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OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.12.2018 - 15 A 3232/17

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Das Zulassungsvorbringen begründet keine - sinngemäß geltend gemachten - ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.

Dies ist nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, die Abfallbehälter der Klägerin unmittelbar vor dem Grundstück T. C.---straße 59 zu leeren,

zu Recht abgewiesen.

Vor Grundstücken, die nicht unmittelbar an einer für Sammelfahrzeuge befahrbaren Straße liegen, müssen gemäß § 14 Abs. 2 Satz 4 der Satzung über die Abfallentsorgung in der Stadt T1. vom 14. Februar 2013 in der Fassung des 1. Nachtrags vom 6. Mai 2015 (im Folgenden: AES) Abfallbehälter und Abfallsäcke bis zur nächsten vom Sammelfahrzeug befahrbaren Straße gebracht werden.

Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen, die eine Mitwirkung des Überlassungspflichtigen durch Verbringen der Abfallbehältnisse an einen grundstücksfernen Ort erforderlich machen können, gehören tatsächliche und/oder rechtliche Hindernisse, die einem unmittelbaren Anfahren des Grundstücks entgegenstehen. Rechtliche Hindernisse folgen insbesondere aus straßenverkehrsrechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen wie § 9 Abs. 5 StVO und § 16 Nr. 1 BGV C27. Dabei ist eine generalisierende Bestimmung der dem Überlassungspflichtigen zumutbaren Mitwirkung nicht möglich. Entscheidend ist stets die konkrete örtliche Situation unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist besonders die Entfernung zwischen Grundstück und Aufstellungsort sowie die Erschließungssituation des betreffenden Grundstücks in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 15 B 803/15 -, juris Rn. 10, mit weiteren Nachweisen.

§ 16 Nr. 1 Satz 1 BGV C27 liegt die typisierende Annahme zugrunde, dass Rückwärtsfahrten von Abfallsammelfahrzeugen - gerade auch in eng bebauten Wohngebieten - in erhöhtem Maß gefährlich und unfallträchtig sind. Im Vorwort der BG-Information 5104 "Sicherheitstechnische Anforderungen an Straßen und Fahrwege für die Sammlung von Abfällen" der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen von Mai 2008 wird darauf hingewiesen, dass Abfallsammelfahrzeuge durch ihre Bauweise besonders unübersichtlich sind, weswegen in ihrem direkten Umfeld eine gesteigerte Gefährdungslage besteht, die bei schwierigen Sicht- und Raumverhältnissen leicht eine unmittelbare Gefahr verursachen kann. Besonders das Rückwärtsfahren von Abfallsammelfahrzeugen könne auf ungeeigneten Straßen eine tödliche Gefahr für die Beschäftigten der Müllabfuhr sowie für Passanten - und vor allem für Kinder - bedeuten. Entsprechend äußert sich die BG-Regel 238-1 "Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten in der Abfallwirtschaft - Teil 1: Sammlung und Transport von Abfällen" von August 2007. Nr. 3.2.5.2.2 der BG-Regel 238-1 besagt, dass das Rückwärtsfahren und Zurücksetzen mit Müllwagen gefährliche Verkehrsvorgänge sind, die nach Möglichkeit zu vermeiden sind. Eine Sammelfahrt ist danach so zu planen, dass ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich ist (vgl. Nr. 3.2.5.1 der BG-Regel 238-1).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 15 B 803/15 -, juris Rn. 15, mit weiteren Nachweisen.

Daran gemessen ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Stichstraße T. C.---straße 55 bis 69 keine für Sammelfahrzeuge befahrbare Straße im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 4 AES ist.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass es nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht möglich ist, mit einem Müllfahrzeug am Ende des Stichwegs zu wenden, um die Örtlichkeit in Vorwärtsfahrt zu verlassen. Dies hat auch die Beklagte zuletzt in der Zulassungserwiderung vom 17. April 2018 plausibel dargelegt und lässt sich anhand der in den Akten befindlichen Lichtbilder nachvollziehen. Die Stichstraße ist so schmal, dass sie von einem Abfallsammelfahrzeug nahezu in voller Breite in Anspruch genommen wird. Daraus ergibt sich im Fall des Rückwärtsfahrens eines solchen Fahrzeugs eine besondere Gefährdungssituation, der dadurch zu begegnen ist, dass die Klägerin ihre Abfallbehälter zur Leerung an das Ende der Stichstraße bringt. Die Raum- und Sichtverhältnisse sind auch ohne Sichtbeeinträchtigungen durch Hecken, Sträucher etc. so schwierig, dass sie bei einer Rückwärtsfahrt eines Müllfahrzeugs zu nicht hinnehmbaren Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben führen.

In diese Wertung fließt die allgemeine ordnungsrechtliche Regel ein, dass hinsichtlich des für ein gefahrenabwehrendes Tätigwerden der Ordnungsbehörde erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrads ein gleitender Maßstab gilt. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt nicht die Gewissheit, dass der Schaden eintreten wird. Vielmehr ist der Eintritt eines Schadens schon bei einer nach der Lebenserfahrung begründeten Befürchtung der Gefahrenverwirklichung hinreichend wahrscheinlich. Bezüglich des Grads der Wahrscheinlichkeit ist insoweit zu differenzieren, als zum einen der Rang des Rechtsguts zu berücksichtigen ist, in das eingegriffen werden soll, und zum anderen aber auch das Gut, zu dessen Schutz vorgegangen werden soll. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können.

Vgl. auch dazu OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 15 B 803/15 -, juris Rn. 17.

Mit ihrer Forderung verstößt die Beklagte nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Beklagte in der Straße Zum M. Müllfahrzeuge über eine Distanz von ca. 200 m rückwärtsfahren lässt, folgt daraus nicht, dass dies auch in der Stichstraße der Klägerin zulässig sein muss. Die Gefährdungsanalyse hat sich an den jeweiligen örtlichen Verhältnissen zu orientieren. Allein die in Rückwärtsfahrt zurückzulegende Entfernung ist dabei kein ausschlaggebendes Kriterium, wenn die übrigen Einzelfallumstände (k)eine Gefahrenlage ergeben. Falls das Rückwärtsfahren auch in der Straße Zum M. (und/oder in der von der Klägerin angeführten H. ) mit Gefahren verbunden ist, wäre diese Praxis im Übrigen rechtswidrig und aus diesem Grund nicht geeignet, eine Anspruchsposition der Klägerin zu begründen. Eine sog. "Gleichbehandlung im Unrecht" findet nicht statt.

Die Klägerin kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, das Rückwärtsfahren sei über einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren praktiziert worden. Dieser Zeitablauf allein macht die Gefahrenprognose der Beklagten nicht unrichtig. Maßgeblich ist nämlich nicht, ob es in der Vergangenheit zu Unfällen gekommen ist, sondern dass die bisherige Abholpraxis gegen Unfallverhütungsvorschriften verstößt.

Soweit die Klägerin pauschal auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt, genügt dies den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Lukas Jozefaciuk