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VG Minden, Urteil vom 05.12.2017 - 1 K 5495/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wehrt sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

Unter dem 08.10.2015 stellte die Beigeladene bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses auf den Flurstücken 66 - 69, 164, 290 - 292 und 316 der Flur 16, Gemarkung I. (postalische Anschrift: L1. 2 und 4 sowie L2. 5) in Q. ). Das im Zentrum von I. gelegene Grundstück, das eine Hanglage aufweist und 1.820 m³ groß ist, wird durch die Straßenzüge L1. (Norden), L3.---straße (Osten), L2. (Süden) und I1.----straße (Westen) eingefasst. Ausweislich der allgemeinen Baubeschreibung geht es bei dem Vorhaben der Beigeladenen darum, dass ein unter Denkmalschutz stehendes zweigeschossiges Fachwerkhaus als Bestandsgebäude saniert und als Café nebst Wohnung ausgebaut sowie daran ein neues Wohn- und Geschäftshaus mit vier Geschossen in zweireihiger Bauweise angebaut wird. Der Neubau soll zwölf Wohnungen umfassen. Auf dem nördlich gelegenen Vorplatz sollen 22 Stellplätze entstehen.

Das Grundstück wird vom Geltungsbereich des rechtskräftigen Bebauungsplans Nr. 1 "Sanierung und Neugestaltung des Ortskerns im Stadtteil I. " in der maßgeblichen 13. Änderungsfassung erfasst. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist ein Mischgebiet festgesetzt. Die Grundflächenzahl beträgt 0,8. Ferner sind nach den Satzungsvorgaben maximal drei Geschosse zulässig. Die vier das Quartier umgebenden Straßen sind als öffentliche Verkehrsfläche bzw. Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung (verkehrsberuhigter Bereich) ausgewiesen.

Der Kläger ist Eigentümer der Immobilie L2. 6 (amtliche Lagebezeichnung: Flurstücke 338, 339, 340 und 343 der Flur 16 in der Gemarkung I. ). Das aufstehende zweigeschossige Gebäude wird freiberuflich, gewerblich und als Wohnhaus genutzt.

Während des Baugenehmigungsverfahrens versuchte die Beklagte vergeblich zu erreichen, dass der Kläger zu Gunsten der Beigeladenen eine öffentlichrechtliche Verpflichtung in Form einer Abstandflächenbaulast auf sein Flurstück 340 übernimmt. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass nach einer Bauvorlage eine Abstandfläche über die Straßenmitte des L4. hinausgehend in dieses klägerische Flurstück hineinragt. Ausweislich dieser Bauvorlage gehen auch an anderen Stellen Abstandflächen des geplanten Neubaus über die Mitte der Straße hinaus.

Mit Bauschein vom 26.09.2016 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung. Zugehörig ist ein Befreiungsbescheid. Damit wurde u.a. eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 1 hinsichtlich der Überschreitung der Geschossigkeit erteilt. Dies wurde damit begründet, dass nur der Gebäuderiegel zum L1. viergeschossig sei. Außerdem erließ die Beklagte unter dem 26.09.2016 zwei Abweichungsbescheide, die sich zu einer Brandwand sowie zur Überschreitung der Abstandfläche zu Lasten der - westlich - gegenüberliegenden Flurstücke 283 und 284 verhalten. Auch diese Abweichungsbescheide wurden zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt. Gleiches gilt hinsichtlich der denkmalrechtlichen Erlaubnis vom 01.12.2015 das Fachwerkhaus betreffend.

Am 17.11.2016 hat der Kläger, der am 17.10.2016 eine Ausfertigung der Baugenehmigung erhielt, die vorliegende Klage erhoben. Er macht Folgendes geltend:

Soweit ausweislich der im Genehmigungsverfahren berücksichtigten "Anlage zur Baulast" hinsichtlich der ihm gehörenden Flurstücke angeblich Baulasten unter der Nr. 265 bestünden, sei dies unzutreffend. Die Ansicht der Beklagten, dass sein eigenes Gebäude L2. 6 zum Teil den nötigen Grenzabstand nicht einhalte, sei nicht stichhaltig. Denn dabei handele sich um ein sehr altes Haus, das nicht mehr verschoben werden könne. Diese Problematik sei erst jetzt dadurch aufgetreten, dass eine intensive Bebauung in der sog. "Neuen Mitte" stattfinde. In diesem Zusammenhang sei unklar, ob und inwieweit die Verkehrsfläche "L2. ", die sein Bauobjekt und das streitbefangene Bauvorhaben voneinander trenne, überhaupt noch öffentlich gewidmet sei. Der Richtung Osten befindliche Teil der Verkehrs- und Wegefläche gehöre mittlerweile zu seinem Privateigentum; dort befänden sich Pkw-Stellplätze.

Dass die Beklagte offenbar die Abstandfläche für den gesamten Baukörper der Beigeladenen gegenüber der Verkehrsfläche "L2. " mit dem Faktor 0,4 berechnet habe, sei über eine Länge des Baukörpers von circa 50 m nicht zulässig. Ihre Argumentation zur Anwendung des § 6 Abs. 16 BauO NRW sei nicht überzeugend. Die Beklagte möge nachweisen, dass es sich tatsächlich um einen Kernbereich im Rechtssinne handele und ggf. für welche Bereiche dieser gelte. Nach seinem Kenntnisstand gebe es in I. keinen tatsächlich ausgewiesenen Kernbereich.

Zudem sei die im Zentrum von I. zulässige Anzahl der Geschosse überschritten worden. Entgegen der Darstellung der Beklagten zur Begründung der erteilten Befreiung gehe es nicht um mehrere kleinteilige Riegel, sondern lediglich um zwei Riegel.

Außerdem zweifle er die Zulässigkeit der im Objekt befindlichen Grundflächen an.

Der Kläger beantragt,

die zum Az.: 63.42.AA.5/14.-0 erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses zur Flur 16, Flurstücke 66, 67-69, 164, 290-292, 316 an der Straße L1. , Gemarkung I. , vom 26.09.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass es sich bei der am 07.08.2003 unter der laufenden Nummer 265 im Baulastenverzeichnis eingetragenen Baulast hinsichtlich der klägerischen Flurstücke 338 - 340 und 343 um eine Vereinigungsbaulast handele, die der Kläger selbst beantragt habe. Richtig sei allerdings, dass die von ihr vorbereiteten (Abstandflächen-)Baulasten in Bezug auf das streitgegenständliche Wohn- und Geschäftshaus der Beigeladenen bislang von ihm nicht unterschrieben worden seien. Diese Baulasten seien jedoch auch nicht erforderlich, weil die Abstandflächen des streitgegenständlichen Baukörpers nur geringfügig in zwei Bereichen über die Straßenmitte des L4. hinausragten (Grünschraffur in der Anlage 1). Gleiches gelte übrigens auch hinsichtlich des klägerischen Gebäudes am L2. 6 (Rotschraffur in der Anlage 1). Aufgrund der städtebaulichen Situation im eng bebauten Ortskern von I. sei im Falle der Beigeladenen nach § 6 Abs. 16 BauO NRW eine geringere Tiefe der Abstandfläche bis zur Straßenmitte gestattet worden, wie es auch für das Gebäude L2. 6 selbst zutreffe. Hierbei sei es unerheblich, dass auch das im Eigentum des Klägers stehende Flurstück 340 betroffen sei. Denn dieses Flurstück stelle nach wie vor eine Verkehrsfläche dar, es werde dementsprechend genutzt und sei aufgrund der Festsetzung als öffentliche Verkehrsfläche mit der Zweckbestimmung "Befahrbare Fläche für Fußgänger" im rechtsverbindlichen Bebauungsplan Nr. 1 einer Bebauung dauerhaft entzogen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.09.2004 - 1 ME 194/04 -). Ein Entwidmungsverfahren sei für diese Fläche nicht durchgeführt worden.

Die Anwendung des Faktors 0,4 über die Gesamtlänge des Baukörpers sei nicht zu beanstanden. Denn auf der Grundlage des § 6 Abs. 16 BauO NRW könnten geringere Abstandflächen gestattet werden, weil die Gestaltung des Straßenbildes und die städtebaulichen Verhältnisse diese rechtfertigten.

In der Tat weise das Gebäude der Beigeladenen vier Geschosse auf, es sei jedoch auf die tatsächliche dreigeschossige Wirkung abzustellen. Von der entsprechenden Festsetzung im Bebauungsplan Nr. 1 in der 13. Änderungsfassung zur dreigeschossigen Bauweise sei der Beigeladenen eine Befreiung erteilt worden. Denn es verhalte sich nämlich faktisch so, dass die viergeschossige Bebauung nicht über die gesamte Grundfläche des Erdgeschosses realisiert werde, sondern auf diesem mehrere kleinteilige Riegel errichtet würden. Damit bleibe das Vorhaben im Volumen deutlich hinter einer zulässigen dreigeschossigen Bebauung zurück. Auch gegenüber dem klägerischen Gebäude L2. 6 ergäben sich dadurch keine über die Festsetzungen des Bebauungsplans hinausgehenden nachbarschützenden Belange. Das Vorhaben der Beigeladenen entwickle sich gegenüber diesem Objekt am gegenüber dem L1. höher gelegenen L2. mit einer dreigeschossigen Fassade. Nach dem Bebauungsplan wäre es sogar zulässig, dass dem Gebäude L2. 6 ein Vorhaben gegenüberstünde, das um ein Dachgeschoss, welches kein Vollgeschoss sei, erweitert würde.

Was die Grundflächenzahl des Objekts von 0,8 anbelange, sei diese bebauungsplankonform.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein, dass sie bei den Grenzabständen die Privilegien des § 6 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 BauO NRW für sich in Anspruch nehme. Da u.a. das klägerische Flurstück 340 im Bebauungsplan Nr. 1 als öffentliche Verkehrsfläche mit der Zweckbestimmung "Befahrbare Fläche für Fußgänger" festgesetzt sei und auch entsprechend genutzt werde, dürfe sie die Straße L2. auch insoweit bis zu deren Mitte als Abstandfläche unter Anrechnung des Faktors 0,4 in Anspruch nehmen. Allerdings verlaufe die Straßenmitte unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die klägerischen Flurstücke 338 und 339 zur öffentlichen Verkehrsfläche gehörten, in diesem Bereich tatsächlich weiter südlich und damit anders, als sie in die genehmigte Bauvorlage eingezeichnet worden sei. Aus dem beigefügten Plan sei zu ersehen, dass die Abstandflächen ihres Vorhabens tatsächlich nicht über die eingezeichnete Straßenmitte hinausgingen.

Selbst wenn die Flurstücke 338, 339 und 340 nicht als öffentliche Verkehrsfläche einzustufen wären, müsste der Kläger die Inanspruchnahme seines Flurstücks 340 bis zur Straßenmitte und auch darüber hinausgehend hinnehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich um eine reine Wegeparzelle ("Verkehrsfläche") handele. In derartigen Fällen werde dem jeweiligen Eigentümer im Hinblick auf die Schutzzwecke der Grenzabstandvorschriften regelmäßig kein Abwehrrecht bei einer entsprechenden Rechtsverletzung verliehen. Unterstellt, die Abstandflächen ihres Neubauvorhabens würden die Straßenmitte überschreiten, würde sich die Geltendmachung des Abwehrrechts durch den Kläger als unzulässige Rechtsausübung darstellen. Denn sein Gebäude L2. 6 halte selbst an einigen Stellen an der dem L2. zugewandten Seite zu ihren Lasten nicht den nötigen Grenzabstand ein. Sofern ihr, der Beigeladenen, überhaupt ein Abstandflächenverstoß anzulasten wäre, ginge dieser jedenfalls nicht weiter als derjenige des Klägers. Ungeachtet dessen lägen, worauf die Beklagte bereits hingewiesen habe, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 16 BauO NRW vor.

Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Abstandflächenplan (Bl. 2 0087 der Verwaltungsvorgänge) einen veralteten Planungsstand wiedergebe. Denn das Vorhaben sei im Laufe des Genehmigungsverfahrens zum Teil geändert und die Bauvorlagen deshalb teilweise ausgetauscht worden. Ausweislich des grün gestempelten Grundrissplans für das dritte Obergeschoss (Bl. 2 0092) und der Ansichten (Bl. 2 0093) sprängen die in diesem Geschoss gelegenen Außenwände in dem Teilbereich gegenüber dem Haus des Klägers zurück, in dem sich nach dem Abstandflächenplan die mit "3,59", "0,70", "3,33" und "2,09" bemaßten Überschreitungen der (bisher angenommenen) Straßenmitte ergäben. Und zwar um 30 cm mit der Folge, dass bis auf den kleinen mit "0,68" bemaßten Bereich tatsächlich keine Abstandfläche die (bisher angenommene) Straßenmitte mehr überschreite. Es werde nunmehr ein im Hinblick auf die fraglichen Abstandflächen korrigierter Planausschnitt überreicht.

Was die Rügen des Klägers zur Geschosszahl und zur Grundfläche ihres Vorhabens betreffe, vermittelten die entsprechenden Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung bereits keinen Drittschutz. Im Übrigen werde die festgesetzte Grundflächenzahl nicht überschritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Die der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 26.09.2016 für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses auf den Flurstücken 66, 67-69, 164, 290-292, 316 der Flur 16, Gemarkung I. ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Es kann offen bleiben, ob die Baugenehmigung in jeder Hinsicht rechtmäßig ist. Denn ein Nachbar kann nicht schon dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr hat eine solche Klage nur dann Erfolg, wenn durch die Baugenehmigung Rechte verletzt werden, die zumindest auch dem Nachbarschutz dienen.

Hier verstößt die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht gegen Bestimmungen, die auch dem Nachbarschutz des Klägers dienen (1.), bzw. ein Verstoß verletzt ihn jedenfalls nicht in seinen Rechten (2.).

1. Es liegt kein Rechtsverstoß gegen eine auch seinem Schutz dienende Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 1 in der maßgeblichen 13. Änderungsfassung vor.

Der Kläger kann nicht mit Erfolg rügen, dass die der Beigeladenen erteilte Befreiung von der im Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück getroffenen Festsetzung der Dreigeschossigkeit rechtswidrig sei. Denn bei dieser Festsetzung fehlt es nach dem Willen des Plangebers an einer nachbarschützenden Wirkung gerade auch zugunsten des klägerischen Grundstücks.

Die Festsetzungen des Maßes baulicher Nutzungen vermitteln anders als die zur Art der baulichen Nutzung den Eigentümern von innerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücken regelmäßig keinen Abwehranspruch im Sinne eines Gebietsgewährleistungsanspruchs. Abweichungen von den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung lassen in aller Regel den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn ist daher das drittschützende Rücksichtnahmegebot des § 31 Abs. 2 BauGB ausreichend, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt. Ein darüber hinausgehender, von einer realen Beeinträchtigung unabhängiger Anspruch des Nachbarn auf Einhaltung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung kann dagegen dem Bundesrecht nicht entnommen werden.

Allenfalls ausnahmsweise, unter besonderen Voraussetzungen ist eine drittschützende Wirkung von Maßfestsetzungen denkbar. Maßgeblich ist der Wille der Gemeinde als Planungsträger. Dieser ist durch Auslegung anhand des Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks der betreffenden Festsetzung und der zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Dabei ist zu prüfen, ob der Ortsgesetzgeber mit den Planausweisungen nicht nur städtebauliche Ziele verfolgen, sondern auch (einzelne) Grundeigentümer schützen oder begünstigen wollte.

Vgl. zu dem Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 31.07.2017 - 7 A 830/16 -, juris Rn. 28 ff. m.w.N.

Hier lassen sich Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung der Geschosszahl in dem Bereich, der Gegenstand der streitigen Befreiung ist, gerade auch zum Schutz des klägerischen Grundstücks erfolgt wäre, weder dem Bebauungsplan noch der Planbegründung entnehmen. Dass der Kläger durch die von der Beklagten zugelassene Viergeschossigkeit unzumutbar beeinträchtigt wird, ist nicht erkennbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die Hanglage des Vorhabengrundstücks bedingt von seiner Liegenschaft aus - der L2. liegt höher als u.a. der L1. - lediglich drei Geschosse sichtbar sind. Demgegenüber sind vom L1. aus betrachtet beim streitgegenständlichen Objekt vier Geschosse wahrnehmbar.

Auch die weitere Rüge des Klägers zum Maß der baulichen Nutzung, dass die Grundflächen des genehmigten Baukörpers unzulässig seien, greift nicht durch. Ungeachtet der obigen Grundsätze, die auch insoweit gelten, wird die Grundflächenzahl von 0,8 - die über der nach § 17 BauNVO festgelegten Obergrenze für Mischgebiete von 0,6 liegt (vgl. Begründung der 13. Änderung des Bebauungsplans) - nach Aktenlage eingehalten.

2. Allerdings ist das Vorbringen des Klägers zur Nichteinhaltung der Grenzabstände zutreffend, letztlich aber nicht stichhaltig. Die Baugenehmigung vom 26.09.2016 ist zwar insoweit materiell rechtswidrig, sie verletzt den Kläger jedoch nicht in seinen Nachbarrechten.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW müssen Abstandflächen auf dem Grundstück selbst liegen. Sie dürfen u.a. auch auf öffentlichen Verkehrsflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte (Satz 2). Nach Satz 3 dürfen sich Abstandflächen ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn durch Baulast gesichert ist, dass sie nur mit in der Abstandfläche zulässigen baulichen Anlagen überbaut werden und auf die auf diesen Grundstücken erforderlichen Abstandflächen nicht angerechnet werden. Zu öffentlichen Verkehrsflächen beträgt die Tiefe der Abstandflächen 0,4 H (§ 6 Abs. 5 Satz 2 1. Spiegelstrich BauO NRW).

Diesen gesetzlichen Vorgaben, die Nachbarschutz vermitteln, wurde vorliegend nicht vollständig Rechnung getragen. Dabei ist bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung der von der Beklagten grün gestempelte Plan zur Abstandflächenberechnung (Rückseite von Bl. 2 0087 der Beiakte) zugrunde zu legen, denn dieser ist ihr Bestandteil geworden. Dass in dem Grünstempelaufdruck vom "Bauschein vom 27.09.2016" die Rede ist, während die Baugenehmigung nach Aktenlage das Datum 26.09.2016 trägt, ist unbeachtlich (falsa demonstratio non nocet). Bei dem vom Beigeladenenvertreter während des Klageverfahrens vorgelegten Plan (Bl. 59 der Gerichtsakte) handelt es sich nach dessen Darlegung in der mündlichen Verhandlung lediglich um eine Farbkopie dieses Plans, in die er selbst den Verlauf der Straßenmitte des L4. mit einem roten Stift abweichend eingezeichnet habe. Auch der weitere vom Beigeladenenvertreter vorgelegte Abstandflächenplan (Bl. 62 der Gerichtsakte), in dem der infolge einer Umplanung während des Baugenehmigungsverfahrens realisierte "Rücksprung" des Gebäudes um 30 cm in dem Bereich gegenüber dem klägerischen Anwesen Berücksichtigung fand, floss nicht verbindlich in die Baugenehmigung ein. Dass der von der Beklagten grün gestempelte und damit maßgebliche Plan zur Abstandflächenberechnung (Rückseite von Bl. 2 0087 der Beiakte), der demnach einen veralteten Planungsstand wiedergibt, im Widerspruch zu anderen im Laufe des Genehmigungsverfahrens ausgetauschten Bauvorlagen mit Grünstempel (Bl. 2 0092 f. der Beiakte) steht, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, zumal die Berücksichtigung dieser Bauvorlage zur Abstandflächenproblematik für den Kläger am günstigsten ist.

Unter Zugrundelegung dieser grün gestempelten Skizze zur Abstandflächenberechnung kommt es durch die Anwendung des Faktors 0,4 H an der Straße L2. gegenüber dem klägerischen Anwesen zu mehreren Überschreitungen. Denn die Abstandflächen von Bauteilen des streitgegenständlichen Baukörpers der Beigeladenen ragen demnach an einigen Stellen, die in dem Plan grün schraffiert wurden, über die dort eingezeichnete Straßenmitte hinaus. Dadurch kommt es zur Benachteiligung des Klägers, weil es ihm verwehrt wird, an den betroffenen Abschnitten zukünftig seinerseits die Straße bis zu deren Mitte als Abstandflächen für etwaige eigene Bauprojekte in Anspruch zu nehmen. Auch soweit eine Abstandfläche des Beigeladenenobjekts zum Teil auf seinem 16 m² großen Flurstück 340 liegt, geht diese über die in dem Plan markierte Straßenmitte hinaus. In eine entsprechende Abstandflächenbaulast hat der Kläger insoweit bislang nicht eingewilligt.

Daraus kann er jedoch im Ergebnis nichts zu seinen Gunsten herleiten. Dabei kann vernachlässigt werden, ob - wie die Beklagte und die Beigeladene annehmen - die Voraussetzungen der an sich restriktiv zu handhabenden Vorschrift des § 6 Abs. 16 BauO NRW erfüllt sind. Denn ungeachtet dessen ist es dem Kläger jedenfalls verwehrt, diese Abstandflächenverstöße geltend zu machen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass auch die Abstandflächen seines eigenen Gebäudes am L2. 6 teilweise über die Straßenmitte hinausgehen (vgl. die roten Schraffuren in dem besagten Plan).

Zwar hindert ein eigener Abstandflächenverstoß den dadurch begünstigten Eigentümer nicht schlechthin daran, ein nachbarliches Vorhaben unter dem Aspekt des Abstandflächenrechts anzugreifen. Aus dem auch im öffentlichen Baurecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist jedoch abzuleiten, dass in einer derartigen Situation nur solche Rechtsverstöße abgewehrt werden können, die den Eigentümer stärker beeinträchtigen als sein eigener Rechtsverstoß das Nachbargrundstück.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 03.03.2017 - 2 B 1462/16 -.

Dieser Grundsatz kommt auch in einem Fall wie dem vorliegenden zur Anwendung, in dem zwischen den Grundstücken der Nachbarn eine Straße liegt.

Hier liegen keine Abstandflächenverstöße der Beigeladenen vor, die den Kläger stärker belasten. Vielmehr sind diese nach Auffassung der Kammer als gleichwertig einzustufen.

Dabei ist maßgeblich zu würdigen, dass es sich bei dem Flurstück 340, das der Kläger im Jahr 2002 erwarb und als Stellplatznachweis für sein Anwesen L2. 6 dient, um eine reine Wegeparzelle handelt. Dieses Flurstück ist, wovon sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können, im Bebauungsplan Nr. 1 bis heute als öffentliche Verkehrsfläche (verkehrsberuhigte Zone) festgesetzt. Die Kammer nimmt auch an, dass das Flurstück 340 nach wie vor ein Teil der Straße L2. ist, woran der Kläger Zweifel angemeldet hat. Denn tatsächliche Vorgänge - wie z.B. die Einrichtung von Stellplätzen - lassen die mit dem Rechtsakt der Widmung verbundenen Feststellungen nicht entfallen. Vielmehr verliert eine Wegeparzelle als Teil eines öffentlichen Weges diese Rechtsnatur erst durch eine in den jeweils anzuwendenden Rechtsformen durchgeführte Einziehung.

Vgl. VG Halle, Urteil vom 21.06.2016 - 6 A 106/14 -, juris Rn. 39.

Für eine straßenrechtliche Entwidmung in diesem Sinne gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Eine solche hat laut der Beklagten nicht stattgefunden. Das Flurstück 340 ist für alle Verkehrsteilnehmer über den westlichen Arm des L4. frei zugänglich und wird auch entsprechend als Verkehrsfläche genutzt.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung löst der Umstand, dass die Abstandfläche eines Gebäudes auf einer angrenzenden reinen Wegeparzelle liegt, regelmäßig keine Abwehrrechte des Eigentümers dieser Parzelle aus. Denn eine Abstandfläche dient der ausreichenden Belichtung und Belüftung angrenzender Grundstücke, dem Feuerschutz und der Brandbekämpfung. Sie soll ferner einen Sozialabstand gewährleisten, der auch erdrückende und beengende Wirkungen von Bauwerken ausschließen soll. Eine reine Wegeparzelle kann nicht in einer Weise genutzt werden, in der sich diese Gesichtspunkte positiv auswirken könnten. Ihr kommt die Schutzwirkung der Abstandfläche deshalb nicht zugute.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.09.1996 - 10 B 2276/96 -, juris Rn. 5.

Daneben mögen die Abstandsvorschriften zwar auch andere Zwecke, namentlich den Zweck verfolgen, eine ungestörte Nutzung der Freiflächen sicherzustellen und deren unangebrachte Verschattung durch zu nahe heranrückende Gebäude zu verhindern. Auch diese Nebenzwecke der Abstandsvorschriften rechtfertigen es jedoch nicht, solchen Grundstücksparzellen Abwehrbefugnisse zu verleihen, welche - wie im vorliegenden Fall - nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans mit einem Verkehrsrecht zugunsten der Allgemeinheit belastet worden sind. Solche Flächen stellen nicht mehr einen gleichsam "nach außen gestülpten" Wohnbereich dar. Sie sind nach ihrer Nutzung nicht mit den Freiflächen vergleichbar, welche sich typischerweise zwischen den Gebäuden und den Grundstücksgrenzen befinden.

Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.09.2004 - 1 ME 194/04 -, juris Rn. 11 f.

Vor diesem Hintergrund ist hier der Umstand, dass eine der Abstandflächen des Beigeladenenobjekts auf dem Flurstück 340 liegt und ebenfalls über die Straßenmitte hinausgeht, bei der Bewertung der wechselseitigen Abstandflächenverstöße auszublenden. Denn der Kläger darf diese Wegeparzelle wegen der Festsetzung im Bebauungsplan Nr. 1 als öffentliche Verkehrsfläche nicht bebauen. Es ist auch losgelöst von etwaigen Bauabsichten des Klägers angesichts des Zuschnitts des Flurstücks 340 und der übrigen Örtlichkeiten nicht davon auszugehen, dass er den kleinen Teil der Abstandfläche im nördlichen Bereich, den die Beigeladene jenseits der Straßenmitte für ihr Vorhaben in Anspruch nimmt, selbst für eine potentielle Aufstockung seines Mehrfamilienhauses von zwei auf drei Geschosse benötigen wird.

Vgl. zu solchen Überlegungen OVG NRW, Beschluss vom 30.09.1996 - 10 B 2276/96 -, juris Rn. 7 ff.

Die dann noch verbleibenden gegenseitigen Abstandflächenverstöße der Beigeladenen und des Klägers sind als gleichwertig einzustufen, sodass sich der Kläger auf die durch das Beigeladenenvorhaben bewirkten Abstandflächenverletzungen nicht durchgreifend berufen kann.

Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei waren die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit am Prozessrisiko beteiligt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.

Lukas Jozefaciuk