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VG Minden, Urteil vom 13.04.2017 - 2 K 218/15

Tenor

Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 30.01.2014 zur Anordnung der Radwegebenutzungspflicht an dem Straßenzug T.----ring O. -T1. -L1. wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Mit verkehrsbehördlicher Anordnung vom 30.01.2014 ordnete die Beklagte für den T.----ring O. -T1. -L1. eine durchgängige Radwegebenutzungspflicht an. Für die Abschnitte in Fahrtrichtung B61 (C. Straße) in Richtung B61 (X. Straße) sowie in Fahrtrichtung B61 (X. Straße) bis W. Straße und in Fahrtrichtung W1. Straße bis B61 (C. Straße) wurden in der Verfügung die Aufstellung der Verkehrszeichen 241-30 StVO (getrennter Rad- und Fußweg), Verkehrszeichen 240 StVO (gemeinsamer Fuß-/Radweg), Verkehrszeichen 241, Verkehrszeichen 241-31 StVO (getrennter Fuß-Radweg) teilweise mit entsprechenden Zusatzzeichen angeordnet. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der T.----ring habe die Funktion einer Ringstraße mit hohem Verkehrsaufkommen. Der DTV liege dabei - je nach Streckenabschnitt - zwischen 12.600 und 21.200 Fahrzeugen mit einem gleichzeitig hohen Schwerlastverkehrsanteil von bis zu 13 %. Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht sei nach der StVO-Novelle dort geboten, wo es die Verkehrssicherheit oder der Verkehrsablauf zwingend erfordere. Das beziehe sich auch auf Innerortsstraßen mit einem überdurchschnittlich hohen Verkehrsaufkommen. Hier bedürften die schwächeren ungeschützten Radfahrer und Radfahrerinnen eines eigenen Verkehrsraums, der im Interesse der Verkehrssicherheit nicht nur freiwillig, sondern zwingend zu benutzen sei. Diese Voraussetzungen seien beim T.----ring erfüllt, sodass hier eine besondere Gefahrenlage gem. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO angenommen werden müsse, die die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht erforderlich mache.

Die entsprechenden Verkehrszeichen wurden am 11.02.2014, am 19.02.2014 sowie zuletzt am 02.04.2014 aufgestellt.

Der Kläger hat am 25.01.2015 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, die Beklagte habe die hohen Anforderungen des § 45 Abs. 9 der Straßenverkehrsordnung und die sich daraus nach der Rechtsprechung zu beachtenden Grundsätze nicht beachtet.

Die Fahrbahn sei kurvenarm und übersichtlich, auch nachts herrschten wegen angebrachter Beleuchtung gute Sichtverhältnisse. Radfahrer könnten gut wahrgenommen werden und träten optisch nicht in den Hintergrund. Im außerörtlichen Abschnitt zwischen X. Straße und T2.-----------straße sei zudem die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt. Es sei nach den örtlichen Verhältnissen kein überdurchschnittliches Gefahrenpotenzial für Radfahrer auf der Fahrbahn zu erkennen. Auch eine höhere Unfallrate ohne die streitige Anordnung sei nicht zu erkennen. Die Kreispolizeibehörde habe bestätigt, dass in den Jahren 2012 und 2013 vor der Anordnung keine Unfälle mit Fahrradfahrern auf der Fahrbahn zu verzeichnen gewesen seien. Unfälle habe es lediglich gegeben mit Radfahrern, die die Radwege benutzt hätten.

Darüber hinaus habe die Beklagte die Voraussetzungen der Verwaltungsvorschrift zu § 2 der Straßenverkehrsordnung nicht beachtet. Der Kläger verweist insoweit im Einzelnen auf die Breite der Radwege und die Breite der Flächen für Fußgänger sowie die Breite der Sicherheitstrennstreifen. Die Verkehrsflächen seien uneben und entsprächen nicht den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen. Auch die Radführung an den Knotenpunkten entspreche nicht dem Stand der Technik. Der Kläger verweist insoweit auf einen Todesfall beim Abbiegen eines Lkws durch Übersehen eines Radfahrers auf dem Radweg. Im Einzelnen erweise sich die angebrachte Beschilderung auch als widersprüchlich. Darüber hinaus bezieht sich der Kläger auf fehlende Absenkungen, auf falsche Signalisierungen und fehlende Verkehrszeichen zur Vorfahrtsregelung an Einmündungen.

Im Juni/Juli des Jahres 2015 seien zudem Bauarbeiten vorgenommen worden, die dazu geführt hätten, dass die Benutzung der Radwege gesperrt gewesen sei und die Fahrbahn habe benutzt werden müssen. Auch in dieser Zeit sei kein Unfall mit einem Radfahrer geschehen. Insgesamt sei die Unfallentwicklung der Jahre 2012 bis 2014 konstant gewesen.

Im Übrigen lasse die angefochtene verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten nicht erkennen, dass die Beklagte beim Erlass der Verfügung Ermessen ausgeübt habe. Die Verfügung leide deshalb an einem unheilbaren Ermessensausfall.

Der Kläger beantragt,

die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht an dem Straßenzug T.----ring O. -T1. -L1. durch die Beklagte mit Verfügung vom 30.01.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, es lägen am T.----ring besondere örtliche Verhältnisse vor, die die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht rechtfertigten. Dabei sei zum einen die besondere Verkehrsbelastung in Höhe von 12.600 bis zu 21.200 Fahrzeugen in 24 Stunden zu berücksichtigen und zum anderen der hohe Anteil von 13 % Schwerlastverkehr. Die Strecke sei überwiegend anbaufrei und teilweise (zwischen X. Straße und Kreuzung T2.-----------straße im Bereich des T3.----rings L1. ) mit einer Höchstgeschwindigkeit bis zu 70 km/h versehen. Teilweise sei die Strecke ohne Straßenbeleuchtung oder die Straßenbeleuchtung werde zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr abgeschaltet. Dies belege das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse mit besonderer Gefahrenlage.

Die Radwege seien vor etwa 25 Jahren gebaut worden und entsprechen mit einer Mindestbreite von 1,75 m der Mindestbreite der Richtlinien. Bei einseitiger Führung wiesen die Radwege mit einer Breite von 2,25 m eine der den Richtlinien von 2010 entsprechenden Breite aus. Durch Umgestaltung der Verkehrsführung in der Kreuzung T.----ring /D. -C1. -Straße sei nach einem tödlichen Unfall die Gefahr vermindert worden. Die Signalisierung entspreche der Straßenverkehrsordnung. Zudem verliefen entlang des T4.----ringes Schulwege zur Grundschule I.--------straße , zum Schulzentrum P. und zu einer Gesamtschule.

In der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter der Beklagten erklärt, sie hätten bei Erlass der streitigen Anordnung ihr Ermessen ausgeübt und würden es auch weiterhin in der erfolgten Art und Weise ausüben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstände der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtene verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten vom 30.01.2014 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die Verkehrszeichen, gegen die sich der Kläger wendet, stellen Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - mit Dauerwirkung dar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.12.1996 - 11 C.95 -, in: juris.

Die der Aufstellung der Verkehrszeichen vorgelagerte verkehrsrechtliche Anordnung der Straßenverkehrsbehörde, auf der die Aufstellung der Verkehrszeichen beruht, enthält vor der Aufstellung der Verkehrszeichen noch keine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber den betroffenen Verkehrsteilnehmern oder Anliegern und kann daher von diesen auch nicht durch Anfechtungsklage angegriffen werden. Erst durch Aufstellung der Verkehrszeichen erfolgt die öffentliche Bekanntmachung durch Anbringung (§§ 39 Abs. 2 und 3, 45 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung - StVO -) des Verkehrszeichens. Erst mit der Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen tritt die verkehrsrechtliche Anordnung auch in Richtung auf Anlieger und Verkehrsteilnehmer nach außen hervor und betrifft sie in ihrer Rechtstellung.

So BVerwG, Urteil vom 09.09.1993 - 11 C 37.92 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.1994 - 5 S 474/94 -, beide veröffentlicht in juris.

Die Anfechtungsklage richtet sich somit zutreffend gegen die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten, die durch die Aufstellung von Verkehrszeichen bekannt gemacht ist. Die durch Verkehrszeichen getroffenen verkehrsrechtlichen Anordnungen fallen nach gefestigter Rechtsprechung unter § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und sind deshalb von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.

BVerwG, Beschluss vom 07.11.1977 - VII B 135.77 -, in: juris.

Die Beklagte ist gem. § 10 der Verordnung über die Bestimmung der zuständigen Behörden nach der Straßenverkehrsordnung des Landes Nordrhein-Westfalen als örtliche Ordnungsbehörde zuständig.

Als Verkehrsteilnehmer, den dieses Gebot bzw. Verbot betrifft, ist der Kläger klagebefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO.

Die Klage ist auch rechtzeitig erhoben. Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe zu erheben, wenn - wie hier nach § 110 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Justiz im Lande Nordrhein-Westfalen - JustG NRW - i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO - die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht erforderlich ist. Die Bekanntgabe erfolgt - wie oben dargelegt - durch Aufstellung des Verkehrsschildes. Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon "mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann, äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Aus dieser Betroffenheit folgt, dass die Anfechtungsfrist gegenüber jedermann nicht bereits mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens in Gang gesetzt wird, sondern vielmehr erst dann ausgelöst wird, wenn sich der betreffende Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht.

So BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37/09 -, in: juris m.w.N.

Ausdrücklich stellt das Bundesverwaltungsgericht dazu fest, dass die gemäß § 58 Abs. 2 VwGO - wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung - einjährige Rechtsbehelfsfrist allerdings nicht erneut zu laufen beginnt, wenn sich derselbe Verkehrsteilnehmer demselben Verkehrszeichen ein weiteres Mal gegenübersieht. Das Verkehrsge- oder -verbot wirkt ihm gegenüber fort, so lange dessen Anordnung und Bekanntgabe aufrecht erhalten bleiben. Es hat bei einem erneuten Gegenübertreten für ihn nur eine erinnernde Funktion.

BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 a.a.O.

Unter Beachtung dieser Voraussetzungen war die Jahresfrist zur Klageerhebung hinsichtlich der hier angefochtenen verkehrsrechtlichen Anordnung noch nicht abgelaufen, da die ersten Verkehrszeichen im Februar 2014 und damit innerhalb der Jahresfrist vor Klageerhebung aufgestellt worden sind.

Die demnach zulässige Klage ist auch begründet.

Nach Auffassung des Gerichts liegen hier bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung der Radwegebenutzungspflicht schon nicht vor.

Maßgeblich für die Beurteilung einer gegen ein Verkehrsgebot oder Verkehrsverbot gerichteten Klage ist regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung, da das durch ein Verkehrszeichen ausgesprochene Verbot fortwirkt, so lange die Anordnung durch das belastende Verkehrszeichen aufrecht erhalten bleibt und es sich daher um einen Dauerverwaltungsakt handelt.

Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 09.06.1967 - VII C 18.66 - 3 C 37/ 09 - m.w.N.; Urteil vom 13.12.1979 - 7 C 46/78 -; Urteile vom 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, alle veröffentlicht in juris.

Maßstab für die Überprüfung der angefochtenen Anordnung ist § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Diese Vorschrift stellt seit Inkrafttreten der Straßenverkehrsordnung die Rechtsgrundlage für die Anordnung von Verkehrsregelungen dar. Durch die Verordnung vom 07.08.1997 (BGBl I, S. 2008) ist § 45 Abs. 9 StVO angefügt worden. Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO und die gleichlautende Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO zielen darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die "Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung" zu verdeutlichen.

Vgl. die Begründung des Bundesrates in: VkBL. 1997, 687, 689 Nr. 9 und 690 Nr. 22.

"Zwingend geboten" ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften daher nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche oder allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten.

Vgl. dazu Bayer. VGH, Urteil vom 28.09.2011 - 11 B 11.910 -; VG Braunschweig, Urteil vom 18.07.2006 - 6 A 389/04 -, beide veröffentlicht in juris.

Nach § 49 Abs. 1 Satz 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter - also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - erheblich übersteigt. Als speziellere Regelung kritisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 45 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht.

So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37/09 -, in juris.

Nach den vorgenannten Grundsätzen liegt in den hier streitbefangenen Abschnitten des T3.----rings H. eine auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende erhebliche Gefahrenlage i.S.d. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht vor. Die angefochtene verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten führt dazu lediglich aus, dass der T.----ring die Funktion einer Ringstraße mit einem hohen Verkehrsaufkommen habe. Der DTV liege dabei - je nach Streckenabschnitt - zwischen 12.600 und 21.200 Fahrzeugen mit einem gleichzeitig hohen Schwerlastverkehrsanteil von bis zu 13 %. Hier bedürften die schwächeren ungeschützten Radfahrer und Radfahrerinnen eines eigenen Verkehrsraums, der im Interesse der Verkehrssicherheit nicht nur freiwillig sondern zwingend zu benutzen sei. Dies rechtfertige die Annahme einer besonderen Gefahrenlage, die die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht erforderlich mache.

Zwar ergeben sich aus den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe 2010 (ERA 2010), im Grundsatz Anhaltspunkte für besondere örtliche Verhältnisse mit einer das allgemeine Risiko übersteigenden Gefährdung. Auch wenn die Verfasser dieser Richtlinie nicht legitimiert sind, die Aussagen der Straßenverkehrsordnung authentisch zu interpretieren, ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die dort getroffenen Aussagen bei der gerichtlichen Einschätzung einer Gefährdungslage als aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisquelle ergänzend berücksichtigt werden, zumal sie durch Erlass des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10.06.2011 für den Bereich der Bundesstraßen in der Baulast des Bundes und für den Bereich der Landesstraßen in der Baulast des Landes zugeführt sind und im Übrigen den Kommunen generell zur Anwendung empfohlen sind.

Vgl. insoweit auch BVerwG, Beschluss vom 16.04.2012 - 3 B 62/11 -, in juris.

Hinsichtlich der Anordnung von Radwegen als benutzungspflichtig führen die Richtlinien unter 2.3.6 aus, dass zwar davon ausgegangen werden kann, dass das Erfordernis einer Trennung des Radverkehrs von Kraftfahrzeugverkehr bei Straßen im Belastungsbereich IV in der Regel gegeben ist. Inwiefern die Voraussetzungen einer Radwegebenutzung erfüllt seien, könne jedoch nur in einer Einzelfallprüfung durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde festgestellt werden.

Die Einordnung in die Belastungsbereiche I - IV nimmt die Richtlinie mit Hilfe der Parameter Kraftfahrzeugbelastung und zulässige Höchstgeschwindigkeit vor. Die Letztere beträgt nach den insoweit unstreitigen Angaben der Beklagten für einen kleineren Teil des T3.----rings L1. 70 km/h und für den weitaus größten Teil des übrigen T3.----rings 50 km/h.

Nach Bild 7 unter 2.3.3 der Richtlinie (Vorauswahl von geeigneten Führungsformen) in Verbindung mit der Tabelle 8 (Zuordnung der Führungsformen zu den Belastungsbereichen bei Stadtstraßen) geht die Richtlinie bei einer von der Beklagten vorgetragenen Spitzenbelastung von 1.200 bis 1.700 Kfz pro Stunde bei einer zweistreifigen Stadtstraße nur bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h von einer Einordnung in den Belastungsbereich IV aus. In diesem Belastungsbereich ist grundsätzlich die Anlage von Radfahrstreifen, Radwegen oder eines gemeinsamen Geh- und Radweges vorgesehen. Bei den von der Beklagten angegebenen Durchschnittsverkehrsbelastungen von 525 Fahrzeugen pro Stunde bis zu 884 Fahrzeugen pro Stunde liegt die kleinere Teilstrecke teilweise im Grenzbereich zwischen den Belastungsbereichen III und IV. Dabei geht die Tabelle davon aus, dass die Übergänge zwischen den Belastungsbereichen keine harten Trennlinien sind. Die Strecke liegt somit teilweise in einem Bereich, in dem auch bei starkem Schwerverkehr, unübersichtlicher Linienführung und ungünstigen Fahrbahnquerschnitten, Fahrstreifen oder benutzungspflichtige Radwege in Betracht kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Einstufungen gem. 2.3.1 der ERA lediglich als nachvollziehbare Entscheidungsfindung auch bei schwierigen Abwägungsprozessen zu verstehen sind und ausreichend Handlungsspielraum für die Berücksichtigung situationsbezogener Besonderheiten lässt. Gem. 3.1 der Richtlinie (Radverkehr auf der Fahrbahn) ist Mischverkehr auf Fahrbahnen mit Breiten zwischen 6 und 7 m bei Kraftfahrzeugverkehrsstärken über 400 Kfz pro Stunde problematisch, während bei Fahrbahnbreiten von 7 m und mehr im Begegnungsfall mit ausreichendem Sicherheitsabstand überholt werden kann. Vorliegend betragen die Fahrbahnbreiten für den Bereich des T3.----rings O. 7,5 m, für den Bereich des T3.----rings T1. 7 m und für den teilweise mit 70 km/h ausgeschilderten Bereich des T3.----rings L1. 7,60 m.

Hinsichtlich der weitaus größten Teilstrecke des T3.----rings , für die eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h gilt, sieht die Richtlinie unter Berücksichtigung einer Spitzenbelastung von 1.700 Kfz pro Stunde eine Einstufung im mittleren Bereich des Belastungsbereiches III bzw. eine Einstufung im Grenzbereich zwischen den Belastungsbereichen II und III vor. Bei Betrachtung der oben angegebenen durchschnittlichen Verkehrsbelastung ergäbe sich eine Einstufung im Belastungsbereich II. Gem. Tabelle 8 kommt für diesen Belastungsbereich eine Kombination von Mischverkehr auf der Fahrbahn und "Gehweg" mit Zusatz "Radfahrer frei" sowie eine Kombination Schutzstreifen und vorhandener Radweg ohne Benutzungspflicht in Frage.

Des Weiteren ist nach Auffassung des Gerichts vorliegend zu berücksichtigen, dass die Richtlinien für den Neubau und die wesentliche Änderung von Straßen gelten sollen. Der hier bereits vorhandene Radweg zwingt die Straßenverkehrsbehörde nicht zu einer Entscheidung zwischen Mischverkehr mit Kraftfahrzeugen auf der Fahrbahn oder der Anlage eines benutzungspflichtigen Radweges, sondern lässt der Straßenverkehrsbehörde wie auch dem einzelnen Radfahrenden grundsätzlich die Möglichkeit, sich für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden.

Gehen somit die sachverständigen Wertungen der Richtlinie nicht ohne Weiteres davon aus, dass die hier von der Beklagten in Anspruch genommene Verkehrsdichte zu einer erheblichen, das allgemeine Risiko übersteigende Gefahrenlage i.S.d. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO führt, rechtfertigt vorliegend auch eine Prognose einer möglichen höheren Unfallhäufigkeit eine besondere Gefahrenlage nicht. Ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen und im Klageverfahren vorgelegten Auskünfte des Landrates als Kreispolizeibehörde H. ereigneten sich in den Jahren 2012 und 2013 (vor Anordnung der Radwegebenutzungspflicht) keine Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern, die vor dem Unfall auf der Fahrbahn des T3.----rings fuhren. In den Jahren 2012 und 2013 ereigneten sich 11 Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern, die vor dem Unfall auf den Radverkehrsanlagen bzw. Radwegen entlang des T3.----rings fuhren. Insgesamt ereigneten sich, wie in der Stellungnahme vom 28.08.2013 im Verfahren zur Anordnung der Radwegebenutzungspflicht ausgeführt, auf dem T.----ring 33 Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern. Dabei wurde ein Radfahrer tödlich, 7 Radfahrer schwer und 24 leicht verletzt. Auffällig seien 30 Verkehrsunfälle an den Knotenpunkten mit dem Unfalltyp Abbiegen und Einbiegen/Kreuzen. Nach der Stellungnahme vom 11.02.2015 ereigneten sich auf den Radverkehrsanlagen entlang des T3.----rings im Jahre 2014 5 Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern. Im Vergleich zu den Jahre 2012 und 2013 sei mit der Anordnung der Benutzungspflicht 2014 kein signifikanter Anstieg von Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Radfahrern auf den Radverkehrsanlagen des T3.----rings festzustellen. Aus diesen Stellungnahmen ergibt sich deutlich, dass sich alle Radfahrunfälle im Zuge der Benutzung der Radwege und nicht im Zuge der Benutzung der Fahrbahn ereignet haben und damit hinsichtlich der Frage der Prognose einer konkreten Gefahr kein Anhaltspunkt ersichtlich ist und war, der die Radwegebenutzungspflicht rechtfertigen würde.

Nach alledem hat die Beklagte, die insofern für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast trifft, nach Auffassung des Gerichts weder in der verkehrsbehördlichen Anordnung vom 20.01.2014 noch im weiteren Verlauf des Klageverfahrens Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Anordnung der Radewegebenutzungspflicht auf dem T.----ring aufgrund besonderer Umstände i.S.d. § 49 Abs. 1 Satz 1 StVO zwingend geboten ist.

Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StVO ausgehen würde, folgt aus diesen Vorschriften weiterhin, dass auch Maßnahmen im Bereich der Regelung des § 45 Abs. 9 StVO im Ermessen der zuständigen Behörde stehen. In ihrer Ermessensentscheidung hat sie die betroffenen bzw. widerstreitenden Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten umfassend gegeneinander abzuwägen und die Konfliktlage für alle Verkehrsteilnehmer zumutbar aufzulösen. Gem. § 114 Satz 1 VwGO ist die verwaltungsgerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 23.09.2010 - 3 C 37/09 - und vom 18.11.2010 - 3 C 42.09 - sowie Beschluss vom 16.04.2012 - 3 B 662.11 -, alle veröffentlicht in juris.

Hier ergibt sich weder aus den Verwaltungsvorgängen noch aus dem Vortrag der Beklagten im Klageverfahren, dass sie das von ihr in diesem Fall auszuübende Ermessen ausgeübt hat. Die angefochtene verkehrsbehördliche Anordnung vom 30.01.2014 enthält Ermessenserwägungen ersichtlich nicht. Vielmehr erschöpft sich die Anordnung in der Darstellung der - nach Auffassung der Beklagten - durch ein überdurchschnittlich hohes Verkehrsaufkommen gegebenen Voraussetzungen einer besonderen Gefahrenlage gem. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Die Beklagte hat ihr Ermessen auch nicht während des gerichtlichen Verfahrens zulässigerweise ausgeübt. Auch die Klageerwiderung lässt nicht erkennen, dass sich die Beklagte hinsichtlich der vorhandenen Radwege überhaupt oder zumindest hinreichend mit den bestehenden Gefahrenpotentialen, den Vorgaben der Verwaltungsvorschriften zur StVO sowie der Technischen Regelwerke auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage abgewogen hat, ob trotz der derzeitigen bestehenden Radwegssituation wegen der von ihr eingeschätzten besonderen Gefahrenlage für Fahrräder auf der Fahrbahn eine Nutzung des Radwegs dem Sicherheitsbedürfnis der Radfahrer allein oder besser entspricht. Die dortigen Ausführungen betreffen vielmehr ebenfalls ausschließlich die Frage, ob die ermessenseröffnenden Voraussetzungen vorliegen. Auch aus den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ergibt sich nichts anderes. Allein die Erklärung, die Beklagte habe bei Erlass der streitigen Anordnung ihr Ermessen ausgeübt und werde es auch weiterhin in der erfolgten Art und Weise ausüben, ersetzt eine Darlegung notwendiger Ermessenserwägungen nicht.

Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2017 - 8 A 1256/14 -, in: juris.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Lukas Jozefaciuk