VG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.2016 - 14 L 3755/16
Bei der Zustellung im Wege der Postzustellungsurkunde kommt es nicht darauf an, ob der Empfänger vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis nimmt.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 13120/16 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 2016 anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist statthaft, denn der erhobenen Klage kommt hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 2a Abs. 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG.) keine aufschiebende Wirkung zu. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung von § 47 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV),
vgl. hierzu VG Leipzig, Beschluss vom 21.11.2005 - 1 K 1110/05 -, Rn. 34 ff. juris; VG Augsburg, Beschluss vom 17.09.2012 - Au 7 S 12.1083 -, Rn. 25, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.08.2012 - 6 L 1155/12 -; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 47 FeV, Rn. 13,
für die Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins, denn es kann keinen Unterschied machen, ob die Behörde die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung angeordnet hat oder die aufschiebende Wirkung - wie im Falle des § 2a Abs. 6 StVG - kraft Gesetzes entfällt. Der Entfall der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung beruht auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Satz 1 Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JG NRW).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt anordnen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 2016 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.12.2008 - 3 C 26.07 -, Rn. 16, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.04.2012 - 16 B 356/12 -, Rn. 6, juris.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG. Hiernach hat die zuständige Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe innerhalb der Probezeit eine weitere schwerwiegende oder zwei weitere weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen nach Anlage 12 zu § 34 FeV begeht, nachdem ihm gegenüber auf einer ersten Stufe die Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG angeordnet, er auf einer zweiten Stufe gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG schriftlich verwarnt worden und die ihm zugleich zur freiwilligen Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung gesetzte Frist von zwei Monaten abgelaufen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Probezeit zwischenzeitlich abgelaufen ist. Bei den nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG berücksichtigungsfähigen Zuwiderhandlungen muss es sich um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten handeln, wegen derer eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen ist. Wie Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften zu bewerten sind, wird gemäß § 34 Abs. 1 FeV abschließend nach dem Katalog der Anlage 12 zu § 34 FeV bestimmt. Liegen die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG vor, hat die Fahrerlaubnisbehörde zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass ihr diesbezüglich ein Ermessen eingeräumt wird.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG sind vorliegend erfüllt.
Die Antragsgegnerin hatte den Antragsteller mit Bescheid vom 22.07.2014 zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG aufgefordert, nachdem der Antragsteller innerhalb der ursprünglich bis zum 22.03.2015 laufenden Probezeit am 10.01.2014 (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, 1 Punkt) eine schwerwiegende Zuwiderhandlung (Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV, A, 2.1) begangen hatte.
Durch die Anordnung des Aufbauseminars gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG verlängerte sich die Probezeit gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG kraft Gesetzes um zwei Jahre, mithin bis zum 22.03.2017.
Nach der Teilnahme am Aufbauseminar beging der Antragsteller am 20.01.2015 eine weitere rechtskräftig geahndete Verkehrszuwiderhandlung (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) und hat daher eine schwerwiegende Zuwiderhandlung (Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV, A, 2.1) begangen. Wegen dieses Verstoßes verwarnte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 21.04.2015, mit Postzustellungsurkunde durch Niederlegung zugestellt am 23.04.2015, gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG und legte ihm nahe, innerhalb von zwei Monaten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. An einer verkehrspsychologischen Beratung hat der Antragsteller innerhalb der genannten Frist nicht teilgenommen.
Ausweislich der Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes an die Antragsgegnerin vom 11.08.2016 und 30.09.2016 beging der Antragsteller sodann am 03.03.2016 und am 14.06.2016 und damit innerhalb der Probezeit erneut zwei rechtskräftig geahndete Verkehrszuwiderhandlungen (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit). Hierbei handelt es sich wiederum um schwerwiegende Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften (Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV, A.2.1). Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG erfüllt, nachdem die Antragsgegnerin zuvor die in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG vorgesehenen gestuften Maßnahmen rechtsfehlerfrei ergriffen hat.
Insbesondere wurde dem Antragsteller die Verwarnung vom 21.04.2015 auch rechtswirksam im Wege der Zustellung bekannt gegeben. Die Zustellung der Verwarnung erfolgte gemäß § 3 Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LZG NRW) i.V.m. §§ 177 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) durch die Post mit Zustellungsurkunde. Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die Bekanntgabe im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 LZG NRW i.V.m. § 180 ZPO. Die Postzustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 418 ZPO. Sie begründet damit gemäß § 418 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 98 VwGO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, mithin der Einlegung des Schriftstücks in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung, die der Antragsteller für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Postzustellungsurkunde nicht den in § 182 ZPO normierten Anforderungen genügt, sind weder ersichtlich, noch seitens des Antragstellers substantiiert dargetan. Ist damit von einer ordnungsgemäßen Ersatzzustellung auszugehen, gilt die Verwarnung gemäß § 180 Satz 2 ZPO als zugestellt.
Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, ihm sei die Verwarnung nie zur Kenntnis gelangt, weil seine Mutter ihn diesbezüglich nicht unterrichtet habe, ist dies - selbst bei unterstellter Richtigkeit dieses Vortrages - rechtlich unerheblich. Die Behauptung, infolge Vorenthaltens des zugestellten Schriftstücks durch die Mutter keine Kenntnis vom Inhalt der Verwarnung erlangt zu haben, betrifft schon keinen für die Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO entscheidungserheblichen Vorgang. Denn das behauptete Geschehen liegt zeitlich nach dem durch die Zustellungsurkunde bezeugten Einwurf des Schriftstücks, weshalb z.B. sein Abhandenkommen nach dem Einwurf und vor (oder bei) der Leerung des Hausbriefkastens ohne weiteres möglich, jedoch für die Ordnungsgemäßheit der mit Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten abgeschlossenen Ersatzzustellung ohne Bedeutung ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.03.1992 - 2 B 22.92 -, Rn. 4, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2008 - 12 A 1509/06 -, Rn. 10 f., juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.08.1996 - 20 A 3523/95 -, Rn. 21, juris.
Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es damit nicht darauf an, ob und wann der Adressat das Schriftstück seiner Empfangsvorrichtung entnommen und ob er es tatsächlich zu Kenntnis genommen hat.
Vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2005 - III ZR 104/05 -, Rn. 12, juris; BFH, Beschluss vom 10.11.2003 - VII B 366/02 -, Rn. 10, juris; BSG, Beschluss vom 27.01.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B -, Rn. 5, juris; BVerwG, Beschluss vom 02.08.2007 - 2 B 20.07 -, Rn. 3, juris.
Mit der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten und damit in den Empfangs- bzw. Machtbereich des Zustellungsadressaten ist das Zustellungsverfahren abgeschlossen. Die Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks gehört nicht zur Zustellung des zuzustellenden Schriftstücks.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.05.1986 - 4 CB 8.86 -, Rn. 4, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.08.1996 - 20 A 3523/95 -, Rn. 21, juris.
Erweist sich demnach die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig, sind Umstände, die aus anderen Gründen ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegen die Fahrerlaubnisentziehung begründen könnten, nicht ersichtlich. Die angeordnete Rechtsfolge der Entziehung der Fahrerlaubnis ist zwingend (vgl. § 2a Abs. 6 StVG). Vielmehr überwiegt das Interesse an größtmöglicher Sicherheit des Straßenverkehrs hier das Aufschubinteresse des Antragstellers auch deshalb, weil ungeachtet der rechtlichen Bewertung im Einzelnen die andauernden, wiederholten und zum Teil gravierenden Verkehrsverstöße des Antragstellers sowie seine erkennbare mangelnde Einsichtsfähigkeit oder -bereitschaft deutlich für seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechen.
Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 27.10.2016 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung ist gemäß §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2012 - 16 B 1106/12 -, Rn. 9, juris,
der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich dieser Betrag um die Hälfte.