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Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.09.2015 - 11 ZB 15.1591

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Unter Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für beide Instanzen auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, BE und L.

Mit Strafbefehl vom 27. August 2001 verhängte das Amtsgericht Schwandorf wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gegen ihn eine Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und setzte eine Sperre für die Wiedererteilung von 10 Monaten fest. Dem lag zugrunde, dass der Kläger am 10. Juli 2001 mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,73 ‰ mit einem Fahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte.

Mit Bescheid vom 2. Juni 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Schwandorf einen Antrag des Klägers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ab, da das angeforderte Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht vorgelegt worden sei. Zugleich stellte die Fahrerlaubnisbehörde fest, der Kläger dürfe von seiner am 26. Januar 2005 erteilten tschechischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland keinen Gebrauch machen. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 25. Februar 2010 (RO 5 K 09.1122) abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 9. Februar 2011 ab (11 ZB 10.1197 – juris).

Am 13. Februar 2013 beantragte der Kläger erneut die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse BE. Mit Schreiben vom 6. März 2015 forderte die Fahrerlaubnisbehörde ihn auf, bis 28. Mai 2015 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Es sei zu klären, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und/oder als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der beantragten Klassen(n) in Frage stellten. Die Anordnung stütze sich auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV.

Mit Schreiben vom 12. März 2015 teilte der Kläger mit, er werde kein Gutachten beibringen. Mit Bescheid vom 18. März 2015 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde daraufhin die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, BE und L ab (Nr. 1 des Bescheids). Die Trunkenheitsfahrt vom 10. Juli 2001 sei noch im Fahreignungsregister eingetragen und werde erst zum 1. Mai 2019 getilgt. Es sei daher zwingend ein Gutachten nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV beizubringen. Nachdem dies nicht geschehen sei, müsse nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers geschlossen werden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 26. Juni 2015 abgewiesen. Zwar liege der maßgebliche Entzug der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht nun schon über 14 Jahre zurück, der Sachverhalt sei aber noch verwertbar, da die Tat noch im Fahreignungsregister eingetragen sei. Daneben sei kein Raum für eine einzelfallbezogene Prüfung, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründeten. Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei daher zu Recht angeordnet worden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, es müsse die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005, 3 C 25/04, berücksichtigt werden. Danach könne nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden. Die Anforderung eines Gutachtens über 14 Jahre nach der Tat sei nicht verhältnismäßig. Die normale Tilgungsfrist im Fahreignungsregister betrage bei Straftaten zehn Jahre. Dass innerhalb von fünf Jahren nach der Entziehung der Fahrerlaubnis keine neue Fahrerlaubnis beantragt worden sei, habe keine Aussagekraft hinsichtlich der Fahrungeeignetheit. Das Hinausschieben der Tilgungsfristen diene gemäß dem Gesetzentwurf vom 30. Mai 2014 (Drs. 229/14) nur dazu, den Fahrerlaubnisbehörden zusätzliche Informationen aus dem Fahrerlaubnisregister zur Verfügung zu stellen. Der Kläger habe aber auch in Tschechien im Jahr 2005 eine Fahrerlaubnis erworben. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft sei er damit in Deutschland gefahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Aus der Antragsbegründung, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die sinngemäß geltend gemacht werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen dann, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057.11 – BVerfGE 134, 106/118).

Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Dezember 2014 (BGBl S. 2213), gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht die Vorschriften für die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl S. 904), ist die Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn ein Bewerber geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist und die übrigen in § 3 Abs. 2 StVG genannten Voraussetzungen erfüllt. Geeignet ist nach § 2 Abs. 4 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung von Gutachten anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005, 3 C 21/04 (NJW 2005, 3440), angenommen, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV rechtmäßig war, da die Trunkenheitsfahrt vom 10. Juli 2001 noch im Fahreignungsregister eingetragen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Taten verwertbar sind und dem Betreffenden vorgehalten werden können, solange sie im Fahreignungsregister noch nicht getilgt sind (BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 CS 15.1499 – juris; B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris).

Soweit der Kläger ausführt, es müsse die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005, 3 C 25/04 (NJW 2005, 3081), Berücksichtigung finden, verhilft dies seinem Antrag nicht zum Erfolg. Dort wurde um die Frage gestritten, wie lange ein Betäubungsmittelmissbrauch einem Fahrerlaubnisinhaber entgegengehalten werden kann, ohne dass eine Eintragung im damaligen Verkehrszentralregister bestand. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn die Tat vom 1. Juli 2001 ist noch im Fahreignungsregister eingetragen.

Die Eintragung ist auch noch nicht tilgungsreif, denn sie unterliegt nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG bis 30. April 2019 weiterhin den Tilgungsvorschriften der Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung (StVG a.F.). Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. betragen die Tilgungsfristen bei Straftaten mit Entziehung der Fahrerlaubnis zehn Jahre. Die Tilgungsfrist beginnt bei Strafbefehlen gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG a.F. mit dem Tag der Unterzeichnung. Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. beginnt die Tilgungsfrist bei der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung, der Anordnung einer Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) oder bei einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis aber erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung oder dem Tag des Zugangs der Verzichtserklärung bei der zuständigen Behörde (sog. Anlaufhemmung). Nach der Gesetzesbegründung soll dadurch berücksichtigt werden, dass während der Zeit der Entziehung eine Bewährung durch Teilnahme am Straßenverkehr nicht stattfinden kann. Außerdem soll sichergestellt werden, dass bei erneuter Antragstellung die Behörde Kenntnis der Mängel erhält, die zu den Entscheidungen geführt haben (Dauer in Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 29 StVG Rn. 2). Der Gesetzgeber hat auch bei der Rechtsänderung zum 1. Mai 2014 an der Anlaufhemmung festgehalten und diese in § 29 Abs. 5 StVG n.F. beibehalten.

Darüber hinaus ist die Tilgung einer Eintragung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. im Falle der Eintragung mehrerer Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a.F. regelmäßig erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (sog. Ablaufhemmung).

Es kommt im vorliegenden Fall daher nicht darauf an, ob die Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. mit Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 26. Januar 2005 oder erst nach Ablauf von fünf Jahren nach Erlass des Strafbefehls am 27. August 2001 zu laufen begonnen hat, denn sie ist durch die Eintragung der unanfechtbaren Versagung der Fahrerlaubnis im Jahr 2009 nach § 28 Abs. 3 Nr. 5 StVG a.F. bis 30. April 2019 gehemmt.

Die Ablaufhemmung erscheint auch nicht unverhältnismäßig, obwohl sie seit der Rechtsänderung am 1. Mai 2014 in § 29 StVG n.F. nicht mehr vorgesehen ist. Im Falle der unanfechtbaren Versagung einer Fahrerlaubnis hatte der Fahrerlaubnisbewerber unter Geltung der alten Rechtslage die Möglichkeit, durch Rücknahme seines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Versagung eine Eintragung der Versagung und damit eine Hemmung der Tilgungsfristen der Voreintragungen zu verhindern.

Auch der Hinweis auf die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes mit Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl S. 1802) führt zu keiner anderen Beurteilung. Dort wurden Änderungen hinsichtlich des Zentralen Fahrerlaubnisregisters eingeführt, da die örtlichen Fahrerlaubnisregister nach dem 31. Dezember 2014 nicht mehr geführt werden dürfen. Die mit diesem Gesetz geänderten Regelungen hinsichtlich des Fahreignungsregisters haben keinen Zusammenhang mit der vorliegenden Fallgestaltung.

Der Fahrerlaubnisbehörde steht auch kein Ermessen hinsichtlich der Anordnung zu. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zwingend anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr geführt wurde. Auch der Schluss auf die Nichteignung wird nicht im Wege einer Ermessensentscheidung getroffen (BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416 – juris Rn. 22; B.v. 11.5.2012 – 11 CS 12.752 – juris Rn. 24), sondern § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV enthält einen Grundsatz der Beweiswürdigung (vgl. Dauer a.a.O. § 11 FeV Rn. 51).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/ Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14). Dabei fällt kein eigener Streitwert für die Fahrerlaubnisklassen AM oder L an, da die Fahrerlaubnis der Klasse B nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV auch zum Führen von Fahrzeugen der Klassen AM und L berechtigt.

Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Lukas Jozefaciuk