OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2015 - VII-Verg 30/13
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird dem Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer Detmold vom 6. August 2013 (VK 2-07/13) im Vergabeverfahren "Busverkehrsleistungen im Linienbündel ... Nacht-Express Q..." ein Zuschlag untersagt.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in beiden Instanzen einschließlich der Verfahren nach § 115 Abs. 2 und § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB werden dem Antragsgegner auferlegt.
Im Verfahren vor der Vergabekammer ist die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Antragstellerin notwendig gewesen.
Gründe
G r ü n d e :
I. Durch EU-weite Bekanntmachung vom 18. Mai 2013 schrieb der Antragsgegner als Zweckverband „Busverkehrsleistungen im Linienbündel … Nacht-Express Q…“ im offenen Verfahren aus.
Unter „sonstigen besonderen Bedingungen“ gab der Antragsgegner in der Bekanntmachung an:
„Nach dem TVgG NRW müssen Bieter mit ihrem Angebot bestimmte Verpflichtungserklärungen abgeben. …
Diese Verpflichtungserklärungen sind im Einzelnen:
1. Der Bieter verpflichtet sich mit der Angebotsabgabe, seinen Beschäftigten (ohne auszubildende) bei der Ausführung der Leistung mindestens das in NRW für die Leistung im Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) … (vgl. Anlage 1 zur RepTVVO) vorgesehene Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen.
2. …
3. Für den Fall der Ausführung übernommener Leistungen durch Nachunternehmer oder bei Beschäftigungen von entliehenen Arbeitskräften hat sich der Bieter im Falle der Angebotsabgabe zu verpflichten, auch von seinen Nachunternehmern und den Verleihern von Arbeitskräften eine Verpflichtungserklärung im vorstehenden Sinne abgeben zu lassen.“
Dieselbe Forderung wiederholte der Antragsgegner in den Vergabeunterlagen (S. 25 unter Nr. 13). Sie beruht auf dem TVgG NRW sowie auf der Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (TepTTVO NRW) vom 31. Oktober 2012, die im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf der Straße (nur) die Spartentarifverträge Nahverkehrsbetriebe TV-N NW des Kommunalen Arbeitgeberverbands NRW mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV, nunmehr ver.di) sowie mit der DBB-Tarifunion in der Fassung vom 9. Mai 2012 für repräsentativ erklärt. Die Antragstellerin rügte die Forderung unter dem 28. Mai 2013.
Sie beteiligte sich mit einem Angebot, fügte diesem die verlangten Verpflichtungserklärungen aber nicht bei und legte diese auch auf Nachforderung nicht vor. Sie hatte das Angebot nach den Bestimmungen der Tarifverträge TV-NWO zwischen dem Verband Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen e.V. (NWO) und der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) sowie der DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V, Landesverband NRW, kalkuliert. Nach dem TV-NWO liegen die Mindestlöhne unterhalb der Sätze des TV-N NW, aber deutlich über dem Mindeststundenentgelt nach § 4 Abs. 3 TVgG NRW.
Der Antragsgegner schloss das Angebot der Antragstellerin gemäß § 8 Abs. 2 TVgG NRW und § 19 Abs. 3 Buchst. a VOL/A-EG wegen nicht vorgelegter Verpflichtungserklärung von der Wertung aus.
Den Ausschluss ihres Angebots und die bekannt gegebene Vergabeentscheidung, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, rügte die Antragstellerin am selben Tag. Bereits zuvor, nämlich unter dem 18. Juni 2013, brachte sie bei der Vergabekammer Detmold einen Nachprüfungsantrag an, den sie damit begründet hat, die Vorschriften des TVgG NRW, welche der Antragsgegner für den Ausschluss herangezogen habe, seien verfassungswidrig. Davon abgesehen habe die (im Beschwerderechtszug) Beigeladene nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben, sofern sie zu den Stundenverrechnungssätzen des TV-N NW angeboten habe.
Die Antragstellerin hat begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Forderung von Verpflichtungserklärungen nach Maßgabe der Vergabebekanntmachung aufzugeben und erneute Angebote zu ermöglichen.
Der Antragsgegner hat dem Nachprüfungsbegehren widersprochen. Seiner Ansicht zufolge kann eine Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit zulässigerweise nicht Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens sein. Abgesehen davon orientierten sich die getroffenen Vergabeentscheidungen am geltenden Recht des TVgG NRW und der RepTVVO NRW.
Die Vergabekammer Detmold (Beschluss vom 6. August 2013 - VK 2-07/13) hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Sie hat ihn an der Antragsbefugnis scheitern lassen, soweit die Antragstellerin Verfassungsverstöße beanstandet hat, worin keine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften zu sehen sei, und einen inzident begehrten Ausschluss oder eine Rückstufung des Angebots der Beigeladenen abgelehnt, weil die Antragstellerin ihren diesbezüglichen Vortrag lediglich auf Vermutungen gestützt habe.
Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und ergänzt.
Als eine Gesellschaft privater Busunternehmen werde sie gegenüber solchen Unternehmen, die den TV-N NW anwendeten, diskriminiert. Auch sei die RepTVVO NRW von den Ermächtigungsnormen im TVgG NRW nicht gedeckt und darum nichtig. Es habe nicht nur der TV-N NW für repräsentativ erklärt werden dürfen; vielmehr sei ebenso der TV-NWO repräsentativ. Die Übereinstimmung der Verordnungsermächtigung mit den Vorgaben der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen wird von der Antragstellerin hingegen nicht gerügt. Im Übrigen sei von ihr, der Antragstellerin, durch Tatsachen hinreichend unterlegt worden, dass die Beigeladene Nachunternehmer einsetze, welche die geforderte Erklärung zur Tariftreue nicht abgegeben hätten.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Detmold vom 6. August 2013 (VK 2-07/13) aufzuheben;
2. den Antragsgegner zu verpflichten, die Forderung in der Vergabebekanntmachung unter III.1.4) Nr. 1 und 3 (sowie gleichlautend in den Vergabeunterlagen) aufzuheben und ihn für den Fall, dass er an dem Beschaffungsvorhaben festhält, aufzugeben, eine neue Angebotsfrist zu bestimmen;
3. die Entscheidung des Antragsgegners über den Ausschluss ihres, der Antragstellerin, Angebots aufzuheben;
4. die Entscheidung des Antragsgegners, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen. Er verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und verneint einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen sowie auf die Verfahrensakten der Vergabekammer und die beigezogenen Vergabeakten Bezug genommen. Das Beschwerdegericht hat das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen entsprechend § 122 Finanzgerichtsordnung (FGO) am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Auf seine Stellungnahmen wird verwiesen.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Nachprüfungsantrag ist begründet, was unter Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer eine Untersagung des Zuschlags gebietet.
1. Zum rechtlichen Rahmen ist auszuführen:
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 TVgG NRW dürfen öffentliche Aufträge im Sinn des § 2 Abs. 2 im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs auf Straße und Schiene nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten (ohne Auszubildende) bei der Ausführung der Leistung mindestens das in Nordrhein-Westfalen für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen. Nach Satz 2 bestimmt das für Arbeit zuständige Ministerium durch Rechtsverordnung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1, welche Tarifverträge als repräsentativ im Sinne des Satzes 1 anzusehen sind. Der öffentliche Auftraggeber führt diese in der Bekanntmachung und in den Vergabeunterlagen des öffentlichen Auftrags auf.
§ 21 TVgG NRW regelt:
(1) Das für Arbeit zuständige Ministerium wird ermächtigt, jeweils durch Rechtsverordnung
1. festzustellen, welche Tarifverträge im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gemäß § 2 Abs. 1 repräsentativ im Sinne von § 4 Abs. 2 sind,
2. die Höhe des in § 4 Abs. 3 Satz 1 bestimmten Mindeststundenentgelts anzupassen.
(2) 1Bei der Feststellung der Repräsentativität eines Tarifvertrages nach Abs. 1 Nr. 1 ist auf die Bedeutung des Tarifvertrages für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer abzustellen. 2Hierbei kann insbesondere auf
1. die Zahl der von den jeweils tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Beschäftigten oder
2. die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Mitglieder der Gewerkschaft, die den Tarifvertrag geschlossen hat,
Bezug genommen werden. 3Das für Arbeit zuständige Ministerium errichtet einen beratenden Ausschluss für die Feststellung der Repräsentativität der Tarifverträge. … 6Der Ausschuss gibt eine schriftlich begründete Empfehlung ab.
Durch Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (Repräsentative TarifverträgeVO - RepTVVO) vom 31. Oktober 2012 hat der Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen festgestellt:
§ 1 Repräsentative Tarifverträge
Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs auf Straße und Schiene sind die in der Anlage 1 aufgeführten Tarifverträge repräsentativ.
§ 2 - Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Februar 2013 in Kraft und am 30. April 2017 außer Kraft.
Anlage 1 zur Verordnung legt fest:
Tarifvertragsparteien Name des Tarifvertrags und Ver-
tragsabschlussdatum
1. Tarifvertragliche Regelungen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs
auf der Straße
1.1 Kommunaler Arbeitgeberverband Spartentarifvertrag Nahverkehrs-
Nordrhein-Westfalen (KAV NW) betriebe (TV-N NW) vom 25. Mai
und Gewerkschaft Öffentliche Dien- 2001, zuletzt geändert am 9. Mai
ste, Transport und Verkehr (ÖTV) 2012
und Deutsche Angestellten Gewerk-
schaft (DAG)
1.2 Kommunaler Arbeitgeberverband Spartentarifvertrag Nahverkehrs-
Nordrhein-Westfalen (KAV NW) betriebe (TV-N NW) vom 25. Mai
und DBB Tarifunion 2001, zuletzt geändert am 9. Mai 2012
Unter 2. benennt die RepTVVO NRW auf dem Gebiet des schienengebundenen Personennahverkehrs insgesamt 13 als repräsentativ anzuerkennende Tarifverträge.
§ 8 TVgG NRW bestimmt:
(2) Fehlt eine Verpflichtungserklärung gemäß § 4 bei der Angebotsabgabe und wird sie nicht spätestens innerhalb einer angemessenen, vom öffentlichen Auftraggeber kalendermäßig zu bestimmenden Frist vom Bieter und von diesem auch für die bereits bekannten Nachunternehmer und Verleiher von Arbeitskräften vorgelegt, so ist das Angebot von der Wertung auszuschließen.
§ 19 VOL/A-EG sieht vor:
(2) 1Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderung der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden, können bis zum Ablauf einer zu bestimmenden Nachfrist nachgefordert werden. …
(3) Ausgeschlossen werden:
a) Angebote, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Erklärungen und Nachweise enthalten, …
Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin auf der Grundlage der §§ 8 Abs. 2 TVgG NRW und 19 Abs. 3 Buchst. a VOL/A-EG von der Wertung ausgenommen.
Art. 70 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen (LVerf NRW) lautet:
1Die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung kann nur durch Gesetz erteilt werden. 2Das Gesetz muss Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. 3In der Verordnung ist die Rechtsgrundlage anzugeben. 4Ist durch Gesetz vorgesehen, dass eine Ermächtigung weiterübertragen werden kann, so bedarf es zu ihrer Übertragung einer Rechtsverordnung.
2. § 1 RepTVVO NRW ist nichtig, soweit er im Sinn des § 4 Abs. 2 TVgG NRW für den Bereich des straßengebundenen Personennahverkehrs gemäß Anlage 1 (unter 1.) lediglich die Spartentarifverträge Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) für repräsentativ erklärt. Der Verordnungsgeber hat den Maßgaben der Verordnungsermächtigung in § 21 Abs. 1 und 2 TVgG NRW nicht zureichend entsprochen. Aufgrund dessen hat der Antragsgegner eine entsprechende Tariftreueerklärung in der Vergabebekanntmachung und in den Vergabeunterlagen nicht fordern dürfen und darf diese auch in Zukunft nicht fordern, sofern vom zuständigen Ministerium nicht eine ermächtigungskonforme Verordnung ergeht.
Der Antragsgegner wendet sich ausgehend davon, dass im Rahmen der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB in Vergabenachprüfungsverfahren lediglich Rechtsverletzungen des Antragstellers durch eine Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht werden können, erfolglos gegen eine Überprüfung durch das Beschwerdegericht, ob die RepTVVO NRW in Übereinstimmung mit der Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 2 Satz 2, § 21 Abs. 1 und 2 TVgG NRW ergangen ist. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 107 Abs. 2 GWB) ist nicht fraglich, zumal sie mit einem Angebot an der Ausschreibung teilnimmt.
Die Entwicklung der Rechtsprechung ist über dergleichen Einwände inzwischen hinweggegangen. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.Juni 2012 (X ZB 9/11, Rn. 14) ist im Rahmen der in die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen fallenden Prüfung inzident zu beantworten, ob bei einem Beschaffungsvorgang, der, wie hier, den Bestimmungen über das Vergabeverfahren des vierten Teils des GWB unterliegt, bei einer Verletzung außervergaberechtlicher Normen zugleich gegen Vergaberecht verstoßen worden ist. Der Senat hat entschieden, dass es dazu einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm bedarf, innerhalb derer die Inzidentprüfung vorzunehmen ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. November 2011 - VII-Verg 35/11, BA 7 ff.; Beschluss vom 1. August 2012 - VII-Verg 105/11, BA 7).
Im Streitfall, in welchem das Dienstleistungs-Beschaffungsvorhaben dem Vergaberechtsregime des GWG unterfällt, sind die maßgebenden vergaberechtlichen Anknüpfungsnormen, innerhalb derer eine Inzidentprüfung der RepTVVO NRW stattzufinden hat, § 97 Abs. 2 GWB - das Gleichbehandlungsgebot - und § 97 Abs. 4 Satz GWB. Es sind durch § 4 Abs. 2 TVgG NRW und durch die RepTVVO NRW im Sinn zusätzlicher Anforderungen an die Auftragsausführung soziale Aspekte in das Vergabeverfahren eingeführt worden, deren Rechtmäßigkeit im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens inzident zu überprüfen ist.
Das Beschwerdegericht hat - anders als die Vergabekammern, die im nationalen Rechtssinn keine Gerichte sind - im Hinblick auf Verordnungen eine Verwerfungskompetenz, von der der Senat im Entscheidungsfall, hier bei der RepTVVO NRW, in Bezug auf die Bestimmung nach Anlage 1 unter 1. im Rahmen der zu treffenden Inzidententscheidung Gebrauch macht.
Die weiteren durch den Streitfall aufgeworfenen Rechtsfragen, ob die gestellten Ausführungsbedingungen gegen Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz oder gegen Art. 4 Abs. 1 LVerf NRW verstoßen (vgl. dazu Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2015 - 6 K 2793/13) können offen bleiben. Sie sind nicht entscheidungserheblich. Dasselbe hat für die - von der Antragstellerin im Übrigen nicht zur Entscheidung gestellte und im Ergebnis zu bejahende - Frage zu gelten, ob die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der RepTVVO NRW im TVgG NRW rechtskonform mit Art. 70 LVerf NRW ist.
3. Hinsichtlich der wesentlichen Tatsachen-, insbesondere der Marktverhältnisse im straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Nordrhein-Westfalen kann der Vortrag der Verfahrensbeteiligten einschließlich der Stellungnahmen des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, dem das Beschwerdegericht bei der Frage der Repräsentativerklärung von Tarifverträgen in entsprechender Anwendung des § 122 Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Beteiligung am Prozess ermöglicht hat, vom 2. September 2014 sowie vom 22. Januar 2015 wie folgt zusammen gefasst werden:
Auf dem einschlägigen Markt betätigen sich drei Gruppen von Unternehmen:
- kommunale Unternehmen, die etwa 50 % der Fahrtleistungen mit Bussen erbringen (Anwendung des Spartentarifvertrags TV-N NW),
- private Omnibusunternehmen zu rund 40 % (Anwendung des TV-NWO) und
- Bahnbusgesellschaften mit einem Fahrtenanteil von etwa zehn Prozent (es gelten Haustarifverträge).
Zumeist sind kommunale Unternehmen Inhaber der personenverkehrsrechtlichen Genehmigungen. Private Busunternehmen werden von ihnen zu einem teils hohen, aber nicht überwiegenden Anteil als Nachunternehmer eingesetzt (bei sog. Auftrags- und Anmietverkehren). Doch sind auch privaten Busunternehmen personenverkehrsrechtliche Genehmigungen erteilt worden, und zwar haben im Jahr 2007 60 private Omnibusunternehmen über 607 Genehmigungen verfügt (siehe die Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage, LT-Drucks. 14/045, Anlage Bf. 20). Die Antragstellerin selbst hat 24 Linienverkehrsgenehmigungen (Anlage Bf. 21).
Der Bereich ÖPNV „Straße“ hat in Nordrhein-Westfalen circa 32.000 Beschäftigte. Etwa 20.000 (= ca. 62,5 %) davon arbeiten bei Arbeitgebern, die an den mit ÖTV/ver.di abgeschlossenen TV-N NW gebunden sind. Weitere rund 2.000 (= ca. 6,25 %) Beschäftigte sind bei Arbeitgebern tätig, die dem mit der DBB-Tarifunion vereinbarten TV-N NW unterliegen. Der Tarifvertrag TV-NWO gilt hingegen für etwa 10.000 (= ca. 31,25 %) von privaten Busunternehmen im ÖPNV eingesetzte Beschäftigte. Damit unterfallen dem TV-N NW insgesamt etwa 68,75 % der einschlägig Beschäftigten. Zudem gehören den vertragsschließenden Gewerkschaften ÖTV/ver.di und DBB-Tarifunion mehr als 18.400 auf dem Sektor des ÖPNV Beschäftigte an, was einem vergleichsweise hohen Organisationsgrad von aufgerundet 57,6 % entspricht (mit Blick auf § 21 Abs. 2 Nr. 2 TVgG NRW). Die GÖD soll etwa 1.500 Mitglieder haben, die DBB-Tarifunion 1.562. Indes scheint das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Repräsentativerklärung vorrangig auf die Zahl der von den tarifgebundenen Arbeitgebern Beschäftigten abgestellt zu haben (§ 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 TVgG NRW; siehe insbesondere die Stellungnahme vom 22. Januar 2015, S. 3, 1. Absatz).
Der beratende Ausschuss (§ 21 Abs. 2 Satz 3 ff. TVgG NRW) hat - infolge Stimmengleichheit - zur Repräsentativerklärung von Tarifverträgen im Bereich „Straße“ keine Empfehlung ausgesprochen, mit der Folge, dass der Verordnungsgeber die alleinige Repräsentativität des TV-N NW kraft eigener Entscheidung festgestellt hat.
4. In rechtlicher Hinsicht ist zu bemerken:
Der Verordnungsgeber hat bei der Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen einen Gestaltungsspielraum, der nur beschränkt ist durch den von der Verordnungsermächtigung intendierten gesetzlichen Zweck. Die gerichtliche Kontrolle ist darauf begrenzt, ob bei der Ausübung des Gestaltungsspielraums die ihr auferlegte Beschränkung beachtet und ob von der Ermächtigung in einer zweckentsprechenden Weise vertretbar Gebrauch gemacht worden ist. Davon ausgehend ist festzustellen:
a) § 4 Abs. 2 und § 21 Abs. 1, 2 TVgG NRW ist dem Wortlaut nach nicht zu entnehmen, dass es auf einem sachlich und räumlich abgrenzbaren Markt des ÖPNV lediglich einen einzigen repräsentativen Tarifvertrag geben kann oder dass zwingend und in jedem Fall mehrere Tarifverträge für repräsentativ erklärt werden müssen.
aa) Die erstgenannte Auffassung ist allerdings vom Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf im Beschluss vom 27. August 2015 (6 K 2793/13) vertreten worden (BA 16 f., 24 ff.). Den Beschluss hat die Antragstellerin nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 10. September 2015 in Fotokopie eingereicht. Dies erfordert jedoch keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 Abs. 2 ZPO, § 73 Nr. 2 GWB, § 120 Abs. 2 GWB), weil die Rechtsansicht des VG Düsseldorf nicht entscheidungserheblich ist. Der Senat hat die Konformität der RepTVVO NRW mit der Ermächtigungsgrundlage inzident unabhängig von den Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu prüfen. Ungeachtet dessen ist der Auffassung des VG Düsseldorf nicht beizupflichten.
Das VG hat seine Ansicht folgendermaßen begründet: Logisch zwingend könne es nur einen ganz bestimmten Geldbetrag (Entgeltuntergrenze) geben, den der Unternehmer nicht unterschreiten dürfe, und nicht mehrere. Es könnten zwar mehrere Tarifverträge auf dem Gebiet des gesamten ÖPNV für repräsentativ erklärt werden, aber nur nebeneinander, d.h. für verschiedene, voneinander abgegrenzte Verkehrssektoren, also beispielsweise für den Linienbusverkehr oder den Schienenverkehr. Deswegen habe die Kammer dem Begehren der Kläger, den für sie geltenden Tarifvertrag (TV-NWO) zusätzlich zu dem bereits für repräsentativ erklärten Tarifvertrag (TV-N NW) für repräsentativ erklären zu lassen, von vornherein nicht entsprechen können. Anderenfalls gebe es für denselben Arbeitnehmerkreis zwei unterschiedlich hohe Mindestentgelte, mit der Folge, dass nur das geringere Anwendung finde (BA 16 f.). Eine Entgeltuntergrenze könne nur durch einen hierfür maßgebenden Tarifvertrag festgesetzt werden. Wären mehrere Tarifverträge repräsentativ, setzte sich nur das jeweils niedrigere Entgelt durch (BA 26) - und bekomme, darum sind die Annahmen des VG sinngemäß zu ergänzen, in Ausschreibungsverfahren stets das auf dem lohngünstigeren Tarifvertrag beruhende niedrigere Preisangebot den Zuschlag.
Die Überlegungen des VG berücksichtigen nicht die vergaberechtlichen Besonderheiten. Gemäß Art. 53 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG (genauso: Art. 55 Abs. 1 Richtlinie 2004/17/EG) wendet der öffentliche Auftraggeber, der der Antragsgegner ist, bei der Erteilung des Zuschlags folgende Kriterien an:
a) entweder - wenn der Zuschlag auf das aus Sicht des Auftraggebers wirt-
schaftlich günstigste Angebot erfolgt - verschiedene mit dem Auftragsgegen-
stand zusammenhängende Kriterien …
b) oder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises.
Die genannte Richtlinienbestimmung stellt die höchstrangige Vorschrift bei sog. Oberschwellenwertvergaben - so auch im vorliegenden Fall - dar. Sie gilt nach der Neufassung der EU-Vergaberichtlinien im Jahr 2014 bis zum 17. April 2016 fort und ist im Streitfall mithin anzuwenden. Durch Urteil vom 7. Oktober 2004 (C-247/02, Sintesi) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, die Mitgliedstaaten dürften dem Auftraggeber nicht die Möglichkeit nehmen, Art und Besonderheiten des Auftrags in der Weise zu berücksichtigen, indem er das Kriterium wähle - und zwar das wirtschaftlichste Angebot oder den niedrigsten Preis, welches am besten geeignet sei, den freien Wettbewerb und die Auswahl des besten Angebots zu sichern. Das wirtschaftlichste Angebot oder der niedrigste Preis sind mithin alternative Zuschlagskriterien, die der öffentliche Auftraggeber, so auch der Antragsgegner, einer Ausschreibung alternativ zugrunde legen darf.
Vor diesem Hintergrund ist die Schlussfolgerung des VG, bei einer Repräsentativfeststellung mehrerer Tarifverträge setze sich jeweils der Tarifvertrag mit den niedrigsten Entgeltsätzen durch, nicht zutreffend. Dies kann vergaberechtlich nur geschehen, sofern bei einer ÖPNV-Ausschreibung allein der niedrigste Preis als Zuschlagskriterium festgelegt worden ist. Solches wird bei ÖPNV-Ausschreibungen indes eher selten anzutreffen sein, zumal nach den Vergabebedingungen oftmals funktionale Elemente beim Zuschlag eine Rolle spielen (vgl. zur Unzulässigkeit des Zuschlagskriteriums „niedrigster Preis“ bei [teil-] funktionalen Ausschreibungen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.Dezember 2013 - VII-Verg 22/13). Auch im Entscheidungsfall ist Zuschlagskriterium das wirtschaftlichste Angebot, nicht aber der niedrigste Preis.
Beim Zuschlagskriterium des wirtschaftlichsten Angebots können die preislichen Nachteile, denen Bieter durch die Bindung an einen bestimmten Tarifvertrag mit höheren Stundensätzen unterliegen können (zum Beispiel infolge einer Bindung an den TV-N NW), im Allgemeinen jedoch durch das Angebot von Qualitätsvorzügen ausgeglichen werden. Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür hervorgetreten, dies könne ausgeschlossen sein. Die Stundenentgeltsätze des TV-N NW und des TV-NWO weichen nur um Weniges voneinander ab.
bb) Ebenso wenig hat der Verordnungsgeber für jeden definierten Markt zwingend eine Repräsentativität mehrerer (konkurrierender) Tarifverträge festzustellen. § 4 Abs. 2 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 TVgG NRW gebrauchen zwar mehrfach das Wort Tarifverträge im Plural. Dies ist jedoch nicht notwendig so zu verstehen, dass für jeden Markt mehrere Tarifverträge für repräsentativ zu erklären sind, sondern kann sich auch darauf beziehen, dass eine Repräsentativfeststellung mehrerer Tarifverträge für verschiedene Märkte vorzunehmen ist (zum Beispiel für Schiene und Straße, vgl. Anlage 1 zu § 1 RepTVVO NRW unter 1. und 2.) oder dass ein aus mehreren Einzelverträgen bestehendes Tarifgesamtvertragswerk als repräsentativ festgestellt werden soll. Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beurteilt die aufgrund des Wortlauts der §§ 4 und 21 TVgG NRW bestehende Rechtslage vielmehr grundsätzlich richtig, soweit es ausgeführt hat, die Entscheidung, einen oder mehrere Tarifverträge für repräsentativ zu erklären, sei vom Verordnungsgeber im Rahmen des ihm gesetzlich übertragenen Gestaltungsspielraums zu treffen (vgl. Stellungnahme vom 2. September 2015, S. 8, 1. Absatz).
b) Zum Verständnis von Rechtsnormen - hier des TVgG Nordrhein-Westfalen - sind jedoch auch die Motive des Rechtsgebers heranzuziehen, die in der Regel zugleich Aufschluss über die Zwecksetzungen der Norm Aufschluss geben. Insofern lässt die durch die entsprechende Beschlussfassung des Landtags bestätigte Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung Nordrhein-Westfalen erkennen, dass für die festgelegten Tarifbindungen namentlich im Bereich des ÖPNV vor allem die Überlegungen, ein Lohn- und Sozialdumping sowie ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile für Wirtschaftsteilnehmer, die untertariflich entlohnte Beschäftigte einsetzen, zu unterbinden sowie einen mittelständische Unternehmen benachteiligenden Verdrängungswettbewerb (rigorosen Preiswettbewerb) durch Minimierung der Lohnkosten zu Lasten der Qualität der Dienstleistungen und der Arbeitsbedingungen zu verhindern (LT-Drucks. 15/2379, S. 183), maßgebend gewesen sind.
In der weiteren Begründung zu § 4 Abs. 2 TVgG NRW werden die grundsätzlichen Beweggründe wiederholt („zur Gewährleistung … vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen … und um das Risiko des Sozialdumpings zu verhindern“). Ferner ist ausgesagt worden:
„Absatz 2 stellt daher für den Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und für den Bereich der öffentlichen Personenbeförderung auf einschlägige und repräsentative Tarifverträge aus Nordrhein-Westfalen ab. … Durch diese offene Formulierung sowie das Abstellen auf mehrere repräsentative Tarifverträge wird die nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz bestehende Tarifautonomie gewahrt. …
Das für Arbeit zuständige Ministerium erarbeitet eine Liste mit einschlägigen und repräsentativen Tarifverträgen.“ (LT-Drucks. 15/2379, S. 225).
Diese Ausführungen sind zwar nicht dahin zu verstehen, dass für einen bestimmten Markt (oder einen Bereich/Sektor, so die Wortwahl der Gesetzesbegründung und des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen) zwingend jeweils mehrere Tarifverträge für repräsentativ erklärt werden sollen oder müssen. Doch lassen die gewählte, für eine Pluralität offene Formulierung sowie der Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG (Vereinigungsfreiheit) erkennen, dass der Verordnungsgeber auch vor dem rechtlichen Hintergrund seiner Gestaltungsfreiheit dazu hat angehalten werden sollen, sich mit der Frage, ob auf dem einschlägigen Markt auch mehrere Tarifverträge für repräsentativ zu erklären werden sind, eingehend auseinanderzusetzen. Dabei darf der Verordnungsgeber der Entscheidung ausschließlich gesicherte Erkenntnisse, mithin ermittelte, außer Streit stehende oder bewiesene Tatsachen zugrunde legen. Die vorstehend wiedergegebene Begründung zu § 4 Abs. 2 TVgG NRW und den daraus hervorgehenden „Verordnungsauftrag“ hat der Verordnungsgeber nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. Die Gesetzesbegründung findet sich in den Stellungnahmen des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen sowie in dem als Anlage übermittelten Protokoll des beratenden Ausschusses vom 11. Juli 2012, welches die Stimmengleichheit bestätigt, nicht erwähnt.
c) An diesem rechtlichen Verständnis gemessen, ist die Maßgabe der RepTVVO NRW, lediglich den Tarifvertrag TV-N NW für repräsentativ zu erklären, wie folgt zu beurteilen und im Ergebnis nichtig:
aa) Die Bedeutung des TV-NWO ist in den Stellungnahmen des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen an mehreren Stellen darauf reduziert worden, jener Tarifvertrag habe faktisch lediglich in einem Teilbereich sog. Auftrags- und Anmietverkehre eine Relevanz, mithin bei Unteraufträgen (Art. 25 Richtlinie 2004/18; Art. 37 Richtlinie 2004/17) sowie in Fällen der sog. Eignungsleihe (Art. 48 Abs. 3 Richtlinie 2004/18; Art. 54 Abs. 6 Richtlinie 2004/17; § 7 Abs. 9 VOL/A-EG). Diese Beurteilung erweist sich als so nicht zutreffend, jedenfalls nicht als eine gesicherte Erkenntnis, welche einer Repräsentativfeststellung hat zugrunde gelegt werden dürfen.
Allerdings beauftragen Aufgabenträger im straßengebundenen ÖPNV, die über eigene Busunternehmen verfügen, bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel diese Unternehmen im Wege einer zugelassenen Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 mit den erforderlichen Dienstleistungen. Lediglich in diesem Rahmen spielen Unteraufträge an und Eignungsleihen durch private Busunternehmen eine Rolle, sofern die Kapazitäten der aufgabenträgereigenen oder angeschlossenen Unternehmen nicht ausreichen, die Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen.
Daneben werden die Verkehrsaufgaben auf dem Markt des straßengebundenen ÖPNV aber auch von Trägern erfüllt, die selbst oder bei einem tätig werdenden Zweckverband - so verhält es sich auch beim Antragsgegner - kein eigenes Verkehrsunternehmen unterhalten. Diese haben den ÖPNV entweder durch Ausschreibung nach Maßgabe der Richtlinie 2004/18 oder im Wege wettbewerblicher Verfahren nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zu organisieren. Busunternehmen, die nach Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 direkt beauftragt worden sind, dürfen sich nicht an außerhalb des Zuständigkeitsgebiets der zuständigen örtlichen Behörde stattfindenden Ausschreibungen beteiligen (vgl. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Verordnung [EG] Nr. 1370/2007). In diesem Marktsegment sind typischerweise private Busunternehmen und/oder Bahnbusgesellschaften Auftragnehmer, für die der TV-NWO oder Haustarifverträge gelten. Genauso verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die private Antragstellerin und die beigeladene Bahnbusgesellschaft um den Auftrag konkurrieren.
Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat den vorgenannten Marktbereich bei der Entscheidung, wobei der Senat annimmt, dass die wesentlichen Gründe in den Stellungnahmen vollständig mitgeteilt worden sind, weder überhaupt berücksichtigt noch erst recht belastbare statistische Erkenntnisse dazu angegeben. Von daher ist festzustellen, dass die Erklärung der alleinigen Repräsentativität des TV-N NW auf keiner gesicherten Tatsachenermittlung beruht. Der TV-NWO hat auf diesem Gebiet für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten durchaus Bedeutung. Nicht umsonst macht § 21 Abs. 2 Satz 2 TVgG NRW durch den Gebrauch des Worts „insbesondere“ deutlich, dass bei der Feststellung der Repräsentativität eines Tarifvertrags nicht ausschließlich auf die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern Beschäftigten oder auf die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Mitglieder abgestellt werden darf, sondern dass daneben weitere Entscheidungsparameter zu berücksichtigt werden können und gegebenenfalls zu berücksichtigen sind. Infolgedessen ermäßigt sich die „überragende“ Bedeutung, die der Verordnungsgeber dem TV-N NW in seinen Stellungnahmen zugemessen hat. Sie wird von der Antragstellerin zu Recht in Zweifel gezogen, wobei der Verordnungsgeber die der Repräsentativfeststellung zugrunde gelegte Relevanz des TV-N NW nicht nachprüfbar quantifiziert hat.
bb) Die Bedeutung des TV-N NW ist vom Verordnungsgeber zudem künstlich erhöht worden, indem auch die bei dem der DBB-Tarifunion angehörenden Arbeitgebern Beschäftigten berücksichtigt worden sind. Es ist dadurch die Zahl der dem Tarifvertrag TV-N NW unterfallenden Beschäftigten im Sinn des § 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 TVgG NRW aufgefüllt worden. Tatsächlich und rechtlich gesehen gilt für Beschäftigte, die der DBB-Tarifunion unterfallen, ohnedies der TV-N NW, so dass es einer Repräsentativerklärung des mit der DBB-Tarifunion abgeschlossenen Tarifvertrags nicht bedurft hätte. Faktisch ist die DBB-Tarifunion im Übrigen nicht nennenswert stärker als die GÖD, die am TV-NWO als Vertragspartei beteiligt ist.
Die Tariffähigkeit der GÖD ist - mit erkennbarem Bezug zu einer Meinung von ver.di (vgl. das Protokoll der Sitzung des beratenden Ausschusses vom 11. Juli 2012 als Anlage zur Stellungnahme des Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. September 2014) - vom Verordnungsgeber mit einem kaum mehr prüfungsrelevant zu nennendem Vortrag in Frage gestellt worden (vgl. die genannte Stellungnahme, S.12 f.). Gleichwohl merkt der Senat dazu an:
Der Verweis des Ministeriums auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10) gebietet nicht, die Tariffähigkeit der GÖD zu bezweifeln. Streitgegenstand der Entscheidung ist nicht die Tariffähigkeit der GÖD gewesen, sondern jene der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften und Personalserviceagenturen (CGZP). Diese hat das BAG verneint. Hinsichtlich der GÖD hat das BAG Tariffähigkeit hingegen angenommen (Rn. 95). Ihre Zuständigkeit deckt satzungsgemäß lediglich beschränkte Bereiche ab, so auch den Abschluss von Tarifverträgen mit dem privaten Omnibusgewerbe. Lediglich für den Fall einer umfassenden Tarifzuständigkeit der GÖD für den privatwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich hat das BAG Zweifel an deren Tarifunfähigkeit angebracht (Rn. 107). Darum geht es indes nicht.
cc) Ferner hat das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen seine Entscheidung damit begründet, vor dem Hintergrund des mit dem TVgG NRW beabsichtigten Zwecks, eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu erreichen, könne sich eine gleichzeitige Repräsentativerklärung des TV-NWO auf dem einschlägigen Markt sogar nachteilig auswirken (vgl. Stellungnahme vom 1. September 2014, S. 8). Dies zeigt, dass sich der Verordnungsgeber mit den nach dem TV-NWO zu zahlenden Stundenentgelten vor der Entscheidung nicht zureichend befasst hat. Tatsächlich haben bereits vor Erlass der RepTVVO NRW die Entgelte nach TV-NWO weit oberhalb des Mindeststundenentgelts nach § 4 Abs. 3 TVgG NRW gelegen. Inzwischen liegt zwischen TV-NWO und TV-N NW ein Abstand von weniger als einem Euro. Ein Lohn- oder Sozialdumping ist unter Zugrundelegen des TV-NWO nicht zu befürchten. Auch die dahingehende Grundannahme der Repräsentativfeststellung des Verordnungsgebers erweist sich damit als nicht tragfähig.
dd) Zusammenfassend ist festzustellen:
Der Verordnungsgeber hat sich entgegen dem aus § 4 Abs. 2, § 21 Abs. 2 TVgG NRW folgenden Gebot nicht zureichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob auf dem Markt des straßengebundenen ÖPNV nicht auch mehrere Tarifverträge für repräsentativ erklärt werden können.
Die Entscheidung zu Gunsten der alleinigen Repräsentativität des TV-N NW ist auf keiner vollständigen Tatsachengrundlage getroffen worden. ÖPNV-Busverkehre, die durch Ausschreibung nach Maßgabe der Richtlinie 2004/18 oder im Wege wettbewerblicher Verfahren nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 organisiert werden, sind unberücksichtigt geblieben. Aufgrund dessen beruht die Entscheidung auf keinen gesicherten Grundlagen.
Die Bedeutung des TV-N NW ist durch Berücksichtigen des mit der DBB-Tarifunion abgeschlossenen Tarifvertrags künstlich hochgerechnet worden.
Die Annahme des Verordnungsgebers, eine Repräsentativerklärung des TV-NWO werde die Gefahr eines mit dem TVgG Nordrhein-Westfalen zu vermeidenden Lohn- und/oder Sozialdumpings erhöhen, ist nicht tragfähig und kann der Beschwerdeentscheidung darum nicht zugrunde gelegt werden.
Im Ergebnis ist die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und ist dem Antragsgegner die Erteilung eines Zuschlags zu untersagen. Der Antragsgegner hat von Bietern Tariftreueerklärungen gefordert, die in der RepTVVO NRW keine wirksame Rechtsgrundlage haben.
Für das weitere Verfahren ist zu bemerken:
Das Vergabeverfahren kann derzeit nur in der Weise fortgesetzt werden, dass der Antragsgegner von dem Erfordernis, Tariftreueerklärungen in der bisherigen Form einzureichen, Abstand nimmt und Bietern Gelegenheit gibt, erneute Angebote einzureichen.
Der bereits ausgesprochene Ausschluss des Angebots der Antragstellerin ist infolgedessen gegenstandslos, weil die Antragstellerin ein neues Angebot einreichen kann. Dasselbe hat im Hinblick auf die am Angebot der Beigeladenen von der Antragstellerin geltend gemachten Mängel zu gelten. Auch die Beigeladene kann ein erneutes Angebot einreichen, mit dem sie die behaupteten Mängel vermeiden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78, 120 Abs. 2 GWB. Der erstinstanzliche Antrag des Antragsgegners nach § 115 Abs. 2 GWB teilt das erfolglose Schicksal der Verteidigung gegen den Nachprüfungsantrag. Der Antrag der Antragstellerin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist begründet gewesen. Die Beigeladene hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt und ist darum nicht zu Kosten heranzuziehen.