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VG Arnsberg, Beschluss vom 30.05.2016 - 6 L 389/16

Tenor

Dem Antragsteller wird gegen Zahlung einer monatlichen Rate von ,-- Euro Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N.       aus F.         bewilligt.

Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 806/16 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1E (einschließlich aller Einschlussklassen) in dem Bescheid des Landrates des Antragsgegners vom 11. Februar 2016 wird wiederhergestellt. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

G r ü n d e :I.

Dem Antragsteller wird gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung bewilligt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgend unter II. dargelegten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, nicht mutwillig erscheint und der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ausweislich der Berechnung der Kostenbeamtin des Verwaltungsgerichts nur in monatlichen Raten von     ,- Euro aufbringen kann.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm Rechtsanwalt N.       aus F.         beigeordnet, da angesichts der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).

II.

Der - sinngemäße - Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 806/16 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1E (einschließlich aller Einschlussklassen) in dem Bescheid des Landrates des Antragsgegners vom 11. Februar 2016 vollständig - hilfsweise hinsichtlich einzelner der vorgenannten Fahrerlaubnisklassen - wiederherzustellen,

ist zulässig und begründet.

Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Folgen der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an deren Vollzug fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der im Hauptsacheverfahren 6 K 806/16 angegriffenen Verfügung des Landrates des Antragsgegners vom 11. Februar 2016, so dass das Aussetzungsinteresse überwiegt.Ob diese Verfügung angesichts des Absehens von der nach § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) erforderlichen Anhörung des Antragstellers vor ihrem Erlass den formellen Anforderungen genügt, kann vorstehend dahingestellt bleiben, denn sie erweist sich jedenfalls als aller Voraussicht nach materiell rechtswidrig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers dürfen im für die rechtliche Würdigung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Entziehungsverfügung,

vgl.              zur Bestimmung der für die gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 28. Juli 2014 - 16 B 752/14 -, juris Rdnr. 4 f., m.w.N. und vom 15. September 2014 - 16 B 797/14 -,

              juris Rdnr. 2 und 6,

nicht vorgelegen haben.

Gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis (zwingend) die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4 bis 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftahrzeugen ausgeschlossen ist. Für die Annahme eines Eignungsausschlusses beim Antragsteller wegen - hier allein in Betracht kommender - erheblicher oder wiederholter Verstöße gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen gab es indes keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Zwar kommt das medizinischpsychologische Gutachten der TÜV NORD Mobilität GmbH & Co. KG, Begutachtungsstelle für Fahreignung J.     , vom 11. Januar 2016, das der Antragsteller auf die Anordnung der seinerzeit zuständigen Fahrerlaubnisbehörde der Stadt J.     vom 18. November 2015 hin hat anfertigen lassen, zu dem Ergebnis, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Die Kammer hat allerdings bei summarischer Prüfung des Gutachtens durchgreifende Zweifel an der Tragfähigkeit der gutachterlichen Prognose.

Die Kammer weist zur Klarstellung zunächst darauf hin, dass für diese Einschätzung nicht die rechtlichen Bedenken an der Beibringungsanordnung vom 18. November 2015 maßgeblich sind, die in der gerichtlichen Hinweisverfügung vom 4. Mai 2016 im Einzelnen dargelegt worden sind. Denn wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis sich - wie hier - einer angeordneten Begutachtung gestellt und der Behörde das Gutachten vorgelegt hat, so ist das Ergebnis des Gutachtens eine neue Tatsache, deren Verwertbarkeit nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung abhängt.

Vgl.               Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 11. Juni 2014 - 11 CS 14.532 -, juris Rdnr. 11 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen.

Vorliegend haben die Gutachter der Begutachtungsstelle für Fahreignung jedoch auf der Grundlage des am 11. Januar 2016 mit dem Antragsteller geführten verkehrspsychologischen Gesprächs nicht schlüssig festgestellt, dass zukünftige Verstöße des Antragstellers gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen zu erwarten sind. Zur Überprüfung der Schlüssigkeit gutachterlicher Feststellungen, die  - wie hier – Grundlage eines daran anschließenden belastenden Verwaltungsakts sind, ist das Gericht befugt und zur Wahrung des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes auch verpflichtet.

Die Gutachter stützen ihre Bewertung u.a. auch maßgeblich auf Sachverhalte, die bei summarischer Prüfung für die Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers unerheblich sind. So führen die Gutachter aus, dass der Antragsteller im Wesentlichen „dritte Personen für das eigene Fehlverhalten und die mit dem laufenden Führerscheinverfahren verbundenen Probleme verantwortlich“ mache, und verweisen insofern allein auf die Aussagen des Antragstellers zu seinen Verurteilungen wegen Urkundenfälschung und Körperverletzung (vgl. S. 15 f. des Gutachtens). Diese strafrechtlichen Vorfälle weisen jedoch keinerlei Bezug zum Verkehrsrecht auf und zeigen auch keine Anhaltspunkte für ein etwaiges besonderes Aggressionspotential mit verkehrsrelevanten Auswirkungen auf. Letzteres liegt im Falle der Urkundenfälschung auf der Hand. Auch der Unrechtsgehalt der vom Antragsteller am 1. März 2015 begangenen Körperverletzung wiegt offensichtlich nicht so schwer, dass hieraus der Rückschluss auf ein hohes Aggressionspotential gezogen werden könnte, das sich auch auf das (hier allein interessierende) künftige Verhalten des Antragstellers im Straßenverkehr auswirken könnte. Denn mit der Verurteilung nur zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen à 30,- Euro wegen vorsätzlicher Körperverletzung ist das Amtsgericht Z.       in seinem Urteil ersichtlich im unteren Bereich des in § 223 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) eröffneten Strafrahmens (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) geblieben. Da die Gutachter die für die Beurteilung der Fahreignung irrelevanten Angaben des Antragstellers zu der Urkundenfälschung und der Körperverletzung ausdrücklich im Rahmen ihrer psychologischen Beurteilung herausgestellt haben, erscheint es zumindest als naheliegend, dass das Ergebnis der Begutachtung ohne Berücksichtigung der entsprechenden Sachverhalte anders ausgefallen wäre.

Ferner ist für die Kammer die Einschätzung der Gutachter, dass das gezeigte Fehlverhalten vom Antragsteller nur teilweise offen eingeräumt werde (S. 16 des Gutachtens), nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Es erscheint durchaus als erklärbar, dass der Antragsteller sich am Untersuchungstag im Januar 2016 nicht an jeden einzelnen der von ihm seit Februar 2011 begangenen Verkehrsverstöße erinnern konnte. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der drei von den Gutachtern erwähnten und kurz hintereinander begangenen Verstöße im Juni/Juli 2011, die den Bereichen Handynutzung, Geschwindigkeitsüberschreitung und Überholverbot zuzurechnen waren und sich mithin nicht durch eine besondere, sich vom überwiegenden Durchschnitt der allgemein verwirklichten Verkehrsordnungswidrigkeiten abhebende Begehungsart auszeichneten. Die im Oktober 2011 begangene weitere Ordnungswidrigkeit (unsicheres Verstauen von Ladung) konnte der Antragsteller im Explorationsgespräch demgegenüber ebenso hinreichend detailliert schildern wie den zeitlich letzten Verkehrsverstoß am 28. Mai 2015 (Handynutzung, S. 11 des Gutachtens). Auch die Aussagen zu der Körperverletzung waren im Explorationsgespräch sehr aussagekräftig (S. 11 des Gutachtens).Schließlich erscheint der Kammer auch die Wertung der Gutachter, dass der Antragsteller nicht habe deutlich machen können, warum es trotz behördlicher Maßnahmen bzw. der beruflichen Notwendigkeit des Besitzes einer Fahrerlaubnis zu weiteren Auffälligkeiten gekommen sei (S. 17 des Gutachtens), nicht ohne Weiteres tragfähig. Denn nachdem der Antragsteller bei einem Stand von seinerzeit 13 Punkten mit Schreiben vom 22. Mai 2013 nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung verwarnt worden war, hat er die nächste punktebewehrte Verkehrsordnungswidrigkeit erst am 28. Mai 2015 begangen. Dieser Zeitraum von immerhin zwei Jahren spricht aus Sicht der Kammer eher dafür, dass der Antragsteller sich von der fahrerlaubnisrechtlichen Verwarnung durchaus hat beeindrucken lassen.

Die Kammer weist zur Vermeidung von Missverständnissen abschließend darauf hin, dass sie im vorliegenden Verfahren keine (eigenständige) Bewertung der Angaben des Antragstellers in dem verkehrspsychologischen Gespräch am 11. Januar 2016 dahingehend vornimmt, dass sie den Antragsteller als in medizinischpsychologischer Hinsicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansieht. Eine solche Einschätzung wäre ihr bereits deshalb verwehrt, weil sich die Mitglieder der Kammer im Gegensatz zu den Gutachtern keinen persönlichen Eindruck vom Aussageverhalten des Antragstellers in dem Begutachtungsgespräch verschaffen konnten. Allerdings ist das Gericht, wie schon erwähnt, entgegen der Auffassung des Antragsgegners dazu berechtigt und verpflichtet, ein vorgelegtes medizinischpsychologisches Gutachten, auf das sich die Behörde stützt, auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Wenn das Gutachten - wie hier - erhebliche Mängel aufweist, kann es eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Dabei ist mit Blick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von der Hälfte des im Hauptsacheverfahren angesichts der Berufskraftfahrereigenschaft des Antragstellers anzunehmenden Streitwerts von 10.000,- Euro auszugehen.

Vgl.              zum Streitwert bei Berufskraftfahrereigenschaft: OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2014 - 16 E 1055/14 -.

Lukas Jozefaciuk