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VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.07.2016 - 5 S 745/14

Der Rechtsgedanke des vorrangigen Primärrechtsschutzes findet auch in Bezug auf den Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff Anwendung, soweit die Duldungspflicht im Streit steht, denn Beeinträchtigungen, die nicht zu dulden sind, sind rechtswidrig und daher vorrangig abzuwehren.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 19. Februar 2014 - 1 K 2350/11 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1993 Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks …Straße … im Ortsteil … der Beklagten, das er mit seiner Familie bewohnt. Die …Straße ist eine seit alters her bestehende Gemeindestraße. Sie wurde im Zuge eines Verkehrskonzepts aufgrund eines Beschlusses des Gemeinderats der Beklagten vom 11.07.1990 als Vorfahrtsstraße ausgewiesen, in der keine Verkehrsberuhigung angeordnet, sondern weiterhin Tempo 50 gelten sollte.

Gemeinsam mit anderen Anwohnern bemühte sich der Kläger im Rahmen einer Bürgerinitiative über Jahre hinweg, in der ...Straße zur Lärmminderung eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h einzuführen. Unter anderem beantragte er eine solche Maßnahme auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO mit Schreiben an die Beklagte vom 16.07.2001 Das Schreiben wies den Kläger mit drei weiteren Personen namentlich als Urheber aus, war jedoch nicht handschriftlich unterzeichnet. Auf ein weiteres Schreiben des Klägers vom 11.12.2002, das sich nicht bei den Akten befindet, antwortete der Oberbürgermeister mit Schreiben vom 03.01.2003, dass er zur Zeit keine Möglichkeit sehe, dem Anliegen zu entsprechen.

Eine „Schalltechnische Untersuchung für die ...Straße“ des Stadtbauamts der Beklagten vom 26.06.2003 errechnete für das Grundstück des Klägers bei der vorhandenen Verkehrsbelastung, die mit 10.850 Fahrzeugen in 24 Stunden und einem Lkw-Anteil von tagsüber 4% und nachts 2% angesetzt wurde, Lärmimmissionen von 68,3 dB(A) tags und 59,8 dB(A) nachts. In der Folgezeit setzte die Beklagte verschiedene straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen (Parkflächenmarkierungen, Fußgängerüberweg, verkehrsabhängige Steuerung einer Signalanlage, mobile Geschwindigkeitsanzeige) um. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung lehnte sie jedoch aufgrund des Verkehrskonzepts weiterhin ab (Sitzungsdrucksache Nr. 1603 vom 29.01.2004).

Im Zuge der Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans 2007/2008 ermittelte die … mbH für die … Straße ein Verkehrsaufkommen von 11.300 Fahrzeugen in 24 Stunden. Daraufhin vorgeschlagene bauliche Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduzierung wurden mangels Konsenses mit den Einwohnern nicht umgesetzt.

In der „Teiluntersuchung Tempo 30-Zonen“ des Lärmaktionsplans der Beklagten errechnete die … mbH mit Gutachten vom 02.12.2012 für das Grundstück des Klägers je nach Stockwerk Beurteilungspegel zwischen 66,5 und 67,6 dB(A) tags und zwischen 57,4 und 58,5 dB(A) nachts. Im ersten Obergeschoss beliefen sich die errechneten Werte auf 67,2 dB(A) tags und 58,1 dB(A) nachts (Lärmaktionsplan, Teiluntersuchung Tempo-30-Zonen, Anlage 1 Seite 3). Hierfür wurde eine zwischen dem 14.07. und dem 21.07.2011 durchgeführte Verkehrszählung zugrunde gelegt, die von einem Verkehrsaufkommen von 8.500 Fahrzeugen in 24 Stunden bei einem Schwerverkehrsanteil von 3,8% ausging (Lärmaktionsplan, Teiluntersuchung Tempo-30-Zonen, S. 4).

Auf der Grundlage dieses Gutachtens beantragte die Beklagte als Trägerin der zuständigen Straßenverkehrsbehörde beim Regierungspräsidium Freiburg die Zustimmung zu einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h für die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr). Das Regierungspräsidium lehnte den Antrag mit Schreiben vom 09.08.2012 ab. Die in den vorläufigen Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien StV vom 23.11.2007) genannten Lärmrichtwerte würde nach dem Gutachten nicht bzw. nur an einem einzigen Berechnungspunkt erreicht. Die Beeinträchtigungen überschritten nicht die Belastungen, die unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs als ortsüblich hinzunehmen seien.

Wegen des schlechten baulichen Zustands der ...Straße ordnete das Stadtbauamt der Beklagten ab Januar 2013 eine Verkehrsbeschränkung auf Tempo 30 km/h tags und nachts an.

Bereits im Herbst 2008 ersetzte der Kläger die vorhandenen Fenster an Schlaf- und Kinderzimmern im ersten Obergeschoss seines Hauses durch sechs Kunststoff-Lärmschutzfenster, für die er 1.632,29 Euro Kaufpreis gezahlt hatte. Der Kläger baute diese Fenster selbst ein, wobei er eigenen Angaben zufolge für zusätzliche Einbaumaterialien weitere 167,71 Euro bezahlte und 68 Arbeitsstunden benötigte, für die er einen Wert von 15,00 Euro/Stunde ansetzte. Mit Anwaltsschreiben vom 04.11.2010 forderte er die Beklagte zur Erstattung dieser Aufwendungen auf. Zugleich begehrte er eine Zusage der Beklagten, ihm noch künftig entstehende Aufwendungen für vier Schalldämmlüfter (2.000,00 Euro), vier elektrische Rollläden (1.400,00 Euro) sowie für Elektriker- (870,00 Euro) und Tapeziererarbeiten (450,00 Euro) zu erstatten.

Mit Schreiben vom 19.11.2010 teilte die Beklagte mit, dass sie den geltend gemachten Anspruch nicht anerkennen könne.

Der Kläger hat am 30.03.2011 Klage vor dem Landgericht Konstanz Klage erhoben, mit der er die Zahlung von 2.820,00 Euro nebst Zinsen für die bereits durchgeführten Schallschutzmaßnahmen sowie von 4.720,00 Euro für die noch durchzuführenden Arbeiten, hilfsweise auf Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten für die geplanten Maßnahmen begehrt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 09.11.2011 (Az.: 2 O 141/11 B) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Freiburg verwiesen.

Der Kläger hat zur Begründung seines Zahlungsanspruchs geltend gemacht, der Einbau der Schallschutzfenster, der Schalldämmlüfter und der elektrischen Rollläden sei erforderlich, um die vom Verkehr auf der …Straße ausgehenden Geräuscheinwirkungen soweit zu reduzieren, dass er und seine Familie nicht in ihrer Gesundheit geschädigt würden. Zudem erfahre sein Grundstück durch die verkehrsbedingten Geräuscheinwirkungen ohne die Lärmschutzmaßnahmen eine erhebliche Wertminderung. Die schalltechnische Untersuchung vom Juni 2003 sei unrichtig. Insbesondere sei der Lkw-Anteil zu niedrig angesetzt worden. Außerdem bezögen sich die Berechnungen auf das Erdgeschoss. Da Schall sich kugelförmig ausbreite, seien die Werte im Obergeschoss höher anzusetzen. Seit dem Jahr 2003 habe der Verkehr in der ...Straße im Übrigen deutlich zugenommen. Besonders der Schwerlastverkehr sei infolge der Einrichtung eines Logistikzentrums im nahen Gewerbegebiet … angestiegen. Zudem diene die Straße nun auch als Zufahrtsstraße aus dem Stadtgebiet zu dem Gelände der Südwestmesse und zum Eisstadion, wobei die Kapazitäten beider Veranstaltungsorte in den letzten Jahren erweitert worden seien. Auch die Schließung von Baulücken habe den Lärmpegel erhöht. Es sei daher davon auszugehen, dass der äquivalente Dauerschallpegel im Herbst 2008 über 70 dB(A) tags und über 60 dB(A) nachts gelegen habe. Diese Zumutbarkeits-Schwellenwerte seien im Übrigen nach neueren Erkenntnissen über die schädlichen Auswirkungen von Lärm viel zu hoch angesetzt. Die WHO empfehle einen Nachtwert von 40 dB(A) und allenfalls übergangsweise 55 dB(A). Als er das Grundstück im Jahr 1993 erworben habe, seien die Schwellenwerte noch nicht überschritten gewesen. Aufgrund der Erhöhung des Verkehrsaufkommens sei dies jedoch 2008 der Fall gewesen. Er habe die Fenster auch einbauen dürfen, ohne die Beklagte vorher zu Lärmschutzmaßnahmen aufzufordern. Verjährung sei nicht eingetreten. Insbesondere habe er erst im Jahr 2008 erkennen können, dass die Lärmsanierungsschwelle überschritten sei. Hierzu hätten die Verschlechterung des Straßenzustands durch den vorausgegangenen Winter sowie die Bauarbeiten zur Landesgartenschau beigetragen. Beides habe den Lärm erhöht. Die in der Untersuchung aus dem Jahr 2012 berechneten Lärmpegel seien zu niedrig, da bei der Berechnung der schlechte bauliche Zustand der Straße nicht berücksichtigt worden und ein nicht nachvollziehbar niedriges Verkehrsaufkommen zugrunde gelegt worden seien.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, dass das Grundstück des Klägers nach dem seit dem 25.01.1995 rechtsverbindlichen Bebauungsplan „Innenstadt … (S-A/95)“ nicht in einem allgemeinen Wohngebiet, sondern in einem Mischgebiet liege. Dort gälten die Lärmsanierungswerte von 72 dB(A) tags und 62 dB(A) nachts. Im Verkehrslärmgutachten des Jahres 2003 seien die Werte unrichtig und zu hoch angesetzt worden. Bereits bei Erwerb des Grundstücks durch den Kläger im Jahre 1993 habe die ...Straße die Verkehrsfunktion wie im Jahre 2008 gehabt. Die Lärmbelastung habe sich zwischenzeitlich nicht signifikant erhöht. Die Beklagte bemühe sich seit fast zwei Jahrzehnten um eine Lösung des Problems. Es könne nicht sein, dass das Regierungspräsidium die Zustimmung zur Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung mangels Überschreitung der Lärmrichtwerte für die Nacht und wegen Ortsüblichkeit des Lärms ablehne, die Beklagte aber bei gleicher Sachlage für diesen Zustand Entschädigung leisten müsse. Zudem bestreite sie die Notwendigkeit der vom Kläger vorgenommenen Lärmschutzmaßnahme angesichts der Qualität der zuvor vorhandenen Fenster. Jedenfalls sei der Anspruch verjährt, da der Kläger bereits seit dem Erwerb des Hauses im Jahr 1993 Beschwerde gegen den Verkehrslärm führe.

Mit Urteil vom 19.02.2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Anspruchs aus enteignendem Eingriff seien zwar erfüllt, der Anspruch sei jedoch verjährt. Als Orientierungswerte für die Zumutbarkeitsschwelle hätten sich die Vorgaben der Richtlinie für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (VLärmSchR 97) etabliert. Es sei jedoch stets eine Prüfung des Einzelfalls vorzunehmen. Nach Nr. 37.1 VLärmSchR 97 liege der Schwellenwert für Lärmschutzmaßnahmen in reinen und allgemeinen Wohngebieten bei 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts, in Mischgebieten bei 72 dB(A) tags und 62 dB(A) nachts. Zwar liege das Grundstück des Klägers bauplanungsrechtlich in einem Mischgebiet. Das Mischgebiet sei jedoch sehr klein und bilde eine von Wohngebieten umgebene Insel. Deshalb sei es sachgerecht im konkreten Fall die Werte für Wohngebiete anzusetzen, zumal auch die Beklagte stets von diesen Werten für das Grundstück des Klägers ausgegangen sei. Zwar seien bei den Berechnungen in den Jahren 2003 und 2012 die Schwellenwerte auf dem Grundstück des Klägers jeweils nicht erreicht worden. Jedoch sei in der Untersuchung im Rahmen der Lärmaktionsplanung der unbestritten schlechte Fahrbahnzustand nicht berücksichtigt worden. Dies bedürfe zugunsten des Klägers der Korrektur. Nach Tabelle 4 der Richtlinien für Lärmschutz an Straßen(RLS-90) werde bei einer Straßenoberfläche aus Beton oder geriffelten Gussasphalten und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ein Zuschlag von 2 db(A) auf die berechneten Beurteilungspegel gemacht. Demzufolge sei der Schwellenwert für allgemeine Wohngebiete zur Nachtzeit am Grundstück des Klägers überschritten. Dies sei bereits im Jahr 2003 der Fall gewesen, denn bereits zu diesem Zeitpunkt sei die Fahrbahn in schlechtem Zustand gewesen, wie sich aus dem Ergebnisprotokoll einer Sitzung der Bürgerkommission zum Thema „Lärm“ vom 09.12.2004 und aus Äußerungen des Klägers zu einer Verkehrslärmanalyse vom 13.07.2002 ergebe. Der Anspruch sei daher verjährt. Spätestens im Jahr 2003 seien dem Kläger alle anspruchsbegründenden Tatsachen bekannt gewesen und er hätte den Anspruch klageweise geltend machen können. Hierzu gehörten nicht die konkreten Kosten. Anderenfalls hätte es der Anspruchsteller in der Hand, den Beginn der Verjährungsfrist zu bestimmen. Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, die gemäß § 199 Abs. 1 BGB im konkreten Fall mit Ende des Jahres 2003 begonnen habe, sei Ende des Jahres 2006 abgelaufen. Mit der Erhebung der Klage zum Landgericht Konstanz sei eine Hemmung daher nicht mehr möglich gewesen. Eine Hemmung durch Verhandlung gemäß § 203 BGB liege nicht vor. Der Kläger habe erst mit Schreiben vom 04.11.2010 den Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für Lärmschutzfenster geltend gemacht. Bei den früheren Gesprächen sei es nicht um passiven Lärmschutz am Wohnhaus des Klägers gegangen, sondern der Kläger habe als Sprecher der Bürgerinitiative die von dieser gewünschte Geschwindigkeitsbeschränkung in der ...Straße auf 30 km/h angestrebt. Dies reiche für eine Hemmung der Verjährung im Hinblick auf einen Anspruch auf Erstattung von Lärmschutzmaßnahmen nicht aus.

Gegen das ihm am 12.03.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.04.2014 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 07.05.2014, beim erkennenden Gerichtshof eingegangen am 08.5.2014, wie folgt begründet: Die Beklagte habe es versäumt, die Einrede der Verjährung zu erheben. Zwar habe sie Verjährung erwähnt, diese jedoch niemals ausdrücklich geltend gemacht. Dies wäre auch rechtsmissbräuchlich, da die Parteien seit Jahren über Lärmschutzmaßnahmen im Gespräch seien. Auf öffentlich-rechtliche Ansprüche seien nicht ohne Weiteres die seit der Schuldrechtsreform geltenden Verjährungsfristen des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus enteignendem Eingriff betrage wie vor Erlass des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26.11.2001 nach wie vor 30 Jahre. Insbesondere würde eine andere Auffassung die Situation der großen Anzahl Lärmbetroffener an Altstraßen in unzumutbarer Weise schlechter stellen. Abgesehen davon sei die Zumutbarkeitsschwelle für ihn erkennbar erst im Jahre 2008 überschritten gewesen, nachdem der Winter die Straße in eine „Schlaglochpiste“ verwandelt gehabt habe. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise angedeutet, dass es eine Entstehung des Anspruchs im Jahre 2003 und sodann dessen Verjährung annehme.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 19.02.2014 - Az.: 1 K 2350/11 - zu ändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 2.820,00 Euro nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

2. an den Kläger 4.720,00 Euro für die Beschaffung und den Einbau von vier Schalldämmlüftern und vier elektrischen Rollläden nebst Einbaukästen zu bezahlen;

hilfsweise hierzu festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, diese Summe an den Kläger zu bezahlen, sobald er der Beklagten nachgewiesen hat, dass diese Bauteile in die Schlafzimmer im 1. Obergeschoss seines Hauses ...Straße … in …-… eingebaut sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei ein Zuschlag von 2 dB(A) aufgrund der Fahrbahnbeschaffenheit fachlich nicht gerechtfertigt. Jedenfalls sei der Anspruch verjährt. Im öffentlichen Recht müsse keine Einrede der Verjährung erhoben werden. Diese sei vielmehr von Amts wegen zu berücksichtigen. Zudem habe die Beklagte die Einrede spätestens mit Schriftsatz vom 18.04.2014 erhoben, denn sie habe darin die Zahlung auch wegen Ablaufs der Verjährungsfrist endgültig verweigert. Diese Weigerung stelle keine unzulässige Rechtsausübung dar. Sie habe den Kläger nicht von der Erhebung des Anspruchs abgehalten. Sie sei nicht zu Lärmminderungsmaßnahmen verpflichtet gewesen. Ihre Befassung mit dem Problem stelle kein Fehlverhalten dar. Die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB n.F. sei entsprechend anwendbar. Der Anspruch aus enteignendem Eingriff sei mit anderen öffentlich-rechtlichen Ersatzansprüchen wie aus Amtshaftung oder enteignungsgleichem Eingriff eng verwandt, für welche eine dreijährige Verjährungsfrist Anwendung finde. Nehme man eine Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle an, sei dies bereits im Jahr 2003 der Fall gewesen. Insbesondere sei der Straßenzustand schon zu dieser Zeit sehr schlecht gewesen, was der Kläger selbst geltend gemacht habe. Er habe die anspruchsbegründenden Tatsachen daher auch lange vor dem Jahr 2008 gekannt und dies auch bereits seit dem Jahr 2001 mit großer Vehemenz vorgetragen. Habe ein Anspruch bestanden, so sei dieser somit jedenfalls verjährt.

In der Berufungsverhandlung hat der Kläger erklärt, er habe die Fenster im Herbst 2008 eingebaut, weil seine Kinder zunehmend über den Verkehrslärm geklagt hätten.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

I. Der Senat prüft als Rechtsmittelgericht nicht, ob für die Klageansprüche der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 VwGO) eröffnet ist (§ 17a Abs. 5 GVG). Etwas anderes gilt nur, wenn einer der Beteiligten die Unzulässigkeit des Rechtswegs bereits im Verfahren vor dem Gericht der ersten Instanz gerügt und dieses Gericht hierüber entgegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG nicht vorab durch Beschluss entschieden hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.08.2008 - 4 S 1068/08 -, NVwZ-RR 2009, 403, juris Rn. 3 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr hat das Landgericht Konstanz mit Beschluss vom 09.11.2011 (Az.: 2 O 141/11 B) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Freiburg verwiesen.

II. Die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung ist auch sonst zulässig, insbesondere wurde sie fristgemäß eingelegt und begründet (§ 124 a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO). Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch des Klägers wegen enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs scheidet aus (1.). Auch andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich (2.).

1. Der Kläger beruft sich in erster Linie auf den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 20.03.1075 - III ZR 215/71 -, BGHZ 64, 220, 222 ff.; BGH, Urteil vom 06.02.1986 - III ZR 96/84 -, BGHZ 97, 114, 116; BGH, Urteil vom 17.04.1986 - III ZR 202/84 -, BGHZ 97, 361, 362 f.; BGH, Urteil vom 25.03.1993 - III ZR 60/91 -, BGHZ 122, 76, 76 f.) steht ein solcher Entschädigungsanspruch einem Betroffenen zu, wenn Lärmimmissionen von hoher Hand, deren Zuführung nicht untersagt werden kann, sich als unmittelbarer Eingriff in nachbarliches Eigentum darstellen und die Grenze dessen überschreiten, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muss.

a) Die Tragfähigkeit dieses Entschädigungsanspruchs für Verkehrslärmimmissionen von Altstraßen ist in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „Lärmimmissionen von hoher Hand, deren Zuführung nicht untersagt werden kann“ zweifelhaft. Zwar handelt es sich bei Straßenverkehrslärm auf öffentlichen Straßen um Immissionen, die dem Staat zuzurechnen sind (BGH, Urteil vom 06.02.1986, a.a.O., S. 222; BGH, Urteil vom 25.03.1993, a.a.O., S. 364; ebenso BVerwG, Urteil vom 26.08.1993 - 4 C 24.91 -, BVerwGE 94, 100, 104; s. auch Boujong, UPR 1987, 207). Unklar ist jedoch, woraus sich ergeben kann, dass es sich um Immissionen handelt, „deren Zuführung nicht untersagt werden kann“. Während der Bundesgerichtshof die Duldungspflicht aus der Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr ableitet (BGH, Urteil vom 06.02.1986, a.a.O., S. 222; BGH, Urteil vom 25.03.1993, a.a.O., S. 364), hebt das Bundesverwaltungsgericht hervor, dass die Widmung allein den Inhalt des Gemeingebrauchs sowie das Rechtsverhältnis in Bezug auf den Eigentümer des Straßengrundstücks regele (BVerwG, Urteil vom 26.08.1993 - 4 C 24.91 -, BVerwGE 94, 100, 109). Die Duldungspflicht in Bezug auf etwaige Verkehrslärmimmissionen folge dagegen aus der zugrundeliegenden Planungsentscheidung (BVerwG, a.a.O.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84 -, BVerfGE 79, 174 juris Rn. 48, 49). Was dies für nicht förmlich geplante Altstraßen bedeutet, ist ungeklärt. Eine gewohnheitsrechtliche Duldungspflicht wäre jedenfalls nach Maßgabe des Rechtsstaatsprinzips auf die Duldung von Verkehrslärmimmissionen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsschädigung und eines damit einhergehenden schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentum begrenzt. Denn wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29.04.1988 - 7 C 33.87 - ausgeführt hat, setzen „§ 906 BGB und auch §§ 5 Abs. 1 Nr.1 und 22 BImSchG [setzen] die Grenze, ab der Immissionen nicht mehr zu dulden und deshalb rechtswidrig sind, unterhalb der Gesundheitsschädigung und unterhalb des schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentum an“ (BVerwGE 79, 254, juris Rn.12). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Betroffene daher einen schweren und unerträglichen Eingriff in das Eigentum mit einem grundrechtlichen Unterlassungsanspruch abwehren. Diese Auslegung von § 906 BGB widerspricht indes der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anspruch aus enteignendem Eingriff - als öffentlich-rechtliches Gegenstück zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (BGH, Urteil vom 29. März 1984 - III ZR 11/83 -, BGHZ 91, 20 Leitsatz 2) - gerade einen schweren und unerträglichen, die Enteignungsschwelle überschreitenden Eingriff erfordert. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wären solche Eingriffe vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung jedoch rechtswidrig. Sie könnten daher allenfalls einen Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen. Legt man diese Konzeption zugrunde, folgt daraus für den vorliegenden Fall, dass Verkehrslärmimmissionen unterhalb der Schwelle eines schweren und unerträglichen Eigentumseingriffs zu dulden sind, und zwar entschädigungslos, weil Verkehrslärmimmissionen unterhalb der Enteignungsschwelle bei Altstraßen mangels gesetzlicher Regelungen als zumutbar erachtet werden (Bauer, in: Kodal, Straßenrecht Handbuch, 7. Aufl. 2010, Kapitel 41 Rn. 49). Soweit der Kläger Entschädigung gerade wegen eines schweren und unerträglichen Eigentumseingriffs aufgrund gesundheitsschädigender Verkehrslärmimmissionen verlangt, könnte er danach nur einen Anspruch wegen einer rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigung und somit wegen enteignungsgleichen Eingriffs geltend machen (so auch Külpmann, Enteignende Eingriffe?, 2000, S. 174, 178, 205 f.).

b) Der Senat kann aber letztlich offen lassen, ob der Anspruch des Klägers seine Grundlage in einem Entschädigungsanspruch wegen enteignenden Eingriffs finden kann, wie es der Konzeption des Bundesgerichtshofs entspräche, oder in einem Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs, wie es die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht nahelegt. Denn der Kläger hat es in jedem Falle versäumt, die geltend gemachte schwere und unerträgliche Eigentumsbeeinträchtigung wegen gesundheitsschädigender Verkehrslärmimmissionen durch Inanspruchnahme von verwaltungsgerichtlichem Primärrechtsschutz abzuwehren oder zu mindern. Dies schließt beide Entschädigungsansprüche aus.

aa) Anders als der Kläger meint, stand es ihm nicht frei, diese Eigentumsbeeinträchtigung eigenmächtig auf Kosten der Beklagten zu beseitigen. Das gesamte Staatshaftungsrecht unterliegt dem Grundsatz, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat. Dies folgt aus der rechtsstaatlichen Verpflichtung des Staates zu rechtmäßigem Handeln gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und speziell in Bezug auf das Eigentum aus dem Vorrang des Bestandsschutzes vor dem Wertersatz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999 - 1 BvL 7/91 -, BVerfGE 100, 226, 245). Sofern es Betroffenen möglich und zumutbar ist, Beeinträchtigungen in ihren Rechten abzuwehren, trifft sie auch die Obliegenheit, dies zu tun. Dies ist für den Amtshaftungsanspruch ausdrücklich in § 839 Abs. 3 BGB geregelt. Danach tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsbehelfs abzuwenden. Gleiches gilt für die Entschädigung von rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigungen (BGH, Urteil vom 26.01.1984 - III ZR 216/82 - BGHZ 90, 17, 31 f.). Der Rechtsgedanke des vorrangigen Primärrechtsschutzes findet aber auch in Bezug auf den Anspruch aus enteignendem Eingriff Anwendung, soweit die Duldungspflicht im Streit steht, denn Beeinträchtigungen, die nicht zu dulden sind, sind rechtswidrig und daher vorrangig abzuwehren (vgl. BGHZ, Urteil vom 29.03.1984 - III ZR 11/83 -, BGHZ 91, 20, 22 ff.; BVerfG, Beschluss vom 15.07.1981 - 1 BvL 77/78 -, BVerfGE 58, 300, 324: „Wer von den ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Möglichkeiten, sein Recht auf Herstellung des verfassungsmäßigen Zustands zu wahren, keinen Gebrauch macht, kann wegen eines etwaigen, von ihm selbst herbeigeführten Rechtsverlusts nicht anschließend von der öffentlichen Hand Geldersatz verlangen.“). Das Bundesverfassungsgericht hat auch im Zusammenhang mit Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums, deren Anwendung im Einzelfall zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit einen finanziellen Ausgleichs fordert, ausgeführt, dass der Betroffene nicht die Wahl hat, die Beeinträchtigung hinzunehmen und anschließend eine Entschädigung zu fordern. Hält er die Beeinträchtigung für unverhältnismäßig, muss er vielmehr dagegen vorgehen (BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999, a.a.O., S. 246).

Verkehrslärmimmissionen, die von nicht förmlich geplanten (Alt-)Straßen ausgehen, unterscheiden sich zwar insoweit von den Anwendungsfällen der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, als es sich um faktische Eigentumsbeeinträchtigungen handelt. Auch unzumutbare faktische Verkehrslärmimmissionen können jedoch abgewehrt werden. In Entsprechung zur Konstellation der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, ist ein Anspruch auf Entschädigung insoweit zwar denkbar, wenn derartige Verkehrslärmimmissionen nicht auf andere Weise gemindert werden können, aus Gründen des überwiegenden Gemeinwohls aber zu dulden sind. Ein solcher Anspruch setzte allerdings voraus, dass der Gesetzgeber tätig wird. Solange es daran fehlt, bleibt es bei der Rechtswidrigkeit von Verkehrslärmimmissionen, die zu einer schweren und unerträglichen Eigentumsbeeinträchtigung wegen Gesundheitsschädigung führen mit der Folge, dass insoweit allenfalls ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff geltend gemacht werden kann, der seinerseits die vorrangige Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz verlangt (so auch Külpmann, a.a.O., S. 227, 267).

bb) Dem Kläger war es auch zumutbar, die von ihm angestrebte Verringerung eigentumsbeeinträchtigender gesundheitsschädigender Verkehrslärmimmissionen zumindest durch Geltendmachung eines Anspruchs gegen die Beklagte als Trägerin der zuständigen Straßenverkehrsbehörde auf ein Einschreiten zum Schutz vor Lärm (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO) oder eines öffentlichen-rechtlichen Abwehranspruchs nach Art. 14 Abs. 1 GG gegen die Beklagte als Trägerin der Straßenbaulast wegen schwer und unerträglich in das private Eigentum eingreifender Lärmimmissionen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.1988 - 7 C 33.87 - BVerwGE 79, 254, juris Rn. 12) im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen.

Grundsätzlich stellt die Verweisung auf den Primärrechtsschutz keine unzumutbare Belastung dar, denn die Entscheidung, diesen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, ist nicht schwieriger zu treffen, als die, eine Entschädigung einzuklagen (BVerfG, Beschluss vom 15.07.1981, a.a.O., S. 324). Es liegt auch kein Fall vor, der die Verweisung auf den Primärrechtsschutz ausnahmsweise entfallen ließe. Insbesondere der Gebrauch von Rechtsbehelfen zur Durchsetzung verkehrsbeschränkender Anordnungen der Straßenverkehrsbehörde, die der Kläger bereits in seinem Schreiben vom 16.07.2001 anstrebte und auch im Weiteren verfolgte, wenn auch nicht im Klagewege, war weder aussichtslos, noch wegen erheblicher Kosten oder übermäßiger Dauer unzumutbar. Die zwischen den Beteiligten streitige Tatsachenfrage, ob die Verkehrslärmimmissionen die enteignungsrechtliche Schwelle der Unzumutbarkeit übersteigen, stellt sich zudem mit derselben Schwierigkeit im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes.

Die klageweise Durchsetzung des vom Kläger in seinem Schreiben vom 16.07.2001 geltend gemachten Anspruchs auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit Abs. 9 Satz 2 StVO war nicht offensichtlich aussichtslos. Nach dieser Vorschrift können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Anliegern auf dieser Grundlage ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung unter Berücksichtigung ihrer schützenswerten Belange zustehen kann (BVerwG, Urteil vom 04.06.1986 - 7 C 76/84 - BVerwGE 74, 234, 236; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.1997 - 5 S 1842/95 - juris Rn. 26). Das Ermessen der Beklagten als Trägerin der Straßenverkehrsbehörde war auch eröffnet. Die Voraussetzung des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, wonach aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse eine Gefahrenlage bestehen muss, die das allgemeine Risiko der Beeinträchtigung der zuvor genannten Schutzgüter erheblich übersteigt, lag vor. Die neuere Rechtsprechung orientiert sich hinsichtlich der Frage, ob eine solche Lage besteht, an den Grenzwerten der 16. BImSchV (BayVGH, Urteil vom 21.03.2012 - 11 B 10.1657 - juris Rn. 28; VG Köln, Urteil vom 08.01.2016 - 18 K 3513/15 -, juris Rn. 31 ff). Werden die Grenzwerte der 16. BImSchV bereits nicht überschritten, besteht regelmäßig schon kein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung, weil dann davon auszugehen ist, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht erfüllt ist. Werden dagegen die Grenzwerte der 16. BImSchV überschritten, besteht regelmäßig ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, a.a.O.; VG Köln, a.a.O., Rn. 35 ff.). Werden darüber hinaus die Grenzwerte in Nr. 2 der Lärmschutz-Richtlinie-StV überschritten, kann es zu einer Verdichtung des der Behörde eingeräumten Ermessens dahin kommen, dass ein Einschreiten geboten ist (BVerwG, Urteil vom 04.06.1986, a.a.O., S. 240). Zwar steht es selbst noch bei Überschreiten der Lärmpegel der Lärmschutz-Richtlinie-StV im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde, ob sie Schutzmaßnahmen ergreift. Je erheblicher die Lärmbeeinträchtigungen sind, umso gewichtiger und unabweisbarer müssen jedoch im Falle der Ablehnung verkehrsbeschränkender Maßnahmen die entgegenstehenden Verkehrsbedürfnisse sein.

Die Grenzwerte der 16. BImSchV waren nach den vorliegenden Gutachten sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2008 auf dem Grundstück des Klägers überschritten. Dies trifft selbst dann zu, wenn die für Mischgebiete geltenden Grenzwerte von 64 dB(A) tags und 54 d(B)A nachts zugrunde gelegt werden, denn die auf dem Grundstück des Klägers berechneten Werte betrugen bereits nach der schalltechnischen Untersuchung vom 26.06.2003 tags 68,3 dB(A) tags und nachts 59,8 dB(A). Da der Verkehr nach der Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplans von 2007/2008 sich jedenfalls nicht verringert hat, kann davon ausgegangen werden, dass auch zum Zeitpunkt des Einbaus der Fenster die Schwelle zur Eröffnung einer Ermessensentscheidung überschritten war. Anderes folgt auch nicht aus dem Gutachten der … mbH vom 02.12.2012, wonach für das Grundstück des Klägers tags ein Wert von 67,2 dB(A) und nachts von 58,1 dB(A) errechnet wurde. Da nach Auffassung des Klägers sogar die Werte der Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm vom 23.11.2007 von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts in Wohngebieten jedenfalls zum Zeitpunkt des Einbaus der Fenster überschritten waren, hätte eine Klage umso mehr hinreichende, jedenfalls im Vergleich zur Geltendmachung eines Anspruchs aus enteignendem Eingriff nicht ungünstigere Erfolgs-aussichten gehabt, denn beide Ansprüche gehen jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls von denselben Schwellenwerten aus.

Dem Vorrang des Primärrechtsschutzes kann auch nicht entgegengehalten werden, dass dieser unverhältnismäßige Kosten verursacht hätte (siehe zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 29.03.1984, a.a.O., S. 24). Der im Primärrechtsschutz für eine Klage auf Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde anzusetzende Auffangstreitwert betrüge 5.000 Euro (vgl. Nr. 46.15 Streitwertkatalog 2013) und ist damit niedriger als der Streitwert des geltend gemachten Anspruchs aus enteignendem Eingriff. Angesichts der Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes kann ebenso wenig eingewendet werden, dass die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz zu einer unverhältnismäßigen Verzögerung geführt hätte.

Schließlich hat die Beklagte den Kläger nicht davon abgehalten Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Ihre Bemühungen, die Situation zu verbessern, waren in keiner Weise mit Bedingungen für das Verhalten des Klägers verbunden.

2. Andere Rechtsgrundlagen für die Klageansprüche sind nicht ersichtlich.

a) Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 683 BGB, der im öffentlichen Recht analog Anwendung findet (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988 - 4 C 5/86 -, BVerwGE 80, 170 Leitsatz 1, juris Rn. 13 f.), kommt nicht in Betracht. Der Einbau der Fenster lag weder im wirklichen noch im mutmaßlichen Willen der Beklagten noch bestand daran ein öffentliches Interesse (§ 679 BGB analog). Ein öffentliches Interesse muss nämlich gerade daran bestehen, dass die Aufgabe von dem privaten „Geschäftsführer“ in der gegebenen Situation erfüllt wurde. Dieses Interesse ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988, a.a.O., Leitsatz 2, juris Rn. 16). Ein solches Interesse besteht in der Regel nicht, wenn der Behörde hinsichtlich der Art und Weise ihres Tätigwerdens Ermessen eingeräumt ist (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988, a.a.O., juris Rn. 17). Des Weiteren gilt als Prinzip, „dass Instanzenwege eingehalten und Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, um eine zuständige Behörde zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben anzubehalten, bevor ein Privater selbst an ihre Stelle tritt. Ein Gemeinwesen, das seinen Bürgern Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung auch in der Form von Leistungsansprüchen auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln gewährt, kann damit zugleich die Erwartung verbinden, dass die Bürger diesen Schutz auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Im Zusammenhang mit der Prüfung des öffentlichen Interesses an einer privaten Geschäftsführung gegen den wirklichen oder mutmaßlichen Willen einer an sich zuständigen Behörde muss diesem Prinzip besondere Beachtung zuteilwerden. Im Einzelfall kann es dem Bürger auch zugemutet werden, zunächst um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen.“ (BVerwG, Urteil vom 06.09.1988, a.a.O., juris Rn. 19). Aus diesen Maßstäben ergibt sich im vorliegenden Fall, dass der Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag mangels öffentlichem Interesse und in der Sache aus demselben Grund wie für die Entschädigungsansprüche dargelegt, ausscheidet.

b) Schließlich kommt auch ein Anspruch auf Zuschuss zur Förderung von Maßnahmen des passiven Lärmschutzes auf der Grundlage des Gemeinderatsbeschlusses der Beklagten vom 20.04.2016 „Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen zur Förderung von Maßnahmen des passiven Lärmschutzes (Lärmschutzfenster und Schalldämmlüfter) für das Stadtgebiet der Gemeinde … (Lärmschutz-Richtlinie …)“ in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Insbesondere ist nach Absatz 3.1 des Beschlusses die Förderung ausgeschlossen, wenn Maßnahmen vor der Bewilligung des Zuschusses bereits begonnen oder durchgeführt worden sind. Eine Ausnahme gilt nur für Maßnahmen, die ab dem 01.01.2016 bis zur Verkündung der Richtlinie begonnen wurden. Auf die im Jahr 2008 vom Kläger durchgeführten Maßnahmen erstreckt sich der Anwendungsbereich des Beschlusses somit nicht. Aber auch soweit der Kläger einen Anspruch für zukünftige Lärmschutzmaßnahmen geltend macht, findet sich dafür keine Grundlage in dem Gemeinderatsbeschluss. Dessen Anwendbarkeit setzt nach Nr. 2 weiter voraus, dass die Maßnahme in zuschussfähigen Bereichen und Straßenabschnitten, wie in den Gebäudelärmkarten des Büros … mit Stand vom 31.12.2012 ersichtlich, ausgeführt wird, und dass für sie ein Antrag gestellt, vom Stadtbauamt geprüft und eine schriftliche Förderzusage erteilt wurde. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.

 

Beschluss

vom 6. Juli 2016

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.540,00 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Lukas Jozefaciuk