OLG Köln, Urteil vom 01.02.2018 - 3 U 114/17
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 04.08.2017 - Az. 8 O 114/17 - lediglich hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Verurteilung der Beklagten zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten dahingehend abgeändert, dass statt der im Urteil des Landgerichts ausgewiesenen 383,15 € lediglich 286,76 € von den Beklagten an den Kläger zu zahlen sind; im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
(Tatbestand entfällt gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)
II.
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten hat lediglich in Bezug auf die vom Landgericht zuerkannte Geschäftsgebühr in Höhe von 96,39 € Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
In seiner Terminsverfügung vom 11.12.2017 hat der Senat die Parteien auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:
"Der Senat weist darauf hin, dass die Berufung insoweit Erfolg haben dürfte als die Klage in Höhe 96,39 € in Bezug auf die Geschäftsgebühr unbegründet ist. Insoweit weisen die Beklagten zu Recht drauf hin, dass die vom Landgericht zitierte Rechtsprechung, nach welcher dem Rechtsanwalt bei Ausfüllung des Gebührenrahmens nach den in § 14 RVG genannten Kriterien ein Ermessensspielraum von 20 % zusteht, vom Bundesgerichtshof (vgl. Urt. v. 5.2.13, Az. VI ZR 195/12) zwischenzeitlich aufgegeben worden ist. Anhaltspunkte, die vorliegend eine über der Regelgebühr von 1,3 liegende Gebühr gerechtfertigt erscheinen lassen, sind dem Klägervortrag nicht zu entnehmen. Ausgehend von einer 1,3 Gebühr ergibt sich unter Berücksichtigung der Auslagenpauschale und Umsatzsteuer ein Betrag in Höhe von 650,34 € anstatt der zu erkannten 746,73 €. Ausgehend von der vorprozessual geleisteten Zahlung in Höhe von 363,58 €, verbleibt noch eine Forderung des Klägers in Höhe von 286,76 €.
Darüber hinaus hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
Die Kammer ist in jeder Hinsicht mit einer überzeugender Argumentation davon ausgegangen, dass auf Seiten des Klägers vorliegend allein die Betriebsgefahr seines Motorrads zu berücksichtigen sei, diese aber angesichts des groben Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1. zurücktritt, so dass eine 100-prozentige Haftung der Beklagten gegeben ist. Die Angriffe der Berufung tragen hiergegen nicht.
Der Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 3 und Abs. 5 StVO liegt auf der Hand. In der konkreten Situation, in der dem Beklagten zu 1. offensichtlich die Sicht auf den Gegenverkehr durch den vor ihm stehenden Lieferwagen, der - ihm entgegenkommend - seinerseits nach links abbiegen wollte, versperrt war, durfte er nicht abbiegen. Dies gilt insbesondere, da nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen N/G im Gutachten vom 27.07.2015 die dem Gegenverkehr neben dem Lieferwagen zur Verfügung stehende Fahrbahnbreite so bemessen war, dass mit dem Vorbeifahren von Fahrzeugen gerechnet werden musste. In diesem Zusammenhang hat die Kammer auch zu Recht darauf hingewiesen, dass in der konkreten Situation durchaus die Inanspruchnahme des Fahrradschutzstreifens durch den Gegenverkehr (hier also den Kläger) zulässig war, um an dem Lieferwagen vorbei zu fahren.
Ein Mitverschulden des Klägers liegt nicht vor. Nach § 5 Abs. 7 S. 1 StVO ist der korrekte Linksabbieger rechts zu überholen. Da sich vorliegend der vor dem Kläger fahrende Lieferwagen unstreitig unter Setzung des Fahrtrichtungsanzeigers links zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hatte und dort stehend auf eine Möglichkeit zum Abbiegen wartete, bestand für den Kläger die Pflicht, den Lieferwagen rechts zu überholen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 5 StVO Rz. 67). Nur in Fällen, in denen das Rechtsüberholen wegen Enge nicht möglich ist, muss der Überholende warten. Davon, dass hier die Straße für ein Rechtsüberholen zu eng war, kann nach Auffassung des Senats nicht ausgegangen werden. Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen ist die Straße im Unfallbereich ca. 10,9 m breit, wovon insgesamt 3 m auf die 2 Schutzstreifen für Fahrradfahrer entfallen. Geht man davon aus, dass sich der Kleinlaster ganz zur Mitte eingeordnet hatte, verblieb für den Kläger bei unterstellter Breite des vor ihm haltenden Linksabbiegers von 2,50 m unter Einbeziehung des Fahrradschutzstreifens von 1,50 m ein Raum von 2,95 m. Dieser Raum war für ein Rechtsüberholen völlig ausreichend. Insoweit hat das Landgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass zwischen Fahrradschutzstreifen und Fahrradweg unterschieden werden muss. Während der Fahrradweg allein Radfahrern vorbehalten ist, ist der Schutzstreifen normaler Bestandteil der Fahrbahn und darf von Fahrzeugführern bei Bedarf befahren werden (vgl. Hentschel/König, a.a.O., § 2 Rz. 69, § 42 Rz. 181 zu Z 340).
Für eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers während des Vorbeifahrens an dem Kleinlaster bestehen keine Anhaltspunkte. Entsprechendes gilt dafür, dass der Kläger beim Vorbeifahren an dem Lieferwagen etwa den Parkstreifen in Anspruch genommen hätte. Insoweit liegt die Beweislast bei den Beklagten.
Dass die Kammer sodann im Rahmen der Abwägung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die - somit - allein noch zu berücksichtigende Betriebsgefahr auf Seiten des Klägers gegenüber dem groben Vorfahrtsverstoß zurücktritt, ist nicht zu beanstanden. Soweit mit der Berufung argumentiert wird, der Unfall sei für den Kläger nicht unabwendbar gewesen, so dass er sich seine Betriebsgefahr zurechnen lassen müsse, verkennen die Beklagten, dass die Kammer durchaus von einer grundsätzlich bestehenden Betriebsgefahr auf Klägerseite ausgegangen ist, sie aber das Verschulden des Beklagten zu Recht so schwer gewichtet hat, dass die Betriebsgefahr des Motorrads zurücktritt, was insoweit in derartigen Konstellationen der üblichen Rechtsprechung entspricht (vgl. bereits hierzu auch die Fallbeispiele bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 13. Aufl., Rz 227).
Keinen Bedenken begegnet auch die Bemessung des Fahrzeugschadens durch die Kammer. Die Einwände der Beklagten sind nicht nachzuvollziehen. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert von 8.400,00 € um einen Bruttobetrag handelt; ferner ist die Kammer zu Recht davon ausgegangen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen E vom 12.09.2013 Fahrzeuge dieses Typs und Alters überwiegend Differenz besteuert angeboten bzw. gehandelt werden.
Unstreitig hat der Kläger eine Ersatzbeschaffung vorgenommen, denn hat sich für 8.290,00 € bei C ein Gebrauchtfahrzeug gekauft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. etwa Urteil v. 9.5.2006, Az. VI ZR 225/05) stellt sich die Frage, welcher Umsatzsteueranteil vom Brutto-Wiederbeschaffungswert eines unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges in Abzug zu bringen ist, grundsätzlich nur, wenn keine Ersatzbeschaffung vorgenommen wird. Erwirbt der Geschädigte tatsächlich ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs entspricht oder diesen übersteigt, kann er im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs - unter Abzug des Restwerts - ersetzt verlangen. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an; dies gilt auch dann, wenn der Ersatzkauf privat erfolgt, also im Rahmen des Ersatzkaufs überhaupt keine Steuer anfällt (vgl. BGH, Urt. v. 1.3.2005, Az. VI ZR 91/04).
Da der Kläger hier für 8.290,00 € ein Ersatzfahrzeug gekauft hat, stellt sich die Frage, welcher Umsatzsteueranteil von dem vom Sachverständigen ermittelten Brutto-Wiederbeschaffungswert in Abzug zu bringen ist, allein in Bezug auf die Differenz zum ermittelten Wiederbeschaffungswert, d. h. in Bezug auf den Betrag von 110 €. Hinsichtlich dieses Betrages war, da der Sachverständige bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts von einer Differenzbesteuerung von ca. 2,4% ausgegangen ist, die Umsatzsteuer von 2,4% anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da der Kläger diesen Betrag von 110 € nicht zur Ersatzbeschaffung verwendet hat (§ 249 Abs.2 S. 2 BGB). Damit ergäbe sich eine Kürzung von 2,58 € (110 €/102,4 x 2,4 = 2,58 €).
Das Landgericht ist einen etwas anderen Weg gegangen, der aber - jedenfalls dann, wenn der Ersatzkauf wie hier ebenfalls differenzbesteuert und nicht von privat erfolgt - zum gleichen Ergebnis führt. So hat es zunächst aus dem vom Sachverständigen ermittelten Brutto-Wiederbeschaffungswert von 8.400 € die in diesem Betrag enthaltene Differenzbesteuerung von 2,4 % herausgerechnet (196,88 €). Anschließend hat es berechnet, welchen Betrag der Kläger im Rahmen seines Neukaufs an Steuer bezahlt hat. Dies war die in dem Kaufpreis von 8.290 € enthaltene Differenzbesteuerung von ebenfalls 2,4 %, sprich 194,30 €. Für erstattungsfähig gehalten hat das Gericht dann den vom Sachverständigen ermittelten Netto-Wiederbeschaffungswert (8.203,13 €) zuzüglich der tatsächlich im Rahmen des Ersatzkauf angefallenen Steuern in Höhe von 194,30 €, mithin einen Betrag in Höhe von 8.397,43 €.
Nach beiden Wegen ergibt sich damit hier ein vorzunehmender Abzug von nur 2,58 €.
3. Auch in Bezug auf das ausgeurteilte Schmerzensgeld begegnet das Urteil keinen Bedenken. Die Beklagten verkennen insoweit zunächst, dass angesichts der feststehenden Primärverletzungen in Bezug auf die Unfallursächlichkeit der Deckplattenimpressionsfraktur nicht der Beweismaßstab des § 286 ZPO gilt, sondern der erleichterte Beweismaßstab des § 287 ZPO. Dass die Kammer die Unfallursächlichkeit bejaht hat, ist angesichts der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. D im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in keiner Weise zu beanstanden. Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes unter Berücksichtigung der vergleichenden Rechtsprechung zu Schädigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule keinen Bedenken. Das Landgericht hat insoweit auch die Einschränkungen und deren Dauer, die der Kläger durch den Unfall erlitten hat, zutreffend gewürdigt."
An diesen Erwägungen, denen die Parteien nicht entgegengetreten sind und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen uneingeschränkt Bezug genommen wird, hält der Senat auch nach erneuter Beratung fest, so dass die Berufung ganz weitgehend zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn das Rechtsmittel - wie hier - nur dazu führt, dass das Urteil in einem Nebenpunkt (§ 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO) abgeändert wird. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Ein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO), besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 6.773,66 €