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OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.01.2018 - 8 A 1587/16

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 13. Juni 2016 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 7.258,50 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dazu 1.) noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, dazu 2.) oder eine grundsätzliche Bedeutung auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dazu 3.). Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegen nicht vor (dazu 4.).

1. Es bestehen nicht die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), mit dem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die gegen die Fahrtenbuchauflage vom 9. Februar 2015 erhobene Klage abgewiesen hat.

Die angeordnete Fahrtenbuchauflage findet ihre Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Der Verstoß gegen Verkehrsvorschriften muss in tatsächlicher Hinsicht feststehen. Die Behörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, muss daher ebenso wie das Verwaltungsgericht in einem sich anschließenden Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage alle (objektiven) Tatbestandsmerkmale der Bußgeld- bzw. Strafvorschrift selbstständig prüfen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. März 2015 - 8 B 1213/14 -, juris Rn. 5.

Dabei genügt es - anders als im Strafprozess -, wenn sich aus Zeugenaussagen mit hinreichender Sicherheit ergibt, dass ein Verkehrsverstoß begangen worden ist.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 9. Januar 2012 - 11 CS 11.2727 -, juris Rn. 29; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 31a StVZO Rn. 16.

Im Einzelfall können dazu Niederschriften von Zeugenaussagen ausreichen.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 9. Januar 2012 - 11 CS 11.2727 -, juris Rn. 29.

Es ist dann unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, den Fahrzeugführer festzustellen, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Zu den angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Ungeachtet der Ermittlungspflicht der Behörde bleibt es aber Sache des Fahrzeughalters, Angaben zu der Person zu machen, die im fraglichen Zeitpunkt sein Fahrzeug geführt hat bzw. der er das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Vorfalls überlassen hat. Lehnt dieser die ihm mögliche und zumutbare Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 8 A 671/16 -, juris Rn. 5 ff., m. w. N.

Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Der Fahrtenbuchauflage kommt eine präventive und keine strafende Funktion zu. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind. Es entspricht dem Gesetzeswortlaut und -zweck des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, die Auferlegung eines Fahrtenbuches nicht davon abhängig zu machen, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat. Die Führung eines Fahrtenbuchs kann daher auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 8 A 562/13 -, juris Rn. 12 ff., m. w. N.

Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO hier erfüllt sind. Es durfte annehmen, dass am 29. April 2014 auf der Bundesautobahn A 7 mit dem auf die Klägerin zugelassenen Fahrzeug eine erhebliche Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften [§ 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs), § 240 Abs. 1 StGB (Nötigung) oder § 24 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 und 5, § 5 Abs. 1, § 1 Abs. 2 StVO (Verstoß gegen die Gebote, links zu überholen und niemanden zu gefährden] begangen worden ist (dichtes Auffahren, Lichthupe, Blinken, Rechtsüberholen, Einscheren nach links mit sehr geringem Abstand). Das Verwaltungsgericht hat sich dabei in zulässiger Weise auf die Angaben des Zeugen E. bei der Anzeigenerstattung gegenüber der Polizei gestützt. Es hat zutreffend ausgeführt und ausführlich begründet, dass sich weder aus der Klagebegründung noch aus dem Gang der mündlichen Verhandlung ernstzunehmende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Angaben ergeben.

Es war unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, den Fahrzeugführer festzustellen. Die erst später erlangte Akteneinsicht der Klägerin war dafür nicht ursächlich. Die Klägerin hat deutlich gemacht, an der Aufklärung des Vorfalls nicht mitwirken zu wollen. Auf das Anhörungsschreiben des Polizei-Autobahn- und Bezirksreviers Nord vom 30. April 2014 hat sie zunächst erfolglos wiederholt um Akteneinsicht gebeten und mitgeteilt, dass sie als Zeugin zu dem Sachverhalt nichts sagen könne. Nach Einsicht in die Ermittlungsakten im Juli 2014 hat sie unter anderem angegeben, sie könne und wolle keinerlei Erklärungen zum Sachverhalt abgeben. Sie sei zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht gefahren. Sie könne auch nicht recherchieren, ob sie oder sonst jemand das Fahrzeug an dem Tag gefahren habe. Dass die Klägerin bei früherer Einsicht in die Akten andere Angaben gemacht hätte, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die im Zulassungsverfahren vorgebrachten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.

Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, die Fahrtenbuchauflage sei schon deswegen rechtswidrig, weil eine Verurteilung des Täters sicher auszuschließen sei. Selbst wenn sie mitgeteilt hätte, wem sie das Fahrzeug zum Vorfallzeitpunkt zur Benutzung überlassen habe, hätte diese Person "selbstverständlich die Aussage jedenfalls dann verweigert, wenn sie selbst das Fahrzeug gefahren" hätte. Wäre diese Person nicht selbst als Fahrer in Betracht gekommen, hätte sie die Aussage hinsichtlich des tatsächlichen Fahrers verweigern können. Dann aber hätte sie, die Klägerin, "keine faktische Möglichkeit gehabt, diese Auskunft von der Person gegen deren Willen zu erzwingen, der sie das Fahrzeug überlassen hatte". Im Übrigen hätte sie dann alles getan, wozu sie verpflichtet sei.

Auf diese hypothetischen Geschehensabläufe und die Einflussmöglichkeiten der Klägerin auf das etwaige Aussageverhalten anderer Personen kommt es nicht an. Wie oben ausgeführt, kann die Führung eines Fahrtenbuchs auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

Der Umstand, dass seit dem Verkehrsverstoß inzwischen mehrere Jahre vergangen sind, lässt die Fahrtenbuchauflage nicht rechtswidrig werden.

Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs nach § 31a StVZO wird schon nach allgemeinen verwaltungs(verfahrens)rechtlichen Grundsätzen durch bloßen Zeitablauf nicht unverhältnismäßig; andernfalls hätte es der Adressat der Fahrtenbuchauflage selbst in der Hand, die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung allein durch Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelgebrauch und den damit verbundenen Zeitablauf zu beseitigen. Dies kommt aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Betracht. Auch der Verzicht auf die im Ermessen der Behörde stehende, von einer Interessenabwägung abhängige Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO macht die Fahrtenbuchauflage nicht rechtswidrig.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 1995 - 11 B 18.95 -, juris Rn. 3, m. w. N.

Sollte die Klägerin mittlerweile ein anderes Fahrzeug halten, was sie in ihrer Zulassungsbegründung offen gelassen hat, erstreckt sich die Fahrtenbuchauflage ausweislich ihres Entscheidungsausspruchs auch auf das Ersatzfahrzeug.

2. Aus den unter 1. genannten Gründen weist das Verfahren auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob der Täter des Verkehrsverstoßes mutmaßlich hätte verurteilt werden können.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,

inwieweit die Strafverfolgungsbehörde/Ermittlungsbehörde Verantwortung dafür trägt, dass der Halter eines Fahrzeugs Anknüpfungstatsachen an die Hand bekommt, die ihn in die Lage versetzen, entweder die Frage zu beantworten, wem das Fahrzeug zum Vorfallzeitpunkt zur Benutzung überlassen worden war oder wer es sogar tatsächlich gefahren hat,

ist in dieser Allgemeinheit nicht grundsätzlich bedeutsam, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin durch das Anhörungsschreiben des Polizei-Autobahn- und Bezirksreviers Nord vom 30. April 2014 erfahren, dass es um einen Verkehrsverstoß des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen am 29. April 2014 um 14:05 Uhr auf der Bundesautobahn A in Richtung G. ging. Diese zeitnahen Angaben zum Verkehrsverstoß genügten, um die Klägerin als Halterin des Fahrzeugs in die Lage zu versetzen, die Person mitzuteilen, der sie ihren Wagen für diesen Tag oder diese Uhrzeit überlassen hat, sofern sie nicht selbst gefahren war. Dafür bedurfte es keiner näheren Kenntnisse zu den Einzelheiten des Verkehrsverstoßes.

4. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht hätte ihrem Beweisantrag auf Zeugenvernehmung stattgeben oder den Anzeigeerstatter im Wege der Amtsermittlung als Zeugen vernehmen müssen, um die Frage zu klären, ob den Zeugen eine Identifizierung des Fahrers möglich gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht musste dieser Frage schon deshalb nicht weiter nachgehen, weil sie nicht entscheidungserheblich war (s. oben zu 1.).

Die behördliche Kostenfestsetzung hat die Klägerin in ihrem Zulassungsvorbringen nicht angegriffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat in Anlehnung an Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 für jeden Monat der hier auf 18 Monate befristeten Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage einen Betrag von 400 EUR zugrunde. Hinzu kommt der Betrag der ebenfalls angefochtenen Kostenfestsetzung in Höhe von 58,50 Euro.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Lukas Jozefaciuk