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VG Köln, Beschluss vom 07.12.2016 - 23 L 2789/16

Tenor

1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 23 K 10630/16 gegen die Ordnungsverfügung vom 28. Oktober 2016 wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 10630/16 gegen die Ordnungsverfügung vom 28. Oktober 2016 wiederherzustellen,

hat keinen Erfolg.Das Gericht stellt gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die vorliegend nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 entfallende aufschiebende Wirkung der Klage dann wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers, vorerst von der Vollziehung der Ordnungsverfügung verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an deren sofortigen Vollzug überwiegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der streitige Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist. Hingegen überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse, wenn der Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist. Vorliegend fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, da sich die streitige Ordnungsverfügung vom 28. Oktober 2016 bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren alleine möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Insoweit kann die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Anordnung einer Beschränkung oder den Entzug der Fahrerlaubnis die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens durch den Fahrerlaubnisinhaber bei Straftaten anordnen, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen. Weigert sich der Fahrerlaubnisinhaber in einem solchen Fall, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf diese gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf dessen Nichteignung schließen. Die Antragsgegnerin durfte vorliegend auf die Fahrungeeignetheit des Antragstellers schließen, weil der Antragsteller der mit Schreiben vom 07. Juli 2016 ergangenen Anordnung, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, nicht nachgekommen ist und die Gutachtenanordnung formell und materiell rechtmäßig war.

Da eine Gutachtenanordnung nicht selbstständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnisverordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2001 - 3 C 13.01 -, juris, Rz. 25; OVG NRW, Beschluss vom 10.09.2014 - 16 B 912/14 -, juris, Rz. 6 m.w.N.

Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung bestehen nicht. Die Anordnung wird insbesondere den Erfordernissen des § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV und der Hinweispflicht nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV gerecht.

Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV setzt weder eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer von der Fahrerlaubnisbehörde festgestellten Straftat noch eine Straftat, die unter Nutzung eines Kraftfahrzeuges begangen wurde, voraus. Vielmehr ist ausreichend, dass die Straftaten Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulassen, insbesondere bei Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotential. Anhaltspunkte hierfür können vorliegen bei hoher Angriffslust und Streitsüchtigkeit, bei impulsivem Durchsetzen eigener Interessen unter schwerwiegender Verletzung der Interessen anderer oder bei wiederholt verübten Straftaten der gefährlichen Körperverletzung. Eine hohe Aggressionsbereitschaft lässt jedoch nur dann Rückschlüsse auf die Fahreignung zu, wenn zu besorgen ist, dass der Betroffene bei konflikthaften Verkehrssituationen emotional impulsiv handelt und dadurch das Risiko einer gefährdenden Verkehrssituation erhöht, sowie eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzt.

Vgl. Dauer, in: Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 11 FeV, Rz. 35 m.w.N.

Bei der Beurteilung einer Straftat darf keine Gesamtwürdigung aller bekannten Vorfälle ergehen. Ob die Beibringung eines Gutachtens zu Recht angeordnet ist, ist auf der Grundlage des in der Gutachtenanordnung dargelegten Sachverhalts zu würdigen. Dies schließt es im Grundsatz aus, den maßgeblichen Sachverhalt unter Berücksichtigung und Würdigung etwa der Verwaltungsvorgänge zu ergänzen. Denn dann könnte der Betroffene nicht erkennen, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.09.2014 a.a.O., Rz. 13 zu § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 FeV.

Diesen Anforderungen genügt die Gutachtenanordnung vom 07. Juli 2016. Die Antragsgegnerin hat unter Verweis auf die Vorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV durch den Antragsteller begangene Körperverletzungsdelikte aufgeführt, nämlich gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzungen am 07. März 2003, 10. September 2003 und 23. Januar 2008 sowie eine weitere Körperverletzung am 27. Februar 2006. Weiterhin hat die Antragsgegnerin begründet, dass aufgrund dieser Straftaten Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential des Antragstellers bestehen. Dabei stellte sie darauf ab, dass den Körperverletzungshandlungen jeweils nur geringfügige Auslöser zugrunde gelegen hätten und der Antragsteller mit unverhältnismäßiger Aggression und Gewalt reagiere. Der Antragsteller weise nur eine geringe Hemmschwelle gegenüber der körperlichen Integrität anderer Menschen auf und reagiere selbst in konflikthaften Situationen ausgeprägt impulsiv und emotional ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen anderer Menschen. Dies lasse befürchten, dass der Antragsteller in konflikthaften Verkehrssituationen ebenfalls die Kontrolle verliere, seine Bedürfnisse über die berechtigten Interessen anderer Verkehrsteilnehmer und allgemeingültiger Vorschriften stelle und sie entsprechend rücksichtlos durchsetze. Gerade im Straßenverkehr könne es dazu kommen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer nicht richtig verhalten. In solchen Situationen müsse sich ein Kraftfahrer jedoch unter Kontrolle haben und dürfe nicht - verbal oder auch körperlich - aggressiv auftreten.

Unerheblich ist, dass die vom Antragsgegner herangezogenen Vorfälle bereits mehrere Jahre zurück liegen. Denn der hierin zum Ausdruck kommende Wesenszug des Antragstellers "erledigt sich" nicht durch Zeitablauf,

vgl. Beschluss der Kammer vom 19. Oktober 2016 - 23 L 2380/16 -.

Die Teilnahme an einem Gruppentraining im März 2010, einem Behandlungsprogramm für inhaftierte Gewalttäter im Jahr 2010 und der Unterrichtung im Rahmen seiner Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe sind auch nicht hinreichend geeignet, die Eignungszweifel zu beseitigen bzw. das angeordnete Gutachten zu ersetzen. Es sollte gerade im Rahmen der Begutachtung bewertet werden, ob der Antragsteller über die notwendige Fahreignung verfügt,

vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 04. August 2011 - 7 L 705/11 -, juris.

Eine Wiederherstellung der Fahreignung ist hierdurch auch nicht belegt. Eine solche kann nur dann angenommen werden, wenn die Persönlichkeitsbedingungen und sozialen Bedingungen, die für das frühere gesetzwidrige Verhalten verantwortlich waren, sich entscheidend positiv verändert haben oder ihre Bedeutung so weit verloren haben, dass negative Auswirkungen auf das Verhalten als Kraftfahrer nicht mehr zu erwarten sind.

Vgl. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Auflage, Seite 208, Ziffer 3.14.

Teilnahmebestätigungen belegen keine positive und stabile Lebensveränderung aus eigenen Problembewusstsein über einen gewissen Zeitraum.

Ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG bestand entgegen der Ansicht des Antragstellers hinsichtlich der Straftaten aus dem Jahr 2003 nicht. Denn die Straftaten aus dem Jahr 2003 waren nicht im Bundeszentralregister zu tilgen. Gemäß § 47 Abs. 3 BZRG ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzung der Tilgung vorliegen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, weil der Antragsteller seit 2003 in einem erheblichen Umfang straffällig geworden und verurteilt worden ist. Aus dem Bundeszentralregister vom 05. Februar 2013 ergeben sich zuletzt Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten mit Urteil vom 13. August 2008 und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monate zur Bewährung mit Urteil vom 18. März 2009.

Auch der Einwand des Antragstellers, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW sei vorliegend anzuwenden, geht fehl. Die unmittelbare Anwendung der genannten Vorschriften scheitert bereits daran, dass die Antragsgegnerin den angegriffenen Bescheid nicht nach § 48 VwVfG NRW zurückgenommen, sondern eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnisverordnung verfügt hat. Die Vorschriften der §§ 48 Abs. 4, 49 Abs. 2 VwVfG NRW sind auch nicht analog anzuwenden. Eine Analogie setzt eine vergleichbare Interessenlage bei Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es besteht bereits keine vergleichbare Interessenlage, da der Behörde bei den Entscheidungen nach §§ 48, 49 VwVfG NRW ein Ermessen zusteht, während es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit um eine gebundene Entscheidung handelt.

Vgl. zur Unanwendbarkeit der Jahresfrist in Bezug auf den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis: BVerwG, Urteil vom 26. März 1996 - 1 C 12/95 -, Rz. 27, juris.

Durfte die Beklagte gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, war diesem die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Ermessen stand der Antragsgegnerin nicht zu,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.08.2016 - 16 E 243/16 -.

Hat die Klage des Antragstellers hinsichtlich der streitigen Entziehung der Fahrerlaubnis voraussichtlich keinen Erfolg, gilt dies auch für die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins sowie die daran anknüpfende Androhung unmittelbaren Zwangs.

Auch unabhängig von der zuvor erörterten Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung fällt eine allgemeine, d.h. vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens losgelöste Interessenabwägung hier zum Nachteil des Antragstellers aus. Zum Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den Antragsteller durch eine sofort wirksame Maßnahme vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Das gilt selbst dann, wenn ihm aufgrund dessen konkrete berufliche Nachteile bis hin zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage drohen sollten.

Vgl. zu dieser Interessenlage BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.07.2007 - 1 BvR 305/07 -, juris, Rz. 6; OVG NRW, Beschlüsse vom 22.05.2012 - 16 B 536/12 -, juris, Rz. 33 und vom 26.03.2012 - 16 B 277/12 -, juris, Rz. 23.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Hierbei wurde die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren maßgeblichen Auffangstreitwertes (§ 52 Abs. 2 GKG) angesetzt.

Lukas Jozefaciuk