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VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 06.12.2018 - 7 L 1677/18

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1. Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 4397/18 des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. Juli 2018 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber unbegründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, denen sie im Wesentlichen folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Klage- und Antragsvorbringen Folgendes auszuführen: Die Entziehungsverfügung findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -. Die unterbliebene Anhörung des Antragstellers vor Erlass der Entziehungsverfügung führt nicht zu einer formellen Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung beziehungsweise nicht zu deren Aufhebung im Rahmen des Verfahrens in der Hauptsache. Ein etwaiger Verstoß gegen § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW - VwVfG NRW - wäre jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW geheilt, weil der Antragsgegner - wie aus der Antragserwiderung hervorgeht - seine Entscheidung unter Berücksichtigung der Argumente des Antragstellers kritisch überdacht und dennoch an seiner Entscheidung festgehalten hat. Im Übrigen wäre ein etwaiger Verstoß auch nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich, da es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV um eine gebundene Entscheidung handelt.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen stand im Zeitpunkt der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. Juli 2018 aufgrund des Strafurteils des Amtsgerichts I. vom 20. Juni 2017 fest. Im Rahmen des Urteils vom 20. Juni 2017 ging das Amtsgericht I. davon aus, dass der Antragsteller aufgrund der Tat vom 9. Dezember 2016 nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, da es aufgrund der durch die Fahrerlaubnisbehörde verfügten und zu diesem Zeitpunkt noch wirksamen Entziehung der Fahrerlaubnis vom 9. Juni 2017 eine isolierte Sperrfrist zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 Satz 3 Strafgesetzbuch - StGB - von neun Monaten anordnete. Die unterbliebene Entziehung der Fahrerlaubnis im Rahmen des Strafurteils beruhte nicht etwa auf einem Irrtum des Strafgerichts, sondern war dem Umstand geschuldet, dass die Entziehungsverfügung vom 9. Juni 2017 zum Zeitpunkt des Ergehens des Strafurteils noch wirksam war und die Fahrerlaubnisbehörde diese erst mit Verfügung vom 26. Juni 2017 aufgehoben hat.

Während des Laufs der isolierten Sperrfrist des § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB steht durch die Entscheidung des Strafgerichts die fehlende Kraftfahreignung für die Fahrerlaubnisbehörde bindend fest. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Die Sperrfrist gibt insoweit (nur) den Mindestzeitraum an, währenddessen der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Fall als ungeeignet anzusehen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 87/84 -, juris Rn. 15; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Juli 2015 - 10 S 116/15 -, juris Rn. 28.

Während des Laufs dieser Frist ist der Fahrerlaubnisbehörde eine eigenständige Prüfung und eine von der Entscheidung des Strafgerichts abweichende Bewertung der Kraftfahreignung dementsprechend verwehrt.

Im Zeitpunkt der Ordnungsverfügung vom 25. Juli 2018 war die im Urteil des Amtsgerichts I. vom 20. Juni 2017 gesetzte Sperrfrist von neun Monaten - entgegen der Ansicht des Antragstellers - noch nicht abgelaufen. Die Sperre beginnt gemäß § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB mit der Rechtskraft des Urteils. Das Urteil des Amtsgerichts I. vom 20. Juni 2017 wurde aufgrund der durch den Antragsteller eingelegten Berufung erst mit Rücknahme der Berufung am 29. Januar 2018 rechtskräftig. Damit endete die Sperrfrist - entgegen der Ansicht des Antragstellers - nicht bereits am 27. März 2018, sondern erst mit Ablauf des 29. Oktober 2018. Eine Anrechnung etwaiger Zeiten vor Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts I. kommt nicht in Betracht. In die Frist wird gemäß § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Eine solche vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a der Strafprozessordnung - StPO - oder eine der vorläufigen Entziehung nach § 69a Abs. 6 StGB gleichstehende Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins gemäß § 94 StPO ist weder vorgetragen noch aus der durch die Kammer beigezogenen Strafakte ersichtlich.

Bei feststehender Ungeeignetheit im maßgeblichen Zeitpunkt der Entziehungsverfügung unterbleibt gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung eines Gutachtens und die Fahrerlaubnis ist zwingend zu entziehen; ein Ermessen steht dem Antragsgegner nicht zu.

Es ist zudem nicht ersichtlich, dass trotz feststehender Nichteignung des Antragstellers im Zeitpunkt der angegriffenen Entziehungsverfügung die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der im Strafurteil unterbliebenen Entziehung gehindert gewesen wäre, gestützt auf den im Strafurteil beurteilten Sachverhalt eine Entziehung auszusprechen. Insbesondere steht § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG dem nicht entgegen. Vorliegend weicht der Antragsgegner nicht zum Nachteil des Antragsstellers im Hinblick auf die Beurteilung der Fahreignung von der Einschätzung des Amtsgerichts I. ab, sondern übernimmt dessen Beurteilung. Ebenso wenig weicht er - unbeschadet der Reichweite der in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG vorgesehenen Bindungswirkung - mit der Entziehungsverfügung von einer bewussten Entscheidung zum Absehen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis des Strafgerichts ab. Das Amtsgericht I. hat - wie oben dargestellt - von einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB ausweislich der Gründe des Urteils vom 20. Juni 2017 allein deshalb abgesehen, weil die Fahrerlaubnis bereits durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen worden war und nicht aufgrund einer Verneinung des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 StGB.

Die in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung vom 25. Juli 2018 enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Angesichts der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung insoweit überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht. Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

So auch: OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 - 16 B 74/15 -, juris m. w. N.

Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung ist auch nicht zwischenzeitlich fortgefallen, da nicht positiv festgestellt werden kann, dass der Antragsteller seine Kraftfahreignung nunmehr wiedererlangt hat. Zwar ist die Sperrfrist nach Erlass der Ordnungsverfügung vom 25. Juli 2018 zwischenzeitlich abgelaufen, jedoch gibt die Sperrfrist insoweit - wie bereits dargestellt - nur den Mindestzeitraum an, währenddessen der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Fall als ungeeignet anzusehen ist. Ob die eignungsausschließende Gefährlichkeit fortbesteht, ist im Anschluss daran von der Straßenverkehrsbehörde auch bei Ersttätern eigenständig zu beurteilen. Die Tat vom 9. Dezember 2016 dürfte jedenfalls grundsätzlich geeignet sein, zumindest Zweifel an der Kraftfahreignung im Sinne von § 11 Abs. 3 FeV zu rechtfertigen. Insofern überwiegt das Interesse am Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer weiterhin.

Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung enthaltene Zwangsgeldandrohung kommt ebenfalls nicht in Betracht, da sich diese im Rahmen der summarischen Überprüfung voraussichtlich als rechtmäßig erweist. Sie entspricht den Anforderungen von §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Entziehung einer beruflich genutzten Fahrerlaubnis betrifft, beträgt 10.000,00 €, wenn die berufliche Nutzung - wie bei einem Berufskraftfahrer der Fall - gerade im Führen eines Kraftfahrzeugs besteht, und ist im Eilverfahren zu halbieren.

St. Rspr.: vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, juris, Rn. 2 f., vom 8. April 2014 - 16 B 207/14 -, juris, Rn. 8 und vom 22. Oktober 2015 - 16 E 415/15.

Lukas Jozefaciuk