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OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.12.2015 - OVG 6 A 8.15

Das Risiko eines terroristischen Angriffs auf ein ziviles Luftfahrzeug oder eines unbeabsichtigten Beschusses in einer Konfliktzone begründet keine betriebsbedingte Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs im Sinne des § 29 Abs. 1 LuftVG.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt der Bescheide vom 30. März 2015 und 2. April 2015 betreffend das Verbot von An- und Abflügen und Starts und Landungen am Erbil International Airport war rechtswidrig.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine deutsche Fluggesellschaft, die Linienflüge mit deutsch registrierten Luftfahrzeugen von Deutschland und Schweden u. a. nach Erbil in den Nordirak (autonome Region Kurdistan) durchführt.

Die Beklagte verbot mit Allgemeinverfügung vom 16. März 2015, befristet bis zum 30. März 2015, alle An- und Abflüge sowie Starts und Landungen am Erbil International Airport für Luftfahrzeugführer, Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeughalter u. a. eines in der deutschen Luftfahrzeugrolle eingetragenen Luftfahrzeugs und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit dieses Verbots an. Ausnahmen galten nach der Allgemeinverfügung lediglich für Notlagen und humanitäre Hilfsflüge. Die Beklagte stütze die Allgemeinverfügung auf § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftVG und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Sicherheitslage am Erbil International Airport derzeit aufgrund eines Raketenbeschusses durch Milizen der Terrororganisation des Islamischen Staates im näheren Umfeld des Flughafens nicht verlässlich eingeschätzt werden könne. Eine Gefährdung von Luftfahrzeugen sei hinreichend wahrscheinlich, da ein weiterer Beschuss nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Es bestehe somit ein erhebliches Schadensrisiko für den Luftverkehr. In den nächsten Tagen sei von einer konkreten Gefahrenlage für Leib und Leben von Menschen an Bord deutscher Luftfahrzeuge, die den Flughafen nutzten, auszugehen. Das Verbot sei ein geeignetes Mittel zur Abwehr von betriebsbedingten Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs. Da § 26 LuftVG nicht die Sperrung ausländischer Flugräume erlaube, könne die Sicherheit des Luftverkehrs nur durch eine luftpolizeiliche Verfügung nach § 29 LuftVG garantiert werden, die in Form einer Betriebsanweisung nach § 1 a Abs. 1 LuftVG für deutsche Luftfahrzeuge auch im Ausland gelte. Die Maßnahme sei verhältnismäßig und stehe unter dem Vorbehalt fortdauernder Überprüfung der Gefährdungslage.

Mit weiterer Allgemeinverfügung vom 30. März 2015 verlängerte die Beklagte das Verbot mit gleichlautender Begründung befristet bis zum 14. April 2015. Am 2. April 2015 widerrief sie das Verbot mit der Begründung, dass zurzeit keine Hinweise oder Tatsachen vorlägen, aus denen sich eine konkrete Gefährdung ergebe. Insbesondere sei ein erneuter Raketenbeschuss durch den IS, wie er am 15. März 2015 erfolgt sei, nicht mehr unmittelbar zu erwarten.

Die Klägerin hat am 28. April 2015 bei dem in der Rechtsmittelbelehrung der Bescheide jeweils angegebenen Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben, das den Rechtsstreit in der Annahme einer sachlichen Zuständigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO an das Oberverwaltungsgericht verwiesen hat. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Flugverbote zulässig. Die Einhaltung einer Klagefrist sei nicht erforderlich. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse folge aus der Wiederholungsgefahr. Sie fliege weiterhin im Linienverkehr nach Erbil und die politische Situation in dieser Region habe sich bislang nicht wesentlich geändert, was sich u. a. daran zeige, dass die Beklagte unter dem 23. November 2015 erneut ein Flugverbot verfügt habe. Gegen diese Allgemeinverfügung habe sie bislang keine Anfechtungsklage erhoben, weil sie aufgrund ihrer eigenen Einschätzung der derzeitigen Gefährdungslage ohnehin nicht beabsichtige, gegenwärtig Flüge in das betreffende Gebiet durchzuführen. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich der erledigten Flugverbote entfalle somit nicht deshalb, weil sie gegen das neuerliche Verbot keine Anfechtungsklage erhoben habe.

Die Klage sei auch begründet, weil § 29 Abs. 1 LuftVG keine geeignete Ermächtigungsgrundlage für das hier ausgesprochene Flugverbot sei. Nach heutiger Gesetzeslage könnten über § 29 Abs. 1 LuftVG nur betriebsbedingte Gefahren abgewehrt werden, während der Bereich der äußeren Gefahren im Luftsicherheitsgesetz abschließend geregelt sei. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzeshistorie. Der Gesetzgeber habe die bisher im Luftverkehrsgesetz zersplitterten und mit fremden Regelungsmaterien verbundenen Bestimmungen zur Abwehr äußerer Gefahren für die Luftsicherheit im Luftsicherheitsgesetz zusammenfassen wollen und habe in diesem Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben den Anwendungsbereich des § 29 LuftVG auf betriebsbedingte Gefahren beschränkt. Eine Gefahr für die Luftfahrt durch möglichen Raketenbeschuss sei eine äußere Gefahr unabhängig davon, ob es sich um einen gezielten oder einen unbeabsichtigten Beschuss handele. Eine betriebsbedingte, also der Luftfahrt immanente, aus internen flugbetriebstechnischen Abläufen resultierende Gefahr i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG könne die Beklagte nicht dadurch konstruieren, dass die der Gefährdung zugrunde liegende äußere Gefahr durch Raketenbeschuss zu einer betriebsbedingten Gefahr umdeklariert werde, indem an das Handeln des Piloten, der den gefährdeten Luftraum durchfliegt, angeknüpft werde. Hier gehe die Gefahr von einem von außen möglicherweise erfolgenden Raketenbeschuss auf das Flugzeug durch Dritte aus, deren Verhalten polizeipflichtig sei. Sie sei hingegen weder Verhaltens- noch Zustandsstörerin. Unabhängig davon fehle es an einer nach § 29 Abs. 1 LuftVG erforderlichen konkreten Gefahr im polizeirechtlichen Sinne. Vage Anhaltspunkte reichten dafür nicht aus; ebenso nicht das bloße Risiko eines Raketenbeschusses. Den Unterlagen der Beklagten sei zu entnehmen, dass seit dem 20. März 2015 mehrfach ein Lagebericht vom Bundesnachrichtendienst angefordert, jedoch bis zum 30. März 2015 nicht übersandt worden sei. Das Verbot sei überdies unverhältnismäßig. Andere Ermächtigungsgrundlagen stünden nicht zur Verfügung, namentlich nicht § 3 LuftSiG, weil der handelnden Behörde insoweit die sachliche Zuständigkeit fehle und die Vorschrift nicht außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland gelte.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt der Bescheide vom 30. März 2015 und 2. April 2015 betreffend das Verbot von An- und Abflügen und Starts und Landungen am Erbil International Airport rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage hinsichtlich der Allgemeinverfügung vom 16. März 2015 bereits für unzulässig, weil sie nicht die Klagefrist wahre. Jedenfalls sei sie insgesamt unbegründet, weil die in Rede stehenden Allgemeinverfügungen rechtmäßig gewesen seien. § 29 Abs. 1 Satz 2 LuftVG sei eine geeignete Ermächtigungsgrundlage. Vorrangige Spezialklauseln seien nicht einschlägig. Der Tatbestand der Norm sei erfüllt. Hier habe eine konkrete Gefahr bestanden. Am 15. März 2015 sei ein Beschuss mit ungelenkten Raketen aus einem vom sogenannten Islamischen Staat kontrollierten Gebiet auf den Großraum Erbil erfolgt. Ein Einschlag sei in ca. 6 km Entfernung vom Flughafen registriert worden. Es habe die Vermutung bestanden, dass es sich um Grad-Artillerie-Raketen gehandelt habe mit einer Reichweite von ca. 40 km. Dieser Artilleriebeschuss habe eine Verschlechterung der Sicherheitslage auf dem Gebiet der kurdischen Regionalregierung dargestellt. Am Erbil International Airport habe es kein Abwehrsystem gegen diese Art von Beschuss gegeben. Ein weiterer Beschuss habe nicht ausgeschlossen werden können. Bis zum 30. März 2015 hätten keine neuen Erkenntnisse vorgelegen, die das bisherige Lagebild geändert hätten. Erst unter Berücksichtigung einer aktuellen Lageeinschätzung des Bundesnachrichtendienstes sei die Gefährdung am 2. April 2015 herabgestuft worden. Es habe sich um eine betriebsbedingte Gefahr gehandelt. Mit dem Erlass des Luftsicherheitsgesetzes sei eine Abgrenzung zwischen dem Schutzzweck des Luftverkehrsgesetzes von dem des Luftsicherheitsgesetzes erforderlich geworden. Das Luftsicherheitsgesetz diene nunmehr nur noch dem Zweck, Gefahren abzuwehren, die dem Luftverkehr selbst inne wohnten. Der Raketenbeschuss auf den Großraum Erbil stelle eine solche Gefahr dar, die dann bestehe, wenn für die Luftfahrt gefährliche Lufträume durchflogen würden. Bei den geschilderten Angriffen handele es sich nicht um gezielte Angriffe auf deutsche Luftfahrzeuge, sondern um vermehrte Kampfhandlungen der Terrororganisation IS, die in der unmittelbaren Umgebung des Flughafens stattgefunden hätten In diesem Sinne könnten auch äußere Gefahren betriebsbedingte Gefahren sein. Der Gesetzgeber habe einen möglichst lückenlosen Schutz des Luftverkehrs erreichen wollen. Dies entspreche dem Verständnis internationaler Gremien wie der ICAO und der EASA, die den Einflug in Krisengebiete ebenfalls unter dem Aspekt der safety behandelten. Die Beklagte sei gemäß § 1 a LuftVG nicht gehindert, den Betrieb deutscher Luftfahrzeuge außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland zu regeln. Die Entscheidung über das Verbot sei ermessensfehlerfrei ergangen und genüge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Unterrichtung oder Warnung der Luftfahrtunternehmen sei nicht gleich geeignet gewesen.

Die Beklagte hat einen Verwaltungsvorgang vorgelegt, dem zuvor bestimmte, aus ihrer Sicht sicherheitsrelevante Teile, namentlich Sonderberichte des Bundesnachrichtendienstes aus Februar und März 2015, entnommen worden sind. Hinsichtlich der zurückgehaltenen Aktenteile hat sie eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO abgegeben. Die Klägerin hat vorsorglich für den Fall der Entscheidungserheblichkeit einen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Das Oberverwaltungsgericht ist für die Entscheidung über die Klage infolge der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts sachlich sowie nach § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO örtlich zuständig.

Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakte ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gilt in diesen Fällen nicht (BVerwGE 109, 203). Im Übrigen wäre eine Klagefrist auch hinsichtlich des Flugverbots vom 16. März 2015 gewahrt; denn es wurde durch den Bescheid vom 30. März 2015 verlängert und erhielt dadurch eine (wiederum angreifbare) neue Gestalt. Demgemäß ist Klagegegenstand der Bescheid vom 16. März 2015 in der Gestalt der Bescheide vom 30. März 2015 und des Aufhebungsbescheids vom 2. April 2015.

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr. Die Klägerin musste damit rechnen, dass die Beklagte angesichts der Gefährdungslage im Nordirak weiterhin Flugverbote verhängt, wie das Teilverbot für den Luftraum Irak vom 23. November 2015 zeigt.

Das Feststellungsinteresse entfällt nicht deshalb, weil die Klägerin das neuerliche Flugverbot vom 23. November 2015 nicht angefochten hat. Zwar kann eine Feststellung gemäß § 43 Abs. 2 VwGO nicht begehrt werden, wenn der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungsklage verfolgen kann. Allerdings war das Verbot vom 23. November 2015 bis zum 7. Dezember 2015 befristet und hat sich wiederum vor Ablauf der Klagefrist für eine Anfechtungsklage erledigt. Unbeschadet dessen steht die Subsidiaritätsklausel Feststellungsklagen gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht entgegen, weil diese Körperschaften auch eine bloße gerichtliche Feststellung beachten.

II.

Die Allgemeinverfügungen waren rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten.

191. § 29 Abs. 1 LuftVG, der in Ermangelung spezieller Eingriffsbefugnisse allein in Betracht kommt, ist keine geeignete Ermächtigungsgrundlage für das hier ausgesprochene Flugverbot.

Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl I, S. 698), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Mai 2012 (BGBl I, S. 1032) ist die Abwehr von betriebsbedingten Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch die Luftfahrt (Luftaufsicht) Aufgabe der Luftfahrtbehörden und der Flugsicherungsorganisation. Sie können in Ausübung der Luftaufsicht Verfügungen erlassen.

Die Vorschrift beruht in ihrer heutigen Fassung im Wesentlichen auf dem Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I, S. 78), mit dem die Abwehr von Gefahren durch Angriffe auf den zivilen Luftverkehr im Luftsicherheitsgesetz zusammengefasst und das Luftverkehrsgesetz auf die Abwehr von betriebsbedingten Gefahren beschränkt worden ist. Hierzu ist in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt (BT-Drs. 15/2361, S. 14):

Die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 in den USA haben zu einer Änderung der Beurteilung der Sicherheitslage im Luftraum geführt. Unglücksfälle, die von Flugzeugen ausgehen, können politisch motiviert sein, aber auch von Kriminellen ohne politische Absichten oder geistig verwirrten Einzeltätern verursacht werden. Exemplarisch sei insoweit die Entführung eines Motorseglers am 5. Januar 2003 in Frankfurt/Main genannt.

Diese Beispiele machen deutlich, dass es zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs erforderlich ist, klare Zuständigkeiten bei Bund und Ländern zu schaffen. Diesem Zweck dient der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben. Er soll schnelle und effiziente Informations- und Entscheidungsstrukturen schaffen und so die Sicherheit vor äußeren Angriffen auf den Luftverkehr erhöhen.

Zu diesem Zweck werden die bisher im Luftverkehrsgesetz (LuftVG) zersplitterten und mit fremden Regelungsmaterien verbundenen Bestimmungen zur Abwehr äußerer Gefahren für die Luftsicherheit zusammengefasst und die Unterstützung der Polizei durch die Streitkräfte im Luftraum sowie die Amtshilfe zugunsten der Flugsicherung ausdrücklich geregelt. […] Ein gesondertes Luftsicherheitsgesetz, das sich nur mit „Security“ befasst, erleichtert diese Anpassungen und vereinfacht den Anwendern den Überblick über die einschlägigen Regelungen. Auch in anderen europäischen Staaten sind die Regelungen zu „Security“ und „Safety“ in der Zivilluftfahrt getrennt.

Zur Begründung der Einführung des Luftsicherheitsgesetzes und insbesondere des dortigen § 1 heißt es in der Gesetzesbegründung (a.a.O., S. 15):

Artikel 1 fasst die Vorschriften, die sich mit Sicherheitsaufgaben zur Abwehr von Angriffen auf den Luftverkehr im Bereich der zivilen Luftfahrt (security) befassen, in einem Gesetz zusammen. Damit erleichtert man dem Außenstehenden einen Überblick über die Materie, die sich bisher verstreut im LuftVG befindet. […]

§ 1 regelt den Zweck des Luftsicherheitsgesetzes. Zielrichtung der gesetzlichen Regelungen ist der Schutz vor Angriffen auf die zivile Luftfahrt. Als Beispiele werden insoweit insbesondere Flugzeugentführungen, Sabotageakte und terroristische Angriffe genannt, die durch die nachfolgenden Vorschriften verhindert werden sollen.

Zur Begründung der Beschränkung der Luftaufsicht auf die Abwehr betriebsbedingter Gefahren (Ergänzung des § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG um das Wort „betriebsbedingte“) heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs (a.a.O. S. 23):

Durch die Einfügung werden die unterschiedlichen Zwecke von Artikel 1 §§ 1 und 29 LuftVG klargestellt. Während das LuftSiG Security-Aufgaben (Schutz vor äußeren Angriffen) regelt, befasst sich § 29 LuftVG mit betriebsbedingten Gefahren. […]

Aus dieser Begründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber auch mit Blick auf die Zuständigkeiten der Luftaufsichtsbehörden einerseits und der Luftsicherheitsbehörden andererseits eine klare Trennung der betriebsbedingten Gefahren von den Gefahren durch Angriffe auf den Luftverkehr vornehmen wollte. Das schließt es aus, mit der Beklagten Gefährdungslagen durch Angriffe auf den Luftverkehr zugleich auch als betriebsbedingte Gefahren anzusehen.

31Betriebsbedingt ist eine Gefahr, wenn sie im Zusammenhang mit den betriebstechnischen Abläufen des Luftverkehrs steht. Im Mittelpunkt steht die Vermeidung von unfallbedingten oder auf technisches oder menschliches Versagen zurückzuführenden Abstürzen (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014 - BVerwG 4 C 3.13 -, juris Rn. 13 ff.). § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bezweckt hingegen nicht die Abwehr äußerer, durch Angriffe auf die Sicherheit des Luftverkehrs verursachter Gefahren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Zu solchen Angriffen gehören nach § 1 LuftSiG insbesondere Flugzeugentführungen, Sabotageakte und terroristische Anschläge (vgl. zu dieser Unterscheidung auch Faust/Lienhardt, in: Hobe/Ruckteschell, Luftrecht, Band 2, Luftverkehr, 2009, S. 1124; Richter, Luftsicherheit, 3. Aufl. 2013, S. 20; Giemulla/van Schyndel, Luftsicherheitsgesetz, 2006, § 1 Rn. 3 ff.; ders. in: Giemulla/Schmid, LuftVG, § 29 Rn. 2; ders., Die internationale Zivilluftfahrt im Zeitalter der „Konfliktzonen“, ZLW 3/2015, S. 431 ff.).

Danach handelte es sich bei der hier in Rede stehenden Situation nicht um eine betriebsbedingte Gefahr; denn es ging nicht um eine dem Luftverkehr immanente Gefährdungslage, sondern um eine äußere, von Dritten verursachte Gefahrenlage, in die sich die Flugzeuge der Klägerin begeben haben. Das Einfliegen in den Luftraum über dem Flughafen von Erbil war mit höheren Risiken verbunden, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Milizen des Islamischen Staates weitere Raketen auf das Gebiet abfeuern und auf diese Weise den Flughafen oder ein dort operierendes Luftfahrzeug treffen würden. In diesem Fall hätte sich kein betriebsspezifisches Risiko des Luftverkehrs realisiert. Durch eine Rakete getroffen zu werden, ist keine dem Betriebsablauf des Luftverkehrs innewohnende Gefahr.

Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es sich nicht um ein gezieltes Einwirken und mithin nicht um einen Angriff im Sinne des § 1 LuftSiG gehandelt habe. Mit diesem Einwand will sie darauf abheben, dass der Beschuss am 15. März 2015 nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht gezielt auf den Flughafen oder bestimmte Luftfahrzeuge gerichtet war und auch nicht gerichtet sein konnte, weil es sich um ungelenkte Raketen älterer Bauart gehandelt hat. Der Einwand greift nicht durch. Es kann für die Unterscheidung von betriebsbedingten Gefahren einerseits und Gefahren durch Angriffe auf den Luftverkehr andererseits nicht darauf ankommen, ob der Angreifer willens und in der Lage ist, gezielt ein Luftfahrzeug zu attackieren, oder ob er - wie hier - mangels Lenksystem ein ganzes Siedlungsgebiet unter Raketenbeschuss nimmt und dabei jedweden „Treffer“, auch eines Luftfahrzeugs, ins Kalkül zieht.

Es würde - ohne dass es vorliegend noch entscheidungserheblich ist - überdies noch nicht einmal darauf ankommen, ob es sich um einen möglicherweise sogar unbeabsichtigten Treffer handelt, hervorgerufen durch Kriegshandlungen in einer Konfliktzone. Denn der in § 1 LuftSiG beschriebene Gesetzeszweck deckt sich mit dem Verständnis der Luftsicherheit nach der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002, als deren Ziel in Artikel 1 - treffender als im nationalen Recht - der Schutz der Zivilluftfahrt vor „unrechtmäßigen Eingriffen“ bezeichnet wird, die die Sicherheit der Zivilluftfahrt gefährden. Dazu zählt der Beschuss eines Zivilflugzeuges unabhängig von - ohnehin im Einzelfall schwer überschaubaren - Absichten oder Vorstellungen kämpfender Parteien, die in einer Konfliktzone Waffen einsetzen.

Zu einer betriebsbedingten Gefahr wird die hier in Rede stehende Gefährdung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb, weil die Luftfahrzeuge der Klägerin in eine potentielle Gefahrenzone gesteuert würden und erst diese Art und Weise des Betriebs die Gefahr verursache. Richtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass es äußere Faktoren der zivilen Luftfahrt gibt, die das Unfall- oder Absturzrisiko erhöhen, und dennoch - obwohl von außen einwirkend - zu den betriebsbedingten Gefahren zählen, etwa das Vogelschlagrisiko beim Durchfliegen von Zugvogelschwärmen, das erhöhte Risiko beim Flugbetrieb in einer Aschewolke oder in einem militärischen Übungsraum. Dabei handelt es sich aber um Situationen, die von vornherein nicht als „Eingriff“ in die Sicherheit des Luftverkehrs verstanden werden können, und die zudem erst durch den hinzutretenden Betrieb des Luftfahrzeugs gefährlich werden, während Kampfhandlungen und ein unkontrollierter Raketenbeschluss in einer Konfliktzone schon für sich genommen Gefahren für Leib und Leben begründen. Insoweit fehlt die spezifisch betriebsbedingte Gefahr.

Die Beklagte macht zudem geltend, ein weites Verständnis der betriebsbedingten Gefahren sei erforderlich zur Vermeidung einer ungewollten Schutzlücke. Dem folgt der Senat nicht. Die von der Beklagten als Schutzlücke angesehene mangelnde Befugnis, auf Gefährdungen des Luftverkehrs in Krisenregionen mit Flugverboten für deutsche Luftfahrzeuge zu reagieren, resultiert nicht aus einem zu engen Verständnis des Anwendungsbereichs des § 29 LuftSiG, sondern aus der vom Gesetzgeber gewollten Zuständigkeitsverteilung und im Übrigen - mit Blick auf die Luftsicherheitsbehörden - dem Fehlen einer § 1 a LuftVG vergleichbaren Regelung im Bereich der Luftsicherheit. Selbst auf die Gefahr eines gezielten Angriffs auf den zivilen Luftverkehr in einer Krisenregion könnten die zuständigen deutschen Behörden nach geltender Rechtslage nicht mit einem Flugverbot für deutsche Luftfahrzeuge reagieren. Diese Lücke kann nicht dadurch geschlossen werden, dass die vom Gesetzgeber gewollte Neuordnung und klare Trennung zwischen den Aufgaben der Luftaufsicht und der Luftsicherheit verwischt wird, sondern nur durch eine gesetzgeberische Entscheidung.

2. Unabhängig davon kann die Beklagte das Flugverbot auch deshalb nicht auf § 29 Abs. 1 LuftVG stützen, weil es an einer konkreten Gefahr fehlte. Die Norm bildet die luftverkehrsrechtliche Generalklausel. Sie entspricht in ihren Voraussetzungen den polizeirechtlichen Generalklauseln und ermöglicht ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr (nur) im Sinne des allgemeinen Polizeirechts (BVerwG, a.a.O. Rn. 18). Erforderlich ist deshalb das Vorliegen einer konkreten Gefahr und nicht lediglich eine Risikoerhöhung. Eine Gefahr liegt vor, wenn zu erwarten ist, dass ein Zustand oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für das Schutzgut führt. Zwar dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit umso geringe Anforderungen gestellt werden, je höherrangiger die auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter sind. Hier fehlt es aber an einer Situation, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit einer in diesem Sinne hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für Leib und Leben der Passagiere und der Besatzungsmitglieder geführt hätte.

Ausweislich der von der Beklagten offen gelegten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse kam es am Morgen des 15. März 2015 zu einem Artillerieangriff auf den Großraum Erbil aus vom Islamischen Staat besetzten Gebiet, wobei fünf bis sechs Raketeneinschläge registriert wurden, davon ein Einschlag ca. 6 Kilometer vom Flughafen entfernt. Dieser Vorfall hat nach Ansicht des Bundesnachrichtendienstes die Sicherheitslage auf dem Gebiet der Kurdischen Regionalregierung verschlechtert und gezeigt, dass der IS grundsätzlich über das Potential verfüge und auch technisch in der Lage sei, in den Luftraum Erbil zu wirken. Im Zeitraum bis Ende März 2015 habe die latente Bedrohungslage fortbestanden, bei der Ziele wie die Stadt Erbil oder der Flughafen im Fokus des IS blieben und mittels klassischer terroristischer Anschläge sowie offener Angriffe hätten gefährdet werden können (Behördenerklärung des BND vom 1. Juli 2015).

Die Situation war somit durch die Ungewissheit darüber gekennzeichnet, ob es zu einem weiteren Raketenbeschuss und damit zu einer erneuten Gefährdung des Luftverkehrs kommen würde. Durch diese Ungewissheit hat sich die Sicherheitslage verschlechtert und das Risiko erhöht. Das begründet aber noch keine konkrete Gefahr, weil ein ungehinderter Geschehensablauf eben nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einen Schaden gemündet wäre, sondern offen war, ob es überhaupt zu einer neuerlichen Gefährdung und damit zu einem Geschehensablauf kommen würde, der in einen Schaden münden kann. Die polizeirechtliche Generalklausel ermöglicht bei einem Gefahrenverdacht noch keine Maßnahmen zur Gefahrenabwehr.

Diese rechtliche Schlussfolgerung kann der Senat ziehen, ohne Kenntnis von den bislang zurückgehaltenen Aktenbestandteilen zu erhalten. Die Beklagte hat ausgeführt, dass die Behördenerklärung des BND hinreichend präzise die Sicherheitslage am Erbil International Airport in dem fraglichen Zeitraum beschrieben habe und die in den gesperrten Unterlagen zusätzlich enthaltenen weitergehenden Informationen zu den Methoden und Quellen nachrichtendienstlicher Tätigkeit für das Klagebegehren nicht von Relevanz seien. Der von der Sperrerklärung betroffene Akteninhalt ist somit nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Lukas Jozefaciuk