OLG Köln, Beschluss vom 22.04.2016 - 19 U 201/15
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 17.11.2015 verkündete Urteil des Landgerichts Köln - 37 O 363/14 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger hat Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I.
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).
Das Landgericht hat die weitergehende Klage des Klägers auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom 08.05.2014 auf der A 3 zu Recht abgewiesen. Soweit das Landgericht zu einer Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG von 40 % zu 60 % zu Lasten der Beklagten gelangt ist, weist diese Abwägung keine Rechtsfehler im Sinne von § 529 Abs. 1 ZPO auf, die einer erneute Feststellung durch das Berufungsgericht gebieten würde.
Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht angenommen hat, dass der Kläger den Unabwendbarkeitsnachweis gem. § 17 Abs. 3 StVG nicht geführt hat. Denn der Kläger hatte sich unstreitig über einen längeren Streckenabschnitt von hinten dem vom Beklagten zu 2) gesteuerten Lkw auf der rechten Fahrspur genähert, während der Lkw auf der ersten Überholspur fuhr. Ein besonders umsichtiger Fahrer hätte - auch unabhängig von der jedenfalls nicht widerlegten Behauptung des Beklagten zu 2), er habe längere Zeit nach rechts geblinkt - damit rechnen müssen, dass der Lkw sich wieder auf die rechte Fahrspur einordnet, und erkennen können, dass ein von hinten rechts sich nähernder Pkw insbesondere für einen Lkw-Fahrer nur schwer sichtbar ist. Der Idealfahrer hätte sich entsprechend vorausschauend verhalten und dem Lkw ausreichend Platz zum Einscheren nach rechts gelassen. Damit werden die Voraussetzungen an den Unabwendbarkeitsnachweis auch nicht überspannt. Die besondere Gefahrenlage bestand hier in der Annäherung an den auf der ersten Überholspur fahrenden Lkw von hinten rechts auf einer mehrspurigen Autobahn im Bereich mehrerer Auf- und Ausfahrten.
Das Landgericht hat den Fahrvorgang des Klägers auch zu Recht als "Rechtsüberholen" eingeordnet und ihm einen Verschuldensvorwurf nach § 5 Abs. 1 StVO gemacht. Wie inzwischen unstreitig ist, hat sich der Kläger dem Beklagtenfahrzeug mindestens seit der Auffahrt L-E von hinten genähert und befand sich nicht mehr auf der Beschleunigungsspur, sondern auf der Fahrspur der Autobahn, für die das Verbot des Rechtsüberholens uneingeschränkt gilt. Zum Begriff des "Überholens" gehört weder ein Fahrstreifenwechsel, noch, dass der Überholende seine Geschwindigkeit erhöht. Auch wer mit gleichbleibender Geschwindigkeit - etwa auf dem rechten Fahrstreifen der Autobahn - an langsameren Benutzern des linken vorbeizieht, überholt diese (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 5 Rz. 6 m.w.N.). Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Überholabsicht kein Merkmal des Überholens. Es handelt sich vielmehr nach herrschender Meinung, der der Senat folgt, um einen rein tatsächlichen Vorgang, der auch ohne das Bewusstsein, einen anderen zu überholen, durchgeführt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.1968 - 4 StR 242/67 -, BGHSt 22, 137-144, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.1990, 5 Ss (Owi) 151/90, juris Rz. 8 m.w.N.; Burmann/Heß, a.a.O., § 5 Rz. 9). Danach überholt z.B. auch derjenige, der mit gleichbleibender Geschwindigkeit an einem links Fahrenden vorbeizieht, dessen Fahrgeschwindigkeit z.B. mangels Motorkraft bei einer Steigung zurückgeht, auch wenn es ihm nicht darauf ankommt, vor diesen zu gelangen (Burmann/Heß, a.a.O, § 5 Rz. 9 m.w.N.). Die wenigen Ausnahmen zulässigen Rechtsüberholens sind im Sicherheitsinteresse eng auszulegen (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 Rz. 64). Zutreffend hat das Landgericht erkannt - und die Berufung führt dagegen auch nichts an -, dass die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 2 StVO (Kolonnenverkehr) nicht vorliegen und der Kläger sich auch nicht auf dem Beschleunigungsstreifen befand. Auch wenn er sich ausweislich des von ihm selbst vorgelegten Kameramitschnitts mehrere Sekunden mit der Spitze seines Fahrzeugs rechts versetzt im Bereich der Front des Lkw befunden hat, dann kurzzeitig etwas zurückfiel und kurz vor dem Zusammenstoß wieder leicht vor die Lkw-Front zog, handelt es sich nicht um ein zulässiges Nebeneinanderherfahren. Denn weder ist ersichtlich, dass der Lkw plötzlich seine Geschwindigkeit merklich reduziert hat und das Klägerfahrzeug nur deshalb vor diesen gelangte (was ihn im Übrigen nach h.M. nicht von der Pflicht entbunden hätte, seine Geschwindigkeit ebenfalls zu reduzieren, siehe Burmann/Heß, a.a.O., § 5 StVO Rz. 9, a.A. König in Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 5 Rz. 64), noch kann die Situation aufgrund der Dauer, die die beiden Fahrzeuge sich nebeneinander befunden haben müssen, nicht mehr als "Überholen" eingestuft werden. Denn das Klägerfahrzeug hat unabhängig von der Frage, ob der Kläger in L-N oder in L-E aufgefahren ist, den Abstand zum vor ihm fahrenden Beklagtenfahrzeug zunächst erheblich reduziert. Wo genau man den Beginn des Überholvorgangs ansiedelt, ist in diesem Fall nicht maßgeblich, da sich der Zusammenstoß ereignete, als das Klägerfahrzeug weitgehend bereits an dem Lkw vorbeigezogen war, so dass es bei dem Fahrspurwechsel des Beklagten zu 2) hinten links erfasst, um 90 Grad gedreht und vor dem Lkw hergeschoben wurde. Auf etwaige weitere Erkenntnisse aus der von den Beklagten vorgelegten (längeren) Aufnahme der Car-Cam kommt es insofern nicht an. Unabhängig davon ist dem Landgericht aber darin zu folgen, dass der Verwertung des längeren Mitschnitts keine Gründe entgegenstehen, weil der Kläger sich selbst auf eine Sequenz aus diesem Mitschnitt beruft.
Zwar ist auch dem Beklagten zu 2) ein (erheblicher) Verschuldensvorwurf gem. § 7 Abs. 5 StVO zu machen, weil dieser die gebotene Aufmerksamkeit beim Fahrspurwechsel missachtet hat. Auch wenn der Fahrspurwechsel besonders hohe Sorgfaltsanforderungen stellt, erscheint die Bewertung des Landgerichts, die Verursachungsbeiträge beider Parteien als gleichwertig einzustufen, sachgerecht. Denn auch ein Verstoß gegen das Verbot des Rechtsüberholens ist aufgrund der besonderen Gefahrträchtigkeit des Rechtsüberholens grundsätzlich als schwerwiegend anzusehen, auch wenn dem Kläger hier keine rücksichtslose oder besonders überraschende Fahrweise vorgeworfen werden kann.
Die höhere Betriebsgefahr des von dem Beklagten zu 2) geführten Sattelzuges hat das Landgericht mit einer Verschiebung der Haftungsquote von 60 % zu 40% zu Lasten der Beklagten berücksichtigt. Gründe, die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs weiter oder gar vollständig zurücktreten zu lassen, sind nicht ersichtlich.
II.
Auf die dem Rechtsmittelführer bei förmlicher Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO verloren gehende Möglichkeit einer kostensparenden Rücknahme (vgl. Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG) wird vorsorglich hingewiesen.