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OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.06.2018 - 16 B 1402/17

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. Oktober 2017 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 15930/17 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederhergestellt sowie - soweit sie sich gegen die Zwangsgeldandrohung richtet - angeordnet. Zudem wird festgestellt, dass die Klage gegen die Anordnung der Abgabe des Führerscheins aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, auf die sich die gerichtliche Prüfung beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich, dass dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen ist.

Bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung beizumessenden Erfolgsaussichten von erheblicher Bedeutung. Ergibt die Prüfung, dass der Widerspruch oder die Klage offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Im entgegengesetzten Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs bleibt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolglos, sofern ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse besteht. Lässt sich weder in die eine noch in die andere Richtung ein offensichtliches Ergebnis absehen, ist eine von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs gelöste Interessenabwägung vorzunehmen.

Vorliegend ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis Erfolg haben wird, weil die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 15. September 2017 rechtswidrig ist.

Dies folgt jedoch entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht aus einer Bindung der Antragsgegnerin gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG an die Feststellung des Landgerichts Duisburg (Urteil vom 2. Juni 2017). An die strafrichterliche Eignungsbeurteilung ist die Fahrerlaubnisbehörde nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat.

Vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1988 - 7 B 242.87 -, DAR 1988, 247 = juris, Rn. 3, und Urteil vom 15. Juli 1988 - 7 C 46.87 -, BVerwGE 80, 43 = juris, Rn. 10 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 25. Juni 2012 - 16 B 711/12 -, Blutalkohol 50 (2013), 40 = juris, Rn. 3, vom 27. November 2013 - 16 B 1031/13 -, Blutalkohol 51 (2014), 127 = juris, Rn. 10, vom 1. August 2014 - 16 A 2960/11 -, juris, Rn. 4, vom 19. März 2015 - 16 B 55/15 -, juris, Rn. 4, und vom 29. April 2015 - 16 B 1443/14 -, juris, Rn. 3.

Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin hatte von einem umfassenderen Sachverhalt als das Landgericht auszugehen, weil sie die noch im Fahreignungsregister gespeicherte, den Antragsteller betreffende Entscheidung des Amtsgerichts Duisburg vom 28. Oktober 2010 berücksichtigen durfte, während das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe davon ausging, der Antragsteller sei bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Soweit der Antragsteller insoweit einwendet, auch die Vortat sei vom Landgericht beleuchtet worden und sie sei Gegenstand längerer mündlicher Erörterungen gewesen, findet dies im Urteil des Landgerichts keinen Niederschlag. Im Gegenteil ist darin ausdrücklich ausgeführt, der Antragsteller sei noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Feststellung der Kraftfahreignung ist in dem Urteil ausdrücklich auch damit begründet worden, dass der Antragsteller Ersttäter sei. Wörtlich heißt es darin: "Von einer Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Kammer abgesehen, weil der Angeklagte trotz Erfüllung eines Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 StGB inzwischen nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Er ist bei langjähriger Fahrpraxis Ersttäter und ist aus Anlass der vorliegenden Tat etwa neun Monate lang ohne Führerschein gewesen, was ein "Denkzettel" für ihn gewesen ist. ...". Der vom Antragsteller vorgetragene Umstand, dass der Strafrichter über besonders viel Erfahrung verfüge, spielt insoweit keine Rolle.

Bei summarischer Prüfung ist jedoch davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte, nachdem dieser das von ihr geforderte Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht beigebracht hatte. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Kraftfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sowie hinreichend bestimmt ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 -, NJW 2005, 3081 = juris, Rn. 19; zu § 15b Abs. 2 StVZO a. F. siehe BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001- 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 = juris, Rn. 20; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 55.

Da eine Gutachtenanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 -, a. a. O., juris, Rn. 26; OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2013 - 16 B 1146/13 -, Blutalkohol 51 (2014), 35 = juris, Rn. 9 f., und vom 11. April 2017 - 16 E 132/16 -, juris, Rn. 28 f.

Die auf § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV gestützte Begutachtungsanordnung vom 31. Juli 2017 erweist sich als rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin - worauf der Antragsteller in der Beschwerdebegründung zu Recht hinweist - ihr Ermessen nicht hinreichend erkennbar ausgeübt hat. Insbesondere fehlt es an einer Begründung dazu, dass die Anordnung der Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens geboten ist, obwohl die erste der beiden vom Antragsteller begangenen und der Begutachtungsanordnung zugrunde gelegten Straftaten im Zeitpunkt der Anordnung schon sieben Jahre zurücklag. Zwar ist sie im Fahreignungsregister noch nicht getilgt. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aber, dass bei langen Tilgungsfristen, insbesondere nach dem vor dem 1. Mai 2014 geltenden und auf "Altfälle" weiterhin anzuwendenden Recht, abzuwägen ist, ob diese Verkehrsverstöße nach wie vor die Anforderung eines medizinischpsychologischen Gutachtens rechtfertigen. Die Ermessenserwägungen sind, wenn sie zum Erlass einer Beibringungsaufforderung führen, in der an den Betroffenen gerichteten Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens auch offenzulegen, damit dem Sinn und Zweck der in § 11 Abs. 6 FeV angeordneten Mitteilungspflichten Genüge getan ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 3 C 20.15 -, BVerwGE 156, 293 = juris, Rn. 36.

An Letzterem fehlt es hier. In der Beibringungsanordnung der Antragsgegnerin ist lediglich ausgeführt: "Nach Anwendung des pflichtgemäßen Ermessens wäre aufgrund der Häufigkeit der Vergehen im Straßenverkehr und der Tatsache, dass Sie zwei erhebliche Straftaten begangen haben, jede andere Entscheidung als die Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens als fehlerhaft anzusehen". Daraus ergibt sich schon nicht, dass die Antragsgegnerin überhaupt im Rahmen des Ermessens den Umstand in den Blick genommen hat, dass zwischen den beiden von ihr herangezogenen Straftaten sechs Jahre liegen. Die wiedergegebene Erklärung der Antragsgegnerin deutet vielmehr darauf hin, dass sie von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen ist. Dass eine solche hier vorliegen könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.

Die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 6. Oktober 2017, sie habe in die Ermessenserwägungen den Umstand einbezogen, dass zwischen den beiden Straftaten trotz der nach der ersten Tat verhängten Sperre lediglich sechs Jahre lagen, sowie die Tatsache, dass die zweite Straftat bereits fünf Jahre nach Neuerteilung stattfand, führen nicht zu einer anderen Einschätzung. Eine rechtswidrige Aufforderung zur Gutachtenbeibringung kann nicht nachträglich - etwa im Gerichtsverfahren - "geheilt" werden. Denn der Betroffene muss sich zeitnah innerhalb der noch offenen Beibringungsfrist darüber Klarheit verschaffen können, ob er sich der Begutachtung aussetzt oder ob er diese für ungerechtfertigt hält.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 -, a. a. O., juris, Rn. 27, und vom 17. November 2016 - 3 C 20.15 -, a. a. O., juris, Rn. 21; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 3. September 2015 - 10 S 778/14 -, VBlBW 2016, 242 = juris, Rn. 39, und vom 27. Juli 2016 - 10 S 77/15 -, VBlBW 2017, 31 = juris, Rn. 50; OVG S.-A., Beschluss vom 25. Februar 2016 - 3 L 204/15 -, juris, Rn. 19.

Die von der Antragsgegnerin erst nach der Entziehung der Fahrerlaubnis angeführte Begründung ihrer Ermessenserwägungen zur Beibringungsanordnung ist - ungeachtet der Frage, ob diese Ausführungen den o. g. Anforderungen an die Ermessensausübung entsprechen - aus diesem Grund unbeachtlich.

Hinsichtlich der im angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin enthaltenen Aufforderung zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins ist - was vom Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage umfasst ist - festzustellen, dass die Klage schon deshalb aufschiebende Wirkung hat, weil sich dem Bescheid nicht entnehmen lässt, dass diesbezüglich die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde.

Vgl. dazu: OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 30. März 2007 - OVG 1 S 31.07 -, SVR 2008, 277 = juris, Rn. 5 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 22. September 2015 -11 CS 15.1447 -, ZfSch 2015, 717 = juris, Rn. 23; Dauer, in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 47 FeV Rn. 19.

Die Antragsgegnerin hat in dem Bescheid vom 15. September 2017 zunächst verfügt, dass die Fahrerlaubnis des Antragstellers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen wird. Anschließend hat sie die sofortige Vollziehung "dieser Maßnahme" angeordnet. Mit "dieser Maßnahme" kann nach dem Aufbau des Bescheids nur die Entziehung der Fahrerlaubnis gemeint sein. Schließlich wird dem Antragsteller - ohne Erwähnung einer sofortigen Vollziehung - aufgegeben, seinen als amtliche Bescheinigung ausgestellten Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch bis 4. Oktober 2017, bei der angegebenen Dienststelle der Antragsgegnerin abzugeben. Daraus lässt sich nicht erkennen, dass auch hinsichtlich der Abgabeanordnung die sofortige Vollziehung angeordnet wird. Dies lässt sich auch der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entnehmen.

Vor diesem Hintergrund ist die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Lukas Jozefaciuk