LG Hamburg, Urteil vom 14.09.2018 - 306 O 15/18
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 15.331,55 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. ab dem 13.1.2018 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) alle ab dem 1.1.2018 zu zahlenden Aufwendungen für die Heilbehandlungen des bei der Klägerin zu 1) versicherten C. S. in Höhe von weiteren 20 % zu ersetzen, soweit diese Heilbehandlungen aufgrund des Unfalls des C. S. mit dem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. erfolgen, und soweit der jeweilige Anspruch auf die Klägerin zu 1) übergegangen und erstattungsfähig ist.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) Aufwendungen für Pflegeleistungen für den bei der Klägerin zu 2) versicherten C. S. in Höhe von weiteren 20 % zu ersetzen, soweit diese Pflegeleistungen aufgrund des Unfalls des C. S. mit dem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. erbracht werden, und soweit der jeweilige Anspruch auf die Klägerin zu 2) übergegangen und erstattungsfähig ist.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. ab dem 13.1.2018 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin zu 1) zu 11 % und die Beklagte zu 89 %. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) tragen die Klägerin zu 1) zu 15 %, die Beklagte zu 85 %. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) trägt die Beklagte.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerinnen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin zu 1) kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 43.164,44 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerinnen machen gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht nach einem Verkehrsunfall geltend, an dem ein bei den Klägerinnen Versicherter beteiligt war.
Die Klägerin zu 1) ist eine gesetzliche Krankenkasse, die Klägerin zu 2) ist die Pflegekasse, die gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 SGB XI bei der Klägerin zu 1) eingerichtet ist.
Der bei den Klägerinnen versicherte Herr C. S., geboren ... 1964 in U., (nachfolgend „Versicherter“), befuhr am 12.9.2014 kurz vor 23:00 Uhr die K. Straße, H., in Fahrtrichtung stadtauswärts mit einem Kraftrad vom Typ Ducati Diavel Carbon G1, amtl. Kennzeichen ... . Auf Höhe der Hausnummern 310-312 kam es zu einem Zusammenstoß mit dem zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug vom Typ Audi S3/A3, amtl. Kennzeichen ..., das in Richtung stadteinwärts fuhr und von dem linken von insgesamt drei Richtungsfahrstreifen stadteinwärts nach links über die drei Richtungsfahrstreifen stadtauswärts auf ein dort belegenes Gelände einer Tankstelle bzw. eines Lidl-Supermarktes einbiegen wollte. Als sich das Beklagtenfahrzeug in jenem Abbiegevorgang auf den Fahrstreifen des (aus seiner Sicht) Gegenverkehrs befand, kam es zum Zusammenstoß dergestalt, dass das Kraftrad des Versicherten in Geradeausfahrt mit der hinteren rechten Fahrzeugseite (etwa Höhe Hinterreifen/Fondtür) des Beklagtenfahrzeugs zusammenstieß. Für die genauen Örtlichkeiten sowie die Fahrzeugschäden nach dem Zusammenstoß wird insoweit auf die beigezogene Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. (Az. ... , dort Bl. 16-28) verwiesen.
Der Versicherte wurde durch die Kollision vom Kraftrad geschleudert und kam etwa 25 m von der Kollisionsstelle zum liegen. Er erlitt durch den Unfall schwere Verletzungen (u.a. Ruptur des Aortenbogens, Dünndarmruptur, Verletzung der Brustwirbelsäule, Fraktur des Beckenringes, Rippenfrakturen, Unterarmfraktur, Lungenkontusion usw.). Es waren stationäre Krankenhausaufenthalte und umfangreiche ambulante Nachbehandlungen notwendig. Aufgrund der schweren Verletzungen muss mit gesundheitlichen Spätschäden des Versicherten gerechnet werden.
Die der Klägerin zu 1) aufgrund der unfallbedingten Verletzungen des Versicherten im Zeitraum vom Unfallzeitpunkt bis zum Abrechnungsdatum am 5.9.2017 entstandenen Aufwendungen wegen ihm gegenüber erbrachten Leistungen (vgl. dazu im Einzelnen Klagschrift, S. 3-9), die nicht nach einem Teilungsabkommen gezahlt wurden, beglich die Beklagte nur mit einer Quote von 50 %. Dadurch verblieb ein Betrag in Höhe von 38.328,88 €, den die Beklagte bisher nicht erstattet hat.
In diesem Verfahren macht die Klägerin zu 1) von diesem offenen Betrag die Hälfte gegenüber der Beklagten geltend und beantragt, ebenso wie die Klägerin zu 2), Feststellung, dass die Beklagte für den Klägerinnen jeweils künftig entstehende Aufwendungen wegen unfallbedingt dem Versicherten gegenüber zur erbringenden Leistungen insgesamt in Höhe von 75 % haftet. Für die außergerichtliche Tätigkeit der Klägervertreterin in dieser Sache (vgl. Anlage K6) entstanden der Klägerin zu 1) Kosten in Höhe von 1.171,67 € (vgl. Anlage K7).
Die Beklagte hat auf die am 12.1.2018 zugestellte Klage, nachdem in der Verteidigungsanzeige bereits Klagabweisung beantragt wurde, in der Klageerwiderung die Feststellungsanträge anerkannt „mit der Maßgabe, dass die Beklagte die zukünftig zu zahlenden unfallbedingten Aufwendungen der Klägerinnen, soweit diese auf sie übergegangen und nachgewiesen und erstattungsfähig sind, nach einer Quote von 50 % ersetzt.“ Nach rechtlicher Erörterung im Termin vom 21.8.2018 dieser von Beklagtenseite gestellten „Maßgabe“ für das grundsätzlich bedingungsfeindliche Anerkenntnis und einer entsprechenden Übereinkunft der Parteien hat das Gericht am 27.8.2018 ein Teil-Anerkenntnisurteil erlassen mit folgendem Inhalt:
„1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) alle ab dem 1.1.2018 zu zahlenden Aufwendungen für die Heilbehandlungen des bei der Klägerin zu 1) versicherten C. S. in Höhe von 50% zu ersetzen, soweit diese Heilbehandlungen aufgrund des Unfalls des C. S. mit dem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. erfolgen, und soweit der jeweilige Anspruch auf die Klägerin zu 1) übergegangen und erstattungsfähig ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) Aufwendungen für Pflegeleistungen für den bei der Klägerin zu 2) versicherten C. S. in Höhe von 50% zu ersetzen, soweit diese Pflegeleistungen aufgrund des Unfalls des C. S. mit dem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. erbracht werden, und soweit der jeweilige Anspruch auf die Klägerin zu 2) übergegangen und erstattungsfähig ist.“
Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass die Beklagte als Haftpflichtversicherer des unfallgegnerischen Fahrzeugs nicht nur, wie anerkannt, in Höhe von 50 %, dem Grunde nach für die den Klägerinnen unfallbedingt (d.h. wegen von ihnen gegenüber dem Versicherten insoweit zu erbringenden Leistungen) entstehenden Aufwendungen haftet, sondern insgesamt in Höhe von 75 %, mithin – zusätzlich zu dem bereits erfolgten Anerkenntnis – in Höhe von weiteren 25 %. Grundsätzlich ergebe sich eine vollumfängliche Haftung des Fahrers der Beklagtenseite daraus, dass sich der Unfall im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einbiegen des Beklagtenfahrzeugs in ein Grundstück ereignete. Der Fahrer der Beklagtenseite sei dabei mit überhöhter Geschwindigkeit über drei Fahrbahnen des Gegenverkehrs gefahren und habe nicht auf den gut sichtbaren Gegenverkehr geachtet und deshalb den Versicherten, der sich mit seinem Motorrad annäherte, übersehen. Ein Mitverschulden des Versicherten sei allenfalls in Höhe von 25 % anzunehmen, da er die an der Unfallstelle (unstreitig) zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nur um 20 km/h überschritten habe. Eine höhere Annäherungsgeschwindigkeit als 70 km/h sei nicht nachweisbar.
Die Klägerseite beantragt
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) € 19.164,44 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkte über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, über die insoweit bereits anerkannte hälftige Kostentragung hinaus, der Klägerin zu 1) zukünftig ab dem 01.01.2018 zu zahlende Aufwendungen, soweit diese auf sie übergegangen sind, wegen der Behandlung aufgrund der Folgen des Unfalls des bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeuges mit dem Versicherten C. S. vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. in Höhe von weiteren 25 % zu ersetzen.
3. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, über die insoweit bereits anerkannte hälftige Kostentragung hinaus, der Klägerin zu 2) zukünftig zu zahlende Aufwendungen, soweit diese auf sie übergegangen sind, wegen der möglichen Pflegeleistungen aufgrund der Folgen des Unfalls des bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeuges mit dem Versicherten C. S. vom 12.09.2014 auf der K. Straße in H. in Höhe von weiteren 25 % zu ersetzen.
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) vorgerichtliche Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von € 1.171,67 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB p.a. ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
Klagabweisung.
Sie behauptet, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des Kraftrades bei wenigstens 90 km/h lag. Bei Einleitung des Abbiegevorgangs des Beklagtenfahrzeugs sei Gegenverkehr nicht zu beobachten gewesen. Dieser stand vielmehr ca. 200 m weiter hinten an der Rotlicht zeigenden Lichtsignalanlage K. Straße/L. Damm. Der Versicherte der Klägerin habe, nachdem die vorgezeichnete Lichtsignalanlage auf grün umgeschaltet hatte, sein Kraftrad ganz erheblich beschleunigt und sei mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit in Richtung stadtauswärts gefahren und sodann nahezu ungebremst mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert. Schon vor der Kreuzung K. Straße/L. Damm sei er mit erheblich übersetzter Geschwindigkeit gefahren und habe sich eine Art Rennen mit einem Porschefahrer geliefert.
Das Gericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. beigezogen (Az. ... ) und ein mündliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. eingeholt, der auch im Strafverfahren nach Beauftragung der Polizei bereits ein Gutachten zur Frage der Annäherungsgeschwindigkeit des Kraftrades erstattet hatte. Für die Ausführungen des Sachverständigen wird auf das Terminsprotokoll vom 21.8.2018 nebst Anlagen verwiesen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
I.
Zunächst sind die Anträge – wenngleich nicht ausdrücklich so bezeichnet – dahingehend auszulegen, dass die Klaganträge zu 1., 2. und 4. nur von der Klägerin zu 1), der Klagantrag zu 3. nur von der Klägerin zu 2) gestellt wird.
Insbesondere liegt zudem als Zulässigkeitsvoraussetzung ein entsprechendes Feststellungsinteresse der Klägerinnen im Sinne von § 256 ZPO vor. Als Sozialversicherungsträger sind etwaige Ansprüche des Versicherten gegenüber der Beklagten insoweit gemäß § 116 Abs. 1 SGB X bereits zum Unfallzeitpunkt auf die Klägerinnen übergegangen. Die Klägerinnen haben ein Interesse, vor Verjährung dieser Ansprüche, die gegebenenfalls auch erst künftig entstehen, die Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach gerichtlich feststellen zu lassen.
II.
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet; über das insoweit von Beklagtenseite erklärte Anerkenntnis zu einer Haftung dem Grunde nach in Höhe von 50 % hat die Klägerseite Anspruch auf Erstattung ihr noch entstehender Aufwendungen in Höhe von weiteren 20 % gemäß den §§ 7, 18 StVG, 1 PflVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG; 116 Abs. 1, Abs. 3 SGB X. Entsprechend hat die Beklagte der Klägerin zu 1) auch von den noch offenen 38.328,88 € einen Betrag in Höhe von 15.331,55 € zu erstatten. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1.
Der Unfall ereignete sich im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs, dessen Haftpflichtversicherer zum Unfallzeitpunkt die Beklagte war. Weiter war am Unfall beteiligt das im Betrieb befindliche Kraftrad, dessen Fahrer und Halter der Versicherte war. Der Unfall war für die Beteiligten kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Dies konnte, wie nachfolgend noch näher ausgeführt, nicht positiv festgestellt werden. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch durch äußerst mögliche Sorgfalt eines sogenanntes "Idealfahrers" nicht abgewendet werden kann. Demnach richtet sich die Haftungsverteilung gemäß den §§ 17 Abs. 2, Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG nach den Umständen, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht wurde. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile sind allerdings nur diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die entweder unstreitig oder bewiesen sind. Dabei hat jede Seite die Umstände zu beweisen, die für sie günstig sind.
Einen entsprechenden Mitverursachungsbeitrag der Versicherten müssen sich dabei auch die Klägerinnen, die ihre Ansprüche hier aus dem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X herleiten, anspruchsmindernd anrechnen lassen, § 116 Abs. 3 S. 1 SGB X.
2.
Zulasten der Beklagtenseite ist hier zu berücksichtigen, dass sich der streitgegenständliche Unfall im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegemanöver des Fahrers der Beklagtenseite in die Einfahrt des Tankstellen-/Supermarktgeländes ereignete. Es spricht damit bereits ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Fahrer der Beklagtenseite insoweit die absolute Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO nicht beachtet hat, wonach derjenige, der ein Fahrzeug führt, beim Abbiegen in ein Grundstück eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen hat.
Soweit die Beklagte eingewandt hat, bei Einhaltung des Abbiegevorgangs durch den Fahrer der Beklagtenseite sei „Gegenverkehr nicht zu beobachten“ gewesen, sondern habe sich jener noch 200 Meter weiter hinten an der Lichtzeichenanlage der Kreuzung K. Straße/L. Damm befunden, ist sie für diese Behauptung beweisfällig geblieben. Die maximale Annäherungsgeschwindigkeit des Kraftrades des Versicherten war gemäß den insoweit schlüssigen und nachvollziehbaren Schilderungen des Sachverständigen S. aus technischer Sicht nicht sicher einzugrenzen. Letztlich bleibt damit offen, in welcher Entfernung zum Beklagtenfahrzeug sich das Kraftrad bei Beginn des Abbiegevorgangs des Beklagtenfahrzeugs befand. Es erscheint dem Gericht allerdings bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung einigermaßen fernliegend, dass sich ein Kraftrad bei Beginn eines Abbiegevorgangs, erstreckt sich dieser auch insgesamt über drei Spuren des Gegenverkehrs, noch in 200 m Entfernung befindet, bei Erreichen des mittleren von drei Fahrstreifen des Gegenverkehrs durch den Pkw – der Sachverständige kalkulierte hier von Beginn des Abbiegevorgangs bis zur Kollision etwa 2,5 Sekunden (vgl. Anlagen N33, N34 zum Terminsprotokoll) – jedoch bereits an der Unfallstelle eingetroffen ist. Dies würde eine Geschwindigkeit des Kraftrades aus dem Stand von der Ampel bis zur Unfallstelle von etwa (200 m / 2,5 s =) 80 m/s erfordern, d.h. umgerechnet 288 km/h. Selbst u.a. bei einer von Beklagtenseite angenommenen (Mindest-)Annäherungsgeschwindigkeit von 90 km/h hätte sich das Kraftrad bei Beginn des Abbiegevorgangs nach den Darstellungen des Sachverständigen (vgl. insbesondere Anlage N34 zu dem mündlich erstatteten Gutachten) lediglich in 85 m Entfernung zum abbiegenden Fahrzeug befunden und nicht in 200 m Entfernung.
3.
Zulasten der Klägerseite steht ein unfallursächlicher Verstoß des Versicherten gegen die am Unfallort geltende Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h fest.
a.
Das Gericht legt insoweit als bewiesen zugrunde, dass sich der Versicherte mit mindestens 70 km/h der Unfallstelle annäherte. Eine noch weitergehende unfallursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist hingegen nicht bewiesen.
Das Gericht stützt sich dazu maßgeblich auf die nachvollziehbaren, schlüssigen und ohne ersichtliche Lücken getätigten Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. bei Erstattung seines mündlichen Gutachtens im Termin vom 21.8.2018. Dabei führte der Sachverständige aus, dass sich unter Berücksichtigung aller ihm vorliegenden technischen Anknüpfungspunkte die Kollisionsgeschwindigkeit des Kraftrades eingrenzen lasse auf 70 km/h bis 80 km/h. Je nachdem, ob man, was aus technischer Sicht aber nicht festzustellen sei, von einer noch kurz zuvor erfolgten Bremsung des Kraftrades durch den Versicherten ausgehe, liege bei einer Betrachtung zugunsten des Versicherten entsprechend auch die Annäherungsgeschwindigkeit zwischen 70 km/h und 80 km/h (ohne vorherige Bremsung) bzw. 73 km/h bis 83 km/h (mit kurz zuvor erfolgter Bremsung). Eine solche kurz zuvor erfolgte Bremsung wäre zwar angesichts einer an der Unfallstelle dokumentierten kurzen Reifenspur, die hochwahrscheinlich dem Kraftrad des Versicherten zuzuordnen sei, denkbar. Diese kurze Reifenspur könne aber ebenso erst im Rahmen der Kollision entstanden sein.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen hat die insoweit für einen Verkehrsregelverstoß des Versicherten beweisbelastete Beklagte nur den Nachweis einer Annäherungsgeschwindigkeit des Versicherten von 70 km/h erbracht. Ob er tatsächlich noch darüber hinaus (gegebenenfalls erheblich) schneller auf die Unfallstelle zufuhr, bleibt denkbar, aber letztlich offen.
Insoweit war das Gericht auch nicht gehalten, die von Beklagtenseite für das Fahrverhalten des Versicherten an und vor der Lichtzeichenanlage an der Kreuzung K. Straße/L. Damm benannten Zeugen zu vernehmen zu der Behauptung, der Versicherte habe an der Ampelanlage „sein Kraftrad ganz erheblich beschleunigt“. Unstreitig befindet sich jene Lichtzeichenanlage etwa 200 m von der Unfallstelle entfernt. Selbst wenn der Versicherte bei Umschalten der Lichtzeichenanlage auf grün „erheblich“ beschleunigte, wäre für das Gericht nicht feststellbar, inwieweit sich so ein Beschleunigen noch 200 m weiter unfallursächlich auswirkte, zumal im Übrigen die erfahrungsgemäß rein subjektive Geschwindigkeitsschätzung der Zeugen, hier noch bei insgesamt herrschender Dunkelheit, keinen Aufschluss über die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit des Versicherten geben kann. Ebenso bleibt für die Abwägung der unfallursächlichen Verursachungsbeiträge außer Betracht, inwieweit sich der Versicherte ggf. noch vor besagter Lichtzeichenanlage ein „Rennen“ mit einem Porsche lieferte.
Dass die festzustellende Geschwindigkeitsübertretung für den Unfall mitursächlich war, ist – nach den Ausführungen des Sachverständigen im für das Strafverfahren erstatteten Gutachten (Anlage K3), die die Klägerseite insoweit auch nicht angegriffen hat – unstreitig; bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte der Versicherte den Unfall zeitlich vermeiden können.
b.
Soweit die Beklagtenseite Schriftsatz vom 22.8.2018 nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hat, eine erhöhte Mithaftung des Versicherten wegen einer erhöhten Betriebsgefahr des von ihm gefahrenen Kraftrades ergebe sich, weil „ohnehin [...] bei Motorrädern gerade für den Fahrer aufgrund des fehlenden Schutzes durch umgebende Karosserie eine weitaus höhere Verletzungsgefahr als für Pkw-Fahrer“ bestehe, kann das Gericht dieser Auffassung nicht folgen.
Der Bundesgerichtshof führt insoweit aus (Urteil vom 1.12.2009, Az. VI ZR 221/08, Rz. 27, Hervorhebung diesseits):
„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1957 - VI ZR 59/56 - VersR 1957, 334, 336; vom 13. Juli 1971 - VI ZR 245/69 - VersR 1971, 1043 f.) kommt bei der Bewertung der von einem Kraftrad ausgehenden Betriebsgefahr nicht etwa ganz allgemein dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass dessen Fahrer selber nicht durch eine Karosserie geschützt ist. Die allgemeine Betriebsgefahr eines Fahrzeugs wird vor allem durch die Schäden bestimmt, die dadurch Dritten drohen. Dem Fahrer eines nach seiner Bauart für den Verkehr zugelassenen, in verkehrstüchtigem Zustand befindlichen Fahrzeugs kann bei der Abwägung nicht zur Last gelegt werden, dass er schon wegen dieser Bauart und der geringeren Eigensicherung, die ihm das Fahrzeug bietet, bei Zusammenstößen mit anderen Fahrzeugen Verletzungen in höherem Maße ausgesetzt ist als in einem Fahrzeug, das in dieser Hinsicht größere Sicherheit bietet (vgl. auch Jordan, in: 20. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1982, S. 189, 209 ff.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 17 StVG Rn. 7).“
Dieser überzeugenden Auffassung des Bundesgerichtshofs schließt sich das Gericht an.
Insoweit verfängt auch der Verweis der Beklagtenseite aus dem vorgenannten Schriftsatz auf von der Kammer ausgeurteilte Haftungsquoten bei der Berücksichtigung der erhöhten Betriebsgefahr von LKWs in gänzlich anderen Verkehrssituationen als der hier vorliegenden nicht.
c.
Wenn die Beklagtenseite in jenem Schriftsatz zudem vorträgt, der Versicherte sei in Annäherung an die Unfallstelle unstreitig im mittleren von drei Richtungsfahrstreifen der K. Straße stadtauswärts gefahren, ist dem zu folgen. Soweit dort erstmals behauptet wird, die Kollision habe sich „indessen im rechten Richtungsfahrstreifen“ ereignet, weshalb zudem von einem Spurwechsel des Versicherten im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO auszugehen sei, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie die Beklagtenseite zu dieser Behauptung gelangt - vermutlich handelt es sich um eine Verwechslung. Sämtliche Darstellungen des Sachverständigen (vgl. insbesondere Anlagen N33 und N34 zum mündlich erstatteten Gutachten) stellen das Kollisionsgeschehen auf dem mittleren Richtungsfahrstreifen in Fahrtrichtung des Versicherten dar. Dort findet sich auch die zuvor erwähnte kurze Reifenspur (vgl. Anlage N6).
4.
In der Abwägung der insoweit feststehenden wechselseitigen unfallursächlichen Verursachungsbeiträge wiegt nach Auffassung des Gerichts der Verstoß des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs gegen die absolute Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO schwerer als der Verkehrsregelverstoß des Versicherten durch Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 20 km/h bzw. 40%. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass auch schon geringfügigere Geschwindigkeitsübertretungen aufgrund des bei höherer Geschwindigkeit nicht nur linear ansteigenden Anhaltewegs unfallursächlich und daher gefährlich sein können. Eine Geschwindigkeit von 70 km/h im Stadtverkehr ist dabei jedoch – noch dazu hier auf dreispurig ausgebauter, zum Unfallzeitpunkt offenkundig für den Versicherten freien Fahrbahn – noch nicht als grob rücksichtslos einzustufen und im Gegenteil ein Verhalten, das, wenngleich verkehrsregelwidrig, für andere Verkehrsteilnehmer in der Regel – im Gegensatz zum Einfahren in ein Grundstück – nicht überraschend passiert. Insoweit ist eine Haftungsverteilung von 30 % (Versicherter) zu 70 % (Beklagtenseite) angemessen. Über die bereits anerkannten 50 % hinaus haftet die Beklagtenseite daher dem Grunde nach in Höhe von weiteren 20 %.
III.
Die Feststellungsanträge der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) sind daher nicht in Höhe einer weiteren Haftung der Beklagtenseite von 25 %, sondern nur in Höhe von weiteren 20 % begründet.
Auf den Leistungsantrag der Klägerin zu 1) schuldet die Beklagte nicht 19.164,44 € (was einer weiteren Haftung von 25 % entspräche), sondern nur 4/5 dieses Betrags, mithin 15.331,55 €. Der Anspruch auf die insoweit zugesprochenen Zinsen ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht, entsprechend der insoweit nicht angegriffenen Berechnung in der Klagschrift und der vorgelegten Kostennote (Anlage K7), nach den vorangegangenen Ausführungen nur auf einen Gegenstandswert von 15.331,55 €, mithin in Höhe von 1.029,35 €. Der Zinsanspruch ergibt sich ebenfalls aus den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. ZPO; 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
1.
Bezüglich der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten ist der Gesamtstreitwert von 43.164,44 € zu berücksichtigen (Klagantrag zu 1.: 19.164,44 €; Klagantrag zu 2. und 3.: pauschal jeweils 12.000,00 €).
Im Verhältnis dazu unterliegt die Klägerin zu 1) mit einem Gegenwert von 4.632,89 € (3.832,89 € bezüglich des von ihr gestellten Klagantrags zu 1., 800,00 € (berechnet unter Einbeziehung des anerkannten Teils: 12.000 € x (70/75)) bezüglich des von ihr gestellten Klagantrags zu 2.).
Die Klägerin zu 2) unterliegt bzgl. des von ihr gestellten Klagantrags zu 3. mit einem Gegenstandswert von 800 € (12.000 € x (70/75)), weshalb insoweit bei dieser verhältnismäßig geringfügigen (2% des Gegenstandswertes) Zuvielforderung unter Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Beklagte insoweit die Kosten zu tragen hat.
Die Beklagte unterliegt mit einem Gegenstandswert von 15.331,55 € (Klagantrag zu 1.) + 11.200,00 € (Klagantrag zu 2.) + 11.200,00 € (Klagantrag zu 3.), mithin in Höhe von 37.731,55 €.
Aus dem Verhältnis des Unterliegens zum gesamten Gegenstandswert (Klägerin zu 1): 11%; Klägerin zu 2) (zu tragen von der Beklagten): 2%, Beklagte: 87%) ergeben sich die tenorierten Kostenquoten.
2.
Bezüglich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) ist ein Gegenstandswert von 31.164,44 € anzusetzen (19.164,44 € + 12.000,00 €); die Klägerin unterliegt mit 4.632,89 € (s.o. unter 1.), mithin in Höhe von 15%. Im Übrigen unterliegt die Beklagte.
3.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) trägt wegen der verhältnismäßig geringfügigen Zuvielforderung (hier: ca. 8%, nämlich 800,00 € (12.000 € x (70/75)) von 12.000,00 €) die Beklagte, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
V.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711; 709 ZPO.