Verkehrsrecht | Unfall | Kanzlei | Anwalt | Rechtsanwalt | Dieselskandal | Abgasskandal | Autokreditwiderruf | Frankfur
Die Verkehrsrechtskanzlei.
Urteile Verkehrsrecht_Anwalt Frankfurt Verkehrsunfall_ Anwaltskanzlei für Verkehr Frankfurt_ Anwalt Verkehrsrecht_ Anwalt Dieselskandal_ Anwalt Abgasskanda_ Anwalt Autokredit widerrufen.jpg

Urteile zum Verkehrsrecht

Rechtssprechung Datenbank

 

Suchen in unserer Urteilsdatenbank

In unserer Urteilsdatenbank finden Sie Rechtsprechung zum Thema Verkehrsrecht. Hier können Sie bestimmte Suchbegriffe eingeben und Ihnen werden die einschlägigen Urteile angezeigt.

 

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2017 - 16 A 980/16

1. § 4 Abs. 5 Satz 6 StVG betrifft ausdrücklich die Berechnung des Punktestandes und stellt nur die Berechnungsgrundlage für die weiteren Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörde dar.

2. Von der Bonusregelung, die im Hinblick auf § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG in der bis zum 30.04.2014 geltenden Fassung im Zusammenhang mit dem Tattagprinzip entwickelt worden ist, hat der Gesetzgeber erst anlässlich der Neuregelung von § 4 Abs. 5 Satz 6 und § 4 Abs. 6 Sätze 4 und 5 StVG durch die am 5.12.2014 in Kraft getretene Änderung des Straßenverkehrs¬gesetzes Abstand genommen und in Bezug auf eine Verringerung von Punkten wegen unterbliebener Maßnahmen nach dem Fahreignungssystem einen Systemwechsel vollzogen (Fortführung der Senatsrechtsprechung).

3. Die Bonusregelung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG in der zwischen dem 1.05.2014 und dem 4.12.2014 geltenden Fassung findet in den Fällen Anwendung, in denen Punkte unter der in diesem Zeitraum geltenden Rechtslage entstanden sind, und zwar auch dann, wenn die Ent¬ziehung der Fahrerlaubnis erst unter Geltung des Straßenverkehrsgesetzes in der ab dem 5.12.2014 anwendbaren Fassung erfolgt ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. März 2016 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2014 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Dem Kläger wurde vom Beklagten am 22. November 2005 eine Fahrerlaubnis für die Klassen B, L, M und S erteilt.

Mit Schreiben vom 19. November 2013 verwarnte ihn die Fahrerlaubnisbehörde des Beklagten (Fahrerlaubnisbehörde) gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG in der vom 9. Dezember 2010 bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung (BGBl. I, 1748, im Folgenden: StVG a. F.) wegen des Erreichens von acht Punkten. In diesem Zusammenhang wurde er auf das Punktsystem und auf die Möglichkeit, freiwillig an einem Aufbauseminar teilzunehmen, hingewiesen. Am 3. Dezember 2013, am 20. Januar, am 11. Februar und am 15. April 2014 wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt jeweils eine rechtskräftige Ahndung verschiedener Geschwindigkeitsüberschreitungen des Klägers mitgeteilt, die mit drei Punkten (Verstoß vom 10. September 2013), jeweils einem Punkt (Verstöße vom 25. Oktober 2013 und vom 28. November 2013) und erneut mit drei Punkten (Verstoß vom 22. Dezember 2013) bewertet worden waren.

Zum 1. Mai 2014 wurden die bis dahin erreichten 16 Punkte im früheren Punktsystem in sieben Punkte nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem umgerechnet. Anfang November 2014 erhielt das Kraftfahrt-Bundesamt Kenntnis von einem am 2. September 2014 begangenen Verkehrsverstoß, der seit dem 24. Oktober 2014 rechtskräftig geahndet und mit einem Punkt bewertet worden war. Am 12. November 2014 informierte das Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrerlaubnisbehörde über einen Punktestand des Klägers von insgesamt sieben Punkten. Mit Schreiben vom 14. November 2014 verwarnte die Fahrerlaubnisbehörde den Kläger gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in der bis zum 4. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I, 3313, im Folgenden: StVG F. 2013) und teilte ihm mit, dass im Fahreignungsregister über ihn die in der Anlage aufgeführten Verkehrszuwiderhandlungen eingetragen seien, die mit sieben Punkten zu bewerten seien. Dem sowohl vom Kraftfahrt-Bundesamt als auch von der Fahrerlaubnisbehörde ermittelten Stand von sieben Punkten lag zugrunde, dass der Kläger zwar infolge des mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes vom 2. September 2014 zuzüglich zu den bereits vorhandenen sieben Punkten rechnerisch acht Punkte erreicht hatte, aber, so die Fahrerlaubnisbehörde in einem internen Vermerk, auf sieben Punkte "gestellt" wurde, da die entsprechende Maßnahme (Verwarnung) noch nicht ergriffen worden war. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014, bei der Fahrerlaubnisbehörde eingegangen am 8. Dezember 2014, teilte das Kraftfahrt-Bundesamt mit, dass der Kläger nunmehr insgesamt neun Punkte erreicht habe. Dem lag eine weitere, am 24. September 2014 begangene und seit dem 22. November 2014 rechtskräftig geahndete Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde, die mit einem Punkt bewertet worden war. Die Fahrerlaubnisbehörde korrigierte den Punktestand mit Rücksicht auf den bereits anlässlich der Verwarnung in Abzug gebrachten Punkt für den Verkehrsverstoß vom 2. September 2014 auf insgesamt acht Punkte. Tabellarisch stellen sich die Eintragungen und Maßnahmen im Hinblick auf die vom Kläger verwirklichten Punkte folgendermaßen dar:

I. Tattag bzw. Datum der MaßnahmeII. Tag der Rechtskraft

Verkehrsverstoß

Punkte

I. 04.01.2011II. 18.02.2011

Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage

3 (nach alter Rechtslage)

I. 08.12.2011II. 08.02.2012

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h

3 (nach alter Rechtslage)

I. 12.02.2012II. 13.04.2012

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h

1 (nach alter Rechtslage)

I. 01.08.2013II. 05.10.2013

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h

1 (nach alter Rechtslage)

I. 19.11.2013

Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a. F.

I. 10.09.2013II. 23.11.2013

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h

3 (nach alter Rechtslage)

I. 25.10.2013II. 19.12.2013

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h

1 (nach alter Rechtslage)

I. 28.11.2013II. 05.02.2014

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h

1 (nach alter Rechtslage)

I. 22.12.2013II. 04.03.2014

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h

3 (nach alter Rechtslage)

I. 01.05.2014

"automatische" Umstellung auf das Fahreignungssystem (ohne Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde)

16 (alt) auf 7 (neu)

I. 02.09.2014II. 24.10.2014

Verbotswidrige Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons

1 (nach neuer Rechtslage)

I. 14.11.2014

Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG (F. 2013)

I. 24.09.2014II. 22.11.2014

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h

1 (nach neuer Rechtslage)

Mit Ordnungsverfügung vom 11. Dezember 2014 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger die Fahrerlaubnis aller Klassen und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins innerhalb von drei Tagen nach Zustellung der Ordnungsverfügung an. Darüber hinaus ordnete sie die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung an und setzte für die Entziehung nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr Verwaltungsgebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 154,50 Euro fest. Anlässlich der Verwarnung mit Schreiben vom 14. November 2014 sei er, der Kläger, gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG in der ab dem 5. Dezember 2014 geltenden Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl. I, 1802, im Folgenden: StVG) auf sieben Punkte gestellt worden. Am 24. September 2014 habe er erneut einen rechtskräftig geahndeten Verkehrsverstoß begangen, der mit einem Punkt im Fahreignungsregister eingetragen worden sei. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 Nr. 1 StVG seien bei der Berechnung des Punktestands Zuwiderhandlungen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien. Infolgedessen habe der Kläger acht im Fahreignungsregister eingetragene Punkte erreicht. Aufgrund dieses Punktestands müsse bei ihm gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden.

Gegen den dem Kläger am 12. Dezember 2014 zugestellten Bescheid hat dieser am 14. Januar 2015 Klage erhoben und wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Zur Begründung hat er in der Sache im Wesentlichen vorgetragen, dass er den Verstoß vom 24. September 2014 noch vor der Verwarnung begangen habe. Deshalb könne der Beklagte die Entziehung nicht auf diesen Verstoß stützen. Auch auf § 4 Abs. 5 Satz 5 Nr. 1 StVG könne sich dieser nicht berufen, weil er insoweit den Sinn und Zweck der in § 4 Abs. 5 StVG normierten Stufenregelung und des in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG geregelten Tattagprinzips verkenne.

Der Kläger hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 11. Dezember 2014 einschließlich der Kostenentscheidung aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat der Beklagte im Wesentlichen auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. April 2015 im Verfahren 16 B 226/15 verwiesen.

Die Klage hat das Verwaltungsgericht Minden nach gewährter Wiedereinsetzung in die Klagefrist mit Urteil vom 10. März 2016 abgewiesen. Zulasten des Klägers seien neun Punkte zu berücksichtigen, so dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt sei. Eine Reduzierung der Punkte auf sieben sei nicht vorzunehmen gewesen. Ein solcher Abzug ergebe sich zunächst nicht aus § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG, weil die Fahrerlaubnisbehörde nicht mangels vorheriger Verwarnung an der Entziehungsverfügung gehindert gewesen sei. Diese Verwarnung sei vielmehr Mitte November 2014 ausgesprochen worden. Dass diese den Kläger vor den zeitlich letzten Zuwiderhandlungen am 2. und 24. September 2014 noch nicht erreicht habe, rechtfertige keine Punktegutschrift, weil die Neuordnungen des Fahreignungs-Bewertungssystems auch auf Altfälle anzuwenden seien, in denen der Betroffene vor der Begehung weiterer Verkehrsverstöße noch nicht von den Hilfestellungen des ehemaligen Punktsystems habe profitieren können. Die auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen des zuletzt im Dezember 2014 ergänzend reformierten Fahreignungs-Bewertungssystems begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 zugelassenen Berufung. Zur Begründung trägt er ergänzend zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen vor: Der den Verstoß vom 24. September 2014 betreffende Bußgeldbescheid sei am 22. November 2014 und damit vor Inkrafttreten der Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes am 5. Dezember 2014 rechtskräftig geworden. Deshalb könne der Beklagte die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf eine Erhöhung des Punktestands infolge dieses Verstoßes stützen. Eine rückwirkende Anwendung der erst ab dem 5. Dezember 2014 geltenden Bestimmungen verletze ihn, den Kläger, in seinem schutzwürdigen Vertrauen auf den Bestand der zuvor geltenden sogenannten Bonusregelung. Eine solche Vorgehensweise verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Er habe darauf vertrauen können, dass nur diejenigen Verkehrsteilnehmer, die sich trotz der bisher als Hilfestellung verstandenen Maßnahmen des Stufensystems etwa auch nach einer Verwarnung nicht an die Verkehrsvorschriften hielten, als gefährliche Verkehrsintensivtäter anzusehen seien, denen die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. März 2016 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt der Beklagte auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug, die er durch eine eingehende Auseinandersetzung mit der Zurückdrängung der Warn- und Erziehungsfunktion, die seines Erachtens bereits anlässlich der im Mai 2014 in Kraft getretenen Reform des Straßenverkehrsgesetzes erfolgt sei, ergänzt. Anders als das Verwaltungsgericht annehme, habe der Kläger allerdings zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entziehungsverfügung nicht neun, sondern nur acht Punkten erreicht, weil die anlässlich der Verwarnung vom 14. November 2014 erfolgte Reduktion des Punktestands von acht auf sieben Punkte zu berücksichtigen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2014 gerichtete Klage ist zulässig und begründet.

Die in diesem Bescheid verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten - § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - (I.). Das gleiche gilt für die übrigen darin getroffenen Regelungen (II.).

I. Als Ermächtigungsgrundlage für die in dem angefochtenen Bescheid verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers kommt § 4 StVG in Betracht. Maßgeblich für die Überprüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1995 - 11 C 34.94 -, BVerwGE 99, 249 = juris, Rn. 9.

In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies hier der Zeitpunkt des Erlasses der streitbefangenen Entziehungsverfügung vom 11. Dezember 2014.

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Bei dem Kläger war zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt von einem Punktestand von nur sieben Punkten auszugehen.

Der Kläger hat durch die am 24. September 2014 begangene und am 22. November 2014 rechtskräftig geahndete Ordnungswidrigkeit zwar rechnerisch neun Punkte erreicht. Das folgt aus § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG, wonach bei der Berechnung des Punktestands Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt werden, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind. In § 4 Abs. 5 Satz 6 StVG wird jedoch ausdrücklich betont, dass diese Bestimmung "die Berechnung des Punktestandes" betrifft, also gleichsam nur die Berechnungsgrundlage für die weiteren Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörde darstellt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Oktober 2015 - 16 B 554/15 -, VRS 129 (2015), 164 = juris, Rn. 18.

Davon zu trennen ist die Frage, ob bei Erreichen eines bestimmten rechnerischen Punktestandes tatsächlich die mit diesem Punktestand korrespondierende Maßnahme ergriffen werden darf. Das folgt aus § 4 Abs. 6 StVG, der regelt, unter welchen weiteren Voraussetzungen Maßnahmen nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StVG ergriffen werden dürfen. So muss gemäß Satz 1 die Maßnahme der jeweiligen davorliegenden Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StVG bereits durchlaufen worden sein. Dass in Fällen, in denen diese Stufenfolge nicht eingehalten wurde, nicht ohne weiteres von dem nach § 4 Abs. 5 Sätze 5 und 6 StVG errechneten Punktestand auszugehen ist, ergibt sich aus § 4 Abs. 6 Sätze 2 bis 4 StVG.

Ausgehend davon haben die vor der Zustellung der Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG F. 2013 vom Kläger begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen im Ergebnis nicht zu einer Erhöhung des Punktestands auf acht oder mehr Punkte geführt. Denn ihm kommt auch in Bezug auf den sich aus der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 24. September 2014 ergebenden Punkt die Bonusregelung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 zugute. Dem liegt zunächst zugrunde, dass sich eine aus dieser Bestimmung folgende Punktereduktion unabhängig von der Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde auf alle Punkte erstreckt, die sich aufgrund einer Tat ergaben, die vor dem Ergreifen der Maßnahme begangen worden war (1.). Ferner findet die genannte Bestimmung in den Fällen Anwendung, in denen - wie vorliegend - Punkte unter der bis zum 4. Dezember 2014 geltenden Rechtslage entstanden sind, und zwar auch dann, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis erst unter Geltung des Straßenverkehrsgesetzes in der ab dem 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung erfolgt ist (2.).

1. Für eine Punktereduktion nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 kam es nur darauf an, ob eine Zuwiderhandlungen zeitlich vor der Verwarnung lag. In diesem Fall verringerte sich der Punktestand unabhängig davon, ob die Fahrerlaubnisbehörde bei der Verwarnung von dem weiteren Verkehrsverstoß Kenntnis hatte oder nicht. Dies folgt daraus, dass das seinerzeit in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG F. 2013 - und nunmehr ebenfalls in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG - geregelte Tattagprinzip auch der Anwendung der Bonusregelung des § 4 Abs. 6 StVG F. 2013 zugrunde zu legen ist.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2015 - 16 B 104/15 -, NJW 2015, 1772 = juris, Rn. 9 ff., und vom 14. April 2015 - 16 B 257/15 -, VRS 128 (2015), 213 = juris, Rn. 10 ff.

Das in § 4 Abs. 5 StVG F. 2013 verankerte Maßnahmensystem der Ermahnung bei Erreichen von vier oder fünf Punkten, der Verwarnung bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten und der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht oder mehr Punkten (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG F. 2013) sah gemäß § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG F. 2013 vor, dass sich der Punktestand auf fünf bzw. sieben Punkte verringerte, falls sich die Fahrerlaubnisbehörde nicht an diese Schrittfolge hielt. Ebenso wie im früheren Mehrfachtäter-Punktsystem, bei dem sich aus der Warnfunktion der abgestuften Maßnahmen ergab, dass diese den Fahrerlaubnisinhaber möglichst frühzeitig und insbesondere noch vor Eintritt in die nächste Stufe erreichen sollten, damit ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung effektiv eröffnet werde,

vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008

- 3 C 3.07 -, BVerwGE 132, 48 = juris, Rn. 13 und 33,

konnten auch nach der vom 1. Mai bis zum 4. Dezember 2014 geltenden Bonusregelung gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 weitere Zuwiderhandlungen, die vor der Verwarnung begangen wurden, der Fahrerlaubnisbehörde aber im Zeitpunkt derselben noch nicht bekannt waren, nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen.

Von dieser in Bezug auf § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a. F. im Zusammenhang mit dem Tattagprinzip entwickelten Bonusregelung hat der Gesetzgeber erst anlässlich der Neuregelung der § 4 Abs. 5 Satz 6 und § 4 Abs. 6 Sätze 4 und 5 StVG durch die am 5. Dezember 2014 in Kraft getretene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Abstand genommen und in Bezug auf eine Verringerung von Punkten wegen unterbliebener Maßnahmen nach dem Fahreignungssystem einen Systemwechsel vollzogen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2015 - 16 B 104/15 - und vom 14. April 2015 - 16 B 257/15 -, a. a. O., sowie vom 7. Oktober 2015 - 16 B 554/15 -, a. a. O., Rn. 17.

Nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG in der aktuellen Fassung verringert sich der Punktestand nunmehr mit Wirkung vom Tag des Ausstellens - hier - der ergriffenen Verwarnung auf sieben Punkte, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist. Gemäß § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor einer Verringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG ergebenden Punktestand.

Erst mit dieser Gesetzesänderung ist der Gesetzgeber von dem bis dahin systemprägenden Warn- und Erziehungsgedanken abgerückt,

vgl. dazu etwa die zu Protokoll gegebenen Reden der Abgeordneten Storjohann, Schnieder, Zierke, Lutze und Kühn, Sitzungen des Deutschen Bundestags - 18. Wahlperiode -, 57. Sitzung vom 9. Oktober 2014, S. 5358 ff.; zustimmend Sächs. OVG, Beschluss vom 7. Juli 2015 - 3 B 118/15 -, Sächs. VBl. 2015, 255 = juris, Rn. 13 f.; demgegenüber offen gelassen mit der Maßgabe, dass spätestens seit der zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung die Abkehr vom Tattag im Rahmen der Punkteverringerung erfolgt ist: BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21.15 -, Blutalkohol 54 (2017), 217 ff. = juris, Rn. 22; ebenso VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. August 2015 - 10 S 1176/15 -, VRS 129 (2015), 106 = juris, Rn. 13 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 1. September 2015 - 12 ME 91/15 -, juris, Rn. 7 ff.; ähnlich wohl OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 2. Juni 2015 - OVG 1 S 90.14 -, juris, Rn. 7 a. E.; VG Ansbach, Beschluss vom 19. Februar 2015 - AN 10 S 15.00161 -, juris, Rn. 25 ff.; a. A. Bay. VGH, Urteil vom 11. August 2015 - 11 BV 15.909 -, VRS 129 (2015), 27 = juris, Rn. 24 f.,

der allerdings schon durch den Fortbestand einer "Ermahnung" und einer "Verwarnung", aber auch die Möglichkeit eines unter bestimmten Umständen zum Abzug eines Punkts führenden freiwilligen Fahreignungsseminars (§ 4 Abs. 7 StVG) sowie die soeben erwähnte Punktegutschrift nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG nicht vollständig aus dem Gesetz eliminiert worden ist. Unmittelbar aus den mit Gesetz vom 28. November 2014 geänderten Bestimmungen des § 4 Abs. 6 StVG folgt jedoch, dass nunmehr ein Punkt auch dann zu verwerten ist, wenn der ihm zugrunde liegende Verkehrsverstoß vor dem Ergreifen einer Maßnahme begangen wurde, bei dieser Maßnahme aber noch nicht von der Fahrerlaubnisbehörde berücksichtigt wurde, etwa weil dessen Ahndung erst später rechtskräftig geworden oder die Eintragung im Fahreignungsregister erst später erfolgt ist oder die Behörde hiervon erst später Kenntnis erlangt hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21.15 -, a. a. O., Rn. 24; ebenso Sächs. OVG, Beschluss vom 7. Juli 2015 - 3 B 118/15 -, a. a. O., Rn. 14; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. August 2015 - 10 S 1176/15 -, a. a. O., Rn. 13; Nds. OVG, Beschluss vom 1. September 2015 - 12 ME 91/15 -, a. a. O., Rn. 7 ff.; anders hingegen VG Berlin, Beschluss vom 9. Februar 2015 - 11 L 590.14 -, juris, Rn. 10, und VG Regensburg, Urteil vom 18. März 2015 - RO 8 K 15.249 -, juris, Rn. 28 ff.

Diese Möglichkeit ergab sich erst mit dem Wegfall der vormaligen Bestimmungen des § 4 Abs. 6 Satz 2 und Satz 3 StVG F. 2013. § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG F. 2013 hatte - wie nunmehr § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 StVG - lediglich die Funktion, die richtige "Schrittfolge" bei der Anwendung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem sicherzustellen. Demgegenüber gingen die Bestimmungen des § 4 Abs. 6 StVG F. 2013 im Hinblick auf eine im Tatzeitpunkt noch fehlende Ermahnung (Satz 2) bzw. auf eine im Tatzeitpunkt noch fehlende Verwarnung (Satz 3) ohne direkte Anknüpfung an die Fälle einer verfehlten "Schrittfolge" davon aus, dass eine Punktzahl, die zu einer Maßnahme der Stufen zwei oder drei berechtigen würde, nicht erreicht werden konnte, solange auf den Tattag bezogen die jeweils vorangegangene Maßnahmestufe noch nicht betreten worden war. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus den Gesetzesmaterialien. So heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Dezember 2012, in dem in Bezug auf den Zeitpunkt des Entstehens von Punkten und damit bezüglich der rechnerischen Grundlage für die Berechnung des Punktestands ausdrücklich an das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Tattagprinzip angeknüpft wird,

vgl. BR-Drucks. 799/12, S. 72,

zu der die Punktereduzierung mangels Durchlaufens der Maßnahmenstufen betreffenden Bestimmung:

"Ist eine Stufe nicht durchlaufen worden, so wird der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf den höchsten Punktestand dieser nicht durchlaufenen Stufe zurückgestuft. Ohne diese Anweisung der Punktereduzierung wäre das Verfahren weniger übersichtlich, weil dann Punktestand und Maßnahmestufe auseinanderfallen würden."

BR-Drucks. 799/12, S. 79 f.

In der weiteren Fassung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 6. März 2013 heißt es ausdrücklich,

"Konkrete Maßnahmen bis hin zur Feststellung der Nichteignung sollen erst danach stufenweise ergriffen werden, wenn weitere Verstöße hinzukommen, deshalb die Begriffe ‚Bewertung‘ und ‚Fahreignung‘. Mit dem System wird die Gleichbehandlung aller auffälligen Verkehrsteilnehmer sichergestellt. Es ermöglicht dem Betroffenen, sein Fehlverhalten möglichst frühzeitig selbst zu überprüfen und zu korrigieren und damit einen Punkteanstieg zu vermeiden, so dass es gar nicht erst zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt."

BT-Drucks. 17/12636, S. 19.

Dass sich der Gesetzgeber bei der Einführung des § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG F. 2013 ausdrücklich zu der unter Geltung des § 4 Abs. 5 StVG a. F. hervorgehobenen Warnfunktion des Stufensystems und damit zu der am Tattagprinzip orientierten Bonusregelung bekannt hat, wird auch nicht durch die späteren gesetzgeberischen Erwägungen anlässlich der im Dezember 2014 in Kraft getretenen erneuten Änderung des § 4 StVG widerlegt. Danach soll es sich bei dieser Änderung zwar lediglich um eine Klarstellung zur Punkteberechnung nach dem ab 1. Mai 2014 geltenden Recht handeln. So wird dazu in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) vom 8. Oktober 2014 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

- Drucksache 18/2134 - auf Seite 9 Folgendes ausgeführt:

"Von diesen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts [in seinem Urteil vom 25. September 2008] zum ursprünglichen System wollte sich der Gesetzgeber für das ab 1. Mai 2014 geltende neue System mit den Erwägungen zur Punkteentstehung und zum Tattagsprinzip bewusst absetzen (Bundesratsdrucksache 799/12, S.72)."

BT-Drucks. 18/2775, S. 9.

In der zitierten Passage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 21. Dezember 2012 findet sich jedoch gerade keine Abkehr vom Tattagprinzip. Die Erläuterung betrifft den vorgeschlagenen § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG, demzufolge sich Punkte ergeben mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. In der Begründung heißt es:

"Mit dieser Vorschrift übernimmt es nunmehr das Gesetz selbst, den Zeitpunkt des Entstehens von Punkten und damit die rechnerische Grundlage für die Berechnung des Punktestandes zu definieren. Mit der Anknüpfung an das Tattagsprinzip für die Entstehung der Punkte übernimmt das Gesetz den vom Bundesverwaltungsgericht gewählten Anknüpfungspunkt (Urteil vom 25.09.2008, Az: 3 C 3/07). Das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Entscheidung für die Frage der Berechnung der Höhe des Punkteabzugs nach dem Punktsystem (§ 4 Absatz 4, 5 StVG in der bisherigen Fassung) getroffen und zur Begründung maßgeblich auf die Erziehungswirkung des Systems abgestellt. Auch wenn das neue Fahreignungs-Bewertungssystem einen Punkteabzug nicht mehr vorsieht, ist das Tattagsprinzip bezogen auf die Punkteentstehung zur Vermeidung taktischer Rechtsmittel angezeigt. Im Interesse der Vermeidung der Belastung der Justiz muss auf der anderen Seite die bekannte Folge des Tattagsprinzips hingenommen werden, dass sich die Punkte und der Punktestand zunächst außerhalb des Registers ergeben und erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt (mit der Rechtskraft der Entscheidung) im Register abgebildet und retrospektiv berechnet werden können."

BR-Drucks. 799/12, S. 72.

Ein bewusstes Absetzen von den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts ist dem eindeutig nicht zu entnehmen. Darüber scheint auch im Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2014 keine Einigkeit bestanden zu haben. Denn anlässlich der Erläuterung 927. Bundesrat am 7. November 2014 unter "TOP 13: Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes, Drucksache 475/14" heißt es unter I. zum Inhalt des Gesetzes:

"Mit einer klareren Formulierung der Gesetzesvorschrift soll erreicht werden, dass Verkehrszuwiderhandlungen stets auch dann mit Punkten bewertet werden, wenn sie vor der Einleitung einer der Maßnahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems begangen worden sind, bei dieser Maßnahme aber noch nicht berücksichtigt werden konnten (Fahreignungs-Bewertungssystem in § 4 Absatz 6 StVG).

Für den Fall, dass ein Fahrerlaubnisinhaber nach heutigem Stand zunächst so viele Verkehrsverstöße begeht, dass dadurch die Schwelle für die Anmahnung (4 Punkte) erreicht wird, bedeutet dies, dass danach Zuwiderhandlungen erst dann wieder mit Punkten bewertet werden können, wenn die Ermahnung dem Fahrerlaubnisinhaber mitgeteilt worden ist. Im Zeitraum zwischen dem Erreichen der Punkteschwelle und dem Ergreifen der Maßnahme begangene Verkehrszuwiderhandlungen werden dagegen im Augenblick nicht mit Punkten bewertet.

Dies ist unter Verkehrssicherheitsaspekten nicht weiter vertretbar, weil so Wiederholungstätern ein Zeitraum gewährt wird, der je nach Dauer der Bearbeitung durch die Behörde oder Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens mehrere Monate betragen kann. In dieser Zeit können bislang weitere Verkehrsverstöße nicht mit Punkten bewertet werden. Das Punktesystem soll aber gerade vor Fahrerlaubnisinhabern schützen, die mit mehrfachen schweren Verkehrsverstößen in kurzer Zeit auffällig werden."

Erläuterung, 927. BR, 07.11.14, S. 13 f.

Dieses Anliegen hat der Gesetzgeber im März 2013 noch nicht verfolgt, wie die folgenden Ausführungen in der damaligen Gesetzesbegründung zeigen:

"Alle Maßnahmenstufen müssen in jedem Einzelfall durchlaufen werden, bevor die Maßnahmen der jeweils nächsten Stufe ergriffen werden dürfen; dadurch wird dem Ansammeln von Punkten "auf einen Schlag" (tatmehrheitliche Begehung mehrerer Verstöße in kurzer Zeit) Rechnung getragen."

BT-Drucks. 17/12636, S. 21.

2. Dies zugrunde gelegt, hat sich der Punktestand des Klägers nach Maßgabe des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 auch in Bezug auf den Punkt aufgrund der am 24. September 2014 und damit vor der Verwarnung vom 14. November 2014 begangenen Zuwiderhandlung auf insgesamt sieben Punkte verringert, wenn die die genannte Vorschrift vorliegend Anwendung findet. Letzteres ist auch mit Blick darauf zu bejahen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 und damit erst unter Geltung der ab dem 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Straßenverkehrsgesetzes erfolgt ist. Das folgt aus dem Umstand, dass sich der Punktestand nach Maßgabe des § 4 Abs. 6 StVG F. 2013 am 22. November 2014 mit der Rechtskraft der Ahndung der Zuwiderhandlung vom 24. September 2014 automatisch und endgültig verringerte (a) und die Fahrerlaubnisbehörde hieran auch unter Geltung des ab dem 5. Dezember 2014 anwendbaren Rechts gebunden war (b).

a) Dass die Reduktion des Punktestands unabhängig von Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde eintrat, wenn Zuwiderhandlungen zeitlich vor der Ermahnung oder Verwarnung lagen und die begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit rechtskräftig geahndet worden war, ergab sich seit dem 1. Mai 2014 unmittelbar aus dem Gesetz, wonach gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 der Punktestand - ausdrücklich - "sich verringert".

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2015 - 16 B 104/15 -, a. a. O., Rn. 9; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 4 StVG Rn. 87.

Die Bonusregelung hatte ferner eine "endgültige" (Hervorhebung durch den Senat) Reduktion des Punktestands zur Folge. Dass der Betroffene von dieser Vergünstigung dauerhaft profitieren sollte und im Übrigen auch weiterhin soll, ergibt sich aus § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG F. 2013 bzw. § 4 Abs. 6 Satz 5 StVG. Danach werden spätere Verringerungen aufgrund von Tilgungen von dem sich nach der Reduktion ergebenden Punktestand abgezogen. Bereits in Bezug auf die durch Gesetz vom 19. März 2001 geänderte Fassung von § 4 Abs. 5 StVG a. F. wurde angenommen, dass es sich um eine tatsächliche Punktereduzierung handelte, die dem Fahrerlaubnisinhaber auf Dauer und nicht nur vorübergehend bezogen auf eine der ohne Reduzierung gemäß § 4 Abs. 3 StVG a. F. gebotenen Maßnahmen zugutekam.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 17. Juni 2005 - 16 B 2710/04 -, VRS 109 (2005), 312 = juris, Rn. 4 ff.; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 4 StVG Rn. 49 f. m. w. N.

Da sich nach der bis zum 4. Dezember 2014 geltenden Rechtslage die Punkte automatisch verringerten, wenn vor der Tatbegehung die gebotene Maßnahme noch nicht erfolgt war, kommt als Zeitpunkt, in dem die Punktereduktion tatsächlich eingetreten ist, nur die Entstehung der jeweiligen Punkte in Betracht. Erst dann kann sich der zunächst um einen neuen Punkt erhöhte Punktestand um diesen Punkt wieder verringern, sofern die Tat vor der Bekanntgabe der Verwarnung begangen wurde. Ob dieser Automatismus im Einzelfall eingetreten ist, ist deshalb auf der Grundlage der Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung des Punkts zu beurteilen. Damit kommt es darauf an, wann die Ahndung der betreffenden Zuwiderhandlung rechtskräftig geworden ist. Denn in diesem Moment entsteht der Punkt, wie das Bundesverwaltungsgericht zuletzt in seinem jüngsten Urteil zur Bonusregelung nach dem aktuellen Fahreignungs-Bewertungssystem ausgeführt hat:

"Doch bereits unter dem Mehrfachtäter-Punktsystem (dort noch ohne einfachgesetzliche Regelung, aber vom Rechtsstaatsprinzip gefordert; vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 3 C 3.07 - BVerwGE 132, 48 Rn. 19 ff.) genügte die Begehung einer im Fahreignungsregister zu speichernden Straftat oder Ordnungswidrigkeit für das Entstehen von Punkten nicht. Erforderlich war schon damals die rechtskräftige Ahndung der betreffenden Tat. Somit lag und liegt der Entstehung von Punkten kein reines Tattagprinzip, sondern ein kombiniertes Tattag- und Rechtskraftprinzip zugrunde (so zum Mehrfachtäter-Punktsystem: BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 a.a.O.; für das Fahreignungs-Bewertungssystem: § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG und BT-Drs. 17/12636 S. 19)."

Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21.15 -, a. a. O., Rn. 33.

Rechtskräftig geahndet worden ist die vor der unter dem 14. November 2014 erfolgten Verwarnung begangene Zuwiderhandlung vom 24. September 2014 am 22. November 2014 und damit zu einem Zeitpunkt, in dem § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 noch in Kraft gewesen ist.

b) Da also die Verringerung des Punktestands des Klägers von acht auf sieben Punkte am 22. November 2014 gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 automatisch und endgültig eingetreten ist, ist die Fahrerlaubnisbehörde an diesen reduzierten Punktestand auch dann gebunden, wenn sie - wie vorliegend - über die Entziehung der Fahrerlaubnis erst nach Inkrafttreten der ab dem 5. Dezember 2014 geltenden Fassung des § 4 StVG entscheidet.

Der Beklagte kann auch nicht unter Berufung auf § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG von einem auf acht Punkte erhöhten Punktestand ausgehen. Diese Vorschrift führt nicht zu einem Wiederaufleben von nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 reduzierten Punkten. Denn eine Erhöhung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG setzt voraus, dass zunächst eine Punktereduktion - hier - nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG erfolgt ist. Das Gesetz stellt ausdrücklich auf eine vorherige Verringerung nach Satz 3 und auf den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand ab. Im Fall des Klägers ist aber keine Punktereduktion nach dieser Vorschrift eingetreten. Dass bei dem Kläger auch im Hinblick auf die am 24. September 2014 begangene Zuwiderhandlung lediglich von einem Punktestand von sieben Punkten auszugehen ist, beruht vielmehr auf einer Verringerung des Punktestands nach Maßgabe von § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013, der aus den oben genannten Gründen einen anderen Regelungsinhalt hat, als die aktuelle Fassung des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG. Wie bereits erläutert ist nach der bis zum 5. Dezember 2014 geltenden Rechtslage die Verringerung mit der Rechtskraft der Ahndung des Verkehrsverstoßes und unabhängig von der Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde eingetreten. Nach aktuellem Recht verringert sich der Punktestand demgegenüber mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Maßnahme und nur im Hinblick auf Punkte, die auf Zuwiderhandlungen beruhen, die der Fahrerlaubnisbehörde zu diesem Zeitpunkt bekannt waren.

Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 27. April 2015 in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (- 16 B 226/15 -, NJW 2015, 2136 = juris) bei summarischer Prüfung angenommen hat, dass die Frage der Verringerung von Punkten in Fällen wie dem vorliegenden, in denen Verkehrszuwiderhandlungen vor dem 5. Dezember 2014 rechtskräftig geahndet wurden, die Entziehung der Fahrerlaubnis aber erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt ist, nach dem Straßenverkehrsgesetz in seiner aktuellen Fassung zu beurteilen ist, hält er an dieser Auffassung nicht mehr fest.

II. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass auch die weiteren, die Fahrerlaubnis des Klägers betreffenden Regelungen in der angefochtenen Ordnungsverfügung, wie etwa die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins, die Zwangsgeldandrohung und die Gebührenerhebung, rechtswidrig sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt. Insbesondere kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob in Fällen, in denen eine mit Punkten bewertete und nach dem 1. Mai 2014 ohne vorherige Verwarnung begangene Zuwiderhandlung, die vor dem 5. Dezember 2014 rechtskräftig geahndet worden ist, eine Verringerung des Punktestands nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG F. 2013 erfolgt, nicht in Betracht. Denn bei dieser Vorschrift, die durch den grundlegend veränderten § 4 Abs. 6 StVG in seiner aktuellen Fassung ersetzt wurde, handelt es sich um auslaufendes Recht.

Lukas Jozefaciuk