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VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.02.2018 - 7 L 3474/17

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktesystem

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 12092/17 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. November 2017 anzuordnen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ? VwGO ? kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung u.a. in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3, in denen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kraft Bundesrechts entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Im vorliegenden Fall entfaltet die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. November 2017 kraft Bundesrechts keine aufschiebende Wirkung, § 4 Abs. 9 des Straßenverkehrsgesetzes in der seit dem 5. Dezember 2014 geltenden Fassung - StVG n.F. -. Ferner kann das Gericht der Hauptsache nach § 112 Satz 2 des Justizgesetzes NRW - JustG NRW - i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des § 112 Satz 1 JustG NRW ganz oder teilweise anordnen. Nach § 112 Satz 1 JustG NRW haben Rechtsbehelfe, die sich gegen Maßnahmen einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung richten, keine aufschiebende Wirkung. Die Zwangsgeldandrohung in der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. November 2017 ist eine Maßnahme einer Vollzugsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung.

Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung („kann“) fällt zulasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung vom 7. November 2017 ist offensichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer zunächst auf die Ausführungen in der angegriffenen Ordnungsverfügung, denen sie - im Wesentlichen - folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). In Ergänzung bzw. Abweichung dazu ist Folgendes auszuführen:

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG n.F. ergeben sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des Punktestandes ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. der Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Da die letzte Tat am 28. September 2016 begangen wurde, ist dieser Tag maßgeblich.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen, da im Fahreignungs-Bewertungssystem zum maßgeblichen Zeitpunkt am 28. September 2016 acht Punkten eingetragen waren. Zwar ist der Antragsgegner dabei zu Unrecht von neun Punkten ausgegangen, da er seiner Berechnung die Aufstellung auf Bl. 238 f. der Verwaltungsvorgänge zugrunde gelegt hat, ohne dabei die von ihm selbst am 10. März 2015 erfolgte Rückstufung auf (umgerechnete) fünf Punkte zu berücksichtigen. Die Kammer hat die Berechnung nachvollzogen und - im Übrigen - hierbei keinen Fehler festgestellt. Der Punktestand im Fahreignungs-Bewertungssystem entwickelte sich wie folgt:

Durch den Geschwindigkeitsverstoß am 6. April 2013 (Rechtskraft der Entscheidung: 23. August 2013) wurden für den Antragsteller drei Punkte eingetragen. Aufgrund der verbotswidrigen Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs am 23. Dezember 2013 (Rechtskraft: 11. Februar 2014) erhöhte sich der Stand um einen Punkt auf nun vier Punkte. Aufgrund eines Geschwindigkeitsverstoßes am 17. September 2013 (Rechtskraft 19. März 2014) wurden für den Antragsteller drei weitere Punkte eingetragen. Wegen der verbotswidrigen Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeuges am 20. Februar 2014 (Rechtskraft: 29. März 2014) erhöhte sich der Stand um einen Punkt auf nun acht Punkte. Zum 1. Mai 2014 war der Gesamtpunktestand von acht Punkten (alt) auf vier Punkte (neu) umzurechnen (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F.). Der Geschwindigkeitsverstoß vom 23. Oktober 2014 (Rechtskraft: 28. Januar 2015) führte zu einer weiteren Erhöhung um zwei Punkte auf sechs Punkte. Aufgrund der bis zu diesem Zeitpunkt unterbliebenen Ermahnung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F., die bei einem Punktestand von vier oder fünf Punkten vorgesehen ist, reduzierte sich der Punktestand gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG auf fünf Punkte (vgl. Bl. 174 und 191 der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners). Der Antragsgegner ermahnte den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG n.F. mit Schreiben vom 10. März 2015 und wies ihn auf die Möglichkeit des freiwilligen Besuchs eines Fahreignungsseminars nach § 4a StVG n.F. hin. Aufgrund des Geschwindigkeitsverstoßes am 17. August 2015 (Rechtskraft: 6. November 2015), welcher mit einem Punkt geahndet wurde, belief sich das Punktekonto des Antragstellers auf sechs Punkte. Der Antragsgegner verwarnte den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG n. F. mit Schreiben vom 4. Dezember 2015 und wies ihn auf die Möglichkeit des freiwilligen Besuchs eines Fahreignungsseminars nach § 4 Buchst. a StVG n. F. sowie die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis hin. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist ihm die Verwarnung ausweislich der Zustellungsurkunde (vgl. Bl. 197 f. der Verwaltungsvorgänge) zugestellt worden, nämlich im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 11. Dezember 2015. Die Zustellurkunde als öffentliche Urkunde erbringt insoweit grundsätzlich vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Soweit der Antragsteller schlicht behauptet, die Verwarnung nicht erhalten zu haben, ist dies nach summarischer Prüfung nicht geeignet, den beurkundeten Vorgang durchgreifend infrage zu stellen.

Aufgrund des Geschwindigkeits- und Abstandsverstoßes am 28. September 2016 (Rechtskraft: 27. Juni 2017), für den ein Punkt einzutragen war, sowie des Geschwindigkeitsverstoßes am 18. September 2016 (Rechtskraft: 26. August 2017), der mit einem Punkt geahndet wurde, wies das Punktekonto des Antragstellers die von § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n.F. für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgesetzten acht Punkte auf.

Alle vorgenannten Verkehrsverstöße sind auch noch verwertbar. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 StVG n.F. werden Zuwiderhandlungen nur berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfristen zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. genannten Zeitpunkt, hier also am 28. September 2016, noch nicht abgelaufen waren. Für die Tilgung sämtlicher, bis zum 1. Mai 2014 eingetragener Verstöße des Antragstellers ist gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG n.F. die Tilgungsvorschrift in § 29 StVG a.F. maßgeblich, da die Verstöße nach § 28 Abs. 3 StVG a.F. gespeichert worden sind und auch nach § 28 Abs. 3 StVG n.F. zu speichern wären. Nach diesem Maßstab ist die Tilgungsfrist für sämtliche dieser Verstöße noch nicht abgelaufen. Maßgeblich ist, dass für die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 7. August 2008 eine zehnjährigen Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F. gilt.

Vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 29 StVG Rn. 5 m.w.N.

Durch diese Eintragung ist der Ablauf der Tilgungsfrist sämtlicher danach bis zum 1. Mai 2014 eingetragener Verstöße gehemmt. Denn nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. ist die Tilgung einer Eintragung, wenn mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a.F. über eine Person im Verkehrszentralregister eingetragen sind, vorbehaltlich der Regelungen in § 29 Abs. 6 Satz 2 bis 6 StVG a.F. erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Abweichend davon sieht § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG a.F. die Tilgung von Ordnungswidrigkeiten (mit Ausnahme von § 24a StVG) jeweils spätestens mit Ablauf von fünf Jahren seit der Rechtskraft der betreffenden Entscheidung vor. Vor diesem Hintergrund tritt Tilgungsreife bzgl. der ältesten Eintragung wegen einer Ordnungswidrigkeit (Tattag: 6. April 2013, Rechtskraft 23. August 2013) erst mit Ablauf des 23. August 2018, fünf Jahre nach deren Rechtskraft, ein und war mithin im für die Entziehung maßgeblichen Zeitpunkt, dem 28. September 2016, noch verwertbar. Ebenso waren auch die übrigen zeitlich nach dieser Tat und bis zum 30. April 2014 erfolgten Eintragungen im maßgeblichen Zeitpunkt noch verwertbar, da deren Tilgungsreife erst zeitlich danach, jeweils fünf Jahre nach deren Rechtskraft, eintritt.

Auch die Eintragungen zu Ordnungswidrigkeiten nach dem 30. April 2014 waren im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht gemäß § 29 Abs. 1 StVG n.F. getilgt, da für sämtliche Taten die nach § 29 Abs. 1 Satz 2 StVG n. F. maßgeblichen Tilgungsfristen ? von mindestens zwei Jahren und sechs Monaten - zum 28. September 2016 noch nicht abgelaufen sein konnten.

Des Weiteren ist auch das Stufenverfahren nach § 4 Abs. 5 StVG n.F. - wie dargelegt - durch die Ermahnung und Verwarnung ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Die vom Antragsgegner verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis war gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. zwingend. Ein Ermessen steht dem Antragsgegner nicht zu.

Die in der Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG n.F.) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Zwangsgeldandrohung entspricht den Anforderungen von §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und ist rechtmäßig.

Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

So auch: OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 ? 16 B 74/15 ?, juris, m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Es entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 ? 16 E 550/09 ?, juris,

für die Entziehung der Fahrerlaubnis den halben Auffangstreitwert festzusetzen.

Lukas Jozefaciuk