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VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.02.2016 - 9 K 5134/15

1. Die spezielle Tilgungsbestimmung des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG in der bis zum Ablauf des 30.04.2014 anwendbaren Fassung (a.F.) ist auf Eintragungen über Fahrerlaubnisentziehungen in Folge mangelnder Eignung (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F.) nicht anwendbar.

2. Die Tilgung von Eintragungen über die Entziehung von Fahrerlaubnissen wegen Eignungsmangels (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F.) bemisst sich nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. i.V.m. § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F..

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 9 StVG) sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B, BE durch Ziffer 1 des Bescheids des Landratsamts Neckar-Odenwald-Kreis (im Folgenden: Landratsamt) vom 21.10.2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

1. a. Bei der von der Kammer zu treffenden Entscheidung über die Frage der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs sind die privaten Interessen des Antragstellers an der Verschonung vom sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den eingelegten Rechtsbehelf und das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsakts gegeneinander abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll, ein wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf aller Voraussicht nach als erfolgreich, so wird auch dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in aller Regel zu entsprechen sein. Denn an der sofortigen Durchsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Erweist sich der Rechtsbehelf hingegen als voraussichtlich erfolglos, so kommt regelmäßig dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung, das für Maßnahmen nach dem Punktsystem in § 4 Abs. 9 StVG seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat, der Vorrang zu (vgl. Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 21. Auflage 2015, § 80 Rn. 152a, 158).

b. Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis, denn der widerspruchsbefangene Bescheid erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Antragstellers wird daher voraussichtlich keinen Erfolg haben.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG in der zum Erlasszeitpunkt geltenden und seither unverändert gebliebenen Fassung. Danach hat die nach Landesrecht zuständige Behörde Inhabern einer Fahrerlaubnis, die wegen eines Punktestands von in der Summe acht oder mehr Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelten, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend voraussichtlich erfüllt, denn der Antragsteller wies zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Ordnungswidrigkeit am 01.07.2014 (Tattagprinzip, vgl. § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG) einen Punktestand von acht Punkten auf. Soweit der Antragsteller vorträgt, das Landratsamt hätte die am 12.11.2008 begangene und im (seinerzeitigen) Verkehrszentralregister mit sechs Punkten eingetragene Straftat (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) nicht nach Maßgabe des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG in das (neue) Fahreignungs-Bewertungssystem einordnen dürfen, so vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Denn entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers war die betreffende Eintragung nicht nach Maßgabe des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG i.V.m. § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30.04.2014 anwendbaren Fassung (§ 29 StVG a.F.) zu tilgen. Sie konnte daher auch im Fahreignungs-Bewertungssystem berücksichtigt werden.

Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG werden Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG in der bis zum Ablauf des 30.04.2014 anwendbaren Fassung (a.F.) im Verkehrszentralregister gespeichert worden und nicht von § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG erfasst sind, bis zum Ablauf des 30.04.2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG a.F. getilgt und gelöscht. Die Straftat vom 12.11.2008 wurde auf der Grundlage von § 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG a.F. im (seinerzeitigen) Verkehrszentralregister gespeichert; sie ist auch nicht von § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG erfasst. Denn diese Bestimmung bezieht sich auf Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG in der ab dem 01.05.2014 anwendbaren Fassung nicht mehr zu speichern wären und umfasst daher die auch nach neuem Recht zu speichernde Straftat vom 12.11.2008 nicht (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 1 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe s) StVG i.V.m. § 40 FeV i.V.m. Nr. 1.10 Anlage 13 zu § 40 FeV). Nach alledem bemisst sich die Tilgung und Löschung der Straftat vom 12.11.2008 nach § 29 StVG a.F.

Die Frist für die Tilgung der Straftat vom 12.11.2008 beträgt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) a.F. fünf Jahre. Da dem Antragsteller die Fahrerlaubnis bereits im Jahr 2008 wegen mangelnder Eignung entzogen wurde, begann die Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. erst mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 29.05.2009 zu laufen und wäre daher zum Zeitpunkt der letzten Ordnungswidrigkeit am 01.07.2014 bereits zu tilgen gewesen. Allerdings sind darüber hinaus die Be-stimmungen über die Fristhemmung zu beachten. Sind im Register mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a.F. über eine Person eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung - vorbehaltlich der vorliegend nicht weiter entscheidungserheblichen Sätze 2 bis 6 - erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (§ 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F.). Insoweit ist von Bedeutung, dass auf den Antragsteller noch die Entscheidung über die unanfechtbare Entziehung der Fahrerlaubnis vom 10.06.2008 eingetragen ist (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG a.F.). Die Kammer hat daher zu prüfen, wann die Eintragung der Fahrerlaubnisentziehung vom 10.06.2008 mit der Folge zu tilgen ist, dass auch die Straftat vom 12.11.2008 zu tilgen ist (vgl. § 29 Abs. 6 Satz 6 StVG a.F.).

Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers bemisst sich die Tilgung der Eintragung über die unanfechtbare Entziehung der Fahrerlaubnis nicht nach § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F., sondern nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. i.V.m. § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. Die entsprechende Eintragung ist daher nicht (schon) dann zu tilgen, wenn die letzte Eintragung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit getilgt ist; es gilt vielmehr eine Zehnjahresfrist, die mit dem Zeitpunkt der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 29.05.2009 begann. Die Straftat vom 12.11.2008 ist daher (erst) mit Ablauf des 29.05.2019 zu tilgen.

Die spezielle Tilgungsbestimmung des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. ist auf Eintragungen über Fahrerlaubnisentziehungen in Folge mangelnder Eignung nicht anzuwenden (i.E. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 29 StVG Rn. 5; Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 29a StVG a.F. Rn. 12; a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.07.2010 - 16 A 884/09 -, NZV 2011, 103 hinsichtlich der Parallelproblematik bei der Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe). Dies ergibt sich zunächst aus dem in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 07.02.1997 (BT-Drs. 13/6914, S. 75) klar artikulierten Willen, den sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht hat. Danach fällt die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht unter § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F., „weil hierfür generell die zehnjährige Frist vorgesehen ist“. Diese historisch-teleologische Auslegung, der bei zeitlich neuen Regelungen erhebliche Bedeutung beizumessen ist (vgl. nur BVerfG, Plenumsbeschluss vom 11.06.1980 - 1 PBvU 1/79 -, BVerfGE 54, 277 [297]), findet in Wortlaut und Systematik des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. auch seinen hinlänglichen Ausdruck (a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.07.2010 - 16 A 884/09 -, NZV 2011, 103). Zwar verweist § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. pauschal auf § 4 StVG a.F., woraus für sich genommen der Schluss gezogen werden könnte, dass auch Entziehungen der Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F.) erfasst sein sollen. Hiergegen spricht jedoch, dass § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. mit dem einleitenden Wort „sonst“ sprachlich an den vorstehenden § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F. anknüpft, der nur § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG a.F., nicht aber Nr. 3 in Bezug nimmt. Der pauschale Verweis des § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. auf § 4 StVG a.F. ist demnach im Lichte des § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F. zu lesen; dieser enge sprachliche und systematische Zusammenhang mit § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG a.F. mag auch erklären, weshalb es der Gesetzgeber einfachheitshalber in § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. mit einem pauschalen Verweis auf § 4 StVG a.F. hat bewenden lassen. Dass der Gesetzgeber - was die Kammer nicht in Abrede stellt - seinen Willen durch alternative Formulierungen in unmissverständlicher Weise hätte zum Ausdruck bringen können (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.07.2010 - 16 A 884/09 -, a.a.O. mit Formulierungsbeispielen), steht der gefundenen Auslegung nicht entgegen. Denn diese darf sich nicht einen idealen Gesetzgeber zum Maßstab machen, sondern hat im Rahmen des methodisch Vertretbaren auch bei der Auslegung sprachlich ungenau gefasster Normen dem gesetzgeberischen Willen Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfG, Plenumsbeschluss vom 11.06.1980 - 1 PBvU 1/79 -, a.a.O., S. 297 f.). Die Grenzen der Auslegung sind vorliegend aber nicht überschritten, weil - wie die grammatikalische und die systematische Auslegung ergeben haben - der gesetzgeberische Wille in § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. seinen - wenn auch nicht gänzlich zweifelsfreien - Ausdruck gefunden hat. Schließlich wird das vorliegend gefundene Auslegungsergebnis dadurch bestärkt, dass § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe b) StVG n.F i.V.m. § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG n.F. bei unanfechtbaren oder sofort vollziehbaren Entziehungen einer Fahrerlaubnis eine Tilgungsfrist von 10 Jahren vorsieht. Nach alledem ist § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG a.F. nicht einschlägig; rechtlicher Maßstab für die Tilgung der Eintragung über die Entziehung von Fahrerlaubnissen wegen Eignungsmangels ist vielmehr § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. i.V.m. § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 sowie Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dem Antragsteller wurde im Bescheid vom 21.10.2015 die Fahrerlaubnis der Klasse B, BE entzogen. Dies führt im Grundsatz zu einem Streitwert von 5.000 €, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Dieser Streitwert entspricht auch der Bedeutung, die der Antragsteller in seiner Antragsschrift dem Verfahren beigemessen hat.

Lukas Jozefaciuk