OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.03.2016 - I-1 U 107/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 20.05.2015 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
Dieses sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheit vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann indessen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Hinsichtlich des Sachverhaltes wird zunächst auf die Darstellung des Tatbestandes im angefochtenen Urteil des Landgerichtes Bezug genommen.
Der Kläger begehrt in diesem Verfahren Schadensersatzansprüche aus einem Unfall-Ereignis, welches sich am 28.01.2012 kurz vor 15:00 Uhr auf der Straße "A..." (Bundesstraße 9) zwischen den beiden Ortschaften B... und C... ereignete.
Der Kläger führte ein Einspänner-Pferdefuhrwerk. Der Beklagte zu 2) war Halter und Führer eines Kraftrades BMW K1600 GT mit dem niederländischen Kennzeichen D... Dieses war haftpflichtversichert bei der "E...", handelnd unter den Namen "F" (vgl. Schreiben von deren Rechtsanwälten vom 06.02.2012, Bl. 114 der Bußgeldakte des Landkreises G..., Az. 03180457738).
Der Kläger befuhr damals die "H..." aus der Fahrtrichtung I... kommend in Richtung B... Er wollte mit seinem Fuhrwerk die dort kreuzende Bundesstraße 9 überqueren und auf der anderen Seite auf der - einige Meter versetzt einmündenden - "J..." weiter fahren.
Die "H..." wird im Bericht der nach dem Unfall zugezogenen Polizeibehörde G... als "nicht asphaltierte[r] Wirtschaftsweg" bezeichnet, "welcher zwar wegerechtlich gewidmet" sei, "jedoch hier als Feldweg angesehen werden" müsse (Seite 3 unten der Verkehrsunfallanzeige, Bl. 3 der Bußgeldakte). Es wird zur Veranschaulichung auf das 17. Bild der Anlage zur Verkehrsunfallanzeige verwiesen.
Die Bundesstraße verläuft an dieser Stelle über eine weite Strecke geradlinig. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 100 km/h.
Der Kläger fuhr von der "H..." aus mit seinem Einspänner auf die Bundesstraße auf und hatte dabei den Beklagten zu 2) zunächst nicht gesehen. Dieser näherte sich auf der Bundesstraße aus der Fahrtrichtung C..., vom Kläger aus betrachtet von rechts kommend auf der gegenüberliegenden Fahrspur.
Nachdem der Kläger "angezogen" und sich sein Zugpferd in Bewegung gesetzt hatte, vermochte er das Fuhrwerk nun nicht mehr zum Halt zu bringen. Das das Fuhrwerk ziehende Pferd überschritt die Mittellinie der Bundesstraße und befand sich auf der Fahrspur des Beklagten zu 2), als es zur Kollision kam.
Der Beklagte zu 2) fuhr dabei gegen die Vorderbeine des Pferdes und geriet mit seinem Motorrad unter das Tier. Er rutschte dann mit seinem Kraftrad weiter und kam auf der rechten Seite von der Fahrbahn ab. Das Kraftrad erlitt einen Totalschaden. Der Beklagte zu 2) verletzte sich erheblich. Der Kläger wurde durch den Zusammenstoß vom Sitz der Kutsche geschleudert, prallte auf der Straße auf und erlitt dabei ebenfalls erhebliche Verletzungen. Das schwer verletzte Kutschpferd musste noch am Unfallort eingeschläfert werden.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.01.2013 forderte der Kläger die niederländische Haftpflichtversicherung, bei der das Kraftrad des Beklagten zu 2) versichert war, zur Ersetzung seines Schadens auf. Dies wurde von der Beklagten zu 1) als Schadensregulierer für die niederländische Versicherung mit Schreiben vom 03.04.2013 abgelehnt.
Der Kläger hat vorgetragen: Er sei Eigentümer der Pferdekutsche gewesen. Das Pferd selbst habe zwar sein Sohn am 15.10.2010 erworben, dieser habe aber seine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten an den Kläger abgetreten.
Der Beklagte zu 2) sei zu schnell gefahren. Dessen Annäherungsgeschwindigkeit habe über 130 km/h betragen. Zudem habe der Beklagte zu 2) zu spät auf das Pferdegespann reagiert, er hätte zeitlich früher und dann auch intensiver bremsen müssen. Ein kräftigeres Bremsen wäre ihm auch möglich gewesen; er hätte mit dem von ihm geführten Kraftrad eine Bremsverzögerung von 10,5 m/s² erzielen können. Diese Fehler des Beklagten zu 2) seien für den Unfall auch ursächlich gewesen.
Der Kläger sei durch den Unfall erheblich verletzt worden. Er habe eine Oberschenkelspiralfraktur erlitten, nach deren operativer Versorgung sich ein vierwöchiger Krankenhausaufenthalt angeschlossen habe. Daraus habe sich im Verlaufe der Zeit ein chronifiziertes Schmerzsyndrom herausgebildet, welches mit regelmäßigen Morphium-Pflastern behandelt werden müsse. Im Bereich des Hüftgelenkes sei es bei ihm zu einer dauerhaften Bewegungseinschränkung gekommen. Er könne nur noch kurze Strecken schmerzfrei laufen, benutze jetzt üblicherweise einen Rollator, für ihn sei jetzt die sog. Pflegestufe I anerkannt worden. Zwar habe er schon vor dem Unfall im Jahr 2009 eine implantierte Knieprothese gehabt, sei danach jedoch noch in erheblichem Maße körperlich aktiv gewesen. Ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro sei angesichts dieser unfallbedingten Verletzungsfolgen angemessen.
Der Kläger meint, die Beklagtenseite müsse zu 50% für seine Ansprüche haften.
Hinsichtlich der weiteren vom Kläger geltend gemachten verschiedenen Schadenspositionen in Höhe von insgesamt 3.715,27 Euro wird auf die Darstellung im Tatbestand der landgerichtlichen Entscheidung (dort Seite 2, Bl. 207 GA) Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1) an ihn 3.715,27 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2013 zu zahlen.
2) an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2013 zu zahlen.
3) an ihn 1.085,04 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
sowie festzustellen,
4) dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm 50% von jedwedem materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, den er künftig infolge des Unfalls vom 28.01.2012 noch erleiden wird, soweit die Ansprüche nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben vorgetragen: Ein Geschwindigkeitsverstoß des Beklagten zu 2) werde bestritten. Doch selbst wenn ein solcher vorgelegen haben sollte, sei der Unfall für den Beklagten zu 2) unvermeidbar gewesen. Denn auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h hätte er nicht mehr rechtzeitig bremsen können. Entgegen der Einschätzung des Klägers sei für den Beklagten zu 2) damals nur eine deutlich geringere Bremsverzögerung als 10,5 m/s² erreichbar gewesen.
Die vom Kläger behaupteten Personenschäden haben die Beklagten ebenso mit Nichtwissen bestritten wie deren Unfallbedingtheit. Diesbezüglich verweisen sie darauf, dass die vom Kläger hierfür eingereichten ärztlichen Unterlagen erst 9-10 Monate nach dem Unfall entstanden seien und der Kläger mit dem Knieimplantat eine erhebliche Vorschädigung aufgewiesen habe.
Unabhängig davon sei die Höhe des vom Kläger begehrten Schmerzensgeldes auch unangemessen hoch.
Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26.02.2014 (Bl. 58 GA) durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen K..., wobei insoweit auf das Gutachten vom 02.09.2014 inhaltlich Bezug genommen wird.
Der Kläger hat das Gutachten angegriffen: Die vom Sachverständigen in seinem Gutachten angenommenen Bremsverzögerungs-Werte zwischen 7 und 8,5 m/s² seien zu niedrig. Eine Verzögerung von 10,1 m/s² stelle für das Motorrad des Beklagten zu 2) den mittleren Wert der Bremskraftverzögerung dar.
Gemäß Beweisbeschluss des Landgerichtes vom 01.04.2014 (Bl. 76 GA) wurde der Sachverständige im Verhandlungstermin vom 15.04.2015 angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.04.2015 (Bl. 183 f. GA) verwiesen.
Zeitlich nach der vom Landgericht hierfür im Verhandlungstermin bis zum 04.05.2015 gesetzten Frist (Seite 4 des Protokolls, Bl. 184R GA) hat der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 05.05.2015 (Bl. 197 GA) das Gutachten weiter angegriffen: Es seien unter den gleichen Bedingungen wie zur Zeit des Unfalls Bremsversuche mit einem routinierten Motorradfahrer in der Mitte der Fahrspur durchzuführen. Ferner habe der Sachverständige bei seiner Vermeidbarkeits-Betrachtung nicht den zutreffenden Reaktionsaufforderungspunkt gewählt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet, da dem Kläger keine Schadensersatzansprüche gegenüber den Beklagten zustünden. Auch im Rahmen der Gefährdungshaftung des § 7 StVG sei die von dem Kraftrad des Beklagten zu 2) ausgehende Betriebsgefahr im Rahmen einer Abwägung nicht zu berücksichtigen. Diese Betriebsgefahr sei zum einen trotz der Sommerreifen nicht erhöht gewesen, da Winterreifen bei Motorrädern die Ausnahme darstellten und auf Grund der Witterungsbedingungen am Unfalltag gemäß § 2 Abs. 3a StVO keine Pflicht zum Führen von Winterreifen bestanden habe. Die Betriebsgefahr trete zum anderen vollständig zurück hinter dem gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB zu berücksichtigenden grob fahrlässigen eigenen Fehlverhalten des Klägers. Dieser habe nämlich gegen die Vorfahrt des Beklagten zu 2) verstoßen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 StVO.
Der Beklagte zu 2) habe zwar eine Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO) begangen, da nach dem Gutachten des Sachverständigen feststehe, dass er 110 oder 117 km/h gefahren sei. Es sei aber nicht erwiesen, dass sich dieser Verstoß auch auf den Unfall ausgewirkt hätte. Dies sei nur dann gegeben, wenn der Beklagte zu 2) bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit den Unfall hätte vermeiden können. Letzteres könne nicht festgestellt werden. Denn der Kläger hätte auch bei einem unterstellten Tempo von 100 km/h möglicherweise nicht mehr rechtzeitig bremsen können: Nach dem Sachverständigen-Gutachten sei hinsichtlich des Kraftrades des Beklagten zu 2) in der damaligen Situation von einer Bremsverzögerung von 7 bis 8,5 m/s² auszugehen. Auf diesem Wert und einem angenommenen Tempo von 100 km/h basierend sei es - je nach Zugrundelegung bestimmter Parameter-Variablen - einerseits möglich, dass der Beklagte zu 2) den Unfall hätte vermeiden können, andererseits aber auch nicht. Mit Sicherheit rechtzeitig zum Stillstand kommen wäre der Beklagte zu 2) bei einem Tempo von 100 km/h nur dann, wenn eine Bremsverzögerung von 10,5 m/s² möglich gewesen wäre. Dies sei im damaligen Fall jedoch unrealistisch gewesen, da dies sehr ideale Bremsbedingungen erfordert hätte, die hier nicht vorgelegen hätten. Zudem habe der Beklagte zu 2) vor der Kollision noch ein Ausweichmanöver nach rechts vorgenommen, wobei ein solches Lenkmanöver zu einer Absenkung der Bremsleistung führe, da die Reifen dann gleichzeitig größere Seitenführungskräfte übertragen müssten als bei einer Fahrt geradeaus. Auf die vom Kläger vorgebrachten Bremskraftdiagramme komme es nicht an, da diese von - hier nicht relevanten - idealen Bremsbedingungen ausgingen. Zudem bewege sich selbst der aus diesen Bremskraftdiagrammen hervorgehende Mittelwert von 10,1 m/s² unterhalb der hier maßgeblichen 10,5 m/s².
Auch sei bei dieser Bewertung festzustellen, dass der Beklagte zu 2) damals rechtzeitig reagiert habe, nämlich entweder bereits in dem Zeitpunkt, in dem erkennbar gewesen sei, dass das Gespann nicht in der Fahrbahnmitte anhalten, sondern weiter auf die vom Motorrad des Beklagten benutzte andere Fahrbahnseite fahre werde (2,72 Sekunden vor der Kollision) oder jedenfalls in dem Moment, in dem das Pferd gerade erkennbar die von ihm befahrene Fahrbahn betreten habe (3,2 Sekunden vor der Kollision). Ein noch früheres Bremsen sei nicht zu verlangen gewesen. Denn der Beklagte habe vorher darauf vertrauen dürfen, dass die nicht vorfahrtsberechtigte Kutsche seine Vorfahrt beachten würde.
Gegen dieses Urteil vom 20.05.2015 wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung.
Mit der Berufung hält er seinen erstinstanzlichen Sachvortrag aufrecht und greift zudem die Feststellungen des Landgerichtes an: Die vom Landgericht angenommenen Bremswerte seien unzutreffend. Dies beruhe auf dem aus Sicht des Klägers fehlerhaften Sachverständigen-Gutachten. Dessen Ermittlung, es sei von einer Bremsverzögerung von 7 bis 8,5 m/s² auszugehen, gehe fehl. Werte von "bis zu 10,5 m/s² hätte[n] erreicht werden können" (Seite 4 der Berufungsbegründung, Bl. 235 GA). Der Sachverständige habe versäumt, eigene Bremsversuche (unter denselben Bedingungen wie im Zeitpunkt des Unfalls) mit einem erfahrenen Motorradfahrer durchzuführen. Es sei fehlerhaft gewesen, sich auf Bremsversuche mit - noch dazu älteren - Maschinentypen zu beziehen, die nicht identisch mit dem vom Beklagten zu 2) damals gefahrenen Motorrad seien.
Bei der Berechnung sei von einer Geschwindigkeit des Beklagten zu 2) von 117 km/h auszugehen, wie sie der Sachverständige auf Basis der Videoauswertung ermittelt habe. Die vom Sachverständigen ebenfalls für denkbar gehaltene Geschwindigkeit von 110 km/h sei unzutreffend, da sie auf - nicht genauen - GPS-Signalen beruhe.
Zudem sei das Landgericht von einem falschen Reaktionsaufforderungspunkt ausgegangen. Richtigerweise hätte der Beklagte zu 2) nicht erst 2,7 bis 3,2 Sekunden vor der Kollision, sondern schon 4,16 Sekunden vor dem Unfall bremsen müssen. Denn in dem Zeitpunkt sei das auf die rechte Fahrspur auffahrende Pferdegespann des Klägers bereits in sein Blickfeld gelangt, weshalb er eine "Notreaktion", nämlich eine "maximal mögliche Abwehrreaktion" hätte zeigen müssen. Denn der Beklagte hätte wissen müssen, dass ein Pferd als Fluchttier nicht spontan zum Stillstand hätte gebracht werden können, weshalb er auch nicht davon hätte ausgehen dürfen, sein Vorfahrtrecht würde beachtet werden. Hätte der Beklagte bereits 4,16 Sekunden vor der Kollision gebremst, wäre er bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h rechtzeitig zum Stillstand gekommen.
Hinsichtlich all dessen mache er sich den Inhalt des Parteigutachtens des Herrn L... vom 11.05.2015 (Bl. 258 f. GA) zu Eigen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichtes Kleve vom 20.05.2015 die Beklagten gesamtschuldnerisch gemäß seinen erstinstanzlichen Klageanträgen zu verurteilen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages die angefochtene Entscheidung und treten dem Berufungsvorbringen entgegen.
Die Berücksichtigung des Parteigutachtens des L... rügen sie als verspätet. Dieses bzw. dessen Inhalt hätte der Kläger bereits in erster Instanz vorbringen müssen. Dies wäre ihm auch möglich gewesen, zumal sich das Parteigutachten gerade nicht auf die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen im Verhandlungstermin vom 15.04.2015 bezöge, sondern auf dessen bereits lange vor dem Termin vorliegendes schriftliches Gutachten.
Im Verfahren war die Akte des Bußgeld-Verfahrens beim Landkreis G... (Az. 03180457738) beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Der Senat hat im Verhandlungstermin vom 08.03.2016 über den Unfallhergang ergänzend Beweis erhoben durch eine weitere Anhörung des Sachverständigen K... sowie durch Inaugenscheinnahme des Videomaterials, welches am Unfalltag von der am Motorrad des Beklagten zu 2) damals angebrachten Kamera aufgezeichnet worden war. Auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 08.03.2016 wird verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.
In der Sache hat das Landgericht das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers nach der hier in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage der §§ 7 Abs. 1 StVG in Verbindung § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG (über § 6 Abs. 1 AuslPflVG im Zusammenhang mit dem System der Grünen Karte) zu Recht verneint.
Denn im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung, bei der gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB auch das Verhalten des Klägers mit einzufließen hat, tritt die vom Kraftrad des Beklagten zu 2) ausgehende Betriebsgefahr vollständig zurück angesichts des deutlichen eigenen Fehlverhaltens des Klägers, welcher insbesondere gegen die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO verstoßen hat.
Ein Geschwindigkeitsverstoß des Beklagten zu 2) fließt nicht in die Abwägung der Verursachungsbeiträge ein. Zwar hat der Beklagte zu 2) damals die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um wenigstens 10 km/h überschritten. Doch lässt sich nicht feststellen, dass dies für den Unfall ursächlich geworden wäre. Hierzu wäre es nämlich erforderlich gewesen, dass der Beklagte zu 2) - wäre er mit einer fiktiven zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h unterwegs gewesen - sein Motorrad mit einer Bremskraft-Verzögerung von mindestens 7,5 m/s² hätte abbremsen können. Dies lässt sich jedoch nicht nachweisen. Es besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass damals Werte von nur 7 m/s² erzielbar waren.
Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
A.
Als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten zu 2) kommt § 7 Abs. 1 StVG in Betracht.
1.
Danach hat der Halter eines Fahrzeuges dem Verletzten den Schaden zu ersetzen, der entsteht, wenn bei dem Betrieb seines Kraftfahrzeuges eine Sache beschädigt wird.
Dies war hier der Fall: Der Beklagte zu 2) war Halter des am Unfall beteiligten Motorrades. Das Unfallereignis hatte sich auch bei dem Betrieb des Fahrzeuges ereignet. Auf höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG war der Unfall nicht zurückzuführen.
2.
Auf die Frage, ob der Unfall für den Beklagten zu 2) unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG gewesen sein könnte, kommt es nicht an.
a.
Denn diese Vorschrift ist grundsätzlich nur für das Verhältnis von Kraftfahrzeugen untereinander anwendbar. Bei dem Pferdefuhrwerk des Klägers handelt es sich gemäß § 1 Abs. 2 StVG nicht um ein Kraftfahrzeug, da es nicht mit Maschinenkraft angetrieben wird (siehe auch KG Berlin, Urteil vom 27.11.1989, 12 U 7676/88, zitiert nach Juris).
b.
Auch eine in § 17 Abs. 4 StVG vorgesehene entsprechende Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 StVG kommt hier nicht in Betracht.
Dazu wäre es erforderlich gewesen, dass der Unfallschaden auf der einen Seite durch ein Kraftfahrzeug und auf der anderen Seite durch ein Tier hervorgerufen wurde. Letzteres war jedoch nicht der Fall:
Zwar ist es zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger den Beklagten zu 2) kurz vor dem Unfall noch wahrgenommen und vergeblich versucht hatte, sein Pferdefuhrwerk zum Halt zu bringen; dass dies nicht gelang, war aber nicht Folge der spezifischen Tiergefahr, sondern der verspäteten Reaktion des Klägers.
§ 17 Abs. 4 StVG will u.a. der Gefährdungshaftung aus §§ 833, 834 BGB Rechnung tragen (vgl. dazu auch Senat, Urteil vom 14.08.2006, I-1 U 15/06). Letztere setzt voraus, dass sich in dem Unfall eine typische Tiergefahr verwirklicht hat. Eine solche äußert sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tiers. Wenn das Tier lediglich der Lenkung und dem Willen eines Menschen folgt und nur daraus der Schaden resultiert, kann es an dieser Voraussetzung fehlen, weil die Verursachung des Schadens dann allein dem Menschen zuzurechnen ist (BGH NJW 1986, 2501; NJW-RR 2006, 813; NJW 1999, 3119; KG Berlin, Urteil vom 27. November 1989, 12 U 7676/88, zitiert nach Juris). So war es auch im vorliegenden Fall, bei dem keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Reaktion des Pferdes gegen die lenkenden Anweisungen des Klägers vorgetragen oder sonst ersichtlich wären. Der bloße Umstand, dass sich eine Kutsche nicht von einem Moment auf den anderen abbremsen lässt, mag zwar damit zusammen hängen, dass der Kutscher zunächst einmal auf das Zugpferd einwirken muss und dieses eine gewisse Zeit für die Reaktion auf diese Einwirkung benötigt. Dies stellt sich indes nicht als Folge eines unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Pferdes, mithin als typische Tiergefahr dar, sondern ist letztlich vergleichbar mit jedem anderen Fahrzeug, welches sich auf Grund seiner Eigenart nur langsam zum Stillstand bringen lässt.
B.
Auch der Beklagte zu 1) würde grundsätzlich gegenüber dem Kläger haften, und zwar gemäß der Vorschrift des § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
Nach dieser Norm besteht ein Direktanspruch gegenüber der Versicherung, bei welcher das den Unfall verursachende Fahrzeug haftpflichtversichert war.
Zwar bestand die Haftpflichtversicherung hinsichtlich des Motorrades des Beklagten zu 2) an sich bei der niederländischen "Interpolis" (siehe oben). Doch ist der Beklagte zu 1) passivlegitimiert im Rahmen des System der Grünen Karte in Verbindung mit §§ 2 Abs. 1 lit. b, 6 Abs. 1, 8a Abs. 1 AuslPflVG. Ist nämlich der ausländische Unfallbeteiligte von dem Erfordernis einer Pflichtversicherungsbescheinigung im Sinne von § 1 Abs. 2 AuslPflVG (Grüne Karte) befreit, dann hat der Geschädigte einen Direktanspruch gegenüber dem Beklagten zu 1), dem Verein Deutsches Büro Grüne Karte e.V. (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Auflage, § 15 Rdn 64; Senat, Urteil vom 06.06.2008, I-1 U 260/07; Urteil vom 29.10.2007, I-1 U 91/07). Diese Bedingung war hier erfüllt. Denn als EU-Mitglied war der Beklagte zu 2) gemäß der Verordnung über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausländischer Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (HPflEGRLDV) vom 08.05.1974, zuletzt geändert am 30.08.2012, vom Erfordernis einer Versicherungsbescheinigung befreit.
C.
Während mithin die grundsätzliche Haftung der beiden Beklagten feststeht, muss sich der Kläger sein Mitverschulden anrechnen lassen. Denn gemäß § 9 StVG findet die Vorschrift des § 254 BGB Anwendung, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat. Hierbei folgt die Haftungsabwägung den zu § 17 Abs. 1 StVG entwickelten Rechtsgrundsätzen (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15.11.2011, 4 U 593/10, abgedruckt in: Schaden-Praxis 2012, 209; KG Berlin, Urteil vom 27. November 1989, 12 U 7676/88, zitiert nach Juris):
Danach kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der beteiligten Personen nur einen Faktor der Abwägung darstellt. Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NZV 1996, 231; Senat, Urteil vom 08.10.2011, I-1 U 17/11; OLG Hamm DAR 2004, 90). Jede Partei hat dabei die Umstände zu beweisen, die der anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich selbst herleiten will (BGH a.a.O.). Auch die Ursächlichkeit des entsprechenden Umstandes für den eingetretenen Schaden muss erwiesen sein (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 17 Rdn 5; BGH NJW 2007, 506; NZV 2005, 407).
1.
Auf der Seite des Klägers ist dessen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO zu berücksichtigen.
Nach dieser Vorschrift muss das Vorfahrtrecht anderer Verkehrsteilnehmer beachtet werden. Diese Norm hatte der Kläger damals verletzt. Denn das Vorfahrtrecht stand dem Beklagten zu 2) zu (nachfolgend Ziffer a) und der Kläger war trotz dessen auf die vom Beklagten zu 2) benutzte Fahrspur aufgefahren (nachfolgend Ziffer b). Dies geschah auch schuldhaft (nachfolgend Ziffer c).
a.
Vorfahrt zu gewähren hat insbesondere derjenige Verkehrsteilnehmer, welcher von einem Feldweg auf eine andere Straße kommt (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO).
Diese Situation war hier gegeben. Die vom Kläger befahrene "H..." war an der Unfallstelle - trotz des Namens - in rechtlicher Hinsicht als Feldweg einzustufen. Dies ergibt sich einerseits dadurch, dass deren Ausbau und Gestaltung ausweislich des Lichtbildes Nr. 17 zur Verkehrsunfallanzeige der Polizei (Bl. 17 der Bußgeldakte) verhältnismäßig geringwertig war (zu diesem Kriterium etwa OLG Koblenz NZV 2006, 378). In erster Linie bestimmt sich diese Einstufung aber durch deren geringe Verkehrsbedeutung (vgl. dazu BGH NJW-RR 1987, 1237). In der Verkehrsunfallanzeige der Polizeibehörde G... heißt es dazu: "Bei der H... handelt es sich um einen nicht asphaltierten Wirtschaftsweg, welcher [...]hier als Feldweg angesehen werden muss." (dort Seite 3, Bl. 3 GA). Diese zutreffende Einschätzung der Polizei ist auch von den Parteien nicht angezweifelt worden.
b.
Der Kläger war auf die bevorrechtigte Bundesstraße aufgefahren und hatte die Fahrt des Beklagten zu 2) unterbrochen.
c.
Dass sein Handeln schuldhaft war, wird vom Kläger selbst nicht in Abrede gestellt. Hierfür spricht auch der Beweis des ersten Anscheins (z.B. KG NZV 2002, 79).
2.
Hinsichtlich des Beklagten zu 2) ist nur die vom Kraftrad ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen.
3.
Ein für den Unfall ursächlicher Geschwindigkeitsverstoß des Beklagten zu 2) lässt sich demgegenüber nicht feststellen.
a.
Allerdings hatte der Beklagte zu 2) damals entgegen der Vorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 2c StVO die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um eine Differenz von mindestens 10 km/h überschritten.
Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ermittlungen des Sachverständigen K... Dieser hat das damalige Tempo des Kraftrades an Hand der Videoaufzeichnung der am Motorrad installierten Kamera ableiten können.
Dies begegnet hier keinen Bedenken. Der Senat muss im vorliegenden Verfahren nicht grundsätzlich darüber entscheiden, ob solches Videomaterial in einem Gerichtsverfahren verwertet werden darf (dazu LG Heilbronn, Urteil vom 03.02.2015, 3 S 19/14, abgedruckt in: NJW-RR 2015, 1019; vgl. auch Greger NZV 2015, 114; Balzer/Nugel NJW 2014, 1622; AG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Dezember 2014, 24 C 6736/14, zitiert nach Juris, teilweise abgedruckt in: VRR 2015, Nr. 2, 11-12). Denn hier hatten sich beide Parteien den Inhalt des Videos zu Eigen gemacht und damit als Sachvortrag in den Prozess eingeführt. Dies gilt auch für die auf den Videoaufzeichnungen fußenden Ermittlungen des Sachverständigen, die von beiden Parteien akzeptiert werden (Senat, Beschluss vom 21.10.2015, I-1 W 40/15).
In der Sache konnte der Sachverständige das Tempo des Motorrades überzeugend bestimmen, indem er zwei Fakten miteinander verglich: Zum einen hat er den Abstand der im Mittel 50 Meter voneinander entfernt stehenden Leitpfosten am Fahrbahnrand genau gemessen. Zum anderen konnte er an Hand der Videoaufzeichnung messen, wie viele Sekunden die Fahrt des Motorrades von einem zum nächsten Leitpfosten in Anspruch nahm. Auf diese Weise hat der Sachverständige für das Durchfahren der letzten 3 Abschnitte zwischen den Leitpfosten (insgesamt 152,5 Meter) Durchschnittsgeschwindigkeiten zwischen 117,2 und 117,4 km/h ermitteln können (siehe näher auf Seite 9 und 10 des Gutachtens, Bl. 100 GA). Da es sich allerdings um Durchschnittswerte auf einer Strecke von jeweils etwa 50 Meter handelt, lässt sich auf diesem Wege die exakte Geschwindigkeit an einem bestimmten Punkt dieser Strecke nicht genau bestimmen. Deshalb ist es denkbar, dass der Beklagte zu 2) beim Passieren des letzten Leitpfostens vor dem Kollisionsort mit einer geringeren Geschwindigkeit als 117 km/h fuhr. Dies könnte beispielsweise darauf zurückzuführen sein, dass er in Vorbereitung des späteren Bremsmanövers an diesem Punkt bereits Gas weggenommen hatte. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat im Verhandlungstermin vom 08.03.2016 aber nachvollziehbar erläutert, dass der Beklagte zu 2) auf diese kurze Distanz von nur 50 Metern die Geschwindigkeit jedenfalls nicht unter ein Tempo von 110 km/h hätte verringern können (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 08.03.2016, dort Seite 3).
b.
Der Kläger vermag jedoch nicht zu beweisen, dass diese überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 2) damals ursächlich für den Unfall geworden war.
aa.
Dies wäre jedoch erforderlich gewesen. Denn ein späterer Unfall kann einer Geschwindigkeitsüberschreitung nur dann zugerechnet werden, wenn sich in dem Unfall die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende Gefahrenlage aktualisiert hat (BGH NZV 2005, 407). Dies ist dann zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (BGH NJW 2003, 1929). Entsprechendes gilt, wenn es dabei zumindest zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen gekommen wäre (BGH NZV 2005, 407; Senat, Urteil vom 24.03.2015, I-1 U 85/14; Urteil vom 25. Juni 2013, I-1 U 196/12).
bb.
Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass der Unfall bei einem zulässigen Tempo von fiktiven 100 km/h vermeidbar oder in seinen Folgen deutlich abzumildern gewesen wäre. Denn da dem Beklagten zu 2) eine verspätete Bremsreaktion nicht vorzuwerfen ist (dazu im Folgenden unter Ziffer cc), hätte er bei seinem Bremsmanöver eine Bremskraftwirkung von über 7,5 m/s² erzielen müssen, um den Unfall noch zu vermeiden oder zumindest in seinen Auswirkungen wesentlich abzuschwächen (dazu im Folgenden unter Ziffer dd). Dass dieser Wert erzielbar gewesen wäre, lässt sich jedoch nicht nachweisen (dazu im Folgenden unter Ziffer ee).
cc.
Der Beklagte zu 2) hatte damals rechtzeitig reagiert.
(1)
Er musste nicht schon eine Bremsung vornehmen, als 7,08 Sekunden vor der späteren Kollision das Pferdegespann des Klägers für ihn erstmalig sichtbar wurde (siehe dazu das obere Lichtbild der Anlage 8a zum Gutachten des Sachverständigen, Bl. 131 GA).
Zwar muss ein Verkehrsteilnehmer nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO die von ihm gefahrene Geschwindigkeit unter anderem auch den Verhältnissen des aktuellen Verkehrs anpassen. Insbesondere ist bei einer unklaren Verkehrslage langsamer zu fahren (OLG Saarbrücken Schaden-Praxis 2005, 403). Unklar ist eine Verkehrssituation dann, wenn sich für den Fahrer die Entwicklung des Verkehrs vor sich nach den Umständen nicht sicher genug beurteilen lässt (Hentschel/König/Dauer, 43. Auflage, § 3 StVO Rdn 29). Ein Vorfahrtsberechtigter darf sich nicht blind auf die fremde Wartepflicht verlassen, sondern muss vielmehr aufmerksam fahren und etwaige zum Warten verpflichtete Verkehrsteilnehmer möglichst im Auge behalten (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 8 StVO, Rdn 47). Auf der anderen Seite darf ein Berechtigter grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Vorfahrt beachtet werden wird (BGH, Urteil vom 25. März 2003, VI ZR 161/02, abgedruckt in: NJW 2003, 1929; KG NZV 2002, 79). Der kritische Punkt beginnt für einen Verkehrsteilnehmer erst dann, wenn sich ihm erkennbare Anhaltspunkte dafür bieten, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (BGH a.a.O.).
Dieser kritische Punkt war damals aber nicht deshalb erreicht, weil er den Kläger mit seinem Pferdefuhrwerk am Rand der Bundesstraße sehen konnte. Hierdurch allein war für den Beklagten zu 2) noch keine unklare Verkehrslage eingetreten. Er durfte durchaus darauf vertrauen, dass der Kläger die offensichtliche Vorfahrt der Bundesstraße beachten würde. Der Beklagte zu 2) durfte davon ausgehen, dass der Kläger sein - angeschirrtes - Pferd unter Kontrolle haben würde und musste daher nicht mit dessen willkürlichen Beschreiten der Straße rechnen, zumal man - ohne entgegenstehende Anhaltspunkte - bei Zugpferden eine gewisse Ausbildung und Gewöhnung an den Straßenverkehr in der Regel erwarten kann.
(2)
Auch soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung meint, der Beklagte zu 2) hätte 4,16 Sekunden vor der Kollision eine Vollbremsung ausführen müssen, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Der Reaktionsaufforderungspunkt begann jedenfalls nicht früher als 3,12 Sekunden vor der Kollision. Denn erst in dem Zeitpunkt war eine Bewegung des Pferdes auf die Fahrbahn für den Beklagten zu 2) erstmals erkennbar gewesen.
Allerdings geht der Sachverständige davon aus, dass das Pferd 4,24 Sekunden vor der Kollision seine Bewegung bereits langsam begonnen haben dürfte (Seite 17 des Gutachtens, Bl. 108 GA, sowie das untere Lichtbild der Anlage 8a zum Gutachten, Bl. 131 GA). Der Sachverständige schränkt allerdings zutreffend ein, dass dies erst frühestens 3,2 Sekunden vor der Kollision eindeutig als Bewegung erkennbar war (dazu oberes Lichtbild der Anlage 8b, Bl. 132 GA), während sich das Betreten der Fahrbahn dann erst bei 3,12 Sekunden ereignet hatte (Seite 17 des Gutachten in Verbindung mit dem unteren Lichtbild der Anlage 8c, Bl. 133 GA).
Angesichts der oben dargestellten Grundsätze durfte der Beklagte zu 2) vor dieser Erkennbarkeit noch davon ausgehen, dass sich der Kläger rechtmäßig verhalten würde und war daher nicht verpflichtet, gewissermaßen "auf Verdacht" zu bremsen.
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass der Beklagte zu 2) anders als der Sachverständige nicht dazu in der Lage war, den Videofilm in einer expost-Analyse anzuhalten und das Geschehen auf einem Standbild in Ruhe zu prüfen. Er hatte damals in Echtzeit auf die Situation reagieren müssen und war während der Fahrt auch noch den weiteren Anforderungen des Verkehrs sowie des Betriebs seiner Maschine unterworfen gewesen. Selbst 3,12 Sekunden vor dem Unfall war die Bewegung des Pferdes auf Grund der in dem Zeitpunkt noch gegebenen großen Entfernung nicht leicht zu erkennen. Hiervon hat sich der Senat im Verhandlungstermin vom 08.03.2016 durch Inaugenscheinnahme des Videomaterials selbst überzeugt.
(4)
Es spricht sogar viel dafür, den Reaktionsaufforderungspunkt noch später, nämlich erst 2,72 Sekunden vor der Kollision, anzusetzen. Denn erst in diesem Zeitpunkt gab es auf Grund der Bewegung und Geschwindigkeit des Pferdefuhrwerkes einen konkreten Anhaltspunkt, dass letzteres nicht in der Fahrbahnmitte anhalten, sondern in einem Zug die Fahrbahn überqueren würde (Seite 18 des Sachverständigen-Gutachtens in Verbindung mit dem oberen Lichtbild der Anlage 8c, Bl. 133 GA).
(4)
Dies muss das Gericht indes nicht mehr abschließend entscheiden. Denn es lässt sich nicht nachweisen, dass der Beklagte zu 2) damals noch später als 3,12 Sekunden vor dem Unfall reagiert hatte. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten dieser - nicht mit der Berufung angegriffenen - Feststellung des Sachverständigen wird auf dessen Gutachten (dort Seite 16, Bl. 107 GA) Bezug genommen.
dd.
Von diesem rechtzeitigen Bremsbeginn ausgehend, wäre der Unfall nach den Berechnungen des Sachverständigen nur dann zu vermeiden oder zumindest in seinen Auswirkungen wesentlich abzuschwächen gewesen, wenn die Maschine des Beklagten zu 2) damals eine Bremskraftverzögerung von über 7,5 m/s² erzielt hätte. Dies hat der Sachverständige in Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens anlässlich seiner Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 08.03.2016 noch einmal überzeugend näher erläutert:
Bei einer erzielten Bremskraftverzögerung von über 7,5 m/s² hätte der Unfall ganz vermieden werden können.
Bei einer Bremskraftverzögerung von 7 m/s² hätte sich auch bei einer unterstellten Geschwindigkeit von 100 km/h nichts am Unfallhergang geändert.
Bei einer Bremskraftverzögerung zwischen 7 und 7,5 m/s² hätte das Motorrad des Beklagten zu 2) zwar eine etwas geringere Kollisionsgeschwindigkeit aufgewiesen, wäre dann aber nicht gegen die Vorderbeine des Pferdes gefahren, sondern auf den vom Kläger geführten Pferdewagen aufgeprallt. Dies aber hätte nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen für den Kläger sogar zu noch schwerwiegenderen Unfallfolgen führen können, namentlich weil ein Aufprall auf ein solch starres Hindernis noch höhere Energie übertragen hätte bzw. weil dann auch ein Umkippen seines Pferdewagens möglich gewesen wäre. Hinzu kommt der Umstand, dass sowohl Zugpferd als auch Kutsche des Klägers naturgemäß besonders fragil und verletzlich waren, so dass selbst geringere Aufprallgeschwindigkeiten massive Folgen gezeigt hätten. Insbesondere kam die Verletzung des Klägers vorliegend nicht unmittelbar durch die Kollision zu Stande, sondern durch seinen hierdurch hervorgerufenen Sturz auf die Straßendecke. Dass er von seinem lockeren Sitz auf dem Kutschbock aber auch bei einer geringeren Anstoß-Geschwindigkeit gefallen wäre, liegt auf der Hand.
ee.
Ein solcher Wert von über 7,5 m/s² lässt sich hier jedoch nicht zu Grunde legen. Dass dieser damals sicher erzielbar war, kann von dem Kläger nämlich nicht bewiesen werden. Denn nach den überzeugenden Erklärungen des Sachverständigen kommt auch die ernsthafte Möglichkeit in Betracht, dass in der damaligen Unfallsituation nur eine Bremskraftverzögerung von 7 m/s² zu erzielen war. Dies hat der Sachverständige K... auch in Ansehung des vom Kläger in der Berufungsinstanz vorgelegten Parteigutachtens des L... vom 11.05.2015 (Bl. 258 f. GA) zur Überzeugung des Senates im Verhandlungstermin vom 08.03.2016 noch einmal bekräftigt.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung des Klägers bleiben ohne Erfolg.
Soweit der Kläger einen Vergleichstest zwischen den Motorrädern BMW K 1600 GT (Model des Beklagten zu 2) sowie BMW GT 1300 GT aus der Zeitschrift "Motorrad", Ausgabe August 2011 (Bl. 70, 71 oben GA) vorlegt, aus welchem sich eine mittlere Bremsverzögerung von 10,1 m/s² ergibt, ändert dies nichts. Der Kläger übersieht, dass solche Bremswerte nur unter besonders optimalen Bedingungen realistisch erzielbar sein können (Seite 15 des Gutachtens, Bl. 106 GA, sowie Anhörung des Sachverständigen im Rahmen des Verhandlungstermins vom 15.04.2015, Seite 3 des Protokolls, Bl. 184 GA). Aus einer Reihe von Gründen lassen sich solche Idealbedingungen jedoch nicht auf die damaligen Verhältnisse des Unfallgeschehens übertragen:
(1)
Zum einen wurde die Bremskraft durch die nicht optimale Außentemperatur von damals 4° C (Seite 3 der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige, Bl. 3 der Bußgeldakte) geschwächt (Seite 14 des Sachverständigen-Gutachtens, Bl. 105 GA). Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2) damals keine Winterreifen genutzt hatte, was ebenfalls die Bremskraft einschränkte (Anhörung des Sachverständigen, Seite 2 des Protokolls vom 15.04.2015, Bl. 183R GA). Letzteres war wegen der guten Witterungsverhältnisse (trocken und sonnig) gemäß § 2 Abs. 3a StVO nicht zu beanstanden, wie das Landgerichts (Seite 7 oben des Urteils, Bl. 211 GA) zutreffend ausgeführt hat, was weder der Sachverständige noch der Kläger mit seiner Berufung in Zweifel zieht.
(2)
Die Fahrbahn war nicht ideal, da es sich um eine ältere Asphaltierung (Anhörung des Sachverständigen, Seite 2 des Protokolls, Bl. 183R GA) handelte und Streckenabschnitte, auf denen viele Fahrzeuge fahren, erkennbar glatter sind als andere Flächen. Optimale Bedingungen hätten hingegen eine neue, besonders griffige und raue Fahrbahnoberfläche erfordert (Seite 15 des Gutachtens, Bl. 106 GA).
(3)
Für eine optimale Bremskraftwirkung kommt auch der Bereifung des abbremsenden Motorrades Gewicht zu, da Reifen mit größerem Alter allmählich ihre Griffigkeit verlieren können, während das Reifenprofil der Maschine des Beklagten damals nur noch "ausreichend" war (Anhörung des Sachverständigen, Seite 3 des Protokolls, Bl. 184 oben GA).
(4)
Gleiches gilt für die bei einer Testung eingesetzten Bremsen selbst, die dann ebenfalls neuwertig sind und keinen Verschleiß aufweisen (Anhörung des Sachverständigen, Seite 3 des Protokolls, Bl. 184 GA). Dass die Maschine des Beklagten zu 2) in einem solchen Idealzustand gewesen wäre, lässt sich hier weder annehmen noch feststellen.
(5)
Vor allem hatte der Sachverständige festgestellt, dass der Beklagte zu 2) damals kurz vor der Kollision noch den vergeblichen Versuch eines Ausweichmanövers nach rechts begonnen hatte. Gerade hierdurch war die Bremskraftwirkung nicht unerheblich reduziert worden, weil "der Reifen dann gleichzeitig größere Seitenführungskräfte übertragen muss als bei einer Geradeausfahrt" (Seite 15 des Gutachtens, Bl. 106 GA). Auch der Kläger hat diesen maßgeblichen Punkt nicht mit seiner Berufung nicht in Zweifel gezogen.
(6)
Abschließend verkennt der Kläger mit seiner Berufung auch den hier relevanten Bewertungsmaßstab. Es kommt nämlich nicht darauf an, welche Bremskraftwirkung damals von einem professionellen Testfahrer oder auch nur besonders erfahrenen und guten Motorradfahrer hätte erzielt werden können. Maßstab waren die Fähigkeiten des Beklagten zu 2), für deren besondere Qualitäten der Kläger jedenfalls keinen Beweis angeboten hat.
(7)
Angesichts der vorstehenden Aspekte hält der Senat die vom Kläger mit seiner Berufung begehrten weiteren Bremstestungen des Sachverständigen nicht für angezeigt. Solche könnten zwar vielleicht eine verbesserte Einschätzung des generellen Bremsverhaltens einer BMW K1600 GT (der damaligen Maschine des Beklagten zu 2) ermöglichen. Exakte Rückschlüsse auf die genauen damaligen Verhältnisse vor Ort und die konkrete Bewegung des Motorrades im Unfallzeitpunkt lassen sich hieraus jedoch nicht erwarten.
Angesichts dessen kommt es auch nicht mehr darauf an, dass dieser Einwand des Klägers gegen das Gutachten des Sachverständigen gemäß § 531 Abs. 1 ZPO ohnehin nicht berücksichtigungsfähig wäre, weil er bereits in erster Instanz gemäß § 296 Abs. 1 ZPO verspätet (nämlich nach dem Ablauf der im letzten Verhandlungstermin gesetzten Frist) vorgebracht worden war.
D.
Bei der Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles gelangt das Gericht unter Berücksichtigung der vorstehend aufgelisteten jeweiligen Verursachungsbeiträge schließlich zu derselben Auffassung wie das Landgericht, dass nämlich die - schwerwiegende - Vorfahrtsverletzung des Klägers die vom Fahrzeug des Beklagten zu 2) ausgehende einfache Betriebsgefahr gänzlich zurücktreten lässt.
Zwar entfällt die Gefährdungshaftung für ein Kraftfahrzeug, bei dessen Betrieb ein nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer zu Schaden gekommen ist, nur in besonderen Ausnahmefällen zur Gänze. Dies kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn letzterer durch ein grob verkehrswidriges Verhalten eine Ursache für den Unfall gesetzt hatte (BGH MDR 2014, 27; vgl. auch Hentschel/König/Dauer, 43. Auflage, § 17 Rdn 9 und § 9 Rdn 9; Greger, 4. Auflage, § 22 Rdn 239; OLG Köln Schaden-Praxis 2002, 376).
Ein solches grob fahrlässiges Verhalten des Klägers war hier gegeben: Ihm war bewusst, dass die von ihm zu überquerende Bundesstraße durch Kraftfahrzeuge mit einem hohen zulässigen Tempo von 100 km/h befahren wurde. Gleichzeitig war ihm bekannt, dass sein Pferdefuhrwerk sowohl hinsichtlich der erzielbaren Geschwindigkeit als auch der Beschleunigungsfähigkeit besonders langsam war. Deshalb musste sich für ihn geradezu aufdrängen, dass er auf die Bundesstraße nur dann auffahren durfte, wenn er über eine weite Strecke übersehen konnte, dass sich von beiden Seiten kein bevorrechtigter Verkehr näherte. Dessen ungeachtet hatte der Kläger sein Gespann aber in einem Zeitpunkt in Gang gesetzt, als mehrere Pkws gerade erst seine Position passiert hatten und dabei dem Beklagten zu 2) entgegen fuhren. Dies lässt sich an Hand der Lichtbildern der Anlage 8a des Sachverständigen-Gutachtens vom 02.09.2014 (Bl. 131 GA) erkennen. Mit dieser Vorgehensweise verschloss sich der Kläger der Einsicht, dass ihm durch diese Fahrzeuge die erforderliche Sicht auf den aus der Gegenrichtung anfahrenden Verkehr (wie auch den Beklagten zu 2) teilweise verdeckt werden würde. Dass er trotz der hieraus resultierenden Gefahr auf die Bundesstraße auffuhr, stellt sich als grob fahrlässig dar.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben ist.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 21.215,27 Euro