VG Minden, Urteil vom 10.03.2016 - 9 K 2521/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, C1E, CE, M, L, T und S und einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
Durch seit dem 6. Dezember 2013 rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts M. vom 15. Januar 2013 (Aktenzeichen: 21 Ls-22 Js 579/12-9/12) ist der Kläger wegen Vergewaltigung in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden.
Am 7. Februar 2014 fuhr der Kläger gegen 1.45 Uhr mit einem PKW im alkoholisierten Zustand. Die ihm um 2.00 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,76 Promille. Aufgrund dessen wurde ihm mit seit dem 14. Oktober 2014 rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts M. vom 3. Juni 2014 (Aktenzeichen: 25 Ds-37 Js 250/14-184/14) die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von acht Monaten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt.
Unter dem 24. November 2014 beantragte der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis für die Klassen C, CE sowie später die Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Mit Schreiben vom 27. Februar 2015 ordnete der Beklagte zur Klärung der Kraftfahreignung des Klägers die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens bis zum 1. Juni 2015 an und wies darauf hin, dass folgende Fragen zu klären seien:
Ist zu erwarten, dass der Untersuchte auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, bzw. liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der genannten Klasse infrage stellen?
Ist nach den bisherigen Verstößen gegen strafrechtliche Bestimmungen zu erwarten, dass der Untersuchte beim Führen eines Kraftfahrzeuges auch gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?
Im Übrigen wies der Beklagte in dem vorgenannten Schreiben darauf hin, dass eine Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Blick auf die laufende Bewährungszeit bis zum 5. Dezember 2016 noch nicht möglich sei.
Auf den schriftlichen Einwand des Klägers hin hat der Beklagte die Fragestellung gegenüber der Begutachtungsstelle mit Schreiben vom 23. März 2015 um die Frage erweitert:
Ist zu erwarten, dass der Untersuchte auch zukünftig die Gewähr gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung dafür bietet, die der besonderen Verantwortung bei Beförderung von Fahrgästen gerecht wird, bzw. liegen als Folge der Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen/des unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die nicht die Gewähr dafür bieten, die der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Personen gerecht wird?
Mit Schreiben vom 7. April 2015 sandte die Begutachtungsstelle den Verwaltungsvorgang an den Beklagten ohne weitere Angaben zurück. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, den Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 2015 zur Vorlage des Gutachtens bis zum 12. Juni 2015 aufzufordern und ihn zugleich darauf hinzuweisen, dass er auf dessen Nichteignung schließen dürfe, wenn dieser sich weigere, sich untersuchen zu lassen, oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringe.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2015 teilte der Kläger mit, dass das medizinischpsychologische Gutachten nicht vorgelegt wurde, weil das MPU-Verfahren rechtswidrig erfolgt sei.
Unter dem vom 25. August 2015 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 24. November 2014 auf Erteilung einer Fahrerlaubnis für die Klassen C, CE im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass das geforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht beigebracht worden sei.
Mit seiner am 28. September 2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis weiter. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Zwar habe der Beklagte zu Recht die Durchführung einer medizinischpsychologischen Untersuchung angeordnet. Dies beziehe sich allerdings auf die Eignungszweifel bei Alkoholproblematik. Weitere Anhaltspunkte für etwaige Eignungszweifel, insbesondere durch die Vergewaltigungstat, ergäben sich nicht, so dass bereits die Anordnung der medizinischpsychologischen Untersuchung unter den betreffenden Fragestellungen der Fragen 1 und 3 zum Teil rechtswidrig sei. Auf § 11 Abs. 3 Nr. 7 der Fahrerlaubnis-Verordnung könne sich der Beklagte für die Anordnung nicht berufen. Zum einen müsse es sich hierbei um "Straftaten", also um Plural mindestens zwei Taten handeln. Soweit der Kläger eine weitere "zweite" Straftat wegen Trunkenheit im Straßenverkehr begangen habe, falle diese Straftat auch nicht unter § 11 Abs. 2 Nr. 7 der Fahrerlaubnis-Verordnung. Die Anordnung des Beklagten könne auch nicht auf § 11 Abs. 3 Nr. 6 der Fahrerlaubnis-Verordnung gestützt werden. Hierfür fehle es nach Würdigung der Vergewaltigung im minder schweren Fall an einer Straftat mit entsprechend erforderlichen hohen Aggressionspotenzial in Bezug auf die Teilnahme am Straßenverkehr. Bei der Vergewaltigungstat habe es sich um eine "Beziehungstat" gehandelt. Die Beurteilung sei ein Grenzfall, bei dem der "Gewaltbegriff" im unteren Rahmen dahingehend bejaht worden sei, dass das vermeintliche Tatopfer seiner - des Klägers - aktiven und bestimmenden Handlung keinen Widerstand entgegengesetzt habe. Selbst das vermeintliche Opfer habe in keiner Instanz geäußert, dass er - der Kläger - es körperlich zu sexuellen Handlungen gezwungen habe. Hieraus lasse sich nicht im Ansatz ein etwaiges Aggressionspotenzial im Bezug auf die Teilnahme am Straßenverkehr adaptieren. Er habe nach der Vergewaltigungstat bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 25. August 2015 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 24. November 2014 die Fahrerlaubnis für die Klassen C, CE und den Fahrgastbeförderungsschein wieder zu erteilen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung seines ablehnenden Bescheides zu verpflichten, ihm die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens abschließend zu den Fragen aufzugeben:
1. Ist zu erwarten, dass der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, bzw. liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der genannten Klasse in Frage stellen?
2. Ist zu erwarten, dass der Kläger auch zukünftig die Gewähr gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung dafür bietet, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden?
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen seines ablehnenden Bescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
Der Hauptantrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 25. August 2015, mit dem der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger folglich auch nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung der begehrten Fahrerlaubnis für die Klassen C, CE und zur Fahrgastbeförderung nach vorangegangener Entziehung.
Voraussetzung hierfür ist, dass der Kläger die gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - i.V.m. den §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung - FeV -, erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt. Hieran fehlt es.
Für den Beklagten war der Schluss auf die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeuges gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV geboten. Nach dieser Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder dass von der Behörde zu Recht geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dabei ist der Fahrerlaubnisbehörde trotz der Formulierung "darf" kein Ermessen eingeräumt. Sie hat vielmehr auf die Nichteignung des Betroffenen zu schließen, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV erfüllt sind.
Vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 24.1.2012 - 10 S 3175/11 -, juris Rn. 24.
So liegt es hier. Der Kläger hat das vom Beklagten zu Recht geforderte Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinischpsychologisches Gutachten) nicht beigebracht.
In formeller Hinsicht genügte die Beibringungsanordnung vom 27. Februar 2015 den an sie gemäß § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 2, Abs. 8 Satz 2 FeV zu stellenden Anforderungen.
Materiellrechtlich findet die Untersuchungsanordnung ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV. Nach diesen Vorschriften darf die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln im Rahmen der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens durch den Betroffenen anordnen, wenn der Betroffene eine erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, begangen hat, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Der Kläger hat am 2. März 2012 seine Freundin, nachdem diese sich von ihm trennen wollte, vergewaltigt. Die Vergewaltigungstat steht aufgrund der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils im Verfahren 21 Ls-22 Js 579/12-9/12 fest. Hierbei handelt es sich unabhängig von den konkreten Umständen der Tatbegehung um eine erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht und aus der sich Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial ergeben. Denn schon der vom Kläger verübte Tatbestand der Vergewaltigung, auch in einem minder schweren Fall, in dem nicht von dem Regelfall des § 177 Abs. 2 StGB ausgegangen worden ist,
vgl. hierzu: Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 62. Aufl., 2015, § 177 Rn. 76,
überschreitet die Erheblichkeitsschwelle, weil er mit dem erzwungenen Beischlaf und damit mit einer in den Körper eindringenden Handlung von besonderem Gewicht verbunden ist, bei der der Kläger in extremer Weise eigene Interessen über das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau gestellt hat. Ein solches Delikt steht auch im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung, denn aufgrund der hierin zum Ausdruck kommenden Bereitschaft des Klägers zur Durchsetzung eigener Interessen unter schwerwiegender Verletzung der Interessen anderer ist zu besorgen, dass der Kläger eigene Interessen gegenüber dem berechtigten Interessen anderer Verkehrsteilnehmer durchzusetzen bereit ist und so das Risiko einer gefährdenden Verkehrssituation erhöht. Ob diese Besorgnis berechtigt ist, hat der Beklagte daher zu Recht mit der Forderung nach Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zu ergründen gesucht.
Der vom Kläger gestellte Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass er - der Kläger - Frau C. weder in der Küche noch auf dem Weg von der Küche über dem Flur ins Schlafzimmer an den Haaren gezogen hat, war abzulehnen. Er bietet keinen Anlass zu weiteren Sachaufklärung. Die unter Beweis gestellte Tatsache ist nach den vorangegangenen Ausführungen, wonach es nicht auf die konkreten Tatumstände des Vergewaltigungsdelikts ankommt, für die Entscheidung unerheblich.
Sofern der Beklagte die Forderung nach Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens auch auf Eignungszweifel wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss gestützt hat, ist Rechtsgrundlage hierfür § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV. Die im Zusammenhang mit dem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung stehende Aufforderung des Beklagten zu Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 FeV. Hiergegen sind Bedenken vom Kläger nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
Das nach alldem berechtigterweise geforderte Gutachten hat der Kläger aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht binnen der vom Beklagten gesetzten Frist beigebracht.
Auch der Hilfsantrag ist unbegründet.
Nach den vorangegangenen Ausführungen hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass ihn der Beklagte zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens mit weiter eingeschränkter Fragestellung auffordert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.