VG Köln, Urteil vom 26.04.2016 - 17 K 5739/14
Tenor
Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird es eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin des 816 qm großen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung N. , Flur 00, Flurstück 000, mit der Lagebezeichnung " I. 00".
Die Straße I. zweigt in nordwestlicher Richtung von der C.------straße (L 326) ab. Nach etwa 220 m treffen von Südwesten die Straße B. und von Norden die N1.-----straße auf die Straße I. . Diese verläuft sodann in westlicher Richtung weiter und mündet nach ca. 280 m in die M.------straße . 2011 wurde im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens bei einer "Knotenstromzählung" an der Kreuzung C.------straße / I. /X. für die Straße I. eine Verkehrsbelastung von 242 Kraftfahrzeugen an einem Werktag in der Zeit von 15:00 bis 19:00 Uhr festgestellt.
Das Grundstück der Klägerin grenzt an das Teilstück der Straße I. zwischen der C.------straße und der Einmündung der N1.-----straße . Dieser Teil der Straße ist in einem "Verzeichnis der am 29.6.1961 im Sinne des § 180 Abs. II BBauG vorhandenen sowie der danach hergestellten Erschliessungsanlagen" der Beklagten, als vorhandene Straße aufgeführt und war ausweislich des Verzeichnisses am 29. Juni 1961 mit einer Teerdecke, einem Kanal und Straßenbeleuchtung ausgestattet und zum innerörtlichen Anbau und Verkehr zu dienen bestimmt. Seitdem sind keine Baumaßnahmen dokumentiert, die als Erneuerung oder Verbesserung beitragsrechtlich abgerechnet wurden.
Am 20. November 2012 beschloss der Bau- und Umweltausschuss der Beklagten den Ausbau des streitgegenständlichen Teilstücks der Straße entsprechend der in der Sitzung vorgestellten Entwurfsplanung des Ingenieurbüros P. . Der Ausbau der Straße sollte im Zusammenhang mit der vom Gemeindewerk Abwasserbeseitigung geplanten hydraulischen Sanierung des Mischwasserkanals erfolgen. Nach den Feststellungen des Ingenieurbüros war die Fahrbahn verformt und verdrückt und wies Längs- und Netzrisse sowie ausgebrochene Ränder auf; der Untergrund war nicht frostsicher. Der Ausbau der Straße sollte im Wege eines Mischsystems mit einer 3,5 m breiten asphaltierten Fahrbahnfläche und einer 1,5 m breiten, gepflasterten Mehrzweckfläche und wie bisher ohne separate Gehwege erfolgen. Im Bereich der asphaltierten Flächen sollten eine 42 cm starke Frostschutzschicht, eine 14 cm starke bituminöse Tragschicht und 4 cm Asphaltbeton aufgetragen werden. Im Bereich der Pflasterflächen waren eine 32 cm starke Frostschutzschicht, 15 cm Schottertragschicht sowie 13 cm Betonsteinpflaster und Pflasterbettung vorgesehen. Am 24. Januar 2013 stellte die Beklagte den Anwohnern die geplanten Straßenbaumaßnahmen und die Vorgehensweise bei der Ermittlung von Anliegerbeiträgen nebst Vorausleistungen vor. Zwischen März und November 2014 wurden die Baumaßnahmen durchgeführt.
Mit Bescheid vom 18. September 2014 zog die Beklagte die Klägerin nach vorausgegangenem Schriftwechsel mit ihrem Prozessbevollmächtigten zu einer Vorausleistung auf den Straßenbaubeitrag in Höhe von 5.729,37 Euro heran. Bei der Berechnung der Vorausleistung ordnete die Beklagte das streitgegenständliche Teilstück der Straße I. entsprechend ihrem Straßenverzeichnis zur Satzung für straßenbauliche Maßnahmen gem. § 8 KAG als Anliegerstraße ein und legte demgemäß einen Anteil der Beitragspflichtigen am voraussichtlichen beitragsfähigen Aufwand von 80 % zu Grunde.
Am 20. Oktober 2014 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Die Voraussetzungen für die Heranziehung zu Straßenbaubeiträgen für Erneuerungsmaßnahmen seien nicht gegeben. Die Straße sei nicht ordnungsgemäß instandgehalten und durch den Verkehr von und zu den anliegenden Baugebieten sowie den in unmittelbarer Nähe gelegenen Einkaufszentren über die bestimmungsgemäße Nutzung hinaus beansprucht worden. Der beitragsfähige Aufwand sei nicht korrekt berechnet worden. Es sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass im Zuge der Kanalerneuerung die Straßendecke ohnehin hätte aufgebrochen und wiederhergestellt werden müssen. Die Ersparnis sei mit 10 % zu niedrig bemessen worden. Bei der Straße I. handele es sich um eine Haupterschließungsstraße. Die Straße sammele den Verkehr von Anliegerstraßen und führe diesen zu Hauptverkehrsadern der Gemeinde. Mit der Anbindung an die M.------straße , die N1.-----straße und die Straße B. sei die Straße I. zur Verbindung für den innerörtlichen Durchgangsverkehr zu den umliegenden Baugebieten und zur Zufahrtsstraße für die außerhalb liegenden Einkaufszentren geworden. Sie werde außerdem zur Anfahrt eines nahegelegenen Kindergartens genutzt. Es sei ein starker innerörtlicher Verkehr festzustellen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den Vorausleistungsbescheid vom 18. September 2014 dahingehend abgeändert, dass der Vorausleistungsbetrag nunmehr auf 5.660,55 Euro festgesetzt wird. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit, soweit im Vorausleistungsbescheid vom 18. September 2014 ein höherer Betrag festgesetzt worden war, in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt,
den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 18. September 2014 in der geänderten Fassung aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin im Einzelnen entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Das Verfahren ist nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2014 in der in der mündlichen Verhandlung geänderten Fassung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu einer Vorausleistung auf einen Straßenbaubeitrag für die in dem Teilstück der Straße I. zwischen der C.------straße und der Einmündung der N1.-----straße durchgeführten Straßenbaumaßnahmen ist § 8 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) i.V.m. den Vorschriften der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für straßenbauliche Maßnahmen der Beklagten vom 17. März 2003 i.d.F. des I. Nachtrages vom 19. Juli 2011 (SBS). Nach § 1 SBS erhebt die Beklagte zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Erweiterung und Verbesserung von Anlagen im Bereich von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen und als Gegenleistung für die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme u.a. den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke erwachsenden wirtschaftlichen Vorteile Beiträge nach Maßgabe der Satzung. Nach § 8 Abs. 8 KAG NRW i.V.m. § 8 Abs. 1 SBS können, sobald mit der Durchführung der Maßnahme begonnen worden ist, angemessene Vorausleistungen bis zur Höhe des voraussichtlichen Beitrages erhoben werden.
Die sich daraus im Einzelnen ergebenden Voraussetzungen sind erfüllt. Die Erhebung der Vorausleistung ist sowohl dem Grunde (1.) als auch der noch streitgegenständlichen Höhe nach (2.) gerechtfertigt.
1. Der Ausbau erweist sich sowohl unter dem Gesichtspunkt der nachmaligen Herstellung bzw. Erneuerung (a) als auch der Verbesserung (b) als beitragsfähig.
a) Eine nachmalige Herstellung der Teileinrichtung einer Straße liegt vor, wenn die Teileinrichtung infolge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der bei ordnungsgemäßer Unterhaltung und Instandsetzung erfahrungsgemäß zu erwartenden üblichen Nutzungszeit erneuerungsbedürftig (d.h. verschlissen) ist und durch eine im Wesentlichen gleichartige, neue Einrichtung ersetzt wird.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Januar 2002 - 15 A 2128/00 -, juris Rn. 11 f. m.w.N., und Beschluss vom 16. Juni 2014 - 15 B 384/14 -; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 72 ff. m.w.N.
Die übliche Nutzungszeit der mindestens seit dem 29. Juni 1961 vorhandenen Fahrbahn des Teilstücks der Straße I. war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Baumaßnahme abgelaufen. Die Dauer der üblichen Nutzung einer Straße beträgt - abhängig vom vorherigen Ausbauzustand und der verkehrlichen Funktion - regelmäßig unter 40 Jahren (mindestens rund 25 Jahre).
Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Juli 2011 - 15 A 398/11 -, juris Rn. 13, 15, sowie Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 76 f. m.w.N.
Die Teileinrichtung war auch als verschlissen anzusehen. Nach mehr als 50 Jahren ist die Abgenutztheit der Straße bereits aufgrund ihres Alters indiziert, d.h. es bedarf für den Nachweis der Verschlissenheit keiner ins Einzelne gehenden Dokumentation.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 15 A 36/14 -, juris Rn. 11; und Beschluss vom 15. Juni 2007 - 15 A 1471/07 -, juris Rn. 2; vgl. auch Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 81 ff. m.w.N.
Unabhängig davon ergibt sich der schadhafte Zustand der Straße - den auch die Klägerin einräumt - aus den in der Beiakte befindllichen Fotos über den Altzustand (Beiakte 1, Lasche 1) sowie den entsprechenden Feststellungen des Ingenieurbüros P. .
Soweit die Klägerin geltend macht, der Grund für die Verschlissenheit liege darin, dass die Beklagte keine ordnungsgemäße Instandsetzung durchgeführt habe, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist anerkannt, dass der Ursache der Verschlissenheit einer ausgebauten Anlage - etwa deren unterlassener ordnungsgemäßer Unterhaltung und Instandsetzung - grundsätzlich keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt, wenn - wie hier - die übliche Nutzungszeit abgelaufen ist.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Januar 2015 - 15 A 1312/14 -, juris Rn. 25; Beschluss vom 2. Mai 2011 - 15 A 782/11 -, juris Rn. 5 f.; Beschluss vom 7. Dezember 2007 - 15 B 1837/07 -, juris Rn. 12.
Aus diesem Grunde kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Straße über die bestimmungsgemäße Nutzung hinaus beansprucht worden sei. Unabhängig davon bestehen hierfür auch keine Anhaltspunkte. Insoweit kann dahinstehen, ob der betroffene Straßenabschnitt zur Anfahrt umliegender Baugebiete sowie außerhalb liegender Einkaufszentren genutzt wird. Auch ein solcher Verkehr zählt entgegen dem Vortrag der Klägerin zur bestimmungsgemäßen Nutzung einer Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs. Gleiches gilt für eine etwaige Nutzung des betroffenen Straßenabschnitts durch schwerlastige (Bau-)Fahrzeuge im Zuge der Bebauung des oberen Teils der Straße I. sowie der M.------straße .
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. August 2007 - 15 B 870/07 -, juris Rn. 6 f.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11. Juli 2012 - 13 L 487/12 -, juris Rn. 19; Hess. VGH, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 5 D 1060/09 -, juris Rn. 2.
Die Fahrbahnherstellung ist ihrem Umfang nach auch nicht lediglich als (beitragsfreie) Instandsetzung oder Unterhaltung des Straßenteilstücks zu qualifizieren. Von einer Erneuerung kann in Abgrenzung zur Instandsetzung nur gesprochen werden, wenn der Ausbau wesentliche Teile der Straße erfasst und diese ersetzt oder einer grundlegenden Überarbeitung unterzieht. Er muss sich also auf Teile der (Teil-) Anlage beziehen, denen nach herkömmlicher Betrachtungsweise eine gewisse Selbständigkeit zukommt.
OVG NRW, Urteil vom 29. März 1990 - 2 A 723/87 -, NWVBl. 1991, S. 19, 20; Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 95 m.w.N.
Bei Arbeiten an einer Fahrbahn ist von einer beitragsfähigen Erneuerung auszugehen, wenn die Baumaßnahme sich auf die gesamte Decke der Fahrbahn und nicht nur auf eine einzelne Deckschicht (z. B. Verschleißschicht) bezieht.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2006 - 15 A 2884/06 -, juris Rn. 5, und Beschluss vom 9. Juni 2000 - 15 A 4756/96 -, NRWE Rn. 26 und 45; Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 98 m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 1999 - 15 A 4680/97 -, NRWE Rn. 3.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Arbeiten an der Fahrbahn reichten bis zu einer Tiefe von 60 cm und umfassten die erstmalige Einfügung einer Frostschutzschicht.
Der Beitragsfähigkeit des Ausbaus steht schließlich nicht entgegen, dass die Arbeiten an der Fahrbahn im Zusammenhang mit den Kanalbauarbeiten durchgeführt worden sind, denn es kommt für die Beitragsfähigkeit einer Maßnahme nicht auf das Ausbaumotiv an.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. August 2001 - 15 A 405/99 -, juris Rn. 18; Beschluss vom 25. September 1991 - 2 A 1926/91 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11. Juli 2012 - 13 L 487/12 -, juris Rn. 22.
b) Die Fahrbahn des Teilstücks der Straße I. ist durch die streitige Baumaßnahme darüber hinaus verbessert worden. Eine Verbesserung im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW liegt u.a. vor, wenn durch die Ausbaumaßnahme die Ausstattung der Anlage entsprechend ihrer bisherigen verkehrstechnischen Konzeption hinsichtlich der Art der Befestigung vorteilhaft verändert wird. Maßgebend ist, ob der Verkehr bei Zugrundelegung der bisherigen verkehrstechnischen Konzeption (Trennsystem, Mischfläche, Fußgängerstraße) auf der neu gestalteten Anlage zügiger, geordneter, unbehinderter oder reibungsloser abgewickelt werden kann.
OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 36 f. m.w.N.
Dies ist vorliegend der Fall, denn die Fahrbahn hat durch den Ausbau einen erstmals den technischen Vorgaben in den Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen entsprechenden Aufbau mit einem frostsicherem Oberbau erhalten. Die Frostsicherheit zieht eine geringere Reparaturbedürftigkeit und damit letztlich einen verbesserten Verkehrsablauf nach sich.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2010 - 15 A 1189/10 -, juris Rn. 18.
c) Den Anliegern - und damit auch der Klägerin - sind durch die Ausbaumaßnahme ferner wirtschaftliche Vorteile i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW erwachsen. Der wirtschaftliche Vorteil für die Grundstückseigentümer liegt in der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage verbesserten Erschließungssituation der Grundstücke, die eine bessere Grundstücksnutzung erlaubt und damit deren Gebrauchswert erhöht. Der wirtschaftliche Vorteil ist ein Erschließungsvorteil; er wirkt sich auf die zulässige Nutzung der Grundstücke aus, soweit diese von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage abhängt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. März 1987 - 2 A 42/85 -, ZKF 1987, S. 277 (278); Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 194 m.w.N.
Der durch die streitgegenständliche Baumaßnahme entstandene Vorteil liegt darin, dass anstelle der verschlissenen Anlage eine auf Jahre hinaus intakte, sichere Anlage die Erschließung gewährleistet.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. April 1996 - 15 A 1642/93 -, juris Rn. 2.
2. Die Vorausleistung ist auch der noch streitgegenständlichen Höhe nach nicht zu beanstanden.
a) Die Beklagte hat bei der Bemessung der Vorausleistung zulässigerweise auf die erwartete Beitragsschuld abgestellt (vgl. § 8 Abs. 1 SBS). Die Ermittlung des erwarteten Straßenbaubeitrags ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte verfügt bei der Festlegung von Vorausleistungen hinsichtlich des zu erwartenden beitragsfähigen Aufwands über eine Schätzungsbefugnis.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2004 - 15 B 1773/04 -, juris Rn. 12; Dietzel/Kallerhoff, a.a.O., Rn. 385.
Die Festlegung der Vorausleistung durch Schätzung räumt der Beklagten einen gewissen Freiraum ein; es gibt bei der Bezifferung des erwarteten Straßenbaubeitrags also "nicht nur eine einzige rechtmäßige Lösung".
OVG Saarland, Urteil vom 27. September 2005 - 1 R 9/05 -, juris Rn. 52; vgl. außerdem VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 1993 - 2 S 462/92 -, juris Rn. 24.
Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der für die Berechnung der Vorausleistung getroffenen Kostenschätzung ist die Anwendung einer sachgerechten Schätzungsgrundlage. Die Beklagte hat bei der Bezifferung der erwarteten Baukosten das Angebot des mit der Durchführung der Baumaßnahme beauftragten Bauunternehmens, der Straßen- und Tiefbau GmbH aus L. , vom 9. September 2013 und damit eine sachgerechte Schätzungsgrundlage herangezogen.
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 1993 - 2 S 462/92 -, juris Rn. 24.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte bei der Bestimmung der Höhe des erwarteten beitragsfähigen Aufwandes die durch die Verbindung der Straßen- und Kanalbaumaßnahme zu erwartende Kostenersparnis zu Gunsten der Straßenbaubeitragspflichtigen in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt. Der beitragsfähige Aufwand ist zu reduzieren, wenn eine Straßenbaumaßnahme mit einer Kanalbaumaßnahme zusammen ausgeführt wird, d.h. nach dem Verlegen des Kanals nicht die Fahrbahn in ihrem früheren Zustand zunächst wiederhergestellt, sondern sogleich der Neuausbau der Fahrbahn entsprechend dem Bauprogramm in Angriff genommen wird. Die gegenüber der getrennten Durchführung beider Maßnahmen erreichte Kostenersparnis ist auf alle betroffenen Kostenträger zu verteilen. Auch insoweit besteht - erst Recht im Rahmen der Vorausleistungserhebung - eine Schätzungsbefugnis. Sie betrifft die Höhe der Ersparnis und den auf jede Baumaßnahme entfallenden Anteil. In einer hälftigen Berücksichtigung der Kostenersparnis liegt eine nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen angemessene, jedoch keine zwingende Art der Kostenverteilung.
St. Rspr.; siehe nur OVG NRW, Beschluss vom 5. August 2008 - 15 A 1886/08; Urteil vom 5. September 1986 - 2 A 963/94 -, juris Rn. 31; zur hälftigen Gutschrift der ersparten Aufwendungen OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2002 - 15 B 745/02 -, juris Rn. 12.
Sowohl dem Angebot der Straßen- und Tiefbau GmbH vom 9. September 2013 als auch den Schlussrechnungen des Unternehmens vom 31. Dezember 2014 lässt sich entnehmen, dass die (fiktiven) Kosten für die Wiederherstellung der Fahrbahn in Breite des Kanalgrabens ausschließlich dem Kostenträger der Kanalbaumaßnahmen zugeordnet worden sind. Dies ist ausweislich des hierüber von der Beklagten gefertigten Vermerks (Beiakte 1, Lasche 1) den Anwohnern im Rahmen der Veranstaltung am 24. Januar 2013 auch so mitgeteilt worden. Darüber hinaus hat die Beklagte bei der Aufteilung der Gesamtangebotssumme auf die einzelnen Kostenträger die jeweiligen Anteile an den Baustelleneinrichtungskosten berücksichtigt. Dass eine weitere Reduzierung des erwarteten Aufwandes zu Gunsten der Straßenbaubeitragspflichtigen geboten gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Der Ansatz eines Anteils der Beitragspflichtigen am erwarteten Aufwand in Höhe von 80 % gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 SBS begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Beklagte hat das Teilstück der Straße I. zu Recht als Anliegerstraße eingestuft.
Die Einordnung als Anliegerstraße unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Überprüfungsmaßstab ist die definitorische Unterscheidung der verschiedenen Straßentypen in der Straßenbaubeitragssatzung der Beklagten. Beim Straßenverzeichnis zur Satzung handelt es sich nicht um eine in der allgemeinen Beitragssatzung vorbehaltene Zuordnungs-Maßnahmensatzung, deren Regelungen allein am Gleichheitsgebot des Art. 3 GG und wegen des fehlenden normhierarchischen Verhältnisses nicht an der Straßenbaubeitragssatzung zu messen wären.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. August 1999 - 15 A 2781/99 -, NRWE Rn. 3.
Gem. § 4 Abs. 5 Nr. 1 SBS sind Anliegerstraßen all diejenigen Straßen, die überwiegend der Erschließung der angrenzenden oder der durch private Zuwegung mit ihnen verbundenen Grundstücke dienen. Erforderlich ist ein Überwiegen im Sinne von mehr als der Hälfte der zu beurteilenden Gesamtfunktion für die Erschließungsfunktion.
OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2009 - 15 A 1824/09 -, juris Rn. 5.
Eine Abgrenzung ist von den Haupterschließungsstraßen nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 SBS vorzunehmen, die der Erschließung von Grundstücken und gleichzeitig dem Verkehr innerhalb von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen dienen und die ihrerseits von den Hauptverkehrsstraßen abzugrenzen sind.
Die für die Bemessung der Straßenbaubeiträge erforderliche Einstufung einer Straße erfolgt anhand der Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht. Relevante Kriterien sind nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen die objektive Funktion der Straße im gemeindlichen Verkehrsnetz nach der gemeindlichen Verkehrsplanung, dem aufgrund einer solchen Planung verwirklichte Ausbauzustand, der straßenverkehrsrechtliche Einordnung und den tatsächlichen Verkehrsverhältnissen.
Siehe nur OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2009 - 15 A 1824/09 -, juris Rn. 2, Beschluss vom 12. Juni 2006 - 15 B 803/06 -, juris Rn. 5; Beschluss vom 15. Oktober 2004 - 15 B 1408/04 -, juris Rn. 10.
Alle vorgenannten Kriterien sprechen für die Einordnung des streitgegenständlichen Teilstücks der Straße I. als Anliegerstraße.
Dem ausgebauten Teilstück kommt im Verkehrsnetz nach der gemeindlichen Verkehrsplanung keine übergeordnete Bedeutung zu. Es verfügt über keine Verkehrsbündelungsfunktion in dem Sinne, dass es den Verkehr eines Wohngebiets sammelt und zu den Hauptverkehrsadern der Gemeinde führt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2009 - 15 A 1824/09 -, juris Rn. 7; Hessischer VGH, Urteil vom 30. Oktober 2007 - 5 UE 1211/07 -, juris Rn. 25; Driehaus, in: ders., Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand: 50. Lfg. März 2014, § 8 KAG NRW Rn. 382 m.w.N.
Wenngleich das Straßenverzeichnis zur Straßenbaubeitragssatzung der Beklagten keine Bindungswirkung für die gerichtliche Überprüfung der Straßentypen entfaltet, so lassen sich ihm doch Anhaltspunkte für das gemeindliche Verkehrskonzept entnehmen. Demnach sollen nur wenige, im Verkehrsnetz über eine besondere Bedeutung verfügende Straßen die Funktion einer Hauptverkehrs- bzw. Haupterschließungsstraße übernehmen: Die C.------straße (L 326) und die X1. Straße (L 336), die die Gemeinde N. von Westen nach Osten bzw. Süden nach Norden durchkreuzen und mit den Nachbargemeinden verbinden, sind im Straßenverzeichnis als Hauptverkehrsstraßen eingeordnet. Die I1. Straße und die M.------straße , die von der C.------straße ausgehend die nördlich gelegenen Baugebiete erschließen, sind nach dem Straßenverzeichnis Haupterschließungsstraßen. Die Straße I. , im Straßenverzeichnis als Anliegerstraße B ausgewiesen, unterscheidet sich von den vorgenannten Straßen im Streckenverlauf und in der Länge. Sie zweigt von der C.------straße zwischen der weiter westlich einmündenden M.------straße und der weiter östlich einmündenden I1. Straße ab, verläuft in nordwestlicher Richtung und mündet nach ca. 500 m in die M.------straße . Die M.------straße sowie die etwa auf halber Strecke in die Straße I. einmündenden Straßen B. und N1.-----straße sind von der C.------straße aus kommend unmittelbar oder über andere Wege anfahrbar und die Anwohner der vorgenannten Straßen erreichen die C.------straße nicht zwingend über die Straße I. . Außer den beiden genannten Straßen münden keine weiteren Straßen in die Straße I. ein.
Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Straße I. von den Anwohnern umliegender Gebiete tatsächlich zur Anfahrt außerhalb liegender Einkaufszentren und eines Kindergartens genutzt werde, steht dieser Umstand einer Einordnung als Anliegerstraße nicht entgegen. Eine Einordnung als Anliegerstraße hängt nicht davon ab, dass nach einer rein quantitativen Betrachtung der Verkehrsvorgänge mehr als 50 % Anliegerverkehrsvorgänge beobachtbar sind. Es kann daher der durch eine als Anliegerstraße eingestufte Straße fließende Verkehr, der nach der Verkehrsplanung der Gemeinde nicht gewollt ist und eigentlich vermieden werden soll, an der Einstufungsentscheidung grundsätzlich nichts ändern. Sogenannter Schleichverkehr durch eine Anliegerstraße, der ungeachtet der Funktionsbestimmung auf Grund einer besonderen Verkehrssituation entsteht, kann bei der Bestimmung der Straßenart grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.
OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 24, und Beschluss vom 12. Juni 2006 - 15 B 803/06 -, juris Rn. 5; Hessischer VGH, Urteil vom 30. Oktober 2007 - 5 UE 1211/07 -, juris Rn. 25, und Beschluss vom 21. März 2012 - 5 A 1892/11.Z -, juris Rn. 5; Driehaus, in: ders., Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand: 50. Lfg. März 2014, § 8 KAG NRW Rn. 380 m.w.N.
Die Einordnung des Teilstücks der Straße I. als Anliegerstraße entspricht darüber hinaus ihrem Ausbauzustand und der straßenverkehrsrechtlichen Einordnung. Es spricht für das Vorliegen einer Anliegerstraße, wenn die Fahrbahnbreite unter der in der Straßenbaubeitragssatzung vorgesehenen anrechenbaren Höchstbreite für Haupterschließungsstraßen liegt. Zusätzliches Gewicht erlangt dieser Aspekt, wenn Gehwege und/oder gesonderte Parkstreifen nicht vorhanden sind. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat vor diesem Hintergrund Straßen mit tatsächlichen Fahrbahnbreiten von 5,50 bzw. 6 m bei einer anrechenbaren Höchstbreite von 6,50 m für Haupterschließungsstraßen als Anliegerstraßen eingeordnet.
OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 23; Urteil vom 3. Oktober 1986 - 2 A 1439/83 -, juris.
Nach dem vorliegend umgesetzten Mischsystem zur Verkehrsführung weist das ausgebaute Teilstück der Straße I. eine Breite von 5 m auf und bleibt damit unterhalb der nach § 4 Abs. 3 SBS vorgesehenen anrechenbaren Höchstbreite für Haupterschließungsstraßen von 6,50 m. Gehwege und Parkstreifen sind nicht vorhanden, so dass der ruhende Verkehr und die Fußgänger ebenfalls die Fahrbahn benutzen müssen. Daneben streiten folgende straßenverkehrsrechtliche Aspekte für die Einordnung als Anliegerstraße: Es besteht eine Tempo-30-Zone und die Straße I. ist gegenüber der C.------straße untergeordnet. Am südlichen Ende der Straße I. , an der Einmündung in die C.------straße , ist das Zeichen 205, Vorfahrt gewähren (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung), angebracht.
Eine andere Verkehrsbedeutung des ausgebauten Teilstücks der Straße I. ist auch nicht aufgrund der tatsächlichen Verkehrsverhältnisse anzunehmen. Die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse stellen dabei nur einen Aspekt unter den genannten Kriterien dar, dem alleine keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 24.
Unabhängig vom Gewicht dieses Aspekts ist das Teilstück der Straße I. keiner für eine Haupterschließungsstraße streitenden Belastungsintensität ausgesetzt. Dies ergibt sich aus einer vergleichenden Betrachtung der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und der Ergebnisse der verkehrsplanerischen Begleituntersuchung "REWE XL C.------straße N. " der Ingenieursozietät für Verkehrsplanung und -technik Koblenz aus dem Jahre 2011.
Dokument zu TOP 3 der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses der Beklagten vom 15. November 2011
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in einem Urteil vom 12. Dezember 1985 (2 A 3363/83) eine Straße als Haupterschließungsstraße eingeordnet, bei der eine tägliche Belastung mit 2.500 bis 3.000 Kraftfahrzeugen ermittelt worden war. In einem Urteil vom 29. April 1985 (2 A 2655/82) lag der Einordnung als Haupterschließungsstraße durch das Oberverwaltungsgericht eine durchschnittliche stündliche Verkehrsbelastung von 227 PKW zu Grunde. Hinter diesen für eine Haupterschließungsstraße sprechenden Werten bleibt die Verkehrsbelastung in der Straße I. nach der vorgenannten verkehrsplanerischen Begleituntersuchung aus dem Jahre 2011 mit ca. 63 Kraftfahrzeugen pro Stunde in der werktäglichen Spitzenbelastungszeit von 15:00 bis 19:00 Uhr weit zurück. Dies gilt erst recht, wenn man eine allgemeine Zunahme des Verkehrs seit den Urteilen des Oberverwaltungsgerichts in Rechnung stellt. Die geringe Verkehrsbelastung in der Straße I. wird durch den innerörtlichen Vergleich mit der I1. Straße, die im Straßenverzeichnis zur Satzung für straßenbauliche Maßnahmen gem. § 8 KAG als Haupterschließungsstraße ausgewiesen ist, bestätigt: In der Verkehrserhebung 2011 sind dort etwa 250 Kraftfahrzeuge pro Stunde und damit viermal so viele Kraftfahrzeuge wie in der Straße I. gezählt worden. Anhaltspunkte für eine signifikante Änderung der tatsächlichen Verkehrsverhältnisse, die für eine abweichende Einordnung des streitgegenständlichen Teilstücks der Straße I. sprechen könnten, bestehen nicht. Hiervon gehen auch die in der verkehrsplanerischen Begleituntersuchung vorgenommenen Modellrechnungen nicht aus.
d) Den Bedenken der Kammer gegen die Verteilung des voraussichtlichen Aufwandes auf die erschlossenen Grundstücke hat die Beklagte durch die Reduzierung der festgesetzten Vorausleistung in der mündlichen Verhandlung Rechnung getragen. Darüber hinausgehende Fehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 Satz 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.