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VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.11.2018 - 9 K 4693/18

Maßgeblich für den Punktestand nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ist der Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes nach § 4 Abs. 8 StVG im Zeitpunkt der Bearbeitung.

Eine Zurechnung der Kenntnis anderen Behörden findet nicht statt (BVerwG).

Urteil vom 26. Januar 2017, (3 C 21/95)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der am geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 8-Punkte-Grenze.

Aus dem Fahrerlaubnisregister und dem Verwaltungsvorgang ergibt sich im Wesentlichen folgender Geschehensablauf:

Bl.

Vorgang

Pkte.

Tattag

Entscheidung

Rechtskraft

Eintragung

Tilgung

Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 Km/h innerorts

10.05.15

12.08.15

01.09.15

14.09.15

01.03.18

Geschwindigkeitsüberschreitung um 22 Km/h außerorts

18.01.16

23.03.16

13.04.16

29.04.16

13.10.18

Missachtung des Rotlichts

26.02.16

16.03.16

29.08.16

17.10.16

29.08.21

Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 Km/h innerorts

31.08.16

21.09.16

13.10.16

31.10.16

13.04.19

11

Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG wegen Erreichens von vier Punkten, datiert vom 27.10.16, zugestellt (PZU) am 04.11.16

24

Geschwindigkeitsüberschreitung um 53 Km/h außerorts in Tateinheit mit verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons

10.12.16

11.09.17

07.02.18

26.04.18

07.02.23

27

Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 Km/h innerorts

29.09.17

25.10.17

16. 04.18

14.05.18

16.10.20

28

Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG wegen Erreichens von 7 Punkten (nach Reduktion von 9), datiert vom 30.05.18, zugestellt (PZU) am 08.06.18

31

"Widerspruch" gegen die Verwarnung: Bei der Errechnung von 9 Punkten sei der Verstoß vom 10.12.16 fälschlich mit 4 Punkten angesetzt worden

42

Aufhebung der am 08.06.18 zugestellten Verwarnung

44

Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG wegen Erreichens von 7 Punkten, datiert vom 18.06.18, zugestellt (PZU) am 20.06.18

47

Mitteilung eines Standes von acht Punkten durch das Kraftfahrtbundesamt, datiert vom 11.06.18, bei der Beklagten als eingegangen gestempelt am 19.06.18

58

Verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons

07.04.18

26.04.18

23.05.18

11.06.18

23.11.20

Mit Schreiben datiert vom 26. Juni 2018 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Beklagten "Rechtsmittel" gegen die Verwarnung vom 18. Juni 2018 ein. Die darin mitgeteilten insgesamt 7 Punkte seien offenkundig fehlerhaft errechnet. Wegen der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons habe der Kläger am 7. April 2018 einen weiteren Punkt erworben, der am 11. Juni 2018 in das Fahrerlaubnisregister eingetragen worden und der Beklagten damit bekannt gewesen sei. Richtigerweise hätte der Kläger deshalb darüber unterrichtet werden müssen, dass er 8 Punkte erreicht habe, sein Punktestand jedoch wegen der bis dahin fehlenden Verwarnung auf 7 Punkte reduziert werde.

Mit Schreiben datiert vom 27. Juni 2018 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 8-Punkte-Grenze an. Sein Prozessbevollmächtigter nahm mit Schreiben vom 5. Juli 2018 Stellung, in dem er im Wesentlichen auf den Schriftsatz vom 26. Juli 2018 verwies.

Mit Bescheid vom 20. August 2018 entzog die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 8-Punkte-Grenze, forderte ihn auf, seinen Führerschein unverzüglich bei ihr abzugeben, und drohte, für den Fall, dass er dieser Verpflichtung nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung nachkomme, ein Zwangsgeld i.H.v. 500,00 € an. Für die Amtshandlung erhob sie Gebühren i.H.v. 150,00 € für die Entziehung der Fahrerlaubnis und 1,00 € für die Meldung an das zentrale Fahrerlaubnisregister. Außerdem verlangte sie den Ersatz von Auslagen i.H.v. 3,45 € für die Zustellung des Bescheids.

Zur Begründung der Entziehung der Fahrerlaubnis verweist die Beklagte auf Verkehrszuwiderhandlungen vom 18. Januar 2016, 26. Februar 2016, 31. August 2016, 10. Dezember 2016, 3. April 2017, 29. September 2017 und 7. April 2018. Aufgrund dieser Verstöße müsse die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG entzogen werden. Die Stellungnahme im Anhörungsverfahren rechtfertige kein anderes Ergebnis. Nach § 4 Abs. 5 StVG habe die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen der Maßnahmen nach dem Fahreignungssystem auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben habe. Bei der Berechnung des Punktestandes seien Zuwiderhandlungen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien. Gemäß § 4 Abs. 6 StVG erhöhten Zuwiderhandlungen den Punktestand auch dann, wenn sie bereits vor der Verwarnung begangenen worden seien, die Behörde aber erst danach Kenntnis von ihnen erhalten habe.

Bezüglich der für die Entziehung der Fahrerlaubnis erhobenen Gebühr verweist die Beklagte auf Ziffer 206 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr. Die festgesetzten 150,00 € lägen innerhalb des dort vorgesehenen Gebührenrahmens von 33,20 € bis 256,00 €. Bei der Festsetzung sei nach § 9 VwKostG der mit der Amtshandlung verbundenen Verwaltungsaufwand angemessen berücksichtigt worden. Es sei auf den Einzelfall und dabei neben dem Verwaltungsaufwand auf die Bedeutung, den wirtschaftlichen Wert und den sonstigen Nutzen der Amtshandlung abgestellt worden. Die Bearbeitung des Falles sei als mittelschwer zu bewerten. Die im Fahreignungsregister eingetragenen Verkehrsverstöße seien auszuwerten gewesen, was einen gegenüber der einfachen Sachbearbeitung erhöhten Arbeitsaufwand bedeutet habe.

Die Ordnungsverfügung wurde dem Kläger am 24. August 2018 über seinen Prozessbevollmächtigten zugestellt.

Mit Schreiben vom 27. August 2018 machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, die in der Ordnungsverfügung angeführten Verkehrszuwiderhandlung vom 3. April 2017 habe der Kläger nicht begangen. Im Fahrerlaubnisregister sei eine solche Verkehrszuwiderhandlung nicht aufgeführt.

Mit Verfügung vom 31. August 2018, dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 5. September 2018, korrigierte die Beklagte die Ordnungsverfügung, indem sie auf Verkehrszuwiderhandlungen vom 18. Januar 2016, 26. Februar 2016, 31. August 2016, 10. Dezember 2016, 29. September 2017 und 7. April 2018 verwies.

Am 13. September 2018 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er im Wesentlich vor: Die Stufenfolge des § 4 Abs. 5 StVG sei nicht eingehalten worden. Aufgrund diverser Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr habe er im Zeitraum zwischen dem 23. März 2016 und dem 26. April 2018 insgesamt 8 Punkte erreicht, ohne dass die Beklagte ihn nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG wirksam verwarnt habe. Die fehlerhafte Verwarnung vom 30. Mai 2018 habe sie aufgehoben. Unter dem 18. Juni 2018 habe sie ihn wegen Erreichens von 7 Punkten verwarnt, ohne den zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Zuwiderhandlung vom 7. April 2018 bereits erworbenen und im Fahreignungsregister am 11. Juni 2018 gespeicherten achten Punkt zu berücksichtigen. Darauf, dass ihr dieser achte Punkt im Zeitpunkt der Verwarnung nicht bekannt gewesen sei, könne sich die Beklagte wegen des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben nicht berufen. Der Punkt sei von der Bußgeldbehörde der Beklagten an das Fahrerlaubnisregister gemeldet und dort am 11. Juni 2018 gespeichert worden. Wenn es nun darauf ankäme, wann das Kraftfahrtbundesamt diesen Punkt an die Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten gemeldet habe, widerspreche dies Treu und Glauben. Bußgeldbehörde und Fahrerlaubnisbehörde sei nach dem Rechtsträgerprinzip die Beklagte. Im Gesetz heiße es, dass es auf die Kenntnis der Führerscheinstelle ankomme. Damit sei nicht die Kenntnis des individuellen Sachbearbeiters gemeint, sondern die der Behörde. Wenn keine Weitergabe der Erkenntnisse der Bußgeldbehörde der Beklagten an die Führerscheinstelle der Beklagten erfolge, könne dies nicht zu Lasten des Klägers gehen. Ein Organisationsverschulden sei der Beklagten, nicht dem Kläger anzulasten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2018 in der berichtigten Form vom 31. August 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Dem Einwand des Klägers, dass die letzte Eintragung im Fahreignungsregister mit Tattag vom 7. April 2018, beim Kraftfahrtbundesamt gespeichert am 11. Juni 2018, bei der Verwarnung vom 18. Juni 2018 hätte berücksichtigt werden müssen, folge sie nicht. Zwar sei zutreffend, dass die zu Grunde liegende Entscheidung auch durch die Stadt Essen getroffen worden sei, jedoch handele es sich bei der Bußgeldbehörde und der Fahrerlaubnisbehörde um komplett getrennte "Organisationshoheiten", die in keinem direkten Kontakt zueinander stünden. Vielmehr sei das Kraftfahrtbundesamt verpflichtet, die von allen Bußgeldbehörden und Gerichten übersandten Entscheidungen an die Fahrerlaubnisbehörden zu übermitteln. Die mit Datum vom 11. Juni 2018 gespeicherte letzte Tat sei erst am 19. Juni 2018, also einen Tag nach der Versendung der Verwarnung, bei der Fahrerlaubnisbehörde eingegangen und habe deshalb bei der Verwarnung nicht berücksichtigt werden können. Nach § 4 Abs. 6 S. 4 StVG erhöhe sich selbst bei einer Verringerung des Punktestands bei nachträglich bekannt gegebenen Zuwiderhandlungen der sich ergebende Punktestand entsprechend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Gründe

Die Einzelrichterin ist zuständig, nachdem ihr der Rechtsstreit mit Beschluss der Kammer vom 2. Oktober 2018 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Voraussetzungen der § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG sind erfüllt.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG ist die Fahrerlaubnis - zwingend - zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich für ihn im Fahrereignungsregister acht oder mehr Punkte ergeben. Diese Voraussetzung ist für den Kläger erfüllt.

Bei der Berechnung der Punkte ist die Beklagte nach § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG an die ihr durch das Kraftfahrtbundesamt mitgeteilten rechtskräftigen Entscheidungen gebunden. Sie hat die eingetragenen Verstöße jeweils zutreffend nach § 40 in Verbindung mit der Anlage 13 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) mit Punkten bewertet.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 hat die Beklagte den Kläger nach gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ordnungsgemäß ermahnt, als er die Maßnahmenstufe von vier bis fünf Punkten - nämlich fünf aufgrund der Verkehrszuwiderhandlungen vom 10. Mai 2015, 18. Januar 2018, 26. Februar 2016 und 31. August 2016 - erreicht hatte.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Beklage bei Abfassen der Verwarnung am 27. Oktober 2016 noch von einem Punktestand von vier ausging, weil der mit der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 31. August 2016 erworbene Punkt erst am 31. Oktober 2016 im Fahrerlaubnisregister gespeichert und ihr erst nach diesem Zeitpunkt mitgeteilt worden war. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt der Bearbeitung nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrtbundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, juris Rn. 22 ff. = BVerwGE 157, 235.

Ob seit der letzten Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts an die Fahrerlaubnisbehörde bereits weitere Punkte hinzugekommen sind, ist unerheblich.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 4 Rn. 71 m.w.N.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Funktion der Maßnahmenstufen.

Im bis zum 30. April 2014 geltenden Mehrfachtäter-Punktsystem hatte das Bundesverwaltungsgericht der Stufenfolge in § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG eine "Warnfunktion" beigemessen und daraus hergeleitet, dass die Maßnahmen den Fahrerlaubnisinhaber "möglichst frühzeitig und insbesondere noch vor Eintritt in die nächste Stufe erreichen" sollten, damit ihm die "Möglichkeit der Verhaltensänderung" effektiv eröffnet werde.

vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 3 C 3.07 -, juris Rn. 33 = BVerwGE 132, 48.

Selbst wenn sich aus dieser Warnfunktion für die alte Rechtslage - namentlich für die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG a.F. - ergeben haben sollte, dass die Maßnahmenstufe nur dann ordnungsgemäß durchlaufen war, wenn der von der Behörde ihrem Kenntnisstand entsprechend zugrunde gelegte Punktestand auch im Zeitpunkte des Zugangs beim Betroffenen noch zutreffend war,

vgl. dagegen etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2014 - 12 LB 46/13 -, juris Rn. 22, 23 ("Die Beklagte war nicht gehalten, vor Erlass der Verwarnung erneut beim Kraftfahrt-Bundesamt nachzufragen, ob zwischenzeitlich weitere Eintragungen erfolgt sind." und "Aus den dargelegten Gründen müssen die Angaben etwa in der Verwarnung nicht den Eintragungen im Verkehrszentralregister entsprechen.").

so gilt dies nach der gesetzlichen Neuregelung jedenfalls nicht mehr. Von der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten "Warnfunktion" der Maßnahmenstufen hat sich der Gesetzgeber für das seit dem 1. Mai 2014 geltende Fahreignungs-Bewertungssystem bewusst abgesetzt. Bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von Punkten durch innerhalb kurzer Zeit begangene Verkehrsverstöße als ungeeignet erwiesen haben, sollen die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Die Erziehungswirkung liege - so der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Begründung der vorgeschlagenen und im Gesetzgebungsverfahren angenommenen Änderungen des Regierungsentwurfs - dem Gesamtsystem als solchem zu Grunde, während die Stufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienten. Die Maßnahmen stellten somit lediglich eine Information über den Stand im System dar. Maßgeblich sei der Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung.

Vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 9 f.; BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, juris Rn. 23 = BVerwGE 157, 235.

Dieser Funktion zur schlichten Information entspricht, dass Ermahnung und Verwarnung kein Verwaltungsakt sein, weil sei keine Regelung treffen, und der mitgeteilte Punktestand nicht in Rechtskraft erwächst.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 4 Rn. 72.

Entgegen der Auffassung des Klägers muss sich die Fahrerlaubnisbehörde auch nicht das Wissen einer ihr im Maßnahmensystem vorgelagerten Stelle - etwa des Kraftfahrtbundesamts oder der die Entscheidungen an das Kraftfahrtbundesamt übermittelnden Bußgeldstelle - zurechnen lassen.

Eine Zurechnung von Wissen liefe der Konzeption des Gesetzgebers zuwider, nach der gerade auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde als der gemäß Landesrecht zuständigen Behörde nach der aufgrund von § 4 Abs. 8 StVG erfolgten Mitteilung der Eintragungen durch das Kraftfahrtbundesamt abgestellt werden soll.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, juris Rn. 26 = BVerwGE 157, 235.

Etwas anderes gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch dann nicht, wenn es sich um Eintragungen von Entscheidungen handelt, die die Bußgeldstelle der beklagten Gebietskörperschaft getroffen hat, wenn also die Bußgeldstelle, um deren Entscheidung es geht, und die Fahrerlaubnisbehörde demselben Rechtsträger unterstehen. Der vom Kläger angeführte, zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts gehörende Grundsatz von Treu und Glauben,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 2004 - 4 B 17/04 -, juris,

gebietet auch innerhalb eines Rechtsträgers nicht, der zuständigen Behörde die Kenntnis einer nicht zuständigen zuzurechnen. Selbst innerhalb einer Behörde hat der Große Senat des Bundesverwaltungsgericht es abgelehnt, dem nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zuständigen Amtswalter die Kenntnis eines nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung nicht zuständigen zuzurechnen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - GrSen 1/84, GrSen 2/84 -, juris Rn. 22.

Etwas anderes könnte ausnahmsweise dann gelten, wenn ein Berufen auf die Unkenntnis wegen besonderer Umstände des Einzelfalls als rechtsmissbräuchlich einzustufen wäre. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn die Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts nicht nur verzögert erfolgt, sondern die Verzögerung willkürlich geschieht mit dem Ziel, eine Punktereduktion zu verhindern.

Vgl. BayVGH, Beschluss vom 28. April 2016 - 11 CS 16.537 -, juris Rn. 13; offenlassend: BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, juris Rn. 26 = BVerwGE 157, 235.

Darauf kommt es hier aber nicht an. Anhaltspunkte für einen solchen Rechtsmissbrauch bestehen nicht.

Die nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG bei einem Punktestand von 6 bis 7 vorzunehmende Verwarnung hat die Beklagte mit dem Schreiben vom 18. Juni 2018 ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt waren der Beklagen aufgrund der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 14. Mai 2018 7 Punkte bekannt.

Mit der Zuwiderhandlung vom 10. Dezember 2016, rechtskräftig geahndet seit dem 7. Februar 2018, waren zu den bis dahin 5 Punkten nämlich 2 weitere dazugekommen. Am 1. März 2018 trat die Tilgung des für die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 10. Mai 2015, rechtskräftig geahndet seit dem 1. September 2015, erworbenen Punktes ein. Damit fiel der Kläger auf 6 Punkte zurück. Diese Tilgung hat die Beklagte zutreffend zugunsten des Klägers berücksichtigt. Diese Zuwiderhandlung wird in der Verwarnung nicht berücksichtigt. Aufgrund der Zuwiderhandlung vom 29. September 2017, rechtskräftig geahndet seit dem 16. April 2018, erwarb der Kläger einen weiteren, nämlich siebten, Punkt.

Darauf, dass der Kläger im Zeitpunkt der Bearbeitung der vom 18. Juni 2018 datierten Verwarnung wegen der Zuwiderhandlung vom 7. April 2018, rechtskräftig geahndet seit dem 23. Mai 2018, bereits einen weiteren - achten - Punkt erworben hatte, kommt es nicht an. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG sind - wie ausgeführt - die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt der Bearbeitung nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrtbundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21/15 -, juris Rn. 22 ff. = BVerwGE 157, 235.

Dieser achte Punkt war der Beklagten im Zeitpunkt der Bearbeitung der Verwarnung nicht bekannt. Die Mitteilung des Kraftfahrtbundesamts hat sie - ausweislich des Eingangsstempels - erst am 19. Juni 2018 erhalten. Eine Zurechnung der Kenntnis der Bußgeldstelle findet - wie ausgeführt - nicht statt.

Die Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG ist damit ordnungsgemäß erfolgt. Eine Punktereduktion nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG kommt dem Kläger deshalb nicht zugute. Die Beklagte ist zu Recht von einem Stand von acht Punkten ausgegangen.

Die in der Ordnungsverfügung enthaltene Aufforderung, den Führerschein unverzüglich bei der Beklagten abzugeben findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG.

Die zugehörige Zwangsgeldandrohung genügt den Anforderungen der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 Abs. 1 VwVG NRW und begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Gebührenfestsetzung begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Lukas Jozefaciuk