VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.05.2016 - 7 L 781/16
Tenor
1.Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
2.Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 2281/16 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 23. März 2016 wiederherzustellen,
ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen sie im Ergebnis folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen Folgendes auszuführen:
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) entzogen. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wer Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV aufweist.
Der Antragsteller ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, weil er Amphetamin konsumiert hat. Die Einnahme von Amphetamin schließt die Kraftfahreignung unabhängig davon aus, ob unter der Wirkung dieser sog. harten Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden ist oder nicht (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV; vgl. auch: Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach, Mai 2014). Schon der einmalige Konsum sog. harter Drogen wie Amphetamin ist ausreichend, die Kraftfahreignung zu verneinen,
so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 - 16 B 332/07 -; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 16. Februar 2004 - 12 ME60/04 - und 16. Juni 2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, 432 f.; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -; OVG Saarland, Beschluss vom 30. März 2006 - 1 W 8/06 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November 2004 - 10 S 2182/04 -, VRS 108 (2005), 123 ff.
Der Amphetamin-Konsum des Antragstellers ist forensisch nachgewiesen durch das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums N. vom 9. März 2016. Danach konnten im Blut des Antragstellers 56 ng/ml Amphetamin festgestellt werden. Ob der Antragsteller in seiner Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt war, ist unerheblich.
Soweit der Antragsteller vorträgt, Amphetamin müsse ihm ohne sein Wissen verabreicht worden sei, gilt Folgendes: Zwar kann eine im Regelfall eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem willentlichen Konsum angenommen werden. Allerdings geht nach allgemeiner Lebenserfahrung einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Der von dem Antragsteller geltend gemachte Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Rauschmittelvergiftung stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann. Die Behauptung einer unbewussten Drogenaufnahme ist daher grundsätzlich nur beachtlich, wenn der Betroffene nachvollziehbar und plausibel darlegt, wie es dazu gekommen sein soll. Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu wessen Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 - 16 B 231/12 -, juris, mit weiteren Nachweisen zur Senatsrechtsprechung; siehe auch OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25. Januar 2012 - 10 B 11430/11 -, juris; OVG M.-V., Beschluss vom 4. Oktober 2011 - 1 M 19/11 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 11 CS 07.2905 -, juris.
Daran fehlt es hier. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller bewusst Amphetamin konsumiert hat. Die Kammer hält seine durch eine eidesstattliche Versicherung von Frau M. L. gestützte Vermutung, er habe ein mit Amphetamin versetztes Glas Bier ("Krefelder") getrunken, ohne dass ihm diese Mischung bekannt gewesen sei, für eine nicht der Wahrheit entsprechende Schutzbehauptung. Dafür ist Folgendes maßgebend:
Bereits für sich genommen wirkt die Schilderung lebensfremd. Denn der Antragsteller legt nicht dar, warum eine (fremde) Person ihm Amphetamin, das auch noch Geld kostet, verabreicht haben sollte, ohne dass er, der Antragsteller, davon bewusst Notiz genommen hätte. Wenn auch als derartige Motive eine Schädigungsabsicht oder aber der Wunsch, sich einen Menschen bspw. gefügig zu machen, in Betracht kommen mögen, ist im vorliegenden Fall für eine solche Konstellation überhaupt nichts vorgetragen. Im Gegenteil liegt eine solche Annahme eher fern, da der Antragsteller mit seiner Lebensgefährtin als Paar zu einer Uhrzeit unterwegs war, in der bei Bierkonsum an einer Gaststätte am Thresen üblicherweise nicht mit offenem Drogenkonsum gerechnet werden muss.
Danach bereits vorhandene Zweifel am Vortrag des Antragstellers werden vor allem durch das Ergebnis der durchgeführten Blutuntersuchung verstärkt. In der Blutprobe, die dem Antragsteller am 21. Januar 2016 um 00.20 Uhr entnommen worden ist, wurde ein Amphetamingehalt von (noch) 56 ng/ml festgestellt. Nach dem Vortrag des Antragstellers müsste der Konsum von Amphetamin im ersten Lokal am X. in E. , das er nach dem gemeinsamen Einkauf mit seiner Lebensgefährtin am 19. Januar 2016 aufgesucht habe, erfolgt sein. Dieses Lokal habe er nach dem bis etwa 20.00 Uhr dauernden Einkauf für etwa eine halbe Stunde aufgesucht, im nächsten Lokal habe er sich dann bereits "etwas schwindelig" gefühlt.
Danach müsste zwischen dem behaupteten unbewussten Konsum und der am 21. Januar 2016 um 00.20 Uhr entnommenen Blutprobe ein Zeitraum von 28 Stunden gelegen haben. Der Antragsgegner weist zurecht darauf hin, dass Amphetamin regelmäßig (nur) 12 - 16 Stunden nach Einnahme im Blut nachweisbar bleibt. In Abhängigkeit von der Wirkstoffkonzentration kann im Einzelfall auch ein Nachweisfenster bis zu 24 Stunden nach dem letzten Konsum gegeben sein (vgl. Madea/Mußhoff/Berghaus, Verkehrsmedizin, Köln 2007, S. 178 - 180). Wenn die Blutprobe des Antragstellers im vorliegenden Fall nach Ablauf von 28 Stunden nach dem behaupteten unbewussten Konsum noch einen Amphetaminwert aufwies, der mehr als das Doppelte des analytischen Grenzwertes von 25 ng/ml zum Nachweis eines straßenverkehrsrechtlichen Verstoßes betrug, müsste der Antragsteller am Abend des 19. Januar 2016 eine ganz erhebliche Dosis an Amphetamin zu sich genommen haben. Das erscheint aber vor den oben geschilderten Umständen, dass ein Versetzen fremder Getränke mit Drogen ohne ein vorliegendes Motiv nicht naheliegt, noch unwahrscheinlicher. Außerdem hätte der Antragsteller bei einem - wie behauptet - Erstkonsum bei einer so erheblichen Dosis von Amphetamin deutlichere Wirkungen verspüren müssen als er im vorliegenden Fall beschrieben hat. Jedenfalls am Morgen des 20. Januar 2016, als er gegen 7.00 Uhr zur Arbeit fuhr, hätte dann bei dem Antragsteller noch eine Amphetaminwirkung vorliegen müssen, die wohl deutlich über das bisher Geschilderte hinausging.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller anlässlich der Verkehrskontrolle am 20. Januar 2016 um 23.15 Uhr angegeben hat, in der Vergangenheit Drogen konsumiert zu haben. Der aufnehmende Polizeibeamte hat die Äußerung des Antragstellers "Ich nehme keine Drogen! Das war früher mal." Wörtlich protokolliert. Dass es sich dabei um eine fehlerhafte Aufzeichnung handeln könnte, ist nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund erscheint das nunmehr erfolgte Vorbringen des Antragstellers, er habe lediglich einmal als Jugendlicher Cannabis probiert, wenig glaubhaft, wenn man weiter berücksichtigt, dass im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 21. März 2016 vorgetragen wurde, der Antragsteller habe "weder aktuell noch in der Zeit als Jugendlicher Drogen zu sich genommen".
Angesichts der aufgezeigten Ungereimtheiten nimmt die Kammer dem Antragsteller seine Schilderung nicht ab. Es ist deshalb vorliegend davon auszugehen, dass - wie im Regelfall - die Einnahme von Amphetamin die Ungeeignetheit indiziert.
Ein Ermessen steht dem Antragsgegner bei feststehender Ungeeignetheit nicht zu. Die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Entziehungsverfügung trägt zudem in aller Regel allein die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann der Verlust des Rechts, Kraftfahrzeuge zu führen, die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 - 16 B 1124/13 -, Rn. 9.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der Rechtsprechung des OVG NRW bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren,
vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, juris/nrwe.de.