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VG Münster, Beschluss vom 02.12.2015 - 10 L 1391/15

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der - sinngemäße - Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage - 10 K 2336/15 - gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 2. Oktober 2015 wiederherzustellen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes einstweilen verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Durchsetzung des Bescheides fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die angefochtene Verfügung des Antragsgegners vom 2. Oktober 2015 als rechtmäßig.

Dem sinngemäß vorgetragenen Einwand des Antragstellers, der Antragsgegner habe dem Begründungserfordernis für die Anordnung der sofortigen Vollziehung (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) mit Blick auf die erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis nicht hinreichend Rechnung getragen, kann nicht gefolgt werden. Die in dem angegriffenen Bescheid enthaltenen Erwägungen zeigen, dass der Antragsgegner die Einzelheiten des konkreten Sachverhaltes gewürdigt hat und sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war. Insoweit hat er - wenn auch mit knappen Ausführungen - die Abwehr einer besonderen Gefährdung für die Sicherheit des Straßenverkehrs im Rahmen seiner Abwägung als vorrangig angesehen. Die hiergegen vorgebrachten Rügen des Antragstellers, welche eine unterbliebene Güterabwägung und einen fehlenden Nachweis für mangelndes Trennungsvermögen bezüglich Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme monieren, greifen schon im Ansatz nicht durch. Denn das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO ist (nur) eine formelle Voraussetzung. Es ist - abgesehen von Fällen in denen sich das besondere Vollzugsinteresse bereits aus der einzelfallbezogenen Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsaktes selbst ergibt - etwa dann verletzt, wenn die Begründung nicht auf den konkreten Fall abstellt, sondern sich in formelhaften Wendungen, wie der abstrakten Wiederholung des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder der bloßen Wiedergabe der Ermächtigungsnorm des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes, erschöpft. Letzteres trifft auf die hier gegebene Begründung, welche auf die durch etwaige Rauschwirkungen und Leistungseinbußen entstehenden erheblichen Gefahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer abhebt, nicht zu.

Auch die weiteren Einwände des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides greifen nicht durch.

Zunächst kann offen bleiben, ob der Antragsteller - wie im gerichtlichen Verfahren vorgetragen - "nicht regelmäßiger Konsument" von Cannabis ist. Das Gericht geht nach Würdigung der Angaben des Antragstellers bei der polizeilichen Vernehmung am 00.00.0000 davon aus, dass er in einem Zeitraum von einem halben bis zu einem dreiviertel Jahr vor der Vernehmung zumindest mehrmals Marihuana geraucht hat und damit sein Konsum der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV unterfällt. Dies belegen folgende Aussagen des Antragstellers: "Ich gebe, auf Frage, zu, gelegentlich, auch in den Tagen vorher Marihuana geraucht zu haben. (...) Noch nicht so lange, so maximal ein halbes bis dreiviertel Jahr. (...) Nur gelegentlich mal was, nicht regelmäßig."

Entgegen der Ansicht des Antragstellers hätte der Antragsgegner auch nicht zunächst ein MPU-Gutachten anfordern müssen. Der Beleg für mangelnde Trennung zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen liegt nach Auffassung der Kammer bei einem im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges nachgewiesenen THC-Wert ab 1,0 ng/ml im Blutserum vor. Diese Sichtweise steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW); der vorgenannte Grenzwert ist auch durch das Bundesverwaltungsgericht revisionsrechtlich nicht beanstandet worden.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3/13 -, juris Rdnr. 28 ff insbesondere Rdnr. 37 ff.

In der zitierten Entscheidung hebt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auch auf die in der Vorinstanz durch medizinische Sachverständige abgegebene Bewertung ab, wonach im Einzelfall auch bei niedrigeren THC-Konzentrationen als 2 ng/ml Blutserum fahrsicherheitsrelevante Mängel vorliegen können. Auch das OVG NRW hat bereits in seinem Beschluss vom 21. März 2013 (16 A 2006/12, juris) beispielweise insoweit überzeugend - unter Benennung auch abweichender Standpunkte - ausgeführt:

"Ausschlaggebend für diese Einschätzung ist der Beschluss der Gemeinsamen Arbeitsgruppe für Grenzwertfragen und Qualitätskontrolle (sog. Grenzwertkommission) vom 20. November 2002 - aktualisiert durch Beschluss vom 22. Mai 2007, Blutalkohol 44 (2007), 311 -, wonach der Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG für THC bei 1 ng/ml Serum liegt. Eine solche Konzentration kann - einschließlich eines entsprechenden Sicherheitszuschlags - sicher nachgewiesen und quantitativ präzise bestimmt werden. Insbesondere erscheint bei Erreichen einer derartigen Konzentration eine Einschränkung der Fahrtauglichkeit möglich.

Vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, a. a. O. = juris, Rn. 29.

Nimmt ein Fahrerlaubnisinhaber trotz eines nicht lange zurückliegenden Cannabiskonsums und einer deshalb jedenfalls möglichen cannabisbedingten Fahrungeeignetheit am Straßenverkehr teil, ist das als ein hinreichend aussagekräftiger Beleg dafür zu werten, dass ihm das zu fordernde Trennungsvermögen fehlt.

Darüber hinaus ergeben sich aus einer neueren Veröffentlichung deutliche und somit für die rechtliche Beurteilung entscheidende Hinweise, dass konkrete Straßenverkehrsgefährdungen und Unfälle nach Cannabiskonsum bei einer THC- Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml nicht seltener als bei deutlich höheren Werten dieses Cannabiswirkstoffs auftreten, dass also bei Konzentrationen ab 1,0 ng/ml im Serum sogar mehr als bloß die Möglichkeit der Fahruntüchtigkeit besteht. Des Weiteren ist die Unfall- und Gefährdungshäufigkeit in der späteren Phase der Cannabiswirkung signifikant höher als im akuten Rauschzustand.

Vgl. Drasch/von Meyer/Roider/Staack/Paul/ Eisenmenger, Blutalkohol 43 (2006), Unfälle und reale Gefährdung des Straßenverkehrs unter Cannabis-Wirkung, S. 441 ff.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht in dem in Bezug genommenen Urteil vom 14. Juni 2010 (- 11 K 1059/10 ?, juris) auf weitere Untersuchungen hingewiesen, die den von der Grenzwertkommission bestimmten Grenzwert bestätigen. So kommt etwa die Studie der Universität Maastricht aus dem Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass bei dem THC-Grenzwert von 1 ng/ml im Blutserum in jedem Fall noch von einer möglichen Wirkung auszugehen ist, da auch noch im Zeitraum von fünf bis sechs Stunden nach Rauchende bei den Versuchspersonen Störungen der Feinmotorik feststellbar waren.

Vgl. die Darstellung bei Möller, Straßenverkehr und Grenzwerte für Drogen aus forensischtoxikologischer Sicht, Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV 2005, Deutscher Anwaltsverlag, S. 109 ff., und Möller/Kauert/Tönnes/Schneider/Theunissen/Ramaekers, Leistungsverhalten und Toxikokinetik der Cannabinoide nach inhalativer Marihuanaaufnahme, Blutalkohol 43 (2006), S. 361 ff."

Auch unter Würdigung der kürzlich veröffentlichten Empfehlung der Grenzwertkommission (Blutalkohol 52 - 2015 -, S. 322) hält die Kammer an der vorbeschriebenen Einschätzung fest. Die Kammer teilt ausdrücklich die zuletzt vom Verwaltungsgericht Düsseldorf im Beschluss vom 24. November 2015 - 14 L 3652/15 - (NRWE) vorgenommene Bewertung; der Beschluss führt mit Blick auf die Empfehlung der Grenzwertkommission aus:

"Zum einen stellt die Grenzwertkommission in ihren Ausführungen ausschließlich auf den Aspekt der Leistungseinbuße bzw. der Leistungsfähigkeit ab. Dieser Gesichtspunkt ist bisher auch bereits in der obergerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigt worden, allerdings im Hinblick auf den zu Grunde gelegten Gefährdungsmaßstab gerade nicht als relevant erachtet worden, so dass die aktuellen Ausführungen der Grenzwertkommission den für das Gefahrenabwehrrecht gültigen "Risikogrenzwert" von 1 ng/ml THC nicht in Frage stellen,

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3/13 - juris; Rdnr. 37; OVG NRW, Urteil vom 1. August 2014 - 16 A 2806/13 - juris, Rdnr. 25.

Zum anderen zitiert die Grenzwertkommission in ihrem Beitrag bis auf eine Ausnahme ältere wissenschaftliche Studien, die in der bereits zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - allesamt berücksichtigt wurden. Allein mit einer aus dem Jahre 2015 stammenden Studie ist die Aussage belegt, dass bei Konzentrationen ab 2 ng/ml THC davon auszugehen sei, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden habe. Diese Aussage betrifft indes Fragen der Abbaugeschwindigkeit und nicht die des Gefährdungsmaßstabes oder des Grenzwertes.

Des Weiteren ist unklar, ob sich die Ausführungen der Grenzwertkommission zu einem Grenzwert von 3,0 ng/ml THC nicht nur auf chronisch Cannabis konsumierende Personen beziehen sollen. (...)

(...)

Es kommt damit auch nicht darauf an, ob der Cannabiskonsum tatsächliche Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit gezeitigt hat und bereits eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs eingetreten ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, da bei der Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis Gefahrenabwehrrecht in Rede steht, dass ab dem THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml im Blutserum eine Wirkung und damit eine drogenkonsumbedingte Gefährdung des Straßenverkehrs möglich ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 - 16 A 2006/12 -, Rn. 34 ff., juris.”

Gemessen an den vorstehenden Erwägungen besteht beim Antragsteller aufgrund des festgestellten THC-Wertes von 1,0 ng/ml Blutserum ein fehlendes Trennungsvermögen zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme, was die fehlende Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges hinreichend belegt.

Die weiteren Regelungen im angegriffenen Bescheid sind rechtmäßig und durch die im Bescheid genannten Vorschriften gedeckt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

Lukas Jozefaciuk