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VG Aachen, Urteil vom 27.02.2018 - 2 K 3854/17

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Juni 2017 verpflichtet, zu Gunsten des Klägers einen personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz vor seiner Arbeitsstätte in Höhe der L. -B. -Straße 112-114 in T. einzurichten und zwar zeitlich beschränkt auf die Zeiträume montags, mittwochs, freitags von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und dienstags und donnerstags von 17.00 Uhr - 20.00 Uhr.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 5/7 und der Kläger zu 2/7.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes in Höhe der L.      -B.        -Straße Nr. 112-114 in T1.        . Er ist als Diplom-Finanzwirt selbständig tätig und betreibt seit 17 Jahren eine Versicherungsagentur mit eigenem Versicherungsbüro im Haus L.      -B.        -Straße 112 in T1.        .

Der           geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 % und den festgestellten Merkzeichen "aG" und "B". Er leidet seit über 20 Jahren an einem instabilen Post-Polio-Syndrom im Stadium ? V ? Muskulatur mit einer schleichenden Reduzierung der Gehfähigkeit. Er kann ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung vom Oktober 2017 nur noch wenige Meter an Unterarm-Gehstützen zurücklegen. Im Übrigen bewegt sich der Kläger mit Hilfe eines Rollstuhls fort, der über eine Schiebehilfe in den Rädern verfügt und 27 kg schwer ist. Das Versicherungsbüro des Klägers ist täglich 3 Stunden besetzt (Mo, Mi, Fr: 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und Di, Do: 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr) und täglich 2 Stunden geöffnet (von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr bzw. 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr). Das Büro kann von dem Gehweg aus über 5 Treppenstufen erreicht werden.

Bei der L.      -B.        -Straße handelt es sich um eine stärker befahrene Hauptverkehrsstraße in T1.        -C.       , die beidseitig mit Mehrfamilienhäusern einschließlich Geschäftslokalen bebaut ist. In unmittelbarer Nähe des Versicherungsbüros des Klägers sind 13 Parkplätze eingerichtet und mit dem Verkehrszeichen "Parken" (Zeichen 314) versehen. Das Parken ist mit Zusatzzeichen "Parkscheibe" (Zeichen 318) in der Zeit von montags bis freitags 9.00 Uhr bis 19.00 Uhr und samstags von 9.00 Uhr bis 15.00 Uhr auf eine Höchstdauer von 1 Stunde beschränkt. Die gleiche Regelung besteht auch für die auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingerichteten Parkplätze. Des Weiteren befinden sich auf der Seite des Versicherungsbüros des Klägers in etwa 200 m Entfernung vor den Mehrfamilienhäusern 22 eingerichtete Parkplätze, für die keine einschränkende Parkregelung besteht.

In unmittelbarer Nähe des Versicherungsbüros des Klägers sind ein Blumengeschäft, ein Kiosk und ein Stehcafé angesiedelt sowie in etwas weiterer Entfernung noch ein Schnellimbiss, ein Massagestudio, ein Frisörgeschäft und eine Eisdiele. Schräg gegenüber gibt es ein Sonnenstudio und weiter entfernt in Richtung C1.          Markt sind weitere Geschäftslokale ? unter anderem eine Sparkasse und eine Bäckerei ? vorhanden. Dort sind ebenfalls Parkmöglichkeiten eingerichtet, die mit der oben genannten Einschränkung ausgewiesen sind. In dem Bereich der L.      -B.        -Straße befinden sich 2 allgemeine Behindertenparkplätze, davon einer gegenüber der Stadtsparkasse.

Der Kläger beantragte am 27. Dezember 2016 die Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung. Er sei auf den kürzesten Weg von seinem Pkw zum Büro angewiesen. Er könne den Rollstuhl zwar für größere Distanzen nutzen, könne diesen aber aufgrund seines Gewichtes nicht die Stufen zu seinem Versicherungsbüro hinauf heben. Daher müsse er die Strecke fußläufig bewältigen. Dies sei ihm aber nur für eine kurze Strecke möglich. Er benötige im Übrigen keinen breiten Schwerbehindertenparkplatz, da er ja nicht mit seinem Rollstuhl fahren könne und deshalb lediglich einen normal breiten Parkplatz benötige.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Juni 2017 den Antrag ab. Zwar gehöre der Kläger aufgrund seiner persönlichen Voraussetzung zum Kreis der nach § 45 Abs. 1b Nr. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) begünstigen Personen. Ferner sei auch die Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes vor einer Arbeitsstätte möglich und aufgrund der dargelegten Parksituation sei grundsätzlich auch ein Bedarf des Klägers an der Einrichtung eines Parksonderrechtes nachvollziehbar. Im Rahmen ihrer Ermessensausübung komme sie jedoch dazu, dass für den Kläger kein Anspruch auf die Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes bestehe. Bei der Interessenabwägung sei ebenfalls das Interesse der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit des in der L.      -B.        -Straße nur knappen Parkraums zu berücksichtigen. Vor Ort gebe es zahlreiche Geschäfte und Gewerbetreibende und in der Vergangenheit sei es immer wieder zu Beschwerden seitens der dortigen Geschäftswelt gekommen. Es sei vorgetragen worden, dass es wegen der nicht vorhandenen ausreichenden Parkmöglichkeiten zu Einnahmerückgängen komme und die Beklagte sei aufgefordert worden, möglichst viel Parkraum für Kunden zu schaffen. Vor diesem Hintergrund seien auch die dort vorhandenen Parkregelungen getroffen worden. Die dortigen Parkmöglichkeiten bestünden auch für den Kläger und seien auch von ihm genutzt worden. Vorliegend überwiege das Interesse der Allgemeinheit gegenüber dem Einzelinteresse des Klägers.

Der Kläger hat am 12. Juli 2017 Klage erhoben und ausgeführt, dass die Interessenabwägung der Beklagten nicht nachvollziehbar sei. Gerade weil in vielen Städten und Gemeinden ein mehr oder weniger großer Parkdruck herrsche, habe der Gesetzgeber in § 45 Abs. 1b Nr. 2 StVO die Möglichkeit der Einräumung eines Parksonderrechtes vorgesehen. Die Argumentation der Beklagten, dass ihm wegen des hohen Parkdrucks kein Parksonderrecht eingeräumt werden könne, stehe im Widerspruch zur Gesetzeslage. Dies ergebe sich auch aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 45 Abs. 1b StVO.

Seine tägliche Parkplatzsuche sei unterschiedlich erfolgreich. Ihm sei es lediglich noch möglich, eine Gehstrecke von 10 bis 15 m mit Hilfe von Gehstöcken zu bewältigen. Für ihn sei die Einrichtung eines Sonderparkrechts unabdingbar, um weiterhin sein Versicherungsbüro zu erreichen. Außerdem sei es für ihn wichtig, Überbelastungen, die mit der Bewältigung längerer Wegstrecken verbunden seien, wegen seiner Erkrankung zu vermeiden. Bereits ohne Überbelastungen habe er täglich mit erheblichen Schmerzen zu kämpfen. Er müsse deshalb seine Kraft genau einteilen, um eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu vermeiden. Gelinge ihm eine Parkplatzsuche nicht, müsse er seine Familie oder Nachbarn/Freunde bitten, ihn ins Büro zu fahren. Darüber hinaus bestehe bei der Zurücklegung längerer Wegstrecken auch eine für ihn erhebliche Sturzgefahr, denn er sei erst im September 2017 zweimal gestürzt. Ferner habe die Beklagte an der Ecke L.      -B.        -Straße/H.-----straße bereits einen personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz eingerichtet, an dessen Notwendigkeit er nicht zweifle, in dessen Nähe jedoch ebenfalls zahlreiche Geschäftslokale vorhanden seien und ebenfalls ein hoher Parkdruck herrsche.

Er habe der Beklagten bereits im Vorfeld die Möglichkeit der Einrichtung eines Schwerbehindertenparkplatzes nur für bestimmte Zeiten ? etwa für die Zeit von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr bzw. 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr ? vorgeschlagen, was die Beklagte jedoch ebenfalls abgelehnt habe. Die Argumentation der Beklagten sei für ihn nicht nachvollziehbar, da er ja in diesem Zeitraum in der Regel einen Parkplatz besetze und wegen seines Parkausweises als Schwerbehinderter ohnehin nicht an einen Parkschein bzw. eine Parkscheibe gebunden sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Juni 2017 zu verpflichten, für seine Person einen personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz vor seiner Arbeitsstätte in Höhe der L.      -B.        -Straße 112-114 in T1.        (Parksonderrecht) einzurichten,

hilfsweise,

dieses Parksonderrecht für ihn für die Zeiten:

montags, mittwochs, freitags 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und dienstags und donnerstags für die Zeit von 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr einzurichten,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juni 2017 zu verpflichten, über seinen Antrag neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch wenn der Kläger unstreitig zu dem begünstigten Personenkreis nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 StVO gehöre, bestehe nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf Einrichtung des begehrten Schwerbehindertenparkplatzes. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. In die Ermessensentscheidung seien die konkreten Einzelfallumstände wie etwa Art und Maß der Behinderung und die besonderen örtlichen Gegebenheiten in die Entscheidung einzubeziehen. Unter Bezugnahme auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO zu § 45 in Rn. 23 werde die Erforderlichkeit eines Parksonderrechtes nicht in Abrede gestellt. Ein Parksonderrecht sei aber vorliegend nicht vertretbar. Die Interessen der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit des knappen Parkraums und der zahlreichen Gewerbetreibenden und Geschäftsinhaber würden in diesem Fall die Einzelinteressen des Klägers überwiegen. Im Übrigen werde auch auf § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO Bezug genommen, wonach Verkehrszeichen nur dort anzuordnen seien, wo dies aufgrund besonderer Umstände zwingend geboten sei. Dies sei hier nicht der Fall.

Der vorgeschlagenen Vergleichslösung könne nicht gefolgt werden, da die angestrebten Zeiträume genau diejenigen seien, in denen der meiste Parkdruck herrsche und in denen der Bedarf an Parkplätzen für die Kunden der Gewerbetreibenden und Geschäftsinhaber am höchsten sei. Die Situation der Einrichtung des Schwerbehindertenparkplatzes Ecke L.      -B.        -Straße/H.-----straße sei nicht vergleichbar. Der dort angesprochene Behindertenparkplatz befinde sich in der H.-----straße und der Begünstigte sei dort in unmittelbarer Nähe in der L.      -B.        -Straße wohnhaft und sei blind. Ihm sei es aufgrund seiner persönlichen Situation nicht zumutbar, auch nur eine sehr kurze Strecke zu gehen. Darüber hinaus handele es sich um einen Parkplatz in der Nähe der Wohnanschrift und nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes. Ein Rückschluss aus der Einrichtung dieses Behindertenparkplatzes könne nicht zugunsten des Klägers gezogen werden.

Der Rechtsstreit ist auf die Einzelrichterin übertragen worden. Diese hat am 26. Januar 2018 einen Erörterungstermin vor Ort durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift zu diesem Erörterungstermin verwiesen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

Der Kläger hat nach der hier maßgeblichen Sach – und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung einen Anspruch auf Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes vor seiner Arbeitsstätte in dem aus dem Tenor ersichtlichen zeitlichen Umfang (§ 113 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO). Der darüber hinaus geltend gemachter Anspruch ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ist die Vorschrift des § 45 Abs. 1b) Satz 1 Nr. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO), die auf § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) beruht. Danach treffen die Straßenverkehrsbehörden auch die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionsstörungen oder für blinde Menschen.

Die Entscheidung über die Einräumung eines Parksonderrechts und Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes steht dabei im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde. Da die oben genannte Rechtsgrundlage nicht nur im öffentlichen Interesse steht, sondern die individuellen Belange bestimmter Gruppen von schwerbehinderten Menschen erfasst, räumt die Vorschrift ein subjektiv-öffentliches Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf einen personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz ein. Die Ermessensentscheidung der Behörde ist dabei gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt durch das Gericht darauf zu überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein Anspruch auf Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes besteht nur, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist.

Soweit sich die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde an dem Zweck der Ermächtigungsnorm auszurichten hat, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG im Jahr 1980 das Ziel verfolgte, den entwürdigenden Zustand zu beenden, dass u.a. Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung unzumutbare weite Wege gehen oder gar getragen werden müssen,

vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, BT-Drs. 8/3150, S. 9 und Begründung zur Verordnung der Änderung des StVO vom 21. Juli 1980, Verkehrsblatt 1980, 244, 514 ff und Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflg. 2017, dort die unter Rz. 22c zu § 6 StVG abgedruckte Gesetzesbegründung.

In der Gesetzbegründung wird ferner ausgeführt:

„Bevor einem Schwerbehinderten Parkvorrechte eingeräumt werden, wird zu prüfen sein, ob er die persönlichen Voraussetzungen für eine Sonderregelung erfüllt: Er muss außergewöhnlich gehbehindert und wegen dieser Gehbehinderung darauf angewiesen sein, sein Kraftfahrzeug in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung oder seiner Arbeitsstätte zur Verfügung zu haben. Es muss für ihn unzumutbar sein, längere Wege zu diesem Zweck zu Fuß zurückzulegen. Lassen die allgemeinen Verkehrsverhältnisse die Reservierung von Parkraum nicht zu, muss nach einer anderen Lösung gesucht werden, die die Belange des Schwerbehinderten berücksichtigt. (...) Eine solche Sonderregelung wird generell dann nicht in Betracht kommen, wenn es sich um eine Straße handelt, auf der wegen starken Verkehrs z.B. ein absolutes Halteverbot (Zeichen 283) angeordnet wird und eine Parksonderregelung daher den übrigen Verkehr behindert oder gar gefährden würde. Auch wird z.B. kein Bedürfnis für derartige Parkmöglichkeiten zu bejahen sein, wenn auf eigenem Grund und Boden Parkmöglichkeiten bestehen oder in zumutbarer Weise geschaffen werden können oder sonst ausreichender Parkraum in unmittelbarer Nähe bzw. der Arbeitsstätte des Schwerbehinderten oder Blinden vorhanden ist.“

Dem entspricht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 StVO (VwV-StVO), die im Interesse einer gleichmäßigen, am Gesetzeszweck ausgerichteten Rechtsanwendung das der Straßenverkehrsbehörde eröffnete Ermessen steuert,

vgl. dazu auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 23. Juni 2004 – 8 A 2057/03 – und OVG Hamburg, Urteil vom 19. April 2012 – 4 Bf 56/11 - , jeweils juris.

Nach Ziffer IX Nr. 2a)  VwV-StVO zu § 45 StVO setzen Parkplätze für bestimmte schwerbehinderte Menschen, z.B. vor der Wohnung oder in der Nähe der Arbeitsstätte ein Prüfung voraus, ob

-          ein Parksonderrecht erforderlich ist. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn Parkraummangel nicht besteht oder der schwerbehinderte Mensch in zumutbarer Entfernung eine Garage oder einen Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes hat,

-          ein Parksonderrecht vertretbar ist. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn ein Haltverbot (Zeichen 283) angeordnet wurde,

-          ein zeitlich beschränktes Parksonderrecht genügt.

Davon ausgehend ist die Entscheidung der Beklagten, keinen personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz vor der Arbeitsstätte des Klägers einzurichten, ermessensfehlerhaft.

Zunächst gehört der Kläger unstreitig zu dem von § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 StVO begünstigten Personenkreis. Die Beklagte hat auch ermessensfehlerfrei die Erforderlichkeit eines Parksonderrechts i.S. Ziffer IX Nr. 2 VwV-StVO zu § 45 StVO bejaht, denn der Kläger begehrt den Schwerbehindertenparkplatz in der Nähe seiner Arbeitsstätte, verfügt über keinen Abstellplatz oder Garage außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes. Ferner ist der Parkraum in diesem Bereich der L.      -B.        -Straße bereits wegen der vorhandenen Geschäftslokale und des Parkbedarfs der Anwohner in den Mehrfamilienhäusern sehr knapp. Dementsprechend wurde seitens der Beklagten auch ein großer Teil der vorhandenen Parkplätze bereits mit einer Parkscheibenregelung und einer Park-Höchstdauer von einer Stunde ausgewiesen.

Ermessensfehlerhaft ist jedoch die Annahme der Beklagten, dass vorliegend ein Parksonderrecht zu Gunsten des Klägers wegen des Interesses der Allgemeinheit  an der Verfügbarkeit des knappen Parkraumes - insbesondere der zahlreichen Gewerbetreibenden und Geschäftsinhaber und deren Kunden – nicht vertretbar sei. Die Erwägungen und Abwägung der Beklagten lassen sich insoweit nicht mit den Gesetzeszweck vereinbaren, sind rechtlich unzureichend und berücksichtigen die Interessen des Klägers nicht ausreichend.

Zunächst ist bereits nach der oben dargestellten gesetzlichen Zielvorstellung davon auszugehen, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber eine Besserstellung der bezeichneten Gruppen von Schwerbehinderten bezweckte und diese Besserstellung schwerbehinderter Menschen grundsätzlich nur hinter den Belangen der Verkehrssicherheit zurückstehen soll. In diesem Sinne ist auch die in Ziffer IX Nr.2 a), 2. Spiegelstrich VwV-StVO zu § 45 aufgeführte „Vertretbarkeit“ zu verstehen. Wie bereits in der Gesetzesbegründung wird auch zu dieser Voraussetzung als Beispielsfall für eine Unvertretbarkeit die Anordnung eines absoluten Halteverbots (Zeichen 283) aufgeführt, d.h. ein Fall, in dem das Parksonderrecht zu einer Behinderung oder Gefährdung des Verkehrs führen würde,

vgl. insoweit auch: Oberverwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 19. April 2012 – 4 Bf 56/11 –, Rz. 32 und OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2004 – 8 A 2057/03 -, Rz. 40, jeweils juris.

Die von der Beklagten unter diesem Gesichtspunkt vorgenommene Einstellung der Interessen der Allgemeinheit an der Verfügbarkeit des knappen Parkraums lässt sich damit nicht vereinbaren. Die Erwägung steht darüber hinaus auch im Widerspruch dazu, dass ein Parksonderrecht überhaupt erst erforderlich ist, wenn ein Parkraummangel besteht. D.h. erst auf Grund der Parkdichte im Wohnumfeld oder - wie vorliegend - im Umfeld der Arbeitsstätte des schwerbehinderten Menschen kommt ein Parksonderrecht überhaupt in Betracht und dies beinhaltet nach dem Willen des Gesetzgebers schon eine Nachrangigkeit der Interessen der Allgemeinheit an verfügbaren Parkraum.

Darüber hinaus hat die Beklagte die Belange und Interessen des Klägers nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt. Insbesondere sind Art und Umfang der Behinderung, die individuellen (Fort-) Bewegungsmöglichkeiten, die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und die Verkehrssituation in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen. Die Beklagte hat insoweit das dringende Bedürfnis des Klägers, seine Eingliederung in seinen Beruf bzw. seine selbständige Erwerbstätigkeit und das Gesellschaftsleben weiterhin durch einen kurzen Weg zu seinem Fahrzeug, auf das er angewiesen ist, aufrecht zu erhalten, nicht ausreichend in ihre Ermessensentscheidung eingestellt. Sie hat das gesteigerte Interesse des Klägers, so nah wie möglich an seiner Arbeitsstätte parken zu können, nicht ausreichend berücksichtigt. Der Kläger, der schon seit 17 Jahren sein Versicherungsbüro an gleichem Ort betreibt, hat nachvollziehbar dargelegt, dass er auf Grund seiner fortschreitenden Erkrankung und seines fortschreitenden Alters auf einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe seiner Versicherungsagentur angewiesen ist.  Er hat dazu ausgeführt, dass das schon seit über 20 Jahre bestehende Post-Polio-Syndrom im Stadium –V- Muskulatur mit einer schleichenden Reduzierung der Gehfähigkeit verbunden ist und es ihm derzeit nur noch möglich ist, eine kurze Wegstrecke von 10-15 m mit Gehstützen zurückzulegen. Gleichzeitig ist er gehalten, Überanstrengungen zu vermeiden bzw. seine Kraft einzuteilen, um eine - weitere - Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu vermeiden. Der Kläger hat ferner nachvollziehbar dargelegt, dass die Nutzung seines Rollstuhls – zur Bewältigung längerer Strecken – nicht in Betracht kommt, da sein Versicherungsbüro nur über Stufen zu erreichen ist und ein Tragen des Rollstuhls wegen seines Gewichts nicht möglich ist.  Davon konnte sich das Gericht auch anlässlich des Erörterungstermins vor Ort überzeugen. Die Beklagte hat insoweit das mit der Rechtsgrundlage ebenfalls verfolgte Ziel, Benachteiligungen von Schwerbehinderten im Berufsleben auszugleichen bzw. eine möglichst weitgehende Integration in das Berufsleben zu ermöglichen bzw. aufrechtzuerhalten, nicht hinreichend berücksichtigt bzw. angemessen gewichtet.

Damit stehen nach Auffassung des Gerichts den Interessen des Klägers vorliegend keine überwiegenden Allgemeininteressen, auch nicht die von der Beklagten noch einmal in dem Erörterungstermin dargelegten Interessen der Anwohner und der erhebliche Druck der Gewerbetreibenden auf die Beklagte, ausreichende Parkmöglichkeit einzurichten, entgegen. Denn im weiteren Umfeld sind noch zahlreiche Parkmöglichkeit vorhanden und zum Teil unter Berücksichtigung der Interessen der Anwohner auch ohne Einschränkungen ausgewiesen. Zudem nimmt die Dichte der Geschäftslokale an der L.      -B.        -Straße stadtauswärts ab. Auch der von der Beklagten angesprochene Hol- und Bringverkehr zur Kindertagesstätte in der L.      -B.        -Straße 80 führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, da dieser zum einen weiter entfernt anfällt und meist kurzzeitig zu bestimmten Zeiten am Morgen bzw. Mittag oder Nachmittag. Auch der von der Beklagten im Erörterungstermin angesprochene Umstand, dass mit der Einrichtung eines Schwerbehindertenparkplatzes wegen der erforderlichen Breite möglicherweise sogar zwei Parkplätze entfallen würden, steht nicht entgegen. Soweit die Beklagte damit Bezug nimmt auf den in Ziffer IX VwV-StVO zu § 45 StVO (Rz.18) erfolgten Verweis auf die DIN 18024-1 „Barrierefreies Bauen Teil 1...“ zur Ausgestaltung der Parkplätze, muss die dort vorgesehene Ein- und Ausstiegstiefe – ungeachtet der Frage, ob damit tatsächlich zwei Parkplätze entfallen würden – nicht stets gewährleistet sein. Denn die DIN 18024-1 enthält etwa für Pkw-Stellplätze, die nicht von Rollstuhlfahrern genutzt werden keine Vorgaben,

Vgl. dazu auch OVG Hamburg, Urteil vom 19. April 2012 – 4 Bf. 56/11 -, juris, Rz. 30 ff..

Insoweit hat der Kläger im Klageverfahren darauf hingewiesen, dass er nur einen normal breiten Parkplatz benötige, da er seinen Rollstuhl gerade nicht nutzen könne, sondern zu Fuß gehen müsse. Schließlich ergeben sich auch keine besonderen entgegenstehenden Interessen der Gewerbetreibenden in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte des Klägers. Es handelt sich um Geschäftslokale, die überwiegend zu einem späteren Zeitpunkt (etwa 10.00 Uhr/11.00 Uhr) öffnen und die nicht mit einem durchgehend hohen Kundenverkehr - wie etwa ein Lebensmittelmarkt - verbunden sind.

Dem Kläger steht danach ein Anspruch auf Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatzes in unmittelbarer Nähe zu seinem Versicherungsbüro zu, da das Ermessen der Beklagten insoweit auf Null reduziert ist. Allerdings ist vorliegend ein zeitlich beschränktes Parksonderrecht ausreichend (vgl. Ziffer IX Nr. 2 a), 3.Spielgelstrich VwV-StVO zu § 45 StVO). Denn das Büro des Klägers ist nur zu bestimmten Zeiten besetzt und geöffnet. Dem entsprechen die in dem Tenor ausgewiesenen Zeiten. Soweit der Kläger mit seiner Klage auch ein zeitlich unbegrenztes Parksonderrecht verfolgt, ist die Klage unbegründet und insoweit abzuweisen.

Der von der Beklagten dagegen erhobene Einwand, dass eine weitere Beschilderung mit zusätzlichen Zeitangaben für die Verkehrsteilnehmer in diesem Bereich verwirrend sei und zudem die Beseitigung eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs von dem Schwerbehindertenparkplatz nicht in diesem Zeitraum bewerkstelligt werden könnte, führt zur keiner abweichenden Entscheidung. Der Verordnungsgeber hat die Möglichkeit einer zeitlichen Beschränkung ausdrücklich vorgesehen, gerade auch um die Interessen der übrigen Verkehrsteilnehmer an knappen Parkraum zu berücksichtigen. Die Ausweisung eines unbeschränkten Parksonderrechts, das nur für einen bestimmten Zeitraum benötigt wird – was gerade im Zusammenhang mit Arbeitsstätten der Fall sein dürfte -, ist nicht mehr verhältnismäßig.  Darüber hinaus ist es den parkplatzsuchenden Verkehrsteilnehmern zumutbar, die zeitlichen Vorgaben an einem Schwerbehindertenparkplatz genauer zu betrachten, zumal auch im Übrigen die Parkberechtigung zeitlich eingeschränkt ist. Schließlich stehen auch etwaige Schwierigkeiten bei dem Vollzug dieser Regelung nicht entgegen.

Die Beklagte kann sich schließlich vorliegend auch nicht auf die Regelung des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO berufen, wonach Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies auf Grund besonderer Umstände zwingend geboten ist. Zwar gilt diese Vorgabe grundsätzlich für alle Anordnungen des § 45 StVO. Nach Auffassung des Gerichts ist allerdings bei der Anwendung dieser Vorschrift ebenfalls die oben dargestellte gesetzliche Zielrichtung des § 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 2 StVO zu berücksichtigen, mit der Folge, dass in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Einrichtung eines personenbezogenen Schwerbehindertenparkplatz vorliegen bzw. sich zu einem Anspruch verdichtet haben, die Anordnung des entsprechenden Verkehrszeichen auch als zwingend geboten anzusehen ist, um die von dem Gesetzgeber gewollte Besserstellung der Schwerbehinderten zu gewährleisten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Lukas Jozefaciuk