadter Straße/Robert-Bosch-Straße/Unterm Kirch- berg „gestern“ entfernt zu haben, sodass nunmehr die Regelung „rechts vor links" gelte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2012 wies das Regierungspräsidium Tübingen den Widerspruch zurück. Zwar sei der Kläger widerspruchsbefugt, da er zumindest in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt sein könne. Die Tempo 30-Zone in der Fulgenstadter Straße entspreche den in § 45 Abs. 1c und Abs. 9 Satz 2 und § 39 Abs. 1a StVO geregelten Voraussetzungen. Allein der Umstand, dass der Verkehr von der B 32 über die Fulgenstadter Straße nach Hohentengen und zum Thermalbad geleitet werde, mache sie noch nicht zu einer Straße des überörtlichen Verkehrs. Denn diese werde letztlich nur von den Verkehrsteilnehmern aus dem näheren nordöstlichen Bereich genutzt, die über die Fulgenstadter Straße nach Hohentengen bzw. zum Thermalbad geleitet würden. Es handle es sich auch um keine Straße von wesentlicher Verkehrsbedeutung. Die Hauptverbindungsstraße zum Thermalbad sei die L 283. Entlang des Straßenabschnitts, der jetzt in die Tempo 30-Zone einbezogen worden sei, liege auch ein Wohngebiet vor, da es sich überwiegend um Wohngebäude handle; der Gewerbebetrieb werde über die B 32 erschlossen. § 45 Abs. 1c StVO setze darüber hinaus keine hohe Fußgänger- und Radverkehrsdichte und keinen Querungsbedarf voraus. Die Ermessensentscheidung habe dem Schutz der Anwohner den Vorrang vor dem Interesse der die Fulgenstadter Straße benutzenden Verkehrsteilnehmer gegeben, die auf dem kurzen Stück von der B 32 bis zur Bahnlinie 50 km/h statt 30 km/h fahren wollten. Dies sei nicht zu beanstanden gewesen, da auf diesem Abschnitt jederzeit damit gerechnet werden müsse, dass ein Fußgänger die Straße überquere. Auch die Bahnlinie müsse per se vorsichtig gequert werden. Auch auf dem anschließenden Straßenstück könne aufgrund der geringen Straßenbreite im Hinblick auf Begegnungsverkehr regelmäßig nur unter 50 km/h gefahren werden.
Der Kläger hat am 31.07.2012 Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Hierzu hat er vorgetragen: Die Anordnung einer Tempo 30-Zone sei schon deshalb rechtwidrig, weil die Fulgenstadter Straße mit Subventionen des Landes ausgebaut worden sei, was vorausgesetzt habe, dass auf ihr überörtlicher Verkehr stattfinde. Infolge des Baus des Thermalbades und der Ausweitung des Gewerbegebiets „Wiesenstraße“ habe der Verkehr auf der Fulgenstadter Straße erheblich zugenommen, sodass deren Ausbau dringend notwendig geworden sei. Auch das Einkaufszentrum S. an der B 32 habe einen überregionalen Einzugsbereich. Aus diesem Grunde benutze auch ein erheblicher Käuferkreis aus der „Göge“ die Fulgenstadter Straße. Bei einem selbst eingenommen Augenschein am 18.06.2012 hätten zwischen 17.30 - 17.45 Uhr 141 Kfz die Straße benutzt. Fußgänger und Radfahrer seien nicht unterwegs gewesen. Auch Querverkehr habe nicht stattgefunden. Hierfür bestehe auch kein Bedarf, da die Anwohner der Robert-Bosch-Straße über die Herbertinger Straße in die Stadt gelängen. Etwaiger Querverkehr könne ohnehin nicht schneller als 30 km/h fahren. Nach der demnächst vorgesehenen Schließung des Bahnübergangs werde der Verkehr noch zunehmen. Im Bereich der Tempo 30-Zone gebe es keine unmittelbaren Anwohner, da die Grundstücke nicht unmittelbar von der Fulgenstadter Straße erschlossen würden. Aufgrund der Gewerbebetriebe liege auch kein Wohngebiet vor. Nicht ersichtlich sei, warum die Anordnung einer Tempo 30-Zone nach § 49 Abs. 9 Satz 1 StVO „aufgrund besonderer Umstände zwingend geboten“ sein sollte. Zonengeschwindigkeitsbegrenzungen kämen nach der VwV-StVO nur dort in Betracht, wo dem Durchgangsverkehr nur geringe Bedeutung zukomme. Sie dienten vorrangig dem Schutz der Wohnbevölkerung sowie von Fußgängen und Fahrradfahrern. Auch das Regierungspräsidium gehe letztlich von einer Entlastungsstraße mit erheblichem Durchgangsverkehr aus. Auch dürften in einer solchen Zone - anders als hier - keine Leitlinien markiert sein. Dass Fahrzeuge teilweise auf den Gehweg ausweichen müssten, treffe nicht zu, da die Straße nur von Lkw mit einem maximalen Gesamtgewicht von 18 t befahren werden dürfe. Vom Beginn der Zone finde sich stadteinwärts bis zu ihrem Ende keine Randbebauung, vielmehr befänden sich dort nur durchgehende Hecken. Es gebe nur minimalen Fußgängerverkehr, kaum Fahrradverkehr und keinen Querungsverkehr. Aufgrund der längs gepflanzten Hecken sei ein Überqueren der Straße auch nicht möglich. Die Nutzer der Wohnmobilstellplätze beim Thermalbad würden eher - entlang der L 283 - das Stadtzentrum als - entlang der Fulgenstadter Straße - das weiter entfernt gelegene Einkaufszentrum S. aufsuchen. Die Ermessensausübung im Widerspruchsbescheid sei mehr als dürftig. Sie werfe die Frage auf, warum eine Tempo 30-Zone überhaupt benötigt werde, wenn ohnehin nicht schneller gefahren werden könne.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Hierzu hat sie auf den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidium Tübingen sowie dessen Stellungnahme vom 23.08.2012 verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt: Die Rechtmäßigkeit einer verkehrsrechtlichen Anordnung beurteile sich nach der für sie maßgeblichen Rechtsgrundlage und nicht nach förderrechtlichen Bestimmungen. Sollte eine solche förderschädlich sein, ergäben sich allenfalls Konsequenzen für die Förderung. Bei der Fulgenstadter Straße handle es sich im Übrigen nicht um eine Hauptverkehrsstraße, sondern um eine Entlastungsstraße i. S. v. Nr. 3.1.1 VwV-GVFG, nämlich eine „verkehrswichtige innerörtliche Straße in kommunaler Baulast, die zu einer erheblichen Entlastung von Hauptverkehrsstraßen führt“. Bei der verkehrsrechtlichen Anordnung sei es ersichtlich vorrangig um den Schutz der Anwohner gegangen. Dies habe auch das Regierungspräsidium betont. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1c StVO für die Anordnung einer Tempo 30-Zone lägen vor. Die Einrichtung einer solchen komme auch in anderen, vergleichbaren Situationen in Betracht, sodass das Vorhandensein von Gewerbebetrieben unschädlich sei. Die Fulgenstadter Straße, bei der es sich um einen „Schleichweg“ für Ortskundige handle, sei in hohem Maße von Fußgängern und Fahrradfahrern frequentiert. Viele Kurgäste liefen entlang der Straße zum Einkaufszentrum S. jenseits der Herbertinger Straße. Dass der Gehweg in erheblichem Umfang genutzt werde, könne der Gemeindevollzugsbeamte G. bestätigen. Die vorhandene Straßenbreite lasse Begegnungsverkehr größerer Fahrzeuge nur bei vorsichtiger Fahrweise und unter voller Inanspruchnahme der Fahrbahnbreite zu, sodass für Fußgänger und Radfahrer regelmäßig eine Gefährdungssituation entstehe. Lediglich im Bereich des Bahnübergangs sei auf Forderung des Eisenbahnbundesamtes eine Mittelmarkierung in Verbindung mit je einer Haltelinie angebracht worden. Dies sei mit einer Tempo 30-Zone durchaus kompatibel. Anordnungen von Tempo 30-Zonen und Zonen-Geschwindigkeitsbegrenzun-gen seien nicht nur von der Regelung in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, sondern auch von der Grundregel des Satzes 1 ausgenommen. Anders lasse sich der in Satz 2 zum Ausdruck gebrachte Wille des Verordnungsgebers auch nicht verwirklichen, zumal die Einrichtung solcher Zonen gerade habe erleichtert werden sollen. Qualifizierte und damit abwägungserhebliche Interessen des Klägers, der noch nicht einmal in Bad Saulgau wohne, seien nicht ersichtlich.
Nach Inaugenscheinnahme des von der Tempo 30-Zone erfassten Teilstücks der Fulgenstadter Straße hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 27.03.2013 - 5 K 2158/12 - abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Anordnung der Aufstellung der Verkehrszeichen sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Da es sich um Dauerverwaltungsakte handele, sei für deren rechtliche Beurteilung der Zeitpunkt der (letzten) Tatsachenverhandlung maßgeblich. Hierbei komme es allein auf die Regelungen in der Straßenverkehrsordnung an. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO könnten die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken. Der als amtliche Auskunftsperson gehörte Polizeibeamte habe ausgeführt, dass die Unfallstatistik zwar unauffällig sei, in dieser jedoch auch nur bedeutende Unfälle erfasst seien. Die Zahl der Unfälle habe er auf 2 bis 3 in 3 - 4 Jahren geschätzt, sodass sie noch im unteren Bereich liege. Allerdings habe das Gericht zeitweise erheblichen Pkw-Verkehr auf der Fulgenstadter Straße festgestellt. Genauere Verkehrsmessungen seien freilich nicht erfolgt. Eine frühere Prognose für 2010 sei von 2.900 Kfz/24h ausgegangen. Die Straße sei im maßgeblichen Bereich relativ eng, sodass passierende Fahrzeuge Vorsicht walten lassen müssten, zumal der Bereich bis zur Straße von parkierenden Fahrzeugen genutzt werde. Eine Gefährdung von Fußgängern sei nicht auszuschließen, da der Gehweg nur ca. 1,5 m breit sei. Insofern bestehe die Gefahr, dass Personen auf die Fahrbahn ausweichen müssten. Gelegentlich müsse auch die Straße überquert werden. Aufgrund der geringen Fahrbahnbreite erscheine auch eine Gefährdung durch Lkw plausibel. Die angefochtene Tempo 30-Zone entspreche auch den rechtlichen Anforderungen des § 45 Abs. 1c StVO und sei ermessensfehlerfrei. Bei dem fraglichen Bereich handle es sich um ein Wohngebiet. Sowohl der südöstliche als auch der nordwestliche Bereich seien fast ausschließlich durch Wohnbebauung geprägt. Der Gewerbebetrieb nordwestlich der Fulgenstadter Straße sei primär zur Herbertinger Straße (B 32) hin ausgerichtet. Die Einordnung des maßgeblichen Bereichs als Wohngebiet werde dadurch nicht in Frage gestellt. Bei der Fulgenstadter Straße handele es sich nicht um eine Straße des überörtlichen Verkehrs. Die Zonenanordnung beziehe sich auch nicht auf eine sonstige Vorfahrtsstraße. Die zunächst noch aufgestellten Verkehrszeichen seien inzwischen entfernt. Soweit vor der Abzweigung des Ghaiwegs aus der Fulgenstadter Straße noch ein Zeichen 306 "Vorfahrtsstraße" und dem korrespondierend das Zeichen 205 "Vorfahrt gewähren" festzustellen gewesen sei, habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, dass auch diese beiden Schilder unverzüglich entfernt würden. Die Anordnung verstoße auch nicht gegen § 45 Abs. 1c Satz 3 StVO. Zwar sei im Bereich der Bahnlinie eine je ca. 20 m lange Leitlinie und jeweils eine quer auf der Fahrbahnhälfte angebrachte Haltelinie vorhanden. Jedoch diene diese Markierung der Sicherheit bei der Querung der Bahnlinie und sei daher ausnahmsweise unschädlich. Auch die Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Das Interesse des Klägers, auf dem kurzen Bereich der Tempo 30-Zone nicht 50 km/h, sondern nur 30 km/h fahren zu dürfen, sei nicht ernsthaft von nennenswertem Belang, zumal er bei Einbiegen in die Fulgenstadter Straße ohnehin herunterschalten müsse und die Geschwindigkeitsbegrenzung nur auf einem kurzen Teilstück gelte. Der Anordnung stehe auch nicht § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO entgegen, wonach Verkehrszeichen nur dort anzuordnen seien, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten sei. Das Gericht schließe sich der Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts an, wonach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO für die Einrichtung einer Tempo 30-Zone auch die Anwendbarkeit des Satzes 1 sperre. Anderenfalls könne die gewollte Ausweitung solcher Zonen kaum greifen.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers mit ihm am 24.03.2014 zugestelltem Beschluss vom 12.03.2014 - 5 S 1125/13 - die Berufung gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob eine Tempo 30-Zone nach § 45 Abs. 1c StVO nur unter der weiteren Voraussetzung des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO dort anzuordnen ist, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.
Entsprechend ihrer im Zulassungsverfahren abgegebenen Zusicherung hat die Beklagte inzwischen die Leitlinien (Zeichen 340) beidseits des Bahnübergangs beseitigt.
Der Kläger hat die zugelassene Berufung am 23.04.2014 begründet. Hierzu macht er im Wesentlichen geltend, dass dadurch, dass § 45 Abs. 9 Satz 2 1. Hs. 1 StVO Tempo 30-Zonen von den verschärften Anforderungen für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ausnehme, die allgemeinen Anforderungen nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO zu beachten seien, die hier jedoch nicht erfüllt seien. So lägen normale innerstädtische Verkehrsverhältnisse vor. Sollte der Verordnungsgeber, um die Einrichtung solcher Zonen zu erleichtern, auch eine Ausnahme von jenen allgemeinen Anforderungen gewollt haben, hätte er dies klar und deutlich zum Ausdruck bringen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27.03.2013 - 5 K 2158/12 - zu ändern und die durch die Zeichen 274.1 und 274.2 bekanntgemachte verkehrsrechtliche Anordnung einer Tempo 30-Zone in der Fulgenstadter Straße und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 02.07.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hierzu führt sie aus, dass alle in § 45 Abs. 9 StVO getroffenen Regelungen in den Blick zu nehmen seien. Danach würden aber nur mit den Regelungen in den Sätzen 2 und 4 erkennbar Zwecke der Verkehrssicherheit verfolgt. Satz 3 verfolge ganz andere Ziele. Mit Satz 1, der lediglich „besondere Umstände“ fordere, solle demgegenüber in erster Linie nur dem „Schilderwald“ begegnet werden. Die Regelungen in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO zielten darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung zu verdeutlichen. Dies komme auch in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 22.10.1998 i.d.F. vom 17.07.2009 zum Ausdruck. Diese allgemein geltende Grundregel werde von den speziellen Regelungen in ihrem Anwendungsbereich letztlich deshalb verdrängt, weil deren Voraussetzungen die Anforderungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO bereits als erfüllt erscheinen ließen. Seien die besonderen Anforderungen nicht zu erfüllen, verbleibe es bei der allgemeinen Regel. Dies bedeute indes nicht, dass jede Verkehrsregelung als solche materiell zwingend sein müsste. Dies folge schon daraus, dass von Verkehrszeichen und nicht von den dahinter stehenden materiellen Regelungen die Rede sei. Auch wäre solches nicht mit dem den Straßenverkehrsbehörden eingeräumten Ermessen zu vereinbaren. Dies werde durch die Verordnungsbegründung bestätigt, wonach die Einrichtung von Tempo 30-Zonen jenseits der Hauptverkehrsstraßen gerade habe erleichtert werden sollen. Zur Vermeidung einer dem Willen des Verordnungsgebers nicht entsprechenden verengenden Interpretation sei § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO so zu verstehen, dass Verkehrszeichen nur dort angeordnet werden dürften, wo dies aufgrund der besonderen Umstände gerade zur Erreichung des mit der jeweiligen Anordnung verfolgten Zwecks zwingend geboten sei. Vorrang komme daher den nach § 45 Abs. 1 bis 1e StVO zulässigen Ziele und Regelungsmöglichkeiten zu. Lediglich dann, wenn diese Ziele anderweitig erreicht würden, sei das vorgesehene Verkehrszeichen nicht zwingend geboten. Dies sei hier nicht der Fall, da das Ziel der Verkehrsberuhigung mangels anderweitiger Regelungen nur auf diese Weise erreicht werden könne.
Der Senat hat im Zuge der mündlichen Verhandlung am 15.06.2016 das von der verkehrsrechtlichen Anordnung betroffene Teilstück der Fulgenstadter Straße und dessen nähere Umgebung in Augenschein genommen; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift und die entsprechende Anlage Bezug genommen.
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, des Regierungspräsidiums Tübingen und des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor, auf die ebenso wie auf die Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen wird.
Gründe
Die nach Zulassung durch den Senat nach § 124 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I.
Die Anfechtungsklage (vgl. § 42 Abs. 1 VwGO) gegen die durch die Verkehrszeichen 274.1 und 274.2 bekannt gemachte verkehrsrechtliche Anordnung einer Tempo 30-Zone ist zulässig.
Die eine Tempo 30-Zone kennzeichnenden Verkehrszeichen 274.1 und 274.2, die das Gebot enthalten, innerhalb der Zone nicht schneller als 30 km/h zu fahren, stellen - wie andere Verkehrsverbote und -gebote auch - einen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG dar (st. Rspr. seit BVerwG, Urt. v. 09.06.1967 - 7 C 18.66 -, BVerwGE 27, 181 u. v. 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, BVerwGE 59, 221). Sie werden gemäß § 43 VwVfG gegenüber demjenigen, für den sie bestimmt sind oder der von ihnen betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm bekannt gegeben werden. Die Bekanntgabe erfolgt nach den bundesrechtlichen (Spezial-) Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung durch Aufstellen des Verkehrsschildes (vgl. § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 4 StVO; BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, BVerwGE 138, 21).
Der dagegen am 29.12.2011 erhobene Widerspruch des Klägers ist auch innerhalb der wegen Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung einjährigen Widerspruchsfrist (vgl. §§ 70 Abs. 1 Satz 1, 58 Abs. 2 VwGO) erhoben worden. Diese hatte gegenüber dem Kläger nicht schon mit dem neuerlichen Aufstellen der Verkehrszeichen am 13.10.2011, sondern erst zu laufen begonnen, als er sich ihnen erstmals gegenübersah (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010, a.a.O.).
Der Klage fehlt auch nicht die erforderliche Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Bereits durch sein erneutes Befahren der Fulgenstadter Straße in Richtung des Thermalbades war der Kläger Adressat des neuerlichen Verkehrsverbots geworden, wodurch er in rechtlich beachtlicher Weise belastet wurde. Insofern kommt zumindest eine Verletzung der allgemeinen Freiheitsgewährleistung nach Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 19). Insbesondere kann ein Verkehrsteilnehmer - wie hier - geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung seien nicht gegeben.
Der Klage fehlt auch nicht deshalb das erforderliche Rechtsschutzinteresse, weil auszuschließen wäre, dass er jemals wieder mit der angefochtenen Verkehrsregelung konfrontiert würde (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 21.08.2003, a.a.O.). Denn der Kläger benutzt die Fulgenstadter Straße regelmäßig, um das Thermalbad zu besuchen.
II.
Die Anfechtungsklage ist unbegründet.
Die angefochtene verkehrsrechtliche Anordnung einer Tempo 30-Zone (Zeichen 274.1 und 274.2) auf einem Teilstück der Fulgenstadter Straße und der sie bestätigende Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 02.07.2012 sind, soweit sie gerichtlicher Kontrolle unterliegen, rechtmäßig und verletzen den Kläger daher auch nicht in seinen Rechten (vgl. §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO).
Maßgeblich für den Erfolg einer Anfechtungsklage gegen verkehrsbezogene Ge- und Verbote, die regelmäßig den Dauerverwaltungsakten zuzurechnen sind (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 , a.a.O. m.w.N.), ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung (st. Rspr.; vgl. für verkehrsbeschränkende Anordnungen u.a. BVerwG, Urt. v. 27.01.1993 - 11 C 35.92 -, BVerwGE 92, 32, Urt. v. 14.12.1994 - 1 C 25.93 -, BVerwGE 97, 214, Urt. v. 21.08.2003 , a.a.O., Urt. v. 23.09.2010, a.a.O.; Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42.09 -), hier also der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15.06.2016.
Danach ergibt sich der rechtliche Maßstab für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung einer Tempo 30-Zone aus der Straßenverkehrs-Ordnung in der Fassung der Verordnung vom 06.03.2013 (BGBI I S. 367), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 15.09.2015 (BGBl I S. 1573).
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, der durch die Anfügung von § 45 Abs. 9 StVO zwar modifiziert und ergänzt, nicht aber ersetzt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.04.2001 - 3 C 23.00 -, Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41), können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Unter anderem aus diesen - hier allein in Rede stehenden - Gründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1994, a.a.O.; Nds. OVG, Urt. v. 18.07.2006 - 12 LC 270/04 -, NordÖR 2006, 503; König, in Hentschel/König/Dauer, StVO 43. A. 2015, § 45 Rn. 37, Bouska, NZV 2001, 27) können die Straßenverkehrsbehörden innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf (im Einvernehmen mit der Gemeinde) auch Tempo-30-Zonen anordnen (vgl. § 45 Abs. 1c Satz 1 StVO). Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken (Satz 2). Sie darf nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295), Leitlinien (Zeichen 340) und benutzungspflichtige Radwege (Zeichen 237, 240, 241 oder Zeichen 295 in Verbindung mit Zeichen 237) umfassen (Satz 3). An Kreuzungen und Einmündungen innerhalb der Zone muss grundsätzlich die Vorfahrtregel nach § 8 Absatz 1 Satz 1 StVO („rechts vor links“) gelten (Satz 4).
Da es der Beklagten letztlich um die Sicherheit der auf dem Gehweg verkehrenden Fußgänger ging bzw. geht (und nicht etwa um anders nicht vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr, vgl. § 45 Abs. 1a StVO), kommt als zulässiger Grund für die Anordnung der Tempo 30-Zone allein § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO in Betracht. Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraus. Dafür bedarf es nicht des Nachweises, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Die Annahme einer die Anordnung rechtfertigenden konkreten Gefahr ist dabei nicht ausgeschlossen, auch wenn zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich sein mag (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.04.1996 - 11 C 3.96/11 B 11.96 - m.w.N.).
Aufgrund der eher geringen Fahrbahnbreite der Fulgenstadter Straße von 5,50 m, ihres stadteinwärts vorhandenen, deutlichen Gefälles und der nur mäßigen Sicht ist auch nach - aufgrund des eingenommenen Augenscheins gewonnener - Einschätzung des Senats zu besorgen, dass insbesondere den südöstlichen Gehweg benutzende und die Fulgenstadter Straße im Bereich des gemeinsamen Einmündungsbereichs von Robert-Bosch-Straße und der Straße Unterm Kirchberg querende Fußgänger bei Begegnungsverkehr von Kraftfahrzeugen konkret gefährdet werden. Denn auf der Fulgenstadter Straße mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h verkehrende Kraftfahrzeuge werden aufgrund des im Bereich des Bahnübergangs nicht vollständig einsehbaren weiteren Straßenverlaufs etwaigen Begegnungsverkehr erst spät erkennen und bei ihren Ausweichbemühungen Fußgänger wahrscheinlich dadurch gefährden, dass sie ihnen auf dem südöstlich entlang führenden Gehweg zu nahe kommen, diesen möglicherweise gar teilweise überfahren oder unvermittelt auf die Fahrbahn tretende Fußgänger nicht rechtzeitig erkennen. Ein Schadenseintritt erscheint nicht zuletzt deshalb hinreichend wahrscheinlich, weil insbesondere der stadteinwärts fahrende Verkehr aufgrund des abfallenden Straßenverlaufs, der den Blick auf die beidseitige Wohnbebauung und den vorbezeichneten Einmündungsbereich nicht sogleich freigibt, dazu verleitet wird, die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h jedenfalls auszunutzen oder gar zu überschreiten; dies wird nicht zuletzt durch die von der Beklagten im Termin übergebene „Verkehrsdatenauswertung“ von Mai/Juni 2016 bestätigt.
Auf dem in Rede stehenden Teilstück der Fulgenstadter Straße kommt nach § 45 Abs. 1c StVO auch eine Tempo 30-Zone - und nicht lediglich eine örtlich begrenzte Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h - in Betracht.
Von einer geschlossenen Ortschaft ist hier ohne weiteres auszugehen; wegen Fehlens einer diesseits der Bahnlinie aufgestellten Ortstafel (vgl. VG-Urt., S. 10) gilt dies auch noch für das kleine Teilstück jenseits der Bahnlinie, da eine geschlossene Ortschaft in diesem Fall erst am Beginn völlig unbebauten Gebiets endet (vgl. König, a.a.O., § 3 Rn. 53). Unmittelbar jenseits der Bahnlinie findet sich jedoch nordwestlich der Fulgenstadter Straße noch Bebauung.
Das in Rede stehende Teilstück der Fulgenstadter Straße eignet sich aufgrund der beidseits der Straße vorhandenen Wohnbebauung durchaus noch für eine Tempo 30-Zone. Darauf, ob das Gebiet beidseits der Straße durchweg noch als Wohngebiet i. S. der Baunutzungsverordnung oder als Gebiet mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf i. S. des § 45 Abs. 1c Satz 1 StVO angesprochen werden kann, kommt es dabei nicht entscheidend an. Denn eine Zonen-Anordnung kommt zwar „insbesondere“ in solchen Gebieten, aber auch in anderen Gebieten in Betracht, in denen - je nach dem mit ihr verfolgten Zweck - ebenfalls eine (vor Emissionen des Straßenverkehrs, vgl. BR-Drs. 599/00, S. 12) schutzbedürftige Wohnbevölkerung vorhanden oder mit schutzbedürftigen Fußgängern und Fahrradfahrern zu rechnen ist (vgl. XI 2. VwV-StVO zu § 45; hierzu auch Nds. OVG, Urt. v. 18.07.2006, a.a.O.; VG Oldenburg, Urt. v. 19.05.2004 - 7 A 1055/03 -, ZfSch 2004, 387). Mit entsprechendem schutzbedürftigen Verkehr ist aufgrund der vorhandenen Wohnbebauung auf dem in Rede stehenden Teilstück der Fulgenstadter Straße indes ohne Weiteres zu rechnen.
Soweit der Kläger insbesondere geltend macht, dass die Fulgenstadter Straße aufgrund der örtlichen Gegebenheiten tatsächlich nicht der Erschließung der vorhandenen Wohnbebauung diene und insofern kaum Anliegerverkehr stattfinde, ändert dies nichts daran, dass, wenn auch in geringerem Maße, mit schutzbedürftigem Fußgänger- und Fahrradverkehr zu rechnen ist. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die gemeinsame Einmündung der Erschließungsstraßen im „unteren Teil“ der Fulgenstadter Straße und den Umstand, dass diese von Fußgängern (auch von Kindern) gequert werden muss, um von der nordwestlichen Wohnbebauung (ggf. unter Benutzung des von der Fulgenstadter Straße südöstlich abzweigenden Treppenwegs) in die Innenstadt bzw. zum Kinderspielplatz auf der Schillerhöhe zu gelangen. Dass Fußgänger stattdessen den Gehweg entlang der Herbertinger Straße (B 32) benutzen, liegt demgegenüber fern.
Die Fulgenstadter Straße stellt als Gemeindestraße auch keine Straße des überörtlichen Verkehrs dar, auf die sich eine Zonen-Anordnung von vornherein nicht erstrecken darf (§ 45 Abs. 1c Satz 2 StVO). Nachdem inzwischen sämtliche Vorfahrtszeichen entfernt wurden, steht auch nicht mehr eine „weitere Vorfahrtstraße“ in Rede (vgl. § 45 Abs. 1c Satz 2 u. 4 StVO).
Zwar trifft es zu, dass nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 i.d.F. v. 22.09.2015 zu § 45 Nr. XI. 2. Zonen-Geschwindigkeitsbegrenzungen nur dort in Betracht kommen, wo der Durchgangsverkehr von geringer Bedeutung ist (vgl. auch den Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen <BASt>, Umsetzung der Neuerungen der StVO in die straßenverkehrsrechtliche und straßenrechtliche Praxis, 2006, S. 18). Jedoch ist dies nicht etwa im Verhältnis zum jeweiligen Anliegerverkehr, sondern im Hinblick auf die der Straße gerade aufgrund ihrer Klassifizierung zukommende objektive Verkehrsbedeutung gemeint (in diesem Sinne wohl auch Nds. OVG, Urt. v. 18.07.2006, a.a.O.). Denn § 45 Abs. 1c Satz 2 StVO, zu der die Verwaltungsvorschrift ergangen ist, schließt ausdrücklich nur Straßen des „überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen)“ und „weitere Vorfahrtstraßen“ als Gegenstand einer Tempo-30-Zone aus. Dem entsprechend muss auch innerhalb geschlossener Ortschaften abseits der Vorfahrtstraßen jederzeit mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen gerechnet werden (vgl. § 39 Abs. 1a StVO). Insofern stand bzw. steht der Zonen-Anordnung auch nicht entgegen, dass mit dem Ausbau der Fulgenstadter Straße eine Verkehrsentlastung auf den Straßen Tiefer Weg, Schillerstraße und Poststraße erreicht werden sollte (vgl. den Ausbauvorschlag Fulgenstadter Straße der beratenden Ingenieure Sch... und S... v. Februar 1997) und wohl auch erreicht wurde.
Müsste demgegenüber bei einer Zonen-Anordnung jedweder Durchgangsverkehr im Verhältnis zum jeweiligen Anliegerverkehr nur von geringer Bedeutung sein, könnte dies ohnehin nur im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung finden. Denn bei der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung, deren einheitliche Anwendung in den Ländern zwischen Bund und den Ländern vereinbart ist (vgl. BASt, a.a.O., S. 13) und die die nachgeordneten Behörden bindet und auch für die gerichtliche Entscheidung eine Auslegungshilfe darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.03.2008 - 3 C 18.07 -, BVerwGE 130, 383), handelt es sich um keine Rechtsvorschrift, die die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für den Erlass einer Zonen-Anordnung erweitern könnte.
Nachdem inzwischen auch die Leitlinien im Bereich des Bahnübergangs entfernt wurden, steht der getroffenen Anordnung jedenfalls auch § 45 Abs. 1c Satz 3 StVO nicht (mehr) entgegen.
Ein „Zonenbewusstsein“ (vgl. hierzu noch BVerwG, Urt. v. 14.12.1994, a.a.O. zu § 45 Abs. 1b StVO i.d.F. v. 09.11.1989, BGBl I S. 1976) ist darüber hinaus nicht mehr erforderlich; denn das geschlossene und einheitliche Erscheinungsbild der betreffenden Straße wird nunmehr durch die generellen und flächenhaft wirkenden Festlegungen in § 45 Abs. 1c Sätze 2- 4 StVO sichergestellt (vgl. BASt, a.a.O., S. 18 f.; BR-Drucks. 599/00, S. 13; Nieders. OVG, Urt. v. 18.07.2006, a.a.O.; VG Oldenburg, Urt. v. 19.05.2004, a.a.O.; König, a.a.O., § 45 Rn. 37; a. Bouska, a.a.O., S. 29). Letztlich kommt dies auch in § 39 Abs. 1a StVO zum Ausdruck (vgl. König, a.a.O., § 45 Rn. 37).
Aus § 45 Abs. 9 StVO ergeben sich schließlich entgegen der Auffassung des Klägers keine weiteren, bei der Anordnung von Tempo 30-Zonen zu beachtenden Einschränkungen.
Zwar stellt die Tempo 30-Zone eine Beschränkung des fließenden Verkehrs dar, welche nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO - über eine konkrete Gefahr hinaus - grundsätzlich eine Gefahrenlage voraussetzt, die - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.04.2001 - 3 C 23.00 -,Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41 u. Urt. v. 23.09.2010, a.a.O.). Von diesen Anforderungen sind Tempo 30-Zonen aber gerade ausgenommen.
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, der als speziellere Regelung in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs „in seinem Anwendungsbereich“ die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO konkretisiert und verdrängt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010, a.a.O., juris Rn. 20), sperrt den Rückgriff auf die allgemeine Regelung in § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, wonach Verkehrszeichen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist, auch dann, wenn - wie hier - eine von der speziellen Regelung gerade ausgenommene Beschränkung des fließenden Verkehrs in Rede steht. Zwar beziehen sich die Ausnahmen, worauf der Kläger hinweist, auf Satz 2 (vgl. König, a.a.O., § 45 Rn. 37; wohl auch BASt, a.a.O.; Bouska, a.a.O., S. 29). Für die Frage, ob die allgemeine Regelung in § § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO verdrängt wird, kann es jedoch ausgehend von dem auch vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen, letztlich durch das Wort „insbesondere“ gestützten Verhältnis beider Sätze nur darauf ankommen, ob der Anwendungsbereich des Satzes 2, weil eben eine Beschränkung des fließenden Verkehrs in Rede steht, grundsätzlich eröffnet ist und nicht, ob Satz 2, weil hiervon wiederum eine Ausnahme vorgesehen ist, letztlich zur Anwendung kommt. Denn Satz 2 enthält keine weitere, zusätzliche, sondern eben nur eine speziellere Regelung für Beschränkungen des fließenden Verkehrs. Beiden Sätzen liegt der Gedanke zugrunde, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die "Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung" zu verdeutlichen (vgl. Begründung zur ÄndVO v. 07.08.1997, VkBl. 1997, 690), um dadurch den allseits beklagten “Schilderwald“ zu verringern. Würde bei den Ausnahmen auf die allgemeine Regelung in Satz 1 zurückgegriffen, würde der mit ihnen gerade beabsichtigte Zweck unterlaufen (vgl. Nds. OVG, a.a.O.; VG Köln, Urt. v. 08.09.2014 - 18 K 6983/13 -). Damit würde auch kaum die mit der Änderungsverordnung beabsichtigte wesentliche Erleichterung der Anordnung von Tempo 30-Zonen (vgl. BR-Drs. 599/00, S. 12) erreicht (vgl. auch VG Oldenburg, Urt. v. 19.05.2004, a.a.O.; Nds. OVG., VG Köln, Urt. v. 08.09.2014, a.a.O.). "Zwingend geboten" ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nämlich nur dann, wenn es die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.12.2011 - 11 ZB 11.1841 -, juris). Dies ist nicht der Fall, wenn - wie möglicherweise auch hier - die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung - wie etwa die Regelungen in § 1 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 - 3 StVO - bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 25.07.2011 - 11 B 11.921 -, juris Rn. 28).
Abgesehen davon lässt auch § 39 Abs. 1a StVO, der die § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO korrespondierende, an den Verkehrsteilnehmer gerichtete (vgl. Begründung zur ÄndVO v. 07.08.1997, a.a.O.) Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO modifiziert, erkennen, dass mit Tempo 30-Zonen künftig eben nicht nur dort zu rechnen ist, wo sie zwingend geboten sind. Zwar könnte die hierzu gegebene Begründung des Verordnungsgebers (vgl. BR-Drs. 599/00, S. 22), dass diese Änderung auch der Rechtssicherheit diene, weil die Anordnung von Tempo 30-Zonen nicht nur zur Sicherheit und Ordnung des Verkehrs, sondern z. B. auch zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung erfolgen könne (vgl. § 45 Abs. 1b StVO), auch so verstanden werden, dass Tempo 30-Zonen, wenn sie aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs angeordnet werden, weiterhin zwingend geboten sein müssten. Dies führte jedoch - wie ausgeführt - dazu, dass die wesentliche Erleichterung der Anordnung von Tempo 30-Zonen nicht erreicht werden könnte, sodass der Auslegung ein solchen Verständnis, das in der Verordnung so auch nicht zum Ausdruck kommt, nicht zugrunde gelegt werden kann.
Die Ausübung des der Beklagten danach eröffneten Ermessens ist mit Blick auf die geringe Betroffenheit des Klägers rechtlich nicht zu beanstanden.Hinsichtlich der behördlichen Ermessensausübung kann ein Verkehrsteilnehmer (auch im Rahmen einer Anfechtungsklage) nur verlangen, dass gerade seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener abgewogen werden, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.04.1996, a.a.O.; Urt. v. 03.06.1982 - 7 C 9.80 -, Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 12; hierzu OVG Bremen, Beschl. v. 10.11.1998 - 1 BA 20/97 -, NZV 2000, 140). Abwägungserheblich sind dabei von vornherein nur qualifizierte Interessen, nämlich solche, die über das Interesse jedes Verkehrsteilnehmers hinausgehen, in seiner Freiheit möglichst wenig beschränkt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 - 3 C 32.09 -, DAR 2011, 39; Urt. v. 03.04.1996, a.a.O.; Urt. v. 03.06.1982, a.a.O.; Urt. v. 22.01.1971 - VII C 48.69 -, BVerwGE 37, 112). Dass hier derartige vorrangige Interessen des Klägers vorhanden sind, ist nicht zu erkennen. Sein geltend gemachtes Recht, auch auf dem von der Anordnung belegten kurzen Teilstück 50 km/h fahren zu können und damit das Thermalbad wenige Sekunden schneller erreichen zu können, reicht hierfür ersichtlich nicht aus. Aber auch dann, wenn der Kläger als Adressat der Allgemeinverfügung darüber hinaus jeden Ermessensfehler geltend machen könnte, wäre ein solcher weder dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere kann, wie ausgeführt, Nr. XI. Nr. 2 VwV-StVO nicht dahin verstanden werden, dass der Durchgangsverkehr auf der Straße gerade im Verhältnis zum Anliegerverkehr nur von geringer Bedeutung sein dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat sieht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, sie für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Beschluss vom 15. Juni 2016
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren gemäß den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 u. 2 GKG i.V.m. Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs 2013 auf EUR 5.000,00 festgesetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.