VG Aachen, Beschluss vom 16.10.2017 - 3 L 1172/17
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Schizophrener Psychose.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
Der ? sinngemäß gestellte ? Antrag,
die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 3 K 3977/17 erhobenen Klage gleichen Rubrums gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2017 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung keinen rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere hinreichend schriftlich begründet, vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Angesichts der aus der Ungeeignetheit eines Kraftfahrers für die Allgemeinheit resultierenden erheblichen Gefahren bedurfte es bei der in Rede stehenden psychischen Erkrankung der Antragstellerin über die erfolgte Begründung hinaus keiner weiteren Ausführungen.
Die in materieller Hinsicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verwaltungsakte und dem privaten Interesse der Antragstellerin, von deren Vollziehung bis zur abschließenden Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben, fällt zu ihren Lasten aus.
Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2017 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.
Als rechtliche Grundlage für die darin angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Antragsgegnerin zutreffend § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -) herangezogen. Danach ist einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
Leidet ein Fahrerlaubnisinhaber an einer schizophrenen Psychose bzw. an einer paranoidhalluzinatorische Psychose als deren Unterform,
vgl. zu den Formen schizophrener Psychosen: Bäuml, Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, 2. Aufl. 2008, S. 20; Huber, Psychiatrie, 7. Aufl. 2005, S. 301,
ist er regelmäßig - so auch hier - als fahrungeeignet anzusehen.
Das folgt aus Ziffer 7.6 der Anlage 4 zur FeV über die Fahreignung bei schizophrenen Psychosen. So ist nach Ziffer 7.6.1 dieser Vorschrift die Fahreignung beim Vorliegen einer akuten schizophrenen Psychose uneingeschränkt zu verneinen. Gemäß der Ziffer 7.6.2 der Norm kann nach dem Ablauf der akuten Phase der schizophrenen Psychose die Fahrgeeignetheit hinsichtlich der hier betroffenen Fahrerlaubnisklassen (Klassen A, A1, A2 B, BE, AM, L, T) nur dann bejaht werden, "wenn keine Störungen nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen."
Gemessen daran ist die Antragstellerin, die an einer paranoidhalluzinatorische Psychose leidet, als fahrungeeignet anzusehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie sich im Sinne der vorzitierten straßenverkehrsrechtlichen Normen noch in der Phase einer als akut anzusehenden schizophrenen Psychose befindet oder schon in einer Phase nach deren Ablauf. Wenn man von Letzterem ausgeht, bestehen in der Person der Antragstellerin nach wie vor "Störungen, die ihr Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen". Bei dieser Einschätzung stützt sich die Kammer auf die gutachterlichen Aussagen, die zum Gesundheitszustand der Antragstellerin vorliegen. Diese besitzen Überzeugungskraft, weil sie schlüssig und nachvollziehbar das psychische Leiden der Antragstellerin darstellen und daraus die fehlende Fahreignung überzeugend ableiten.
So führt Frau Dr. I. , Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Schmerztherapie und Verkehrsmedizin, in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 5. April 2017 im Wesentlichen aus: Die Antragstellerin befinde sich in einem Zustand nach einer paranoid halluzinatorischen Psychose. Sie zeige keinerlei Einsicht in das Wahnhafte ihres Erlebens und damit in den psychischen Zustand, der im Juli 2016 zur Einweisung in die M. -Klinik E. und zum Beginn einer Medikation geführt hat. Es bestehe zum Zeitpunkt der Begutachtung und auch auf längere Sicht (2 Jahre) krankheitsbedingt keine ausreichende Fahreignung zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der hier in Rede stehenden Klasse. Aufgrund der nach wie vor völligen Uneinsichtigkeit in das Wahnhafte ihres Erlebens in der Vorgeschichte sei die Compliance bezüglich der dringend notwendigen Medikamenteneinnahme (Neuroleptika) als gefährdet anzusehen, da die Antragstellerin diese nur wegen erhöhter Ängstlichkeit beim Alleinsein einnehme. Eine Auseinandersetzung mit dem wahnhaften Krankheitsbild finde nicht statt.
Anders als die Antragstellerin mit ihrem pauschalen Einwand vorbringt, bestehen an der Aussagekraft dieser gutachterlichen Einschätzung keine Zweifel. Das Gutachten, das auf Veranlassung der Antragsgegnerin durch die Antragstellerin in Auftrag gegeben wurde, ist ausweislich eines ausdrücklichen Hinweises der Gutachterin unter Berücksichtigung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung erstellt worden. Die geschilderte Diagnose und die Beurteilung werden nachvollziehbar anhand des psychopathologischen Befundes gefolgert, der wiederum erkennbar insbesondere auf den zuvor geschilderten, aus dem Gespräch mit der Antragstellerin gewonnenen Erkenntnissen zur Vorgeschichte der Antragstellerin entwickelt wird, vgl. Ziffer 2 lit. a) der Anl. 4a zur FeV.
Ferner hat die Kammer auch nicht unberücksichtigt gelassen, dass die Gutachterin unter anderem auch eine für die Antragstellerin tendenziell günstige Aussage getroffen hat. Danach sei trotz des Krankheitsbildes "der Realitätsbezug für das aktuelle Geschehen weitgehend erhalten." In überzeugender Weise hat die Gutachterin aber davon abgesehen, diesem Gesichtspunkt bei der Bewertung der Fahreignung Gewicht beizumessen. Zutreffend hat sie darauf abgestellt, dass bei der Antragstellerin [aufgrund] fehlender Einsicht in die paranoiden Vorstellungen bei möglicher erneuter Irritation durch vermutete "Verfolger bzw. Angreifer" ungesteuerte Reaktionen und emotionale Impulshaftigkeit durchaus denkbar seien.
Ist demnach in der Person der Antragstellerin der Entziehungstatbestand des § 46 Abs. 1 FeV als erfüllt anzusehen, ist die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich zwingend. Ein Ermessen ist der Fahrerlaubnisbehörde nicht eröffnet.
Die weitere Interessenabwägung geht ebenfalls zu Lasten der Antragstellerin aus.
In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen,
vgl. etwa VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2015 - 14 L 3652/15 - juris, Rn. 53 f., m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 ? 16 B 1124/13 - juris, Rn. 9.
Besondere Umstände, aufgrund derer vorliegend ausnahmsweise eine abweichende Bewertung veranlasst sein könnte, sind weder dargetan noch sonst erkennbar.
Auch im Übrigen bleibt der Aussetzungsantrag ohne Erfolg. Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 26. Juni 2017 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins binnen sechs Tagen beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.
Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins findet ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des Zwangsgeldes von 500,- € steht in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, die Antragstellerin zur Abgabe ihres Führerscheins zu bewegen (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach der Streitwertpraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
vgl. u.a. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2012 - 16 A 2172/12 - juris, Rn. 17,
der sich die Kammer anschließt, ist für ein Hauptsacheverfahren wegen Entziehung einer Fahrerlaubnis ungeachtet der erteilten Fahrerlaubnisklassen stets der Regelstreitwert (5.000,- €) und für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren die Hälfte dieses Betrages (2.500,- €) als Streitwert anzusetzen. Die ? unselbständige - Zwangsgeldandrohung wird bei der Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt.