OLG Hamm, Beschluss vom 28.06.2016 - 3 RBs 210/16
Tenor
Die Sache wird dem Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung der Einzelrichterin).
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Betroffenen am 19. April 2016 wegen Nichtparkens am rechten Fahrbahnrand zu einer Geldbuße von 15,00 EUR verurteilt.
Das Amtsgericht hat zu dem Parkverstoß folgende Feststellungen getroffen:
"Am 24.09.2015 parkte der Betroffene gegen 15:38 Uhr seinen Pkw Smart mit dem amtlichen Kennzeichen XXX an der B-straße in A in Höhe der Hausnummer 00 am Fahrbahnrand, wobei er nicht parallel zur Fahrbahn parkte, sondern quer."
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld und macht geltend, er habe ausweislich des Lichtbildes Blatt 6 der Akten nicht am rechten Fahrbahnrand, sondern neben der Bstraße auf einem gesondert durch Leitlinien abgegrenzten Parkstreifen geparkt; dort gelte jedenfalls nicht das Gebot des Parallelparkens.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung der mitentscheidenden Einzelrichterin des Senats).
III.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 OWiG zu, da die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts geboten ist.
IV.
Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg. Das Urteil ist auf die erhobene Sachrüge aufzuheben, denn die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch nicht. Ferner hat das Amtsgericht keine Feststellungen zur Vorsatzart getroffen, so dass der Schuldspruch lückenhaft ist.
1.
Der Senat legt seiner Entscheidung zugrunde, dass der Betroffene sein Fahrzeug nicht auf der Fahrbahn, sondern auf auf einem entlang der rechten Fahrbahn angelegten Parkstreifen geparkt hat. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem mittels ordnungsgemäßer Verweisung nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in Bezug genommenen Lichtbild Blatt 6 der Akten. Darauf ist das geparkte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX abgebildet. Aufgrund der Größe des Bildausschnitts ist erkennbar, dass der Parkstreifen, auf dem das Fahrzeug quer abgestellt ist, mittels einer durchgezogenen Linie von der Fahrbahn, in die Straßenbahnschienen eingelassen sind, abgetrennt ist. Auch auf der anderen Seite, der Fahrbahn abgewandten Seite des Streifens befindet sich eine durchgezogene Linie. Auf der linken Seite ist der Parkstreifen durch ein Beet oder einen Grünstreifen begrenzt, das bzw. der durch eine hohe Bordsteinkante eingefasst ist. Am rechten Bildrand ist das Heck eines neben dem Fahrzeug des Betroffenen abgestellten Fahrzeugs erkennbar, das auf dem Parkstreifen innerhalb der durch die durchgezogenen Linien vorgesehenen Begrenzungen parallel zur Fahrbahn steht. Die Feststellung in Ziffer II. der schriftlichen Urteilsgründe, der Betroffene habe seinen Pkw "am Fahrbahnrand" geparkt, stellt sich daher als sprachliche Ungenauigkeit dar, die für sich genommen den Bestand des Urteils des Amtsgerichts nicht gefährdet. Denn tragende Erwägung für die Verurteilung war, wie sich auch aus den Ausführungen zu Ziffern III. und IV. der Urteilsgründe ergibt, dass der Pkw nicht parallel, sondern quer zur Fahrbahn stand.
2.
Das Amtsgericht entnimmt der Vorschrift des § 12 Abs. 4 S. 1 StVO im Wege der Auslegung ein grundsätzliches Gebot des Parallelparkens und hat daher - abgesehen von der Bezugnahme auf das Lichtbild Blatt 6 der Akten - keine Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen getroffen. Dies begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken.
a) Die Frage, ob der Vorschrift des § 12 Abs. 4 S. 1 StVO ein grundsätzliches Gebot des Parallelparkens entnommen werden kann, ist streitig.
aa) Von einem Teil der Literatur und in der Rechtsprechung wird unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 9. Mai 1962 - 4 StR 93/62 (ergangen auf Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf, abgedruckt in NJW 1962, 1405) angenommen, dass auch ohne entsprechende Parkflächenmarkierungen ausnahmsweise schräg oder quer zum Fahrbahnrand geparkt werden darf, wenn die örtlichen Verhältnisse es erlauben oder wegen des Gebots, platzsparend zu parken, sogar nahelegen (KG Berlin, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 2 Ss 186/91 - 3 Ws (B) 236/91, NZV 1992, 249; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juli 1982 - 1 Ss 536/82, VRS 63, 388; OLG Köln, Beschluss vom 9. Januar 1987 - Ss 604/86, VRS 72, 382; AG Viechtach, Beschluss vom 23. August 2005 - 7 II OWi 605/05, DAR 2005, 704; Fromm, Übersicht über aktuelle und praxisrelevante Rechtsprechung zum Falschparken, zfs 2015, 250, zitiert über juris; weitergehend für die generelle Zulässigkeit des Querparkens auf Seitenstreifen Wagner, "Smartes Parken?": Die Zulässigkeit des Parkens quer zur Fahrtrichtung am Beispiel des "Smart", NZV 2002, 257). Die örtlichen Verhältnisse in den von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmefällen waren oft dadurch gekennzeichnet, dass längs zur Fahrtrichtung auf der rechten Seite mehr als eine normale Spurbreite zum Parken zur Verfügung stand, weil entweder die Fahrbahn entsprechend breit war oder die Fläche neben der Fahrbahn zum Parken mitbenutzt werden durfte. Das KG Berlin hat einschränkend ausgeführt, die Ausnahme des Schräg- oder Querparkens lasse sich mit dem Gebot platzsparenden Parkens nur rechtfertigen, wenn diese Art des Parkens in dem betreffenden Straßenbereich generell sinnvoll erscheine; eine Regelung, dass ein Teil der Fahrzeuge (im dortigen Fall Motorräder) schräg oder quer, der andere Teil (Kraftwagen) parallel zum Fahrbahnrand zu parken sei, erfülle diese Voraussetzung nicht (KG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 2 Ss 186/91 - 3 Ws (B) 236/91, NZV 1992, 249, 250).
bb) Demgegenüber meint ein Teil der Literatur, dass der Regelung des § 12 Abs. 4 S. 1 StVO, auch wenn sie das Quer- und Schrägparken nicht ausdrücklich untersage, das grundsätzliche Gebot des Parallelparkens zu entnehmen sei (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 12 StVO, Rdnr. 58d; Hauser, Halten und Parken in zweiter Reihe, DAR 1984, 271, 274, Kramer, Aktuelle Rechtsfragen zum ruhenden Verkehr, VD 2002, 39, 42; Huppertz, Klein-Pkw: Ein Smart parkt quer, VD 2002, 213).
cc) Der Senat schließt sich der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung an, dass im Interresse einer optimalen Ausnutzung des Parkraumes ausnahmsweise schräg oder quer zum Fahrbahnrand geparkt werden darf. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis mit dem grundsätzlichen Vorrang des Parallelparkens gilt nicht nur für den ruhenden Verkehr am rechten Fahrbahnrand, sondern auch für das Halten und Parken auf Park- oder Seitenstreifen.
b) Vorliegend kann anhand der bislang getroffenen Feststelllungen trotz der Bezugnahme auf das Lichtbild Blatt 6 der Akten nicht sicher beurteilt werden, ob die örtlichen Verhältnisse an der B-straße 00 in A das Querparken eines einzelnen Fahrzeugs auf dem Parkstreifen erlaubten. Das Amtsgericht wird daher ergänzende Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten und zu den Abmessungen des Fahrzeugs des Betroffenen zu treffen haben.
3.
Ferner hat das Amtsgericht keine Feststellungen zur Vorsatzart (§ 10 OWiG) getroffen. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine Vorschrift über das Parken nach § 12 Abs. 4 S. 1 StVO verletzt. Die in den Urteilsgründen wieder gegebene Einlassung des Betroffen und das Vorbringen der Rechtsbeschwerde legen eine vorsätzliche Begehungsweise nahe. Das Amtsgericht wird sich auch mit der Frage des Vorlienges eines Verbotsirrtums und dessen Vermeidbarkeit (§ 11 Abs. 2 OWiG) zu befassen haben.
4.
Für das weitere Verfahren weist der Senat zudem auf folgende Umstände hin:
a) Bei der Abwägung, ob das Schräg- oder Querparken ausnahmsweise zulässig ist, ist das Gebot platzsparenden Parkens (§ 12 Abs. 6 StVO) ebenso zu beachten wie das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO, das die gesamte Straßenverkehrsordnung beherrscht und in Verbindung mit § 1 Abs. 1 StVO als Auslegungsmaxime dient. Das allgemeine Rücksichtnahmegebot bedingt auch die u.a. in § 11 Abs. 3 StVO normierte sinnvolle Beachtung der Verkehrsregeln (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 1 StVO, Rdnr. 8 und 9). Der Sicherheit des fließenden Straßenverkehrs kommt bei der Abwägung Vorrang vor dem Gebot platzsparenden Parkens zu.
b) Die auf dem Lichtbild Blatt 6 der Akten bereits erkennbaren örtlichen Verhältnisse können dafür sprechen, dass gravierende Interessen des fließenden Verkehrs dem von der Rechtsbeschwerde für zulässig erachtete Querparken entgegen stehen.
aa) Bislang ist nicht geklärt, ob das Heck des Fahrzeugs des Betroffenen in die rechte Fahrbahn hineinragte. Auch ist nicht festgestellt, welchem Zweck die dem Parkstreifen auf der anderen Seite angrenzende Fläche diente und ob dort ggf. mit Behinderungen von Verkehrsteilnehmern (z.B. Fußgänger oder Radfahrer) zu rechnen war.
bb) Für die Interessenabwägung kommt es allerdings nicht nur auf eine etwaige räumliche Einengung durch das Querparken, sondern auch auf die sonstigen Auswirkungen dieser Parkweise an (KG Berlin, KG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 2 Ss 186/91 - 3 Ws (B) 236/91, NZV 1992, 249, 250). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich beim Quer- und Schrägparken erhöhte Gefahren auch daraus ergeben können, dass der Fahrzeuglenker beim Ausparken nicht den Überblick über den fließenden Verkehr hat, wie dies der Fall ist, wenn auf der rechten Seite parallel geparkt wird. Zwar treffen den Fahrzeugführer in diesem Fall gesteigerte Sorgfaltsanforderungen aus § 10 StVO, die für sich genommen noch kein Grund sein mögen, das Quer- oder Schrägparken generell zu verbieten. Gleichwohl kann die erhöhte Gefahr, die beim Ausparken aus einer Schräg- oder Querstellung entsteht, für die Frage, ob nach den örtlichen Verhältnissen so geparkt werden darf, nicht außer Betracht bleiben (OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juli 1982 - 1 Ss 536/82, VRS 63, 388, 390). Es kommt nämlich hinzu, dass es auch für die Fahrzeuglenker des fließenden Verkehrs schwieriger ist, das Verkehrsgeschehen am rechten Fahrbahnrand zu überblicken und sich rechtzeitig auf etwaige Hindernisse, die von dort in seine Fahrspur hineingeraten, einzustellen, wenn Fahrzeuge dicht gedrängt in unterschiedlicher Stellung geparkt werden (vgl. KG Berlin, KG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - 2 Ss 186/91 - 3 Ws (B) 236/91, NZV 1992, 249, 250). Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - der Parkstreifen unmittelbar an eine nicht sehr breite Fahrbahn angrenzt.
cc) Im Streitfall ist ergänzend zu berücksichtigen, dass in beide Fahrspuren der angrenzenden Fahrbahn Straßenbahnschienen eingelassen sind. Durch einen etwaigen Schienenverkehr haben sowohl der Querparkende, als auch die übrigen Verkehrsteilnehmer zusätzliche Anforderungen zu beachten (vgl. §§ 2 Abs. 3, 5 Abs. 7 S. 2 bis 4, 9 Abs. 1 S. 3, 20 StVO). Dies kann dazu führen, dass eine zusätzliche Gefahrerhöhung durch das Querparken einzelner Fahrzeuge auf dem Parkstreifen nicht akzeptiert werden kann. Ob und wenn ja in welcher Frequenz auf der B-straße in A Schienenverkehr herrscht und wie hoch das sonstige Verkehrsaufkommen ist, ist bislang nicht festgestellt.