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VG Berlin, Urteil vom 26.05.2016 - 13 K 291.14

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v.110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und weitere in diesem Zusammenhang ergangene ausländerrechtliche Entscheidungen.

Der im Jahre 1989 im Libanon geborene ledige und kinderlose Kläger reiste im Jahre 1990 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in das Bundesgebiet ein und lebt seitdem hier. Er war zuletzt im Besitz einer bis zum 2. Juni 2009 gültigen Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG unter Gestattung der Ausübung einer Beschäftigung. Er hat den Hauptschulabschluss erworben; eine Berufsausbildung besitzt er nicht.

Der Kläger wurde seit 2003 vielfach straffällig. Zuletzt wurde er am 2. April 2011 vom Landgericht Berlin unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Tiergarten vom 3. November 2009 zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und sechs Monaten verurteilt. Bei der Staatsanwaltschaft wird er als Intensivtäter geführt. Der Kläger ist nicht im Besitz eines Passes oder eines anderen Heimreisedokuments.

Mit Bescheid vom 4. August 2014, zugestellt am 7. August 2014, wies der Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1. des Bescheidtenors), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 2.) und drohte ihm die Abschiebung in den Libanon an. (Ziffer 3.) Die Sperrwirkung wurde aufgrund der Ausweisung auf fünf Jahre nach Ausreise (Ziffer 4.) bzw. drei Monate nach Abschiebung (Ziffer 5.) befristet.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 lehnte der Beklagte einen Antrag des Klägers auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis ab.

Der Kläger hat am Montag, dem 8. September 2014 Klage gegen den Bescheid vom 4. August 2014 (Ziffern 1 – 3) erhoben.

Zwei nach Klageerhebung gestellte Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz, gerichtet auf Duldungserteilung mit der Befugnis zur Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung (VG 13 L 357.14) bzw. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 4. August 2014 (VG 13 L 421.14) blieben ohne Erfolg. Gegen die im einstweiligen Rechtsschutzantrag VG 13 L 421.14 ablehnenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben (2 BvR 1220/15), über die noch nicht entschieden ist.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2015 wurden die Widersprüche des Klägers gegen den Bescheid vom 23. Oktober 2014 und Ziffern 4. und 5. des Bescheides vom 4. August 2014 zurückgewiesen.

Der Kläger befand sich zwischen Juli 2012 und Januar 2016 in Strafhaft, teilweise im offenen, teilweise im geschlossenen Vollzug. Insbesondere verbrachte er die letzten Haftmonate erneut im geschlossenen Vollzug. Sein Antrag vom 25. August 2015 auf Reststrafenaussetzung zur Bewährung wurde vom LG Berlin - 591 StVK 371/15 – nach mündlicher Anhörung des Klägers mit Beschluss vom 12. November 2015 abgelehnt, ebenso eine Verkürzung des Zeitraums der mit Entlassung aus der Strafhaft eintretenden Führungsaufsicht.

Gegenwärtig ist der Kläger im Besitz einer am 26. Januar 2016 erteilten, bis Ende Juli 2016 gültigen und eine Erwerbstätigkeit nicht gestattenden Duldung. Gegen die Versagung der Gestattung einer Erwerbstätigkeit erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2016 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Kläger die Klage VG 13 K 87.16 erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Im hiesigen Verfahren trägt der Kläger vor: Die Ausweisung sei rechtswidrig. Weder spezialpräventive noch generalpräventive Erwägungen könnten sie rechtfertigen. Hinsichtlich ersterem sei vor allem zu berücksichtigen, dass er als faktischer Inländer und strafvollstreckungsrechtlich als sog. „Erstverbüßer“ einzustufen sei und dass er seit 2010 nicht mehr straffällig geworden sei. Er sei zudem ein begabter Boxer und betreibe das Boxen nahezu professionell. Dieser Leistungssport, den er nach Haftentlassung wieder aufgenommen habe, habe für ihn stabilisierende Wirkung. Auch die Vollzugsplanfortschreibungen verdeutlichten eine Nachreifung. Die mittlerweile zu stellende positive Legal- und Sozialprognose werde durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten – erstellt im Rahmen eines Fahrerlaubnisverfahrens – bestätigt. Die Befristungsentscheidungen berücksichtigten nicht hinreichend seine persönlichen Belange als faktischer Inländer. Dieser Status sowie der Resozialisierungsgedanke seien auch bei der Ablehnung der Beschäftigungserlaubnis nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die rechtswidrige Ausweisung könne eine Sperrwirkung gem. § 11 AufenthG nicht bewirken. Er habe Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG. Die fehlende Unterhaltssicherung stehe nicht entgegen, weil hier ein Ausnahmefall anzuerkennen sei. Einen gültigen Pass könne er allenfalls erhalten, wenn er einen gültigen Aufenthaltstitel vorlege.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1.den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1. bis 3. des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 4. August 2014 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,2.den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 4. und 5. des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 4. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2015 zu verpflichten, sein Befristungsbegehren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,3.die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren betreffend die Befristungsbegehren für notwendig zu erklären.Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die angefochtenen Bescheide und macht ergänzend geltend, nach neuem Recht erfülle der Kläger ein besonders schweres Ausweisungsinteresse i. S. des § 54 Abs. 1 AufenthG. Seine Ausweisung sei auf der Grundlage der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung weiterhin geboten.

Der Rechtsstreit ist mit Kammerbeschluss vom 5. März 2015 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Strafakten des LG Berlin – 68 Js 173/10 (255) – und des Amtsgerichts Tiergarten – 16 JuJs 35/09 - Bezug genommen, die ebenso wie die Gefangenen-Personalakten vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

1. Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, nämlich hinsichtlich der für die Zeit des (offenen) Vollzuges begehrten Arbeitserlaubnis (Bescheid vom 23. Oktober 2014), war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Im Übrigen bleibt die Klage ohne Erfolg.

2. Die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Verpflichtungsklage (Klageantrag zu 1.) ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erlaubniserteilung; der Bescheid vom 4. August 2014 (Ziffern 1.-3.) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

a. Die Ausweisung (Ziffer 1. des Bescheides) ist rechtmäßig.

aa) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sach- und Rechtslage ist insoweit der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juli 2011 – OVG 12 N 40.10 -, Beschluss vom 6. September 2012 – OVG 2 N 80.10 -, Urteil vom 12. März 2013 – OVG 7 B 1.13 -; VG Aachen, Urteil vom 13. April 2016 – 8 K 613/14 -). Abzustellen ist daher auf die aktuell geltende geänderte Rechtslage. Aufgrund der Neuregelungen mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I 2015, S. 1386) beruht eine Ausweisung anstelle des bisherigen dreistufigen Systems von so genannter Ist-, Regel- und Ermessensausweisung nunmehr auf einer umfassenden Abwägung der Bleibe- und Ausweisungsinteressen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Die Ausweisung wird von der Ausländerbehörde verfügt, wenn diese Abwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet überwiegt. Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung ohne Einräumung eines Ermessenspielraums der Ausländerbehörde, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Begründungsmängel oder sonstige Rechtsfehler der Ausländerbehörde bei der Abwägung sind unerheblich, weil das Gericht eine eigene Entscheidung trifft (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/4097, S. 1, 23, 29; s. ferner VGH Kassel, Beschluss vom 5. Februar 2016 – 9 B 16/16 -; VG Berlin, Urteil vom 29. Februar 2016 – 21 K 447.15 -). Mangels anderslautender Überleitungsvorschriften müssen sich auch vor Inkrafttreten des neuen Rechts erlassene Ausweisungsentscheidungen an diesen Bestimmungen messen lassen.

bb) Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung des Klägers ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016, BGBl. I., S. 394). Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden (vgl. a.VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -, Urteil vom 13. Januar 2016 - 11 S 889/15 -; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 5.

cc) Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren - nämlich 3 Jahren und sechs Monaten - verurteilt worden ist. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet deshalb die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG. Diese Gefährdung dauert weiter an. Auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht weiterhin eine hohe Rückfallgefahr.

(1) Für die Prognose einer konkreten Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 26; Urteil vom 2. September 2009 - 1 C 2.09 -, juris Rn. 17). Die Wiederholungsgefahr kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens des wegen der Begehung von Straftaten ausgewiesenen Ausländers ergeben. Es besteht zwar keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 -, juris Rn. 24; BVerfG, Urteil vom 1. März 2000 - 2 BvR 2120.99 -, juris Rn. 16 f.). Vielmehr ist eine individuelle Würdigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich. Hierbei sind insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt von Belang. Familiäre, wirtschaftliche und sonstige Bindungen des Ausgewiesenen können ebenso zu erwägen sein wie ein Wechsel des sozialen Umfeldes nach der Tat bzw. Haftentlassung oder etwaige resozialisierende Wirkungen des Strafvollzuges. Bei alledem ist indessen die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2002 - 1 C 21.00 -, Urteil vom 16. November 2000 - 9 C 6.00 -, Beschluss vom 4. Mai 1990 - 1 B 82.89 -).

Die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben eine eigenständige, längerfristige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Ein Sachverständiger ist grundsätzlich nicht erforderlich, um die Frage der vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinreichend festzustellen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. April 2012 – OVG 3 B 23.11 -, Beschluss vom 28. Mai 2015 – OVG 7 S 10.15 -). Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Beschluss vom 11. September 2015 - 1 B 39.15 - InfAuslR 2016, 1, Rn. 12). Das ist hier nicht der Fall.

(2) Vorliegend droht konkret die Wiederholung von Eigentums- und Gewaltdelikten durch den Kläger. In dem Urteil des LG Berlin vom 2. April 2011 wurde der Kläger u. a. wegen zahlreicher vorsätzlicher Eigentums- und Körperverletzungsdelikte, begangen zumeist aufgrund vorheriger Planung und zusammen mit weiteren Mittätern, verurteilt. Die Taten wurden z. T. während laufender Bewährungsfristen begangen. Der Kläger war auch zuvor schon über Jahre hinweg strafrechtlich einschlägig in Erscheinung getreten. Die Taten gehen in Umfang und Schwere über den Bereich der „typischen“ Jugenddelinquenz weit hinaus. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Darstellung im Bescheid vom 4. August 2014 (dort Seiten 4-11) sowie im Urteil des LG Berlin (dort Seiten 5-8, 43) Bezug genommen.

Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass vom Kläger künftig die Gefahr der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten nicht mehr ausgeht. Für eine mittlerweile erfolgte positive Entwicklung der Persönlichkeit des Klägers ist kaum etwas ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass aufgrund der Hafterfahrung von ihm nunmehr keine Gefährlichkeit mehr ausgeht. Der Haftverlauf lässt eine positive Sozialprognose nicht zu. Das Verhalten des Klägers während des Strafvollzugs ist, wie aus den beigezogenen Gefangenen-Personalakten ersichtlich, durch eine Vielzahl von Zwischenfällen, insbesondere auch Regelverstößen gekennzeichnet, was letztlich zu einem Widerruf der Zulassung zum offenen Vollzug und der erneuten Unterbringung im geschlossenen Vollzug bis zum Strafende geführt hat.

In der Vollzugsplanfortschreibung vom 19. Januar 2015 heißt es:

„Herr R... konnte trotz vielfacher Ansprachen durch verschiedene Gruppenbetreuer, die Mitarbeiterin der Arbeitsverwaltung, den Vorarbeiter des Außenkommandos, den in Vertretung zuständigen Gruppenleiter und den Teilanstaltsleiter nicht zu einem normkonformen Verhalten finden. Das Verhalten im vergangenen Berichtszeitraum belegt im Gegenteil, dass Herr R... offensichtlich nicht in der Lage ist, sich gegenüber Bediensteten oder am Arbeitsplatz angemessen zu verhalten. … So werden hier im Alltag regelmäßig die dissozialen Persönlichkeitsmerkmale des Insassen offenbar. … Im vergangenen Berichtszeitraum kam es zu zahlreichen Auffälligkeiten im Vollzugs- und Lockerungsverlauf.“

In der Vollzugsplanfortschreibung vom 6. Juli 2015 heißt es:

„Herr R... ist in der Vergangenheit mehrfach mit unangemessenem Verhalten … in Erscheinung getreten, sodass der weitere Verbleib im offenen Vollzug lediglich unter Zurückstellung von Bedenken erfolgt ist. … Entgegen den Erwartungen kam es am 30.06.2015 zu einem erneuten Fehlverhalten während des Arbeitseinsatzes. Herrn R... wurde um 11.50 Uhr … die Genehmigung erteilt, kurz zu der in unmittelbarer Nähe befindlichen Tankstelle zu fahren … Frau S ist sodann Herrn R hinterhergefahren uns stellte fest, dass er zur Stadtautobahn Richtung Charlottenburg anstatt zur Tankstelle fuhr. Um 13.25 Uhr erschien Herrn R... wieder am Arbeitsplatz und gab an, dass er nur schnell bei seinem Anwalt gewesen sei. Frau S... teilte der Anstalt mit, dass ein weiterer Arbeitseinsatz nicht mehr in Betracht kommt, da sich Herr R... unzuverlässig gezeigt und unter Vortäuschung falscher Angaben für längere Zeit vom Arbeitsplatz entfernt hat. … Das erneute Fehlverhalten zeigt, dass Herr R... nicht willens und in der Lage ist, sich an Absprachen und Vereinbarungen zu halten … Aufgrund dessen (ist) die Unterbringung im geschlossenen Vollzug anzuordnen. … Gleichwohl Herr R... ein hohes Maß an Disziplin für seine Boxkarriere aufzubringen scheint, ist er während des Vollzugsverlaufes mit Disziplinlosigkeit sowie mangelnder Vereinbarungsfähigkeit in Erscheinung getreten. …stellte Herr R... mehrfach unter Beweis, dass es ganz offensichtlich an seiner Persönlichkeit liegt, an dem mangelnden Respekt anderen gegenüber und an einer mangelnden Impulskontrolle. …Im Fazit scheinen bei Herrn R... die narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitsanteile derart zu überwiegen, dass er sein Handeln nicht zu steuern vermag … Die Konsequenzen seiner mangelnden sozialen Kompetenz sollte ihm nunmehr erfahrbar gemacht werden … Hinzukommt, dass der prognoserelevante Vollzugsverlauf aufgrund der diversen Fehlverhalten gegenwärtig einer günstigen Legalprognose entgegenstehen.“

Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wurde von der Strafvollstreckungskammer im November 2015 abgelehnt. In dem die Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe zur Bewährung ablehnenden Beschluss des LG Berlins wird ausgeführt:

„Die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ist abzulehnen, weil dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). … Zwar hat die Justizvollzugsanstalt das Gesuch des Verurteilten befürwortet, die Staatsanwaltschaft aber zu Recht im Hinblick auf die ständigen Regelüberschreitungen des Verurteilten während des Vollzuges und seines strafrechtlich relevanten Vorlebens dessen Ablehnung beantragt. Soweit die JVA und der Verurteilte meinen, es genüge für eine vorzeitige Entlassung, während des Strafvollzuges keine neuen Straftaten zu begehen, ist dieser Ansatz unzutreffend. Die Straffreiheit während des Strafvollzuges ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit, auf die eine positive Sozialprognose allein nicht gestützt werden kann. Stattdessen hat der Verurteilte durch die früher von ihm begangenen Straftaten ein erhebliches Ausmaß krimineller Verhaltensweisen und gleichzeitig eine besonders eingeschliffene Neigung zu solchen Handlungen gezeigt. Die ihm mit den Urteilen vom 22. Januar bzw. 29. April 2008 und 2. November 2009 eingeräumten Bewährungschancen hat er völlig unbeeindruckt vertan. Ihm ist zuzugeben, dass seine Entwicklung im Strafvollzug auch positive Züge trägt, auf die er auch stolz sein darf. Er hat sich erfolgreich im Boxsport etabliert und er hat sich einer langen Psychotherapie unterzogen, die sicher die schlimmsten Verhaltensfehlentwicklungen bei ihm entschärfen konnte. Gleichwohl sind noch immer Fehlverhaltensweisen nicht zu verkennen, die Zweifel an seiner zukünftigen Straffreiheit begründen. So ist der Verurteilte ausweislich der Stellungnahme der Haftanstalt am 30. Juni 2015 zwei Stunden lang abgängig gewesen, was zum Widerruf des offenen Vollzuges führte. Seine Leistungen im Arbeitskommando werden als unzureichend beschrieben. Am 5. August 2015 erfolge eine dienstliche Meldung, nachdem sich der Verurteilte über eine Wurfsendung in die JVA hat Fleisch und Brot zukommen lassen, aus das er meinte, als Sportler einen Anspruch zu haben. Aktuell musste erneut – wie schon vor längerer Zeit zweimal – ein unerlaubter Handybesitz festgestellt werden, welches zu einer 10tägigen Disziplinarmaßnahme … führte. … All dies vermittelt den Eindruck von einer Einstellung, nach der die eigenen Verhaltensweise deutlich weniger kritisch hinterfragt werden als die aufgestellten Verhaltensnormen, insbesondere letztere dahin, ob bzw. dass sie nicht auch für den Verurteilten gelten. Daraus wird zudem deutlich, dass es dem Verurteilten an Vereinbarungsfähigkeit fehlt, welches seine Sozial- und Legalprognose beeinträchtigt. … Die Kammer verkennt bei allem nicht, dass es sich bei dem Verurteilten um einen so genannten Erstverbüßer handelt. Die für ihn deswegen sprechende Vermutung zukünftiger Straffreiheit kann jedoch zur Überzeugung der Kammer aufgrund seines nach wie vor chaotischen Vollzugsverhaltens aus den oben genannten Gründen nicht aufrecht erhalten bleiben. … gemäß § 68f Abs. 1 S. 1 StGB tritt mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug Führungsaufsicht ein. Ein Entfallen der Maßregel wird nicht angeordnet, weil gegenwärtig keine Gründe erkennbar sind, dass der Verurteilte auch ohne die Führungsaufsicht in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird… Die Justizvollzugsanstalt hat sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Verurteilten im Vollzug für die Führungsaufsicht ausgesprochen … Deutlich geworden ist aus der Stellungnahme der noch vorhandene Betreuungsbedarf bei dem Verurteilten, der trotz seiner erfreulichen Reifeentwicklung immer noch nicht in der Lage ist, sich durchgängig an Vereinbarungen zu halten, von denen er meint, dass sie nicht für ihn gelten. Die mündliche Anhörung des Verurteilten hat zu keiner anderen Einschätzung geführt. Die Führungsaufsicht dauert grundsätzlich fünf Jahre … Derzeit besteht keine Veranlassung, die Höchstdauer schon jetzt abzukürzen. … Sofern … es dem Verurteilten gelingt, fest Fuß zu fassen, kann die Anordnung der Führungsaufsicht frühestens nach zwei Jahren vorzeitig aufgehoben werden. …“

Das Verhalten während des Strafvollzugs ist für die Bewertung der Gesamtpersönlichkeit und damit für die Rückfallgefahr ein wesentlicher Gesichtspunkt (VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -). Aus dem „chaotischen Vollzugsverhalten“ des Klägers (so ausdrücklich das LG Berlin) lässt sich nur der Schluss ziehen, dass selbst unter dem Druck des Strafvollzugs beim Kläger eine Verhaltens- oder Einstellungsänderung nicht erfolgt ist. Dass es, wie der Kläger immer wieder betont, während der Zeit des (offenen) Vollzuges zu keinen neuen Straftaten gekommen sei, ist kein Gesichtspunkt, der wesentlichen Einfluss auf die Prognoseentscheidung haben kann (vgl. a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Mai 2015 – OVG 7 S 10.15 -). Auch das vom Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2016 eingereichte medizinisch-psychologische Gutachten vom 16. Juni 2015 führt zu keiner anderen Bewertung, denn dort wird lediglich eine Prognose hinsichtlich künftiger verkehrsrechtlicher Verstöße erstellt. Bei den abgeurteilten Straftaten handelt es sich nicht um Verkehrsstraftaten, so dass die Einschätzungen in diesem Gutachten im vorliegenden Kontext ohne entscheidende Bedeutung sind. Das Gericht hat zur Kenntnis genommen, dass die im Vorfeld der Gutachtenerstellung vorgenommenen Untersuchungen keine Hinweise auf Drogenkonsum oder Alkoholmissbrauch ergeben haben. Auf entsprechende Verhaltensweisen ist die Ausweisungsverfügung indes ebenso wenig gestützt wie die strafrechtliche Verurteilung durch das LG Berlin.

Der in Begleitung seiner Lebensgefährtin erschienene Kläger hat in der mündlichen Verhandlung durchaus einen eher positiven Eindruck hinterlassen. Offenbar ist er seit der Entlassung aus der Strafhaft bislang auch nicht wieder straffällig geworden. Dabei handelt es sich indes nur um einen sehr kurzen Zeitraum von weniger als einem halben Jahr. Auch dass die in den Vollzugsplanfortschreibungen konstatierten erheblichen Persönlichkeitsmängel abgebaut worden wären, ist nicht ersichtlich. An der Einschätzung, dass er sich bislang weder durch zahlreiche strafrechtliche Sanktionen noch durch den Strafvollzug in seinem Verhalten hat beeindrucken lassen, hält das Gericht daher im Ergebnis fest. Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, die z. Zt. eine dauerhafte Verhaltensänderung überwiegend wahrscheinlich machen. Das Gericht erachtet das Risiko der Begehung weiterer Straftaten weiterhin als hoch. Abgesehen von der Beziehung zu Frau A. sind seine persönlichen Verhältnisse unverändert; er betätigt sich weiterhin als Boxer, lebt erneut in seiner früheren Wohnung im „Brennpunktkiez“ und bezieht Leistungen nach AsylbLG. Eine nennenswerte Zäsur in den Lebensumständen und der Einstellung des Klägers nach Haftentlassung, die die Prognose eines künftig (weitgehend) rechtstreuen Lebens rechtfertigen würde, ist nicht festzustellen. Das deckt sich im Übrigen mit der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer, die eine (mindestens) zweijährige Führungsaufsicht für notwendig hält.

dd) Die in § 53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebene Abwägung zwischen den Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet führt zu keiner ihm positiven Entscheidung.

§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat. Dabei sind die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen noch müssen sie nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (zum Vorstehenden, m.w.N., VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -).

Bei der danach gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger nicht auf ein vertyptes Bleibeinteresse gem. § 55 AufenthG berufen kann. Insbesondere ist er weder im Besitz eines Aufenthaltstitels (§ 55 Abs. 1 Nr. 1-3, Abs. 2 Nr. 2, 6 AufenthG) noch lebt er mit Frau A. in eingetragener Lebenspartnerschaft (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, vgl. a. BT-Drs. 18/4097, S. 53). Zu seinen Gunsten sind jedoch sein langjähriger „faktischer“ Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und dass seine Eltern und ein Großteil seiner Geschwister sowie seine Freundin im Bundesgebiet leben, zu berücksichtigen.

Als Ergebnis der gesetzlich geforderten Gesamtabwägung ist hier ein deutliches Überwiegen des - öffentlichen - Interesses an der Ausreise gegenüber den Bleibeinteressen festzustellen. Die wie oben dargelegt weiterhin hohe Gefahr der Begehung von Straftaten durch den Kläger ist auch mit Blick auf seine Bindungen an das Bundesgebiet nicht hinzunehmen, die Ausweisung erweist sich trotz des erheblichen Eingriffs in den Rechtskreis des Klägers als verhältnismäßig. Zu seinen Lasten geht auch die abstrakte Schwere der begangenen Straftaten, die zum Entstehen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 oder AufenthG geführt hat, ferner seine fehlende Bereitschaft und/oder Fähigkeit zur Rechtstreue. Der Kläger ist bereits als Jugendlicher im Alter ab 15 Jahren mehrfach strafrechtlich auffällig geworden. Im Strafvollzug verstieß er ebenfalls immer wieder gegen die internen Regeln. Auch insoweit verhielt er sich nicht rechtstreu im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG.

Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist gemessen an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen (zu den Kriterien siehe insbesondere EGMR, Urteile vom 18. Oktober 2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02. August 2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 mit Blick auf die erheblichen vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefahren für wichtige Rechtsgüter Dritter gerechtfertigt.

Dies gilt auch hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946. Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat, kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben. Andererseits folgt aus fehlenden Bindungen an den Herkunftsstaat aber nicht, dass eine Ausweisung sich deshalb stets als unverhältnismäßig erweisen würde (VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -).

Das Gericht glaubt dem Kläger, dass dessen Bindungen an den Libanon gering sind. Allerdings ist es nicht so, dass überhaupt keine Bindungen bestehen, denn zwei Schwestern des Klägers leben dort. Dem 27jährigen Kläger kann es auch zugemutet werden, neue Bindungen und Beziehungen im Libanon aufzubauen und seine Kenntnisse der arabischen Sprache zu vertiefen (so auch, für einen ähnlichen Fall, VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -). Zu berücksichtigen ist auch, dass keine Familienangehörigen auf die Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet angewiesen sind.

b. Auch die in Ziffer 3. Bescheides vom 4. August 2014verfügte Abschiebungsandrohung - nebst der Ausreisefristsetzung nach Haftentlassung - ist rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1, 4 AufenthG. Die dem Kläger eingeräumte Ausreisefrist von einem Monat nach Haftentlassung ist ermessensfehlerfrei bestimmt worden.

c. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Beklagte hat die Erteilung in Ziffer 2. des Bescheids zu Recht abgelehnt. Die – wie unter a. dargelegt – rechtmäßige Ausweisung bewirkt eine Titelerteilungssperre, d. h. selbst im Falle eines gesetzlichen Anspruchs darf ihm grundsätzlich kein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 11 Abs. 1 AufenthG). Allenfalls darf, wie sich aus § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ergibt, ein Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 erteilt werden. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 AufenthG liegen indes nicht vor. Das ist bereits im Beschluss der erkennenden Kammer vom 3. Februar 2015 in der Sache VG 13 L 421.14 im Einzelnen dargelegt worden; darauf wird verwiesen. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was die dortigen Einschätzungen in Frage zu stellen vermag.

3. Die auf Neubescheidung gerichtete Verpflichtungsklage betreffend die Befristungsentscheidungen (Klageantrag zu 2.) ist ebenfalls unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung bezüglich der Länge der Sperrfristen; der Bescheid vom 4. August 2014 (Ziffer 4. und 5.) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Dauer der Sperrfristen ist mit fünf Jahren (hinsichtlich der Sperrwirkung der Ausweisung, Ziffer 4.) bzw. drei Monaten (hinsichtlich der Sperrwirkung einer Abschiebung, Ziffer 5.) richtig bestimmt worden.

Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit der Ausreise. Im Falle der Ausweisung ist die Frist gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Die Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.

Bei der Ermessensausübung nach § 11 Abs. 3 AufenthG sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu präventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19/11 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2015 – OVG 3 B 25.13 -; OVG Sachsen, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 A 115/15 -; VG Aachen, Urteil vom 13. April 2016 – 8 K 613/14 -).

Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid die festgesetzten Fristen ausführlich begründet und hierbei auch die individuellen Interessen des Klägers an einer Wiedereinreise berücksichtigt (Seiten 28-30 der Bescheidsbegründung). Auf diese zutreffenden Ausführungen wird verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat im Klageverfahren nichts vorgetragen, was diese Einschätzungen in Frage stellt. Die Beziehung zu Frau A. gebot keine Verkürzung der 5-Jahres-Frist. Diese Beziehung, zu der sich der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung auf Befragen des Gerichts geäußert hat, erscheint dem Gericht nicht derart eng – so leben beide Partner weiterhin in eigenen Wohnungen –, dass sie eine spürbare Fristverkürzung gebot. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, bei relevanten Veränderungen in den persönlichen Lebensumständen eine Verkürzung der Sperrfrist beim Beklagten zu beantragen.

Die Festsetzung der Sperrfristen ist durch die inzwischen erfolgte Änderung des AufenthG (gesetzliche Ausgestaltung der Befristungsentscheidung als Ermessensentscheidung, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) auch nicht rechtswidrig geworden. Der Beklagte hat – wie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt – seine bisherigen Gründe in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO als Ermessenserwägungen fortgelten lassen. Das ist zulässig (so auch OVG Sachsen, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 A 115/15 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – OVG 12 M 3.16 -; VG Oldenburg, Urteil vom 11. Januar 2016 – 11 A 892/15 -; VG Berlin, Urteil vom 10 Mai 2016 – VG 13 K 145.15 -). Damit lag auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine rechtmäßige (Ermessens-) Entscheidung über die Befristung vor. Falls es sich – entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG – bei der Befristung weiterhin um eine gebundene Entscheidung handeln sollte (so mit näherer Begründung VGH Mannheim, Beschluss vom 11. April 2016 – 11 S 393/16 -, Urteil vom 9. Dezember 2015 – 11 S 1857/15 -; Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 11 Rn. 40 ff.; a. A. dezidiert VG Aachen, a.a.O.) wären die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid weiterhin „direkt“ maßgeblich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Da der Kläger die Kosten zu tragen hat, kam eine Entscheidung gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO. Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe i. S. des § 124a Abs. 1 VwGO vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird gem. §§ 39 ff., 52 f. GKG (Art. 1 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718) auf

5.000,00 Euro

festgesetzt.

Lukas Jozefaciuk