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Hessischer VGH, Beschluss vom 12.04.2018 - 2 B 227/18

Auch wenn in einem sich an ein selbständiges Beweisverfahren anschließenden Hauptsacheverfahren der Antragsteller lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung geltend machen kann, ist ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO ungeachtet der Besonderheiten des Verwaltungsprozesses nicht ausgeschlossen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2018 teilweise aufgehoben und die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, ob durch den Straßenverkehr auf der Hanauer Straße (Kreisstraße 855) in Bruchköbel in Höhe der Hausnummer XX - sei es durch Befahren der Straße oder des Gehwegs vor der Immobilie - Erschütterungen und Vibrationen verursacht werden, die die Anhaltswerte (Richtwerte) der DIN 4150 Teil 3 "Erschütterungen im Bauwesen - Einwirkungen auf bauliche Anlagen" übersteigen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Auswahl des Sachverständigen, die Anforderung des Kostenvorschusses und die weiteren erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main übertragen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt einem späteren Zeitpunkt vorbehalten.

Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts wird aufgehoben.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 1666,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Antrag der Antragstellerin auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 98 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. § 485 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO - abgelehnt hat, ist nach Maßgabe der §§ 146 Abs. 1, 147 VwGO zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zu dem Beweisthema:

" Werden durch den Straßenverkehr auf der Hanauer Straße (Kreisstraße 855) in Bruchköbel in Höhe der Hausnummer XX - sei es durch Befahren der Straße oder des Gehwegs vor der Immobilie - Erschütterungen und Vibrationen verursacht, die die Anhaltswerte (Richtwerte) der DIN 4150 Teil 3 "Erschütterungen im Bauwesen - Einwirkungen auf bauliche Anlagen" überstiegen?

zu Unrecht abgelehnt, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens insoweit vorliegen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens insoweit abgelehnt, als sich der Gutachtenauftrag auch auf die Überschreitung der Anhaltswerte der DIN 4150 Teil 2 "Erschütterungen im Bauwesen - Einwirkungen auf Menschen" sowie darauf bezieht, dass die hervorgerufenen Erschütterungen nicht ortsüblich seien.

Nach § 485 Abs. 2 ZPO, auf den sich die Antragstellerin beruft, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass (1.) der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, (2.) die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, (3.) der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird.

Ein rechtliches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Bei der entsprechenden Anwendung dieser Regelung nach § 98 VwGO sind jedoch - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - die Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Es ist grundsätzlich Aufgabe der Ausgangs- bzw. Widerspruchsbehörde, im Rahmen der Amtsermittlung (§ 24 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -) erforderlichenfalls weitere Sachaufklärung zu betreiben und gegebenenfalls ein Gutachten einzuholen, denn die Behörde hat auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 24 Abs. 2 VwVfG). Eine Verlagerung der Sachverhaltsaufklärung auf das Verwaltungsgericht liefe dem gesetzlich vorgesehenen Verfahrensablauf grundsätzlich zuwider.

Kann ein Antragsteller hingegen glaubhaft machen, dass die Behörde unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gar nicht oder fehlerhaft ermittelt, kann das notwendige rechtliche Interesse an der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes zu bejahen sein (Troidl, Das selbstständige Beweisverfahren am Verwaltungsgericht, NVwZ 2011, 780, [784]; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016 § 98 Rz. 26).

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Amtsermittlungsgrundsatz nicht dazu führen kann, dass das selbständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess vollständig verdrängt wird. Grundsätzlich ist der Begriff des "rechtlichen Interesses" i. S. d. S 485 Abs. 2 ZPO nämlich weit auszulegen. Es ist nur dann zu verneinen, wenn kein Rechtsverhältnis, kein möglicher Prozessgegner oder kein Anspruch ersichtlich sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juli 2017 - 15 E 70/17 -, juris, Rz. 44; Hess. VGH, Beschluss vom 17. Januar 2011 - 2 B 1966/10 - , juris Rz. 3; Rudsilie in: Schoch/Schneider/Bier: VwGO-Kommentar, Loseblatt, Stand: 33. Erglf. (Juni 2017), § 98 Rz. 268; Troidl a. a. O. m. W. N.). Das Gericht darf grundsätzlich nicht prüfen, ob die beantragte Beweisaufnahme für den Anspruch erheblich und das Vorbringen schlüssig ist (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 22. Mai 2012 - 8 C 11.1657 -, juris, Rz. 5), es sei denn, die beantragte Feststellung ist offenkundig und nach jeder Betrachtungsweise für den späteren Rechtsstreit unerheblich oder dient lediglich der Ausforschung, insbesondere nur der Erkundung der Erfolgsaussichten einer späteren Klage (OVG Nordrhein-Westfalen a. a. O.). Ähnlich wie bei der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO und der in diesem Zusammenhang vertreten "Möglichkeitstheorie" kommt es nicht darauf an, ob der öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Prozessgegner tatsächlich besteht (vgl. Troidl a. a. O.). Um das erforderliche rechtliche Interesse zu verneinen, muss es sich um Fälle handeln, in denen evident ist, dass etwa der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (vgl. Bay. VGH a. a. O.; Lang in: Sodan/Ziekow: VwGO-Kommentar, 4. Auflage (2014), § 98 Rz. 295 m. w. N.). Daher kann ein rechtliches Interesse auch dann gegeben sein, wenn die von der Behörde zu treffende Entscheidung eine Ermessensentscheidung ist und keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Zwar reicht es für das zu fordernde rechtliche Interesse aus, dass die Ergebnisse der begehrten Begutachtung in die Entscheidungsfindung der Behörde einzubeziehen sind. Allerdings muss unter Beachtung des Ergebnisses des Beweisverfahrens eine Ermessensentscheidung der Behörde zugunsten des jeweiligen Antragstellers ernsthaft in Betracht zu ziehen sein. Grundsätzlich ist es aber ausreichend, dass der Antragsteller sich auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung berufen kann (vgl. Troidl a. a. O. S. 785).

Die Antragstellerin hat gegenüber dem Antragsgegner mit ihrem anwaltlichen Schreiben vom 16. August 2016 deutlich gemacht, dass sie ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 5 Straßenverkehrsordnung - StVO - begehrt. Zwar vermittelt diese Vorschrift keinen unmittelbaren Anspruch auf Erlass spezifischer verkehrsregelnder Anordnungen, denn es handelt sich dabei um eine Ermessensvorschrift, jedoch ist dies nach den vorstehenden Ausführungen unschädlich, weil sich die Antragstellerin zumindest auf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung stützen kann. Auch wenn, wie das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung ausführt, die Lenkungsmöglichkeiten des § 45 StVO in erster Linie auf den Schutz der Allgemeinheit abgestellt sind, schließt dies nicht aus, dass im Rahmen der Ermessensausübung auch Individualinteressen Berücksichtigung finden. Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO dient grundsätzlich auch dem Schutz des Eigentums von Anliegern und kann - gerade auch bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch unzulässigen bzw. übermäßigen Verkehr und durch diesen hervorgerufene Erschütterungen - einen Anspruch auf straßenverkehrsbehördliches Einschreiten vermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 - 3 C 9/02 -, DAR 2003, S. 44; Hentschel / König / Dauer: Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 44. Auflage, § 45 StVO Rz. 31).

Es ist auch nicht von vorneherein auszuschließen, dass durch die Ergebnisse der begehrten Begutachtung ein weiterer Rechtsstreit zwischen den Beteiligten i. S. d. § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO vermieden werden kann. Würde nämlich ein Kausalzusammenhang zwischen den am Gebäude der Antragstellerin festgestellten Schäden und dem an ihrem Haus vorbeiführenden Verkehr festgestellt werden, wäre dies ein Gesichtspunkt, den die Antragsgegnerin im Rahmen einer Entscheidung über verkehrsregelnde Anordnungen in ihre Ermessenserwägungen mit einstellen müsste. Dies wiederum könnte im Vorfeld eines Verwaltungsgerichtsprozesses unter Umständen dazu führen, dass die Antragsgegnerin ihre bisherige ablehnende Haltung bezüglich verkehrsregelnder Anordnungen überdenkt.

Hinzu kommt, dass der Antragsgegner deutlich gemacht hat, dass er weitere Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf von der Antragstellerin begehrte verkehrsrechtliche Anordnungen derzeit nicht für opportun hält. Auch hat die Antragstellerin durch Vorlage von Lichtbildern hinsichtlich der an ihrem Gebäude aufgetretenen Bauschäden (Risse) und zur verkehrlichen Situation vor ihrem Grundstück sowie durch die von ihr vorgelegte eidesstattliche Versicherung die Tatsachen i. S. d. § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen.

Dies alles genügt, um ein rechtliches Interesse an der Begutachtung im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu bejahen.

Allerdings beschränkt sich dies auf die Begutachtung von Erschütterungen und Vibrationen im Hinblick auf Einwirkungen auf bauliche Anlagen gemäß der DIN 4150 Teil 3.

Soweit die Antragstellerin die Begutachtung auch unter Heranziehung der DIN 4150 Teil 2 "Erschütterungen im Bauwesen - Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden" erstrebt, ist darauf abzustellen, dass die Antragstellerin ausweislich ihres Antrags verkehrsrechtliche Anordnungen nur wegen Gebäudeschäden erstrebt und nicht wegen behaupteter schädlicher Einwirkungen der Erschütterungen auf Menschen. Insoweit ist die Beschwerde daher zurückzuweisen.

Bezüglich der Gutachtenfrage, ob die hervorgerufenen Erschütterungen nicht "ortsüblich" seien, vermag der Senat ein rechtliches Interesse an der Feststellung ebenfalls nicht zu erkennen. Die Frage der "Ortsüblichkeit" stellt eine Rechtsfrage dar, die einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist.

Die tenorierten Anordnungen und Maßnahmen werden gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 572 Abs. 3 ZPO dem Verwaltungsgericht übertragen (vgl. Hess. VGH a. a. O. Rz. 5; OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O. Rz. 12; Hanseatisches OLG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 10 W 20/06 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. November 2004 - 10 W 75/04 -, juris).

Einer Kostenentscheidung für den vorliegenden Beschluss bedarf es nicht, denn die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gehören zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens und werden von einer gegebenenfalls dort zu treffenden Kostenentscheidung mit umfasst. Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts war daher aufzuheben. (vgl. Hess. VGH a. a. O. Rz. 6; OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O. Rz. 13). Dies gilt für die Kostenentscheidung insgesamt, ungeachtet dessen, dass die Antragstellerin mit ihrem Antrag nur zum Teil durchgedrungen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2015 - 13 W 18/15 -, juris, Rz. 6). Sollte kein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht werden, würde auf Antrag eine Kostenentscheidung aufgrund (entsprechender Anwendung) des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO i. V. m. § 173 VwGO ergehen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 17. Januar 2011 - 2 B 1966/10 -, juris, Rz. 6 m. w. N.).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -. Der Senat geht hierbei in Anlehnung an Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Kopp / Schenke: VwGO-Kommentar, 23. Auflage (2017), Anh. § 164 Rz. 14) von einem Streitwert für ein entsprechendes gerichtliches Hauptsacheverfahren i. H. v. 5000,00 € aus. Dieser Wert wird mit Blick auf den nur einen Teil des Hauptsacheverfahrens erfassenden Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auf ein Drittel zu reduziert (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30. Mai 2017 - 2 E 1096/17 - m. w. N.; a. A. für den vollen Wert: OVG Nordrhein-Westfalen a. a. O. Rz. 15).

Die erstinstanzliche Wertfestsetzung ist im Interesse einer einheitlichen Wertfestsetzung entsprechend abzuändern. Das Beschwerdegericht macht insoweit von seiner Befugnis nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG Gebrauch.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs. 1 Satz 5 GKG.

Lukas Jozefaciuk